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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.09.2000
Aktenzeichen: 13 U 106/00
Rechtsgebiete: BGB, PflVersG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 844
BGB § 254
PflVersG § 3
ZPO § 519
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Ziff. 10
Leitsatz:

Ein Mitverschulden iHv 25 % trifft denjenigen, der sich nach Abstellen seines Fahrzeuges auf einem Standstreifen der Autobahn im Bereich der rechten Seitenlinie aufhält und dort von einem Fahrzeug angefahren wird.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 106/00 OLG Hamm 14 O 577/99 LG Münster

Verkündet am 06. September 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Pauge und die Richterin am Landgericht Kirchhoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 23. März 2000 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert.

Die Beklagten bleiben verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 5.544,77 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. Oktober 1999 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen die Beklagten 54 % und die Klägerin 46 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Beklagten in Höhe von 5.544,77 DM und die Klägerin in Höhe von 4.644,78 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am Dezember 1997 auf der Bundesautobahn A 1 in A ereignete und bei dem ihr Ehemann S ums Leben kam. Herr S war Halter und Führer eines Lkw Daimler-Benz mit Anhänger. Er hatte den Lastzug abends bei Dunkelheit auf dem Standstreifen in Fahrtrichtung B - in Höhe des Kilometers 297,751 - aus unbekannten Gründen abgestellt. Der Lastzug war fahrbereit. Er stand etwa 40 cm rechts der mit einer durchgezogenen weißen Linie markierten Fahrstreifenbegrenzung. Der Motor war abgestellt. Die Beleuchtung und die Warnblinkanlage waren eingeschaltet. Ob das hintere linke Blinklicht des Anhängers funktionierte, ist streitig. Ein Warndreieck war nicht aufgestellt. Herr S hielt sich zur Unfallzeit außerhalb des Führerhauses im Bereich der hinteren linken Ecke des Anhängers auf. Dort wurde er von dem bei dem Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten, von dem Beklagten zu 1) geführten Lkw, der in Richtung B unterwegs war, erfaßt. Er verstarb an der Unfallstelle.

Die Klägerin beziffert ihren Schaden mit insgesamt 18.579,09 DM. Darin sind neben Beerdigungskosten u.a. Kosten in Höhe von 8.389,55 DM für das Rückholen des Lastzuges enthalten. Der Beklagte zu 2) hat den Schaden - mit Ausnahme der Rückholkosten - zu 50 % reguliert und vorprozessual 8.389,55 DM gezahlt. Der Restbetrag ist Gegenstand der Klage.

Die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe auf der Standspur gestanden und sei dort von dem von dem Beklagten zu 1) geführten Lkw, der nach rechts von der Fahrbahn abgekommen sei, erfaßt worden.

Die Beklagten berufen sich auf Mitverschulden und behaupten, ausweislich der Diagrammscheibe sei der Lastzug etwa 2 1/2 Stunden vor dem Unfall auf dem Seitenstreifen abgestellt worden, ohne daß eine Panne vorgelegen hätte.

Im Ermittlungsverfahren StA M ist der Zeuge S polizeilich vernommen worden. Im anschließenden Strafverfahren hat das Amtsgericht Lüdinghausen Beweis erhoben worden durch Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. L. Durch Urteil vom 1. Oktober 1998 hat es den Beklagte zu 1) wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Das Landgericht hat die Akten der Staatsanwaltschaft im Wege des Urkundsbeweises verwertet und der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Die Beklagten beantragen,

abändernd die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bestreitet, daß das hintere linke Blinklicht des Anhängers defekt war.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akten StA M lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Der Senat hat Beweis erhoben durch mündliche Erläuterung des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat zum Teil Erfolg. Die Klage ist nicht in vollem Umfang begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten gem. §§ 823, 844 BGB, 3 PflVersG einen Anspruch auf (restlichen) Schadensersatz in Höhe von (nur) 5.544,77 DM.

1.

Die Verschuldenshaftung der Beklagten ist - abgesehen von der Haftungsquote - dem Grunde nach unstreitig.

2.

Die Ansprüche der Klägerin sind wegen Mitverschuldens ihres verstorbenen Ehemannes gem. § 254 BGB um 25 % gemindert.

a)

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. L befand sich der von dem Beklagten zu 1) geführte Lkw in der Annäherungsphase mit seiner rechten Außenkante - bezogen auf die seitliche Kontur des Aufbaus - in einer Breite zwischen 7 und 20 cm auf der Seitenleitlinie, wobei sein Außenspiegel in den Standstreifen hineinragte. Herr S bewegte sich mit seinem Körperschwerpunkt im mittleren bis linken Bereich der Seitenleitlinie. Aus technischer Sicht sei nicht auszuschließen, daß einzelne Körperteile in die Fahrbahn hineinragten. Sicher sei, daß er sich im Bereich der Seitenleitlinie befunden habe.

b)

Danach steht fest, daß Herr S den Unfall schuldhaft mitverursacht hat. Er hat sich selbst fahrlässig in Gefahr gebracht, indem er sich bei Dunkelheit auf der Bundesautobahn im Bereich der rechten Seitenleitlinie aufhielt. Unabhängig davon, weshalb Herr S sich überhaupt außerhalb des abgestellten Fahrzeugs befand, durfte er sich dort zu seinem eigenen Schutz jedenfalls nur unter ständiger Beobachtung des fließenden Verkehrs aufhalten. Das gilt nicht nur für den Standstreifen, sondern erst recht für den besonders gefährlichen Bereich der Seitenleitlinie. Wenn Herr S in der gebotenen Weise auf den Verkehr geachtet hätte, hätte er erkennen können und müssen, daß der herannahende Lkw gefährlich weit rechts fuhr. In diesem Fall wäre es ihm möglich gewesen, dem Lkw durch einen Schritt oder notfalls auch durch einen Sprung nach rechts auszuweichen. Diese sich aufdrängenden Gebote der eigenen Sicherheit völlig außer acht gelassen zu haben war in nicht unerheblichem Maße fahrlässig (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 29. März 1994, 27 U 219/93, VersR 1995, 1066, 1067 u. Senatsurt. v. 8. Dezember 1999, 13 U 84/99, DAR 2000, 162).

c)

Das Mitverschulden des Herrn S tritt hinter dem groben Verschulden des Beklagten zu 1) nicht vollständig zurück, auch wenn dessen Verschulden deutlich schwerer wiegt. Die gem. § 254 BGB gebotene Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile führt zu einer Haftungsquote von 75 %. Dabei kommt es auf die zwischen den Parteien streitigen Fragen (Dauer des Abstellens des Lastzuges, Defekt des hinteren linken Blinklichts des Anhängers) nicht an.

3.

Die Schadenshöhe ist nicht mehr im Streit, nachdem das Landgericht die dagegen vorgebrachten Einwendungen der Beklagten mit zutreffender Begründung zurückgewiesen hat und die Beklagten ihre insoweit nur vorbehaltenen Angriffe gegen das angefochtene Urteil entgegen § 519 ZPO nicht weiter begründet haben.

4.

Der Schaden beträgt insgesamt 18.579,09 DM. Davon haben die Beklagten 75 %, also 13.934,32 DM zu ersetzen. Unter Berücksichtigung der vorgerichtlichen Zahlung von 8.389,55 DM ergibt sich ein noch auszugleichender Restbetrag in Höhe von 5.544,77 DM.

II.

Der Zinsanspruch ist nicht im Streit.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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