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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 27.10.2006
Aktenzeichen: 12 U 76/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 151 S. 1
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 765
ZPO § 293
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Siegen vom 11. April 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin, eine in V. ansässige Betreiberin von Supermärkten, nimmt die Beklagte, eine deutsche Versicherungsgesellschaft, aus zwei Bürgschaften auf erstes Anfordern vom 18.10.2001 auf Zahlung in Höhe von insgesamt 167.255,-- € in Anspruch.

Am 6.4.2001 schloss die Klägerin als Bauherrin mit der Einzelhandelsfirma T. aus T. als Generalunternehmerin und der Firma W. GmbH als Auftragnehmerin zwei Bauverträge, die jeweils die Errichtung eines C.-Supermarktes in D. zum Gegenstand hatten. Der Inhaber der Generalunternehmerin T. war und ist auch Präsident der V GmbH. Der Vertrag Nr. 06/301 sah in Ziff. XI 4 für den Gewährleistungsfall die Gestellung einer Bankbürgschaft durch die Generalunternehmerin vor; der Vertrag Nr. 07/302 sah in der ansonsten wortgleichen Bestimmung in Ziff. XI 4 die Gestellung einer Bankbürgschaft durch die Auftragnehmerin vor. Während die jeweils in Ziff. VIII 5 der Verträge geregelten Erfüllungsbürgschaften solche auf erstes Verlangen sein sollten, war dies für die Gewährleistungsbürgschaften nicht vorgeschrieben.

In den Bürgschaften vom 18.10.2001, die die Beklagte für die Fa. T. als Hauptschuldnerin für die "Gewährleistung gemäß Vertrag" übernahm, verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung auf erste schriftliche Anforderung. Vor Begebung der Bürgschaften hatte die Beklagte den Inhalt der in Bezug genommenen Bauverträge, insbesondere auch den der Sicherungsabreden, nicht überprüft.

Mit Schreiben vom 14.10.2002, 20.1.2003 und 18.2.2003 forderte die Klägerin die Beklagte unter Hinweis auf zahlreiche Mängel an beiden Bauobjekten vergeblich zur Zahlung auf.

Die Parteien streiten, ob die Klägerin aus den Bürgschaften auf erstes Anfordern vorgehen darf. Das Vorhandensein von Mängeln ist streitig; die Beklagte beruft sich außerdem auf die Verjährung etwaiger Gewährleistungsansprüche.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt und die auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunden gerichtete Widerklage abgewiesen.

Da die Beklagte sich in den Bürgschaften wirksam zur Zahlung auf erstes Anfordern verpflichtet habe, könne sie ihre Einwendungen erst in einem Rückforderungsprozess geltend machen. Das Vorgehen der Klägerin aus den Bürgschaften sei nicht rechtsmissbräuchlich, weil nicht unstreitig bzw. liquide beweisbar sei, dass der Bürgschaftsfall nicht eingetreten sei.

Die Beklagte könne auch nicht geltend machen, die Hauptschuldnerin schulde keine Bürgschaft auf erstes Anfordern. Rechtsgrund für die Hingabe der Bürgschaften seien nicht die Sicherungsabreden zwischen der Klägerin und der Fa. T., sondern allein die Bürgschaftsverträge der Parteien. Durch das Unterlassen der Überprüfung der Bauverträge habe die Beklagte bewusst das Risiko übernommen, dass die Bürgschaften von den Sicherungsabreden abwichen.

Die Beklagte hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie begründet ihr Rechtsmittel unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen wie folgt:

Entgegen der Annahme des Landgerichts habe bei ihr kein Rechtsbindungswille bestanden, eine von der jeweiligen Sicherungsabrede abweichende Bürgschaft zu stellen.

Nach dem Vertrag Nr. 06/301 sei die in der korrespondierenden Bürgschaft bezeichnete Hauptschuldnerin, die Fa. T., gar nicht zur Gestellung einer Gewährleistungssicherheit, nach dem Vertrag Nr. 07/302 nur zur Gestellung einer "einfachen" Bürgschaft verpflichtet gewesen. Diese Sicherungsabreden seien nicht nachträglich durch die Bauvertragsparteien geändert worden, insbesondere habe die Übersendung des Musters der Versicherungsbürgschaft auf erstes Anfordern durch die Fa. T. keine Vertragsänderung herbeigeführt. Hierüber hätte das Landgericht Beweis erheben müssen.

Werde aber nach den Hauptverträgen die Gestellung von Bürgschaften auf erstes Anfordern nicht geschuldet, könne sie, die Beklagte, von der Klägerin verlangen, nur wie eine selbstschuldnerische Bürgin in Anspruch genommen zu werden. Ihren Einwendungen gegen die von der Klägerin geltend gemachten Gewährleistungsansprüche sei daher nachzugehen.

Die Beklagte beantragt,

abändernd

1. die Klage abzuweisen,

2. auf die Widerklage

die Klägerin zu verurteilen, an sie, die Beklagte, deren Bürgschaftserklärung gemäß Bürgschaftsurkunde Nr. ...................................Bg-Nr. 1 vom 18.10.2001 sowie deren Bürgschaftserklärung gemäß Bürgschaftsurkunde Nr. ................................Bg-Nr. 2 vom 18.10.2001 herauszugeben,

hilfsweise

die Klägerin zu verurteilen, sich schriftlich zu verpflichten, die beiden streitgegenständlichen Bürgschaftserklärungen nicht auf erstes Anfordern, sondern nur als selbstschuldnerische Bürgschaft geltend zu machen,

und - in diesem Fall - den Rechtstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft hierzu ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

1. Die Klägerin kann von der Beklagten Zahlung in Höhe von 167.255,-- € verlangen. Der Anspruch ergibt sich aus § 765 BGB.

a) Die Beklagte hat sich in den beiden Bürgschaften vom 18.10.2001 gegenüber der Klägerin zur Zahlung von 76.162,-- € und 91.093,-- € auf erstes schriftliches Anfordern verpflichtet. Die Bürgschaftsverträge unterliegen nach der ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien dem deutschen Recht. Die Klägerin hat das ihr durch Übersendung der Urkunden übermittelte Angebot der Beklagten gem. § 151 S. 1 BGB angenommen (vgl. BGH NJW 1997, 2233; 2000, 1563).

Gegen die Wirksamkeit der Verträge bestehen keine Bedenken.

b) Der Sicherheitsfall ist eingetreten. Die Klägerin hat die Beklagte unter dem 14.10.2002, 20.1.2003 und 18.2.2003 schriftlich zur Zahlung aufgefordert und das Vorhandensein konkret bezeichneter Mängel an den beiden Bauobjekten in D. behauptet. Weitere Anforderungen sind an das Zahlungsverlangen nicht zu stellen, insbesondere bedarf es keiner schlüssigen Darlegung der jeweiligen Hauptverbindlichkeit (vgl. BGH NJW 1994, 380; NJW 1997, 1435, 1437).

c) Die Beklagte dringt im vorliegenden Prozess mit ihren Einwendungen gegen ihre Inanspruchnahme als Bürgin auf erstes Anfordern nicht durch.

aa) Sie kann nicht mit Erfolg geltend machen, aus dem Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin ergebe sich keine Rechtsgrundlage für die erhaltenen Sicherheiten in Form der Bürgschaften auf erstes Anfordern.

(1) Der Bürge, der sich zur Zahlung auf erstes Anfordern verpflichtet, muss in der Regel sofort zahlen und kann Einwendungen oder Einreden aus dem Hauptschuldverhältnis erst in einem Rückforderungsprozess geltend machen; es sei denn, der Gläubiger missbraucht offensichtlich eine formale Rechtsstellung (§ 242 BGB). Hierzu muss auf der Hand liegen oder zumindest liquide beweisbar sein, dass trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist (BGH NJW 1997, 1435, 1437; NJW 2000, 1563, 1564; NJW 2002, 1493). Das gilt nicht nur für Einwendungen gegen die Begründetheit der Hauptschuld, sondern auch für den Einwand, nach den vertraglichen Vereinbarungen mit dem Hauptschuldner habe der Gläubiger nur Anspruch auf eine einfache selbstschuldnerische Bürgschaft (BGH NJW 2000, 1563, 1564).

Das Vorgehen der Klägerin aus den beiden Bürgschaften ist nicht in diesem Sinne offensichtlich rechtsmissbräuchlich.

(a) Dass die Hauptschuldnerin, die Fa. T., gegenüber der Klägerin geltend machen kann, die gestellten Bürgschaften auf erstes Anfordern seien vertraglich nicht geschuldet und die Klägerin dürfe deshalb aus ihnen nicht vorgehen, ist streitig und lässt sich nicht anhand der liquiden Beweismittel ohne weiteres feststellen.

Zwar trifft es zu, dass nach dem Wortlaut der schriftlichen Bauverträge vom 6.4.2001 die Fa. T. nicht zur Gestellung von Gewährleistungsbürgschaften auf erstes Anfordern verpflichtet war. Zur Feststellung, ob die Vertragsparteien diese Sicherungsabreden nachträglich geändert haben, wie die Klägerin behauptet, bedürfte es weiterer Sachaufklärung. Eine Vernehmung der Beteiligten als Zeugen scheidet im Erstprozess auf Zahlung aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern aus.

(b) Selbst wenn es nicht zu einer Änderung der ursprünglichen Sicherungsvereinbarungen gekommen sein sollte, stünde damit nicht fest, dass die Klägerin im Verhältnis zu der Hauptschuldnerin nicht berechtigt wäre, aus den zur Verfügung gestellten Versicherungsbürgschaften auf erstes Anfordern vorzugehen.

Diese Frage beurteilt sich nicht nach deutschem Recht, nach dem ein vertraglicher oder ein bereicherungsrechtlicher Anspruch in Betracht käme, die Bürgschaften nicht auf erstes Anfordern, sondern nur als selbstschuldnerische Bürgschaften geltend zu machen (vgl. BGH NJW 2000, 1563, 1564; NJW 2003, 2605, 2607). Auf die Bauverträge vom 6.4.2001, aus denen sich die Rechte und Pflichten der Hauptvertragsparteien ergeben, findet vereinbarungsgemäß V. Recht Anwendung. Welche Rechtsfolgen das V. Recht an eine möglicherweise rechtsgrundlos erhaltene privilegierte Bürgschaft anknüpft, kann nicht ohne weitere Aufklärung festgestellt werden. Hierzu bedürfte es der Einholung eines Rechtsgutachtens nach § 293 ZPO.

Ob einer solchen Rechtsfrage im Erstprozess auf Zahlung aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nachzugehen wäre, kann der Senat offen lassen.

(2) Die Beklagte kann sich aus einem weiteren Grund nicht darauf berufen, die von ihr gegebenen Bürgschaften gingen über die Sicherungsabsprachen zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin hinaus, deshalb handele die Klägerin rechtsmissbräuchlich unter Ausnutzung ihrer formalen Rechtsstellung.

(a) Der Rechtsgrund eines Bürgschaftsvertrags ist nicht notwendig davon abhängig, dass und mit welchem Inhalt die Parteien des Hauptvertrags eine Sicherungsabrede getroffen haben. Löst sich der Bürge bewusst von den vertraglichen Vereinbarungen der Hauptparteien, kann er gegenüber seiner Inanspruchnahme nicht einwenden, die Bürgschaft ginge über die Sicherungsabsprache hinaus (BGH NJW 2000, 1563, 1565).

(b) Die Bürgschaftserklärungen der Beklagten wichen ersichtlich von dem Inhalt der Sicherungsvereinbarungen in Ziff. XI 4 der Bauverträge vom 6.4.2001 ab. Es handelte sich um Versicherungs-, nicht um Bankbürgschaften, zudem sahen sie die Privilegierung durch die Zahlung auf erstes Anfordern vor. Außerdem bot die Beklagte für beide Verträge Bürgschaften der Generalunternehmerin an.

Die Klägerin konnte und durfte dies - unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten sie selbst über die Hauptschuldnerin der Klägerin das Angebot zur von der Sicherungsabrede abweichenden Bürgschaftserklärung gemacht hatte - so verstehen, dass die Beklagte die Bürgschaften unabhängig vom Inhalt der Sicherungsabreden begab. Insbesondere im internationalen Geschäft sind Bürgschaften /Garantien auf erstes Anfordern übliche Sicherungen.

(c) Demgegenüber kann die Beklagte nicht geltend machen, die Abweichung von den Sicherungsabsprachen sei nicht bewusst erfolgt, weil ihre Mitarbeiter die Bauverträge gar nicht zur Kenntnis genommen hätten. Wollte die Beklagte nunmehr aus der fehlenden Übereinstimmung von Bürgschaften und Sicherungsabreden Rechte herleiten, ist ihr widersprüchliches Verhalten und damit ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) vorzuwerfen. Ebenso wenig wie jemand, der eine Erklärung in dem Bewusstsein abgibt, ihren Inhalt nicht zu kennen, diese nachher wegen Inhaltsirrtums anfechten kann (vgl. BGH NJW 1995, 190 f.), kann die Beklagte im Nachhinein geltend machen, sie habe bei Abgabe der Bürgschaftserklärungen den Inhalt der in Bezug genommenen Sicherungsabsprachen der Parteien nicht gekannt. Sie muss sich daran festhalten lassen, dass es ihr bei Erbringung der Bürgschaften nicht auf die Übereinstimmung mit den zugrunde liegenden Sicherungsabsprachen ankam; sie also bewusst die Bürgschaftserklärungen unabhängig von der Sicherungsabrede abgegeben hat.

Dieses Ergebnis dient dem Schutz des Rechtsverkehrs und ist interessengerecht.

(d) Eine unbillige Benachteiligung der Beklagten scheidet aus. Ein Bürge, der sich zur Zahlung auf erstes Anfordern verpflichtet, setzt sich stets der Gefahr aus, ungerechtfertigt in Anspruch genommen zu werden und einen Rückzahlungsanspruch wegen Insolvenz des Gläubigers oder im Ausland nicht durchsetzen zu können. Dieses Risiko ist die beklagte Versicherung im konkreten Fall bewusst eingegangen.

(e) Durch die Inanspruchnahme der Beklagten werden auch keine schutzwürdigen Interesse der Hauptschuldnerin verletzt. Das gilt nicht nur, wenn die Begebung der Versicherungsbürgschaften auf erstes Anfordern entsprechend dem Vorbringen der Klägerin auf Veranlassung bzw. mit Billigung der Fa. T. erfolgte. Ohne die Änderung der Sicherungsabrede durch die Bau-Vertragspartner hätte sich die Beklagte über ihre Rechte und Pflichten aus dem Geschäftsbesorgungsverhältnis zur Hauptschuldnerin hinweggesetzt, was diese ihr bei einem Rückgriff entgegenhalten könnte.

bb) Mit sämtlichen weiteren Einwendungen und Einreden gegen den Eintritt des Gewährleistungsfalls ist die Beklagte auf den Rückforderungsprozess zu verweisen. Das gilt für den Streit um das Fortbestehen der Mängel ebenso wie für die Frage der Verjährung. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts, auf die Bezug genommen wird, an.

2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB.

3. Die Widerklage ist sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsbegehren unbegründet. Das folgt aus den vorstehenden Ausführungen zur Klage.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

2. Die Revision war nicht zuzulassen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, § 543 Nr. 1 ZPO. Ebenso wenig erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Nr. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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