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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 19.12.2005
Aktenzeichen: 13 U 144/05
Rechtsgebiete: ZPO, StGB, VVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 529 S.1 Ziff. 1
ZPO § 540 Abs. 1
StGB § 14
StGB § 266
StGB § 823 Abs. 2
VVG § 179 Abs. 2
BGB § 823
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das am 11.07.2005 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Beklagten zu 2) auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte zu 2) kann die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

gemäß § 540 Abs. 1 ZPO

I.

Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils ( Bl. 177 - 181 GA ) Bezug genommen.

Das Landgericht Essen hat mit der aus dem angefochtenen Urteil vom 11.7.2005 ersichtlichen Begründung ( Bl. 181 - 183 GA ) der Klage nach Anhörung der Beklagten zu 1) und 2) sowie Vernehmung der Zeugen I, L, L2, D und G in der Hauptsache im vollen Umfang stattgegeben und beide Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 66552,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten seit dem 8.2.2002 zu zahlen.

Mit seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung verfolgt der Beklagte zu 2) - der unstr. am 15.2.2002 als Geschäftsführer ausgeschiedene Beklagte zu 1) hat gegen dieses Urteil nicht Berufung eingelegt - seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Er trägt vor, das landgerichtliche Urteil sei zu Unrecht entsprechend dem Vortrag des Klägers davon ausgegangen, dass er faktischer Geschäftsführer der X mbH ( im folgenden X abgekürzt ) gewesen sei. Dabei sei selbst der Kläger in der Klageschrift davon ausgegangen, dass er, der Beklagte zu 2), Berater der X gewesen sei. Faktischer Geschäftsführer sei nach der Rechtsprechung nur derjenige, der, ohne förmlich dazu bestellt oder im Handelsregister eingetragen worden zu sein, im Einverständnis der Gesellschafter die Stellung eines Geschäftsführers tatsächlich einnehme. Das setze voraus, dass der tatsächliche Geschäftsführer eine überragende Stellung ausübe, die auch nach außen hin deutlich werde. Anders sei es, wenn der Handelnde weisungsgebunden sei. Das sei hier der Fall. Er, der Beklagte zu 2), sei, wie der Zeuge G bestätigt habe, lediglich als beratender Angestellter der C2 GmbH & Co KG tätig gewesen, der allerdings auf Grund seiner beruflichen Ausbildung zum Ingenieur zum Projektleiter für die Sanierung der X bestimmt gewesen sei. Dass der Beklagte zu 2) als Firmeninhaber im Außenverhältnis gegenüber Dritten und Geschäftspartnern aufgetreten sei, habe der Kläger durch die Aussagen der Zeugen L, L2, D und I nicht bewiesen. Nur der Zeuge I, der unglaubwürdig und voreingenommen sei, habe ihn als faktischen Geschäftsführer bezeichnet. Darüber hinaus habe der Kläger weder dargelegt noch bewiesen, dass der Beklagte zu 2) im Einverständnis der übrigen Gesellschafter gehandelt habe. Das gehe nicht bereits daraus hervor, dass die C2 später Mehrheitsgesellschafterin der X gewesen sei. Die damalige Geschäftsführung der C2 sei vielmehr bei wichtigen Gesprächen mit den Banken zugegen gewesen. Er sei nicht befugt gewesen, Mitarbeiter einzustellen und die Geschäftsbeziehungen der X zu Vertragspartnern zu gestalten. Dass er gegenüber Mitarbeitern der X gegenüber in Betriebsversammlungen aufgetreten sei, ihnen die Situation geschildert habe und Lohnkürzungen empfohlen habe, rühre daher, dass der Beklagte zu 1) sich zu solchen Gesprächen nicht bereit gefunden habe. Sein Auftreten im Arbeitsgerichtsprozess des Klägers gegen die X - 6 Ca 3874/01 Arbger Herne - sei erfolgt, weil der Beklagte zu 1) erkrankt gewesen sei und ihm eine Terminsvollmacht ausgestellt habe. Eine Bankvollmacht habe er nicht gehabt. Dass er im Rahmen des Insolvenzverfahrens Erklärungen für die X abgegeben habe, beruhe auf einem Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 20.5.2002. Mit ihm sei weder ein Geschäftsführervertrag abgeschlossen gewesen noch habe er Buchhaltungs- oder Steuerangelegenheiten der X erledigt.

Der Beklagte zu 2) beantragt,

in Abänderung des am 11.7.2005 verkündeten Urteils des Landgerichts Essen die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, zu Recht habe das Landgericht in seiner Beweiswürdigung den Zeugenaussagen entnommen, dass der Beklagte zu 2) als faktischer Geschäftsführer der X gehandelt habe. Das hätten die Zeugen I, L und D bestätigt und damit die Aussage des Zeugen G widerlegt. Ein konkludentes Einverständnis der übrigen Gesellschafter ergebe sich aus der Tatsache, dass die C Mehrheitsgesellschafterin der X gewesen sei und das Auftreten des Beklagten als ihres Angestellten gedeckt habe.

II.

Die Berufung des Beklagten zu 2) ist nicht begründet.

Der Beklagte zu 2) haftet ebenfalls aus §§ 823 Abs. 2, 266 StGB, da ihn gleichfalls die Pflicht traf, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen ( sog. Treuepflicht ) und er diese schädigend verletzt hat.

Dass die X für den Kläger Unfallversicherungen abgeschlossen hatte, die Versicherungsunternehmen wegen eines am 6.5.2000 von ihm erlittenen Unfalls an die X die dem Kläger zustehenden Beträge in einer Gesamthöhe von 66552,30 € auszahlten, die X jedoch die Beträge ersatzlos vereinnahmt hat, ist unstreitig.

Zwischen Versicherten und Versicherungsnehmer ( X ) bestand indes ein gesetzliches Treuhandverhältnis, das letzteren verpflichtete, die Versicherungs-leistungen an den Versicherten herauszugeben ( vgl. BGHZ 64, 260; BAG NZA 1990, 701 ). Zugunsten des Klägers als versicherte Person hatte die X die Einzelunfall-, aber auch eine Gruppenunfallversicherung abgeschlossen. Mangels schriftlicher Einwilligung des Klägers gilt § 179 Abs. 2 VVG, wonach die Versicherung im Zweifel als Unfallversicherung für fremde Rechnung mit der Folge gilt, dass zwar die X als Versicherungsnehmerin über die Rechte des Versicherten aus dem Vertrag im eigenem Namen verfügen kann ( § 76 VVG ) , die Rechte aus dem Vertrag aber dem Kläger zustehen ( § 75 VVG).

Das Treuhandverhältnis ist von der GmbH und über § 14 StGB den Beklagten vorsätzlich verletzt worden, indem sie dem Kläger zustehende Versicherungsleistungen nicht weiterleiteten, sondern verwandten. Sowohl den bestellten wie den faktischen Geschäftsführer trifft die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen ( BGH NJW 1983, 240; BGH NJW 1988, 1789; Schönke/Schröder/ Lenckner/Perron, StGB, 26. Aufl., § 266 Rdn 25 ). BGH NJW 1997, 66 knüpft weitergehend nicht an die " formale " Position des faktischen Geschäftsführers, sondern an die tatsächliche Verfügungsmacht über ein bestimmtes Vermögen an, das den Täter befähigt, die faktische Dominanz über ein bestimmtes Unternehmen auszuüben. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.

Zu Recht ist das Landgericht auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 2) in den Jahren 2001 / 2002 als Angestellter der C2 GmbH & Co KG nicht nur Berater , sondern der eigentliche Entscheidungsträger in der X war; der Beklagte zu 2) übte im Interesse der Mehrheitsgesellschafterin der X, der C GmbH, Anteil von 106750,- € an 128300,- € Einlagen, die faktische Dominanz über die X aus.

Konkrete Anhaltspunkte, die iSd § 529 S.1 Ziff. 1 ZPO Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und eine erneute Feststellung gebieten, sind nicht vorhanden.

Nach den glaubhaften Angaben des Beklagten zu 1) ( GA 95 ) war er als Geschäftsführer nur vorgeschoben. Faktisch seien sämtliche Geschäfte vom dem Beklagten zu 2) vorgenommen worden. Dieser habe Generalvollmacht für die X gehabt. In der Tat bevollmächtigt die Vollmacht den Beklagten zu 2), der früher M hieß , vom 5.2.2002 ( BA 6 Ca 3874/01 Arbeitsgericht Herne Bl. 56 ) , den Beklagten zu 1) in allen gesetzlich zulässigen Fällen, in denen er als Geschäftsführer für die X tätig werde, zu vertreten. Ausgenommen waren lediglich auf die Veräußerung oder Belastung von Grundbesitz und Geschäftsanteile gerichtete Geschäfte. Entgegen dem Vortrag des Beklagten handelt es sich nicht lediglich um eine Terminvollmacht. Demzufolge trat der Beklagte zu 2 ) in der mündlichen Verhandlung vom 8.2.2002 vor dem Arbeitsgericht Herne - 6 Ca 3874/01 - im Verfahren, das der Kläger gegen die X auf Auszahlung der Versicherungssummen an sich eingeleitet hatte, für diese auf, gab die Erklärung ab, dem Kläger werde schnellstmöglich ein Nachweis darüber zugeleitet, dass die in Rede stehende Summe auf einem Sonderkonto gelagert sei, obwohl eine solche Einzahlung nicht erfolgt war und der Beklagte zu 2) jedenfalls mit der Unrichtigkeit seiner Erklärung rechnete, und schloss zur Erledigung des Rechtsstreits einen Vergleich, in dem lediglich die Einholung von Auskünften seitens des Finanzamtes und der BfA über die Steuer- und Sozialversicherungspflichtigkeit einer Auszahlung einverständlich geregelt wurde. Nach dem unbestrittenem Vortrag des Prozeßbevollmächtigten des Klägers hat der Beklagte zu 2) sowohl mit dem Kläger als auch mit ihm wegen der Auszahlung der Versicherungsleistung verhandelt ( GA 89 ). Nach den insoweit unwidersprochen gebliebenen Angaben des Beklagten zu 1) ( GA 95 ) und seines Vaters, des Zeugen I, ( GA 161 ) hat der Beklagte zu 2) Online - Banking betrieben und die Überweisungsvorgänge, " nachdem die Dinge schon passiert waren ", dem Beklagten zu 1) zur Unterschrift vorgelegt, damit die Verfügungsmacht über das Vermögen ausgeübt. Nach den unbestrittenen Angaben des Zeugen D ( GA 166 ), Betriebsrat der X seit 1997, hatte er mit dem Beklagten zu 2) als Betriebsrat zu tun; bei gemeinsamen Gesprächen habe er das Gefühl gehabt, dass der Beklagte zu 1) nur Schriftführer gewesen sei; die Gesprächsleitung habe immer der Beklagte zu 2) gehabt. Als die großen Schwierigkeiten im Betrieb aufgetaucht seien, sei grundsätzlich dieser der Ansprechpartner gewesen; auch bei größeren Runden , an denen auch weitere Herren der C2 teilgenommen hätte, sei immer der Beklagte zu 2) Wortführer gewesen. Der Beklagte zu 2) war es auch, der nach den unwiderspro-chenen Angaben des Zeugen L ihn im Jahre 2002 ansprach und als Geschäftsführer gewann, ohne dass der Zeuge Gehalt bezog, Geschäfte für die X tätigte oder trotz mehrfacher Aufforderung Bilanzen zu sehen erhielt. Wenn er einmal die Sekretärin auf geschäftliche Dinge angesprochen habe, habe diese ihn immer nur an den Zweitbeklagten verwiesen. Auch die glaubwürdige Zeugin und Finanzbeamtin L2, Partnerin des Zeugen L, hatte bei ihren Besuchen bei der Fa. X nur Kontakt mit dem Beklagten zu 2) gehabt, der geschäftlich den Zeugen L habe gewinnen wollen. Der Beklagte zu 2) sei für sie bei der X " da der Mann " gewesen.

Diese auch nach außen wirkende dominante Stellung des Beklagten zu 2) bestätigte sich bei der Beantragung der Insolvenz: die Gesellschafter beriefen den Zeugen L als Geschäftsführer ab und bevollmächtigten den Beklagten zu 2), im weiteren Verfahren Erklärungen für die X abzugeben ( GA 92 ). In dem Beschluss des AG Essen - 164 IN 55/02 AG Essen -betr. der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ( BA 29 ), seiner gerichtlichen Bekanntmachung ( BA 63 ) , der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ( BA 106 ) sowie in Schreiben / Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters Rechtsanwalt B ( BA 73, 172 ) wird der Beklagte zu 2), mag er auch als solcher nicht bestellt worden sein, unwidersprochen als Geschäftsführer genannt, der die Gesellschaft vertritt.

Wenn bereits der Beklagte zu 1) und der Zeuge I die Tätigkeit des Beklagten zu 2) als die des wahren Geschäftsführers nachvollziehbar und detailliert schilderten, nach dem unbestrittenem Ausscheiden des Beklagten zu 1) am 15.2.2002 ( GA 95 ) der vom Beklagten zu 2) als Geschäftsführer geworbene Zeugen L angab, sein Amt nicht ausgeübt, keine Bilanzen zu sehen bekommen zu haben , er sich nach seiner Aussage bei geschäftlichen Fragen jeweils an den Zweitbeklagten wenden sollte, dieser die Generalvollmacht über die GmbH hatte und sie auch während der Insolvenz vertreten sollte, so ist von einer faktischen Dominanz und Verfügungsmacht des Beklagten zu 2), die eine Haftung als Geschäftsführer aus §§ 823 BGB, 266 StGB rechtfertigt, auszugehen.

Auf Grund dieser Umstände und Aussagen ist die Bewertung des Zeugen G aus der Fa. C2 , der Beklagte zu 2) habe nur Beratungsdienste geleistet, nicht Geschäftsführertätigkeiten vorgenommen, widerlegt. Auch kommt es angesichts der bezeugten faktischen Dominanz des Beklagten zu 2) und der von ihm vertretenen Mehrheitsgesellschafterin nicht darauf an, ob er einen Geschäftsführervertrag besaß oder Buchhaltungs- und Steuerangelegenheiten erledigte, Mitarbeiter einstellte und Geschäftsbeziehungen zu Dritten gestaltete. Auch ist unerheblich, ob er eine gesonderte Bankvollmacht gehabt hatte, da er eine Generalvollmacht besaß und Online-Banking ohne Widerspruch des Beklagten zu 1) ausübte.

Seinen Vorsatz zur Vorenthaltung der Versicherungsleistungen hat der Beklagte zu 2) nicht bestritten: er rechnete damit, dass die Versicherungssummen dem Kläger zustanden, er hatte trotzdem nicht für ihre Auszahlung gesorgt, sondern zu Unrecht behauptet, das Geld liege auf einem Sonderkonto, obwohl er angesichts der von den Zeugen D und G bezeugten finanziellen Schwierigkeiten des Betriebs mit einer Vermögensgefährdung des Klägers rechnete.

Die Höhe des Anspruchs wird nicht angegriffen. Zu Recht gehen BGHZ 64, 260 und BAG NZA 1990, 701 davon aus, dass der Arbeitgeber die Versicherungssummen ungekürzt an den Versicherten auszukehren habe. Deshalb beläuft sich der Schadensersatzanspruch des Klägers auf ( 3579,04 € M-Versicherung und 62973,26 € I-Versicherung =) 66552,30 €.

Die Entscheidung über die Zinsen wird nicht angegriffen.

Die übrigen Entscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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