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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.01.2006
Aktenzeichen: 11 WF 374/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 1603
BGB § 1603 Abs. 2 Satz 3
BGB § 1618 a
Zwar trägt der nicht betreuende Elternteil, der sich bei Inanspruchnahme durch das Kind auf eine zusätzliche Barunterhaltspflicht des betreuenden Elternteils beruft, die Beweislast für die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des anderen Elternteils. Er kann aber diese Einkünfte schätzen und ist nicht darauf zu verweisen, den anderen Elternteil in einem gesonderten Verfahren auf Auskunft in Anspruch zu nehmen.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

11 WF 374/05 OLG Hamm

in der Familiensache

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beklagten vom 07.11.2005 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 30.09.2005 abgeändert.

Dem Beklagten wird in vollem Umfang Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Klage bewilligt.

Ihm wird Rechtsanwalt R aus Bielefeld zu den Bedingungen eines beim Amtsgericht Hamm zugelassenen Anwalts beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist die am 07.12.1991 geborene Tochter des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe mit ihrer Mutter, bei der sie lebt und der auch das Sorgerecht zusteht. Der Beklagte, der ein Mathematikstudium abgebrochen und keinen Beruf erlernt hat, ist seit dem 11.01.2002 erneut verheiratet und hat eine weitere am 28.08.2004 geborene Tochter Josephine. Seine zweite Ehefrau betreibt einen Feinkostladen mit Partyservice. Er hat seit 2001 als Beikoch in ihrem Betrieb gearbeitet und 2003 ein durchschnittliches Nettoeinkommen vom 869,69 € erzielt. Seit Januar 2004 ist er stiller Gesellschafter und mit 50 % am Gewinn beteiligt. Im Jahre 2004 hat sein Gewinnanteil 12.000,- € betragen. Für die Kranken- und Pflegeversicherung hat er monatlich 264,44 € bezahlt sowie weitere 39,24 € + 10,95 € + 12,- € = 122,19 € für eine Berufsunfähigkeitsversicherung, eine Unfall- und eine Rentenversicherung.

Da der Beklagte für die Klägerin freiwillig nur Unterhalt in Höhe von monatlich 233,- € gezahlt hat, hat sie im April 2004 die Erhöhung auf den Regelbetrag von monatlich 284,- € verlangt.

Sie beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie für die Zeit von April bis September 2004 einen Rückstand von insgesamt 371,- € und ab Oktober 2004 monatlich laufend 284,- € zu zahlen.

Der Beklagte will sich gegen die Klage verteidigen und hat dafür Prozesskostenhilfe beantragt. Er hat geltend gemacht, angesichts seiner weiteren Unterhaltspflichten und seiner geringen Einkünfte sei er nicht leistungsfähig. Zumindest müsse die Mutter der Klägerin neben der Betreuung auch den Barunterhalt aufbringen, weil sie Inhaberin einer Firma sei. Ihr Einkommen daraus sei auf monatlich mindestens 6.000,- € netto zu schätzen, weil sie zusammen mit ihrem Lebenspartner allein 4 PKW's unterhalte.

Das Amtsgericht hat dem Beklagten ein fiktives Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit zugerechnet und auf dieser Basis das für Unterhaltszwecke verfügbare Einkommen zwischen der Klägerin, der zweiten Ehefrau und der Tochter Josephine aufgeteilt. Es hat errechnet, dass er für die Zeit bis Juni 2005 für die Klägerin monatlich 190,51 € und ab Juli 2005 monatlich noch 166,24 € aufzubringen habe. Eine Verpflichtung der Mutter der Klägerin, sich gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 3 am Barunterhalt zu beteiligen, hat es verneint, weil insoweit spezifizierter Vortrag zur Höhe ihrer Einkünfte fehle.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beklagte mit der Beschwerde, mit der er weiterhin Prozesskostenhilfe für eine vollständige Verteidigung gegen die Klage erstrebt. Er macht zum einen geltend, dass das ihm zugerechnete Einkommen zu hoch sei, zum anderen, dass die Klägerin das vorgetragene Einkommen ihrer Mutter nicht substantiiert bestritten habe. Deshalb seien sehr wohl die Voraussetzungen einer nicht gesteigerten Unterhaltspflicht mit Beteiligungspflicht des anderen Elternteils gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB anzunehmen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und hat in vollem Umfang Erfolg. Zwar zieht der Beklagte nicht in Zweifel, dass er der Klägerin grundsätzlich unterhaltspflichtig ist und sich ein fiktives Einkommen zurechnen lassen muss, weil seine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nach Abzug der Vorsorgeaufwendungen unter dem notwendigen Selbstbehalt liegen, dennoch bedarf die Sache weiterer Aufklärung hinsichtlich der Frage, ob sich die Mutter der Klägerin nicht auf Grund erheblich höherer Einkünfte mit einem weit überwiegenden Anteil am Barunterhalt der Klägerin zu beteiligen hat. Da die Größenordnung des vom Beklagten zu tragenden Anteils nicht absehbar ist, ist ihm Prozesskostenhilfe für den Antrag auf gänzliche Abweisung der Klage zu bewilligen.

1.

Gegen die Bemessung der fiktiven Einkünfte des Beklagten durch das Amtsgericht ist allerdings entgegen der Auffassung der Beschwerde nichts zu erinnern. Auch wenn der Beklagte keinen Beruf erlernt hat, so verfügt er doch mit der Hochschulreife über einen qualifizierten Schulabschluss und ist als Beikoch in der Firma seiner Ehefrau zuletzt mit einem Stundenlohn von 10,23 € entlohnt worden. Dass dieser Stundenlohn überhöht gewesen und anderweitig nicht zu erzielen sei, legt der Beklagte nicht dar.

Es wird im weiteren Verlauf des Verfahrens allerdings zu prüfen sein, ob dem Beklagten nicht ab der Aufforderung zur Zahlung höheren Unterhalts mit Schreiben vom 19.04.2004 eine Bewerbungs- und Orientierungsfrist von 5 bis 6 Monaten zuzubilligen ist, bevor die Zurechnung fiktiver Einkünfte in Betracht kommt.

2.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass der Beklagte die Voraussetzungen für eine Heranziehung ihrer Mutter (und gesetzlichen Vertreterin) zum Barunterhalt gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB nicht dargelegt habe, weil sie selbst ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist.

Zwar hat das Amtsgericht Recht mit dem Hinweis, dass derjenige, der sich auf eine zusätzliche Barunterhaltsverpflichtung des betreuenden Elternteils beruft, nach der Rechtsprechung des BGH die Beweislast für die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des anderen Elternteils trägt (BGH NJW 81, S. 923 ff.), in der zitierten Entscheidung hat der BGH aber auch darauf hingewiesen, dass die Verteilung der Beweislast nicht bedeute, dass der Gegner des Beweispflichtigen jeder Darlegungspflicht enthoben werde (BGH a.a.O., S. 924). Die Beschwerde macht daher zu Recht geltend, dass es zulässig gewesen sei, die Einkünfte der Mutter der Klägerin zu schätzen (so der Senat für den Fall der Unterhaltsklage des volljährigen Kindes, OLGR 2005, S. 442 = FarmRZ 2005, S. 1924 LS), und die Klägerin, die durch ihre Mutter vertreten wird und problemlos über alle Informationen und Unterlagen zur Darlegung von deren Einkommens verfügen kann, sich nicht auf ein pauschales Bestreiten dieser Schätzung habe beschränken dürfen. Der dem Beklagten vom Amtsgericht gewiesene Ausweg, die Mutter der Klägerin in einem gesonderten Verfahren gemäß § 242 BGB auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, ist ein unnötig kostenträchtiger und die Erledigung verzögernder Umweg. Nach Auffassung des Senats kann der Beklagte vielmehr auf der Grundlage der Beistands- und Rücksichtspflichten gemäß § 1618 a BGB verlangen, dass die Klägerin selbst durch ihre Mutter deren Einkommensverhältnisse unter Vorlage entsprechender Unterlagen konkret vorträgt. Solange sie das nicht tut, genügt die schlüssige Behauptung, dass erheblich bessere Einkommensverhältnisse auf Seiten der Mutter deren Beteiligung am Barunterhalt rechtfertigten. Das macht die Rechtsverteidigung des Beklagten in weitergehendem Umfang aussichtsreich, als das Amtsgericht bisher angenommen hat.

3.

Zwar führt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB nicht dazu, dass der Unterhaltspflichtige von jeder Unterhaltsverpflichtung frei wird, wenn man aber mangels substantiierten Bestreitens der Klägerin von einem Einkommen ihrer Mutter in Höhe von 6.000,- € monatlich ausgeht, kommt nur noch ein äußert geringer Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten in Betracht.

Muss sich die Mutter der Klägerin wegen ihrer mehrfach höheren Einkünfte an deren Barunterhalt beteiligen, sind für dessen Berechnung die für den Unterhalt volljähriger Kinder maßgeblichen Grundsätze heranzuziehen (Bamberger/Roth, BGB, § 1603, Rdnr. 43). Der aus der höchsten Einkommensgruppe zu entnehmende Bedarf ist dann von beiden Eltern entsprechend dem Verhältnis ihrer für den Unterhalt einzusetzenden Einkünfte anteilig aufzubringen, was dazu führt, dass der Anteil des Beklagten auf rund 2 % des Bedarfs sinkt.

a)

Wird dem Beklagten ein Einkommen von 1.325,52 € zugerechnet, stehen unter Berücksichtigung des angemessenen Selbstbehalts, der ihm gemäß § 1603 BGB verbleiben muss, für Unterhaltszwecke nur 325,52 € bzw. (ab dem 01.07.2005) 225,52 € zur Verfügung.

Dieser Betrag ist im Verhältnis des Bedarfs der drei Unterhaltsberechtigten (Klägerin, zweite Ehefrau, Tochter Josephine) aufzuteilen. Dabei kann für die Kinder von den Zahlen des Amtsgerichts ausgegangen werden, jedoch ist der Bedarf der zweiten Ehefrau nicht nur mit 325,62 €, sondern mit 615,- € anzusetzen, weil sie aus ihrem Betrieb bisher keine positiven anrechenbaren Einkünfte erzielt. Das Amtsgericht hat insoweit übersehen, dass es sich bei dem in 2002 erzielten Betriebsergebnis von 13.276,58 € um einen Verlust gehandelt hat. Für die Zeit von 2002 bis 2004 ergibt sich daher insgesamt nur folgender durchschnittlicher Verdienst der zweiten Ehefrau:

 Gewinn in 200412.000,00 €
Gewinn in 20036.140,54 €
./. Verlust in 200213.276,58 €
per Saldo4.863,96 €
davon 1/36135,11 €

Zieht man davon die Vorsorgeaufwendungen ab, bleibt kein anrechenbares Einkommen.

Bei einem Gesamtbedarf aller Berechtigten von 384,- € + 269,- € + 615,- € = 1.268,- € beträgt das für den Unterhalt der Klägerin einzusetzende Einkommen 325,52 € * 30,3 % = 98,63 € (225,52 € * 30,3 % = 68,33 €).

b)

Schätzt man das von der Mutter der Klägerin für deren Unterhalt einzusetzende Einkommen vorläufig auf 5.000,- € (6.000,- € ./. 1.000,- € Selbstbehalt) bzw. ab dem 01.07.2005 auf 4.900,- €, liegt der vom Beklagten aufzubringende Anteil des Unterhalts bei knapp 2 % (98,63 : 50,9863) von 568,- € (582,- €), also in der Größenordnung von 12,- €.

Um allen Unwägbarkeiten bei der weiteren Aufklärung des Sachverhalts Rechnung zu tragen, ist gerechtfertigt, Prozesskostenhilfe für eine gänzliche Abweisung der Klage zu bewilligen.

Ende der Entscheidung

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