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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 29.10.2001
Aktenzeichen: 13 U 146/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
BGB § 254
BGB § 288
BGB § 286
ZPO § 92
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2
Zur Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters eines Rockkonzerts und zum Mitverschulden, wenn ein Besucher bei sog. Stage-diving zu Schaden kommt.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 146/01 OLG Hamm

Verkündet am 29. Oktober 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück und die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Walter

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 16. Mai 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.

Die Beklagte bleibt verurteilt, an die Klägerin 4.177,07 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 2/3 der zukünftigen materiellen Schäden und den zukünftigen immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin von 1/3 aus Anlaß des Vorfalles vom 15.04.2000 in B zu ersetzen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Klägerin 46 % und die Beklagte 54 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Beklagte in Höhe von 5.577,07 DM und die Klägerin um 2.688,53 DM.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin verlangt Schadensersatz nach einem Unfall bei dem Besuch eines Rockkonzertes.

Am 15.04.2000 besuchte die Klägerin in B das Rockkonzert der Gruppen. Die Beklagte war Veranstalterin des Konzerts. Die Klägerin stand während des Konzertes etwa in der dritten Reihe unmittelbar vor der Bühne. Es gab keine Bühnenabsperrungen. Zwei Ordner sollen sich nach Behauptung der Beklagten hinter den Boxentürmen befunden haben. Im Laufe des Konzertes sprangen zwei Personen auf die Bühne, hielten sich dort kurz auf und sprangen anschließend von der Bühne in den Zuschauerraum (sogenanntes stage diving). Die Klägerin erlitt eine Partellaluxation des rechten Kniegelenkes, eine Knorpelkontusion und eine Elongation des vorderen Kreuzbandes. Sie war bis zum 25.05.2000 arbeitsunfähig erkrankt.

Das Landgericht hat Sachschaden in Höhe von 265,60 DM, ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000,00 DM sowie die Feststellung künftiger Ersatzpflicht ausgeurteilt.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die geltend macht, keine Verkehrssicherungspflicht verletzt zu haben.

Die Berufung ist zum Teil begründet.

Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß §§ 823, 847, 254 BGB unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Drittel Schadensersatz in Höhe von 4.177,07 DM verlangen.

1.

Die Beklagte als Veranstalterin des Rockkonzertes hat schuldhaft die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Als Veranstalterin des Konzertes traf sie die Pflicht, die Zuschauer möglichst vor Schäden zu bewahren. Da eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist, muß nicht für alle denkbaren und entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintrittes Vorsorge getroffen werden. Vielmehr sind nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, Gefahren von Dritten abzuwenden (BGH NJW85, 1076).

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, daß bei Rockkonzerten "stage diving" durchaus häufig vorkommt. Die Beklagte selbst kennt ebenfalls dieses Problem, wie die von ihr vorgelegten Stellungnahmen zweier Konzertveranstalter belegen. Die Beklagte war verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um solches stage diving zu unterbinden. Welche Maßnahmen dabei im einzelnen zu treffen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. So kann es durchaus erforderlich sein, den Bühnenbereich durch Absperrgitter oder Barrieren, die in einem gewissen Abstand vor der Bühne aufgestellt sind, zu sichern. Möglicherweise können weitere Ordnungskräfte erforderlich sein, die im Bereich der Absperrgitter postiert sind. Es kann aber auch genügen, die Bühne allein durch eingriffsbereite Ordnungskräfte zu beaufsichtigen. Keinesfalls genügte es aber, daß sich zwei Ordnungskräfte - wie die Beklagte behauptet - hinter den Boxentürmen aufgehalten haben. Damit war voraussehbar, daß diese Ordnungskräfte den Bühnenbereich nicht aufmerksam im Blick haben konnten und - wie auch geschehen - zu spät eingreifen würden, um solches stage diving zu verhindern.

2.

Der Klägerin fällt aber ein Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens zur Last. Es fällt schon schwer zu glauben, daß der Klägerin, die noch nie ein Rockkonzert besucht haben will, ein solches stage diving gänzlich unbekannt war. Wie die Klägerin mit der Berufungserwiderung selbst vortragen läßt, ist solches stage diving bei Rockkonzerten üblich. Das soll auch für gemäßigte Rockgruppen gelten. Die Klägerin war mit ihrem Ehemann von Freunden zu dieser Veranstaltung eingeladen worden. Es erscheint wenig lebensnah, daß die Klägerin über den Ablauf eines solchen Konzertes nicht Bescheid gewußt haben will und auch nicht von ihren Freunden, die sie eingeladen hatten, darüber informiert worden ist.

Letztlich kann dies aber dahinstehen. Die Klägerin hat sich nah an der Bühne in dritter Reihe aufgehalten. Dies ist ein durchaus gefährlicher Bereich. Gerade nah an der Bühne ist die Stimmung am ausgelassensten und steigert sich im Laufe des Konzertes noch. Dies kann von der Klägerin im Verlauf des Abends nicht unbemerkt geblieben sein. Nahe der Bühne ist die Gefahr besonders hoch, daß es zu Vorfällen kommt, die körperliche Verletzungen nach sich ziehen können. Wer die Steigerung und das Aufheizen der Stimmung im Laufe des Konzertes mitbekommt und sich gleichwohl bis zum Höhepunkt des Konzertes in vorderster Front aufhält, der setzt sich selbst der Gefahr mit aus und muß sich dies bei Schadenseintritt entgegenhalten lassen.

3.

Eine Abwägung der beiderseitigen Verschuldensanteile führte zu einer überwiegenden Haftung der Beklagten. Die Beklagte war in erster Linie für die Sicherung des Konzertes verantwortlich. Demgegenüber wirkt der Verschuldensanteil der Klägerin geringer. Der Senat bemißt ihr Mitverschulden mit einem Drittel.

4.

Bezüglich der Höhe des Schadens folgt der Senat den Ausführungen des Landgerichts. Die Klägerin kann daher zwei Drittel des Sachschadens, das sind 177,07 DM, verlangen. Weiter kann sie ein Schmerzensgeld beanspruchen, das der Senat mit den Überlegungen des Landgerichts und unter Berücksichtigung des Mitverschuldens in Höhe von einem Drittel auf 4.000,00 DM bemißt.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 286 BGB.

Der Feststellungsantrag, der eventuell eintretende weitere Schadensfolgen gegen Verjährung sichern soll, ist unter Berücksichtigung des Mitverschuldens begründet.

Die Gefahr, daß Spätschäden, insbesondere unfallbedingte Arthrosen im Kniegelenk eintreten können, ist nicht fernliegend.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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