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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 28.11.2007
Aktenzeichen: 13 U 112/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 287
ZPO § 411
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 19.06.2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die durch die Nebenintervention entstandenen Kosten des Rechtstreits trägt der Streithelfer.

Alle weiteren Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung seitens des Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H. von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H. von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Entscheidungsgründe:

I.

Bei einem Verkehrsunfall vom 23.01.1998 wurde der bei der klagenden Berufsgenossenschaft gesetzlich unfallversicherte Q (Q) als Motorrollerfahrer erheblich verletzt.

Weil ihm ein bei dem Beklagten haftpflichtversicherter Pkw-Fahrer die Vorfahrt nahm, prallte Q mit seinem Roller gegen die linke Pkw-Seite, flog über den Pkw und stürzte dann zu Boden. Er zog sich außer einer Beckenfraktur und einer Rippenfraktur u. a. eine beiderseitige Schulterprellung zu.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Beklagte den unfallbedingten Personenschaden des Q in vollem Umfange zu ersetzen hat, soweit der Schadensersatzanspruch auf die Klägerin übergegangen ist. Für die Zeit bis zum 21.04.1998 sind die Aufwendungen der Klägerin durch eine vorprozessuale Zahlung des Beklagten ausgeglichen.

Da Q, der seit dem Unfall seinen früheren Beruf als Kundendienstmonteur nicht mehr ausübt, über anhaltende Schulterbeschwerden klagte, wurde am 26.02.1998 erstmals eine Kernspintomographie veranlasst. Diese ergab nach Beurteilung des untersuchenden Radiologen für den Bereich der linken Schulter eine traumatische Ruptur bzw. Teilruptur der Supraspinatussehne und für den Bereich der rechten Schulter einen Schultergelenkserguss mit Verdacht auf Riss der Subscapularissehne. Am 13.08.1998 wurde die linke und am 01.02.1999 die rechte Schulter operativ behandelt.

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin ihre Aufwendungen für die Zeit nach dem 21.04.1998 ersetzt.

Gestützt unter anderem auf ein Gutachten, das der Streithelfer im Auftrage der Klägerin gefertigt hat, hat diese behauptet, durch den Unfall vom 23.01.1998 seien beidseitige Rotatorenmanschettenrupturen verursacht worden. Hieraus hat sie eine Verpflichtung des Beklagten hergeleitet, ihre aus den Schulterverletzungen resultierenden Aufwendungen auch für die Zeit nach dem 21.04.1998 zu ersetzen.

Der Beklagte hat geltend gemacht, sämtliche Verletzungen des Q aus dem Unfall vom 23.01.1998 seien spätestens bis zum 21.04.1998 ausgeheilt. Bei den Rotatorenmanschettenverletzungen handele es sich um eine unfallfremde Beeinträchtigung des Q.

Das Landgericht hat der auf Zahlung von 127.167,24 Euro nebst Zinsen sowie Feststellung weiterer Schadensersatzverpflichtung des Beklagten gerichteten Klage nach Einholung eines medizinischen Gutachtens des C3, der einen Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und Rotatorenmanschettenrupturen bejaht hat, stattgegeben.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Mit näheren Ausführungen rügt er unter anderem, schon ein Unfallhergang, bei dem eine Rotatorenmanschettenruptur zu erwarten gewesen sei, sei nicht bewiesen. Ferner habe das Landgericht verfahrensfehlerhaft davon abgesehen, die vom Beklagten mit der Erstellung von medizinischen Privatgutachten beauftragten Zeugen zu vernehmen. Der in erster Instanz vernommene Sachverständige sei zum Teil von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und ihr Streithelfer beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat Beweis erhoben durch mündliche Gutachten der Sachverständigen D und C3, durch Vernehmung der sachverständigen Zeugen M und X, ferner durch Einholung eines schriftlichen fachradiologischen Gutachtens der Sachverständigen S und X2.

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie des weiteren Parteivortrags wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze einschließlich derjenigen des Streithelfers nebst Anlagen, Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nebst den darin enthaltenen Bezugnahmen, die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen C3 vom 25.08.2005 und X2 vom 19.06.2007, ferner die Sitzungsprotokolle des Landgerichts vom 19.06.2006 sowie diejenigen des Senats vom 28.02.2007 und vom 22.10.2007 nebst den dazu gefertigten Berichterstattervermerken.

II.

Die Berufung hat Erfolg, weil die Klage unbegründet ist.

Wegen der Aufwendungen, die ihr durch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Q in der Zeit nach dem 21.04.1998 entstanden sind, steht der Klägerin ein auf sie übergegangener Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten nicht zu. Denn nach Auffassung des Senats hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis dafür, dass Herr Q in der Zeit nach dem 21.04.1998 noch durch Beschwerden beeinträchtigt war, deren Ursache aus einer am 23.01.1998 eingetretenen Unfallverletzung resultiert, nicht erbracht.

Alle Aufwendungen der Klägerin ab dem 22.04.1998 beruhen auf Schulterbeschwerden des Q, die ihrerseits nicht mehr durch beiderseitige Schulterprellungen erklärbar sind. Eine entsprechende Schadensersatzverpflichtung des Beklagten hätte nur dann bestanden, wenn es zu den hier in Streit stehenden Rotatorenmanschettenrupturen bei dem Unfall gekommen wäre. Als Primärverletzung hätten also die Rotatorenmanschettenrupturen bewiesen werden müssen, und zwar unter Berücksichtigung des Beweismaßstabes aus § 286 ZPO. Obwohl Herr Q bei dem Unfall unstreitig beiderseitige Schulterprellungen erlitten hat, kommen der Klägerin zum Nachweis der Rotatorenmanschettenrupturen nicht die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugute. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen D, denen der Senat folgt, haben eine Schulterprellung und eine Rotatorenmanschettenruptur nichts miteinander zu tun; eine Prellung begünstigt nicht einmal den Eintritt einer Rotatorenmanschettenruptur.

Dass der Klägerin der erforderliche Beweis für einen im Unfallzeitpunkt erfolgten Eintritt der Rotatorenmanschettenrupturen nicht gelungen ist, beruht darauf, dass trotz gewichtiger für einen solchen Geschehensablauf sprechender Aspekte letztlich doch Zweifel bleiben.

Der Sachverständige C3 hat in beiden Instanzen einen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und den Rotatorenmanschettenrupturen bejaht. Seine Beurteilung des Ursachenzusammenhangs steht im Einklang mit den Gutachten, die der Streithelfer für die Klägerin erstattet hat, mit dem Gutachten des C2 vom 29.05.1999, das dieser für den LVM erstattet hat, und dem Gutachten des im Universitätsklinikum I tätigen C vom 20.06.2001. Für die Richtigkeit der Einschätzung des Sachverständigen C3 sprechen insbesondere folgende Umstände: Anhaltspunkte dafür, dass Herr Q bereits vor dem Unfall unter Unfallbeschwerden gelitten hat, fehlen. Erkrankungen der Schultergelenke vor dem Unfall hat Q in einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 06.03.1998 verneint. Und das Vorerkrankungsverzeichnis erwähnt keine medizinischen Schulterbehandlungen. Unmittelbar nach dem Unfall sind jedoch, wie schon dem Notarzteinsatzprotokoll zu entnehmen ist, Schulterbeschwerden vorhanden gewesen.

Für eine Unfallbedingtheit der Rotatorenmanschettenrupturen lässt sich ferner ins Feld führen, dass bei Q keine das altersentsprechende Ausmaß übersteigende degenerative Veränderungen im Schulterbereich festgestellt worden sind, die die Rupturen ausgelöst haben könnten. Die degenerativen Veränderungen, die bei der Operation vom 13.08.1998 bekannt geworden sind, lassen, wie den Ausführungen des Sachverständigen D vom 28.02.2007 entnommen werden kann, keine zuverlässigen Rückschlüsse auf den Zustand im Unfallzeitpunkt zu.

Dass dennoch Zweifel an der Unfallkausalität der Rotatorenmanschettenrupturen bleiben, ergibt sich aus folgendem:

Zunächst einmal liegt darin, dass Q schon an der Unfallstelle über Schulterprobleme geklagt hat, kein wirklich aussagekräftiges Indiz für das Vorhandensein der Rotatorenmanschettenrupturen als unmittelbare Unfallfolge. Denn diese Beschwerden des Q lassen sich, wie der Sachverständige D ausgeführt hat, ebenso gut allein durch die Schulterprellungen erklären, die bis zum 21.04.1998 ausgeheilt waren.

Entsprechendes gilt für die ödemähnliche Zone im Humeruskopf und die Ergussbildung im Acromio-Claviculargelenk, die insbesondere im Gutachten des Sachverständigen X2 erwähnt werden. Denn auch diese Veränderungen lassen sich nach den Ausführungen des Sachverständigen D allein durch Prellungen erklären.

Zweifel an der Unfallbedingtheit der Rotatorenmanschettenrupturen ergeben sich aus dem Fehlen von Kollateralzeichen im Bereich der rechten Schulter. Nach dem Gutachten des Sachverständigen X2 ergibt sich bezüglich des Rotatorenmanschetten-Defekts auf der rechten Seite aufgrund fehlender Kollateralzeichen einer stattgehabten Traumatisierung kein sicherer Hinweis auf eine traumatische Genese. Im Übrigen kann auch bezüglich der linken Schulter nicht hinreichend sicher von einer traumatischen Genese der Ruptur ausgegangen werden. Hier kommt der Sachverständige X2 zwar zu dem Ergebnis, dass der magnetresonanztomographische Befund mit der Diagnose einer traumatisch bedingten Rotatorenmanschettenruptur vereinbar sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen D, der sich zur Vorbereitung seines ergänzenden mündlichen Gutachtens telefonisch mit dem Sachverständigen X2 ins Benehmen gesetzt hat, kann jedoch X2, wie auch schon die Formulierung im schriftlichen Gutachten erkennen lässt, nicht näher eingrenzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein traumatisch bedingter Eintritt der linksseitigen Rotatorenmanschettenruptur anzunehmen ist.

Zweifel daran, das die Beschwerden des Q nach dem Unfall als spezifische Beschwerden von Rotatorenmanschettenrupturen zu deuten sind, ergeben sich ferner daraus, dass Q über gleichartige Beschwerden auch noch in der Zeit berichtet hat, nachdem die Rotatorenmanschettenrupturen operativ behoben worden waren und daher als Beschwerdeursache entfielen.

Gegen die Annahme, es handele sich bei den Rotatorenmanschettenrupturen um Unfalltraumata, sprechen schließlich insbesondere die Verneinung von Bewegungseinschränkungen beider Schultern im Durchgangsarztbericht des H vom 23.01.1998 sowie der Befund- und Behandlungsbericht des C4 vom 03.03.1998, in dem ein Verdacht auf Rotatorenmanschettenrupturen ausdrücklich verneint wird. Wie die Beweisaufnahme im vorliegenden Rechtsstreit ergeben hat, waren bei traumatischen Rotatorenmanschettenrupturen schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Schultern zu erwarten. Solche haben aber laut Durchgangsarztbericht vom 23.01.1998 unmittelbar nach dem Unfall nicht vorgelegen, sondern sind erstmals 4 Tage später bei dem Neurologen I festgestellt worden. Selbst wenn man aber mit dem Sachverständigen C3 einmal davon ausgeht, dass die Bewegungseinschränkung der Schultern im Durchgangsarztbericht nicht bejaht worden ist, weil man darauf wegen gravierenderer anderer Verletzungsanzeichen nicht so sehr geachtet hat, verbleibt es dennoch bei den Bedenken, die sich aus dem Schreiben des C4 vom 03.03.1998 ergeben. Herr Q war, wie den Schreiben des C4 an die Klägerin vom 10.02.1998 und vom 03.03.1998 entnommen werden kann, am 09.02.1998 stationär im Brüderkrankenhaus K aufgenommen worden, wo C4 als Chefarzt tätig ist. Im ersten Schreiben des C4 ist als Diagnose unter anderem ein Verdacht auf Rotatorenmanschettenruptur der linken Schulter erwähnt. Da dieser Verdacht im Schreiben vom 03.03.1998 für den Zeitpunkt der Entlassung des Q, also den 20.02.1998 ausdrücklich verneint wird, muss davon ausgegangen werden, dass die bei traumatisch eingetretenen Rotatorenmanschettenrupturen zu erwartenden Bewegungseinschränkungen hier bei entsprechenden Untersuchungen nicht festzustellen waren.

Nach alledem ist die Klägerin für die unfallbedingte Verursachung der Rotatorenmanschettenrupturen beweisfällig geblieben.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen D lässt sich auch nicht sicher feststellen, dass etwa bereits vorhandene, stumme Rotatorenmanschettenrupturen durch den Unfall symptomatisch geworden sind.

Den ergänzenden Beweisantritten der Klägerin und des Streithelfers war nicht nachzugehen. Es bestand kein Anlass, den Sachverständigen C3 nach Vorliegen des fachradiologischen Gutachtens des Sachverständigen X2 erneut zu befragen, weil dieses Gutachten nicht von dem Sachverständigen C3 als sachdienlich angesehen worden war und im Übrigen auch letztlich nicht im Widerspruch zu konkreten Ausführungen des C3 steht. Lediglich eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen D war angezeigt, um abzuklären, ob dieser an seinen am 28.02.2007 geäußerten Bedenken gegen die Unfallbedingtheit der Rotatorenmanschettenrupturen nach dem Gutachten des X2 weiterhin festhält.

Einer Vernehmung des Sachverständigen X2 bedurfte es nicht, weil diese nicht innerhalb der Stellungnahmefrist des § 411 ZPO beantragt worden ist und das Gutachten im Übrigen keine Unklarheiten enthält, die zu einer Ladung des Sachverständigen von Amts wegen hätte Veranlassung geben können.

Einer Vernehmung des Herrn Q zum Fehlen von Schulterbeschwerden vor dem 23.01.1998 bedarf es nicht, weil die entsprechende Behauptung der Klägerin als wahr unterstellt werden kann.

Schließlich bedurfte es auch nicht der Beweisaufnahme zum Unfallhergang durch Vernehmung des Herrn Q und Einholung eines technischen Gutachtens. Denn davon, dass der Unfall grundsätzlich geeignet war, zu Rotatorenmanschettenrupturen zu führen, geht der Senat mit den gerichtlichen Sachverständigen zugunsten des Klägers aus. Dennoch bleiben Zweifel an der Ursächlichkeit des Unfalls für die Rotatorenmanschettenrupturen, und zwar aus den oben erörterten medizinischen Gründen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 101, 543, 708 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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