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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.09.2000
Aktenzeichen: 13 U 175/99
Rechtsgebiete: PflVG, BGB, SGB X, StVG, ZPO


Vorschriften:

PflVG § 3 Nr. 3 S. 3
PflVG § 3 Nr. 3 S. 1
PflVG § 3 Nr. 3 S. 2
PflVG § 3 Nr. 3
BGB § 208
BGB § 217
BGB § 781
BGB § 218
BGB § 852 Abs. 1
BGB § 18 Abs. 1
BGB § 225 S. 1
BGB § 242
SGB X § 116
StVG § 14
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
ZPO § 108 Abs. 1 S. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 546 Abs. 2
Leitsatz:

Akzeptiert der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners in einer Abfindungserklärung des Geschädigten einen Vorbehalt hinsichtlich materieller Zukunftsschäden, wird damit die Verjährungshemmung nach § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG beendet und zugleich eine neue 3-jährige Verjährungsfrist gem. §§ 208, 217 BGB in Gang gesetzt. Es liegt dagegen weder ein konstitutives Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB noch eine konstitutive Befreiung von der Verjährungseinrede entsprechend einem Feststellungsurteil gem. § 218 BGB vor.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 175/99 OLG Hamm 3 O 141/99 LG Essen

Verkündet am 06. September 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 06. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Pauge und die Richterin am Landgericht Kirchhoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Versäumnisurteil des Senats vom 05. April 2000 wird aufrechterhalten.

Der Kläger trägt die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, jede Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, sofern nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Parteien können Sicherheit auch durch die unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank leisten.

Das Urteil beschwert den Kläger in Höhe von 89.136,77 DM.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am 12.1982 ereignete und für dessen Folgen der Beklagte unstreitig einzustehen hat.

Der am 01.1959 geborene Kläger erlitt bei dem Verkehrsunfall u.a. eine dreifache Unterkieferfraktur, den Verlust mehrerer Zähne, Kronenfrakturen sowie Riß- und Quetschwunden im Kinnbereich.

Nach vorausgegangener anwaltlicher Korrespondenz gab der Kläger am 11.1985 gegenüber dem Beklagten eine schriftliche Vergleichs- und Abfindungserklärung ab, in der er sich nach Zahlung von 5.000,00 DM Restentschädigung mit allen Ansprüchen für abgefunden erklärte; davon ausgenommen wurden jedoch zukünftige unfallbedingte materielle Ansprüche im Zusammenhang mit der zahnärztlichen Behandlung. Weiter erklärte der Kläger in der Urkunde, er sei darüber unterrichtet, daß von dem Beklagten eine Verpflichtung zum Schadensersatz nicht anerkannt wurde.

Im Jahre 1993 nahm der Kläger zahnärztliche Leistungen in Anspruch, die am 05.04.1993 mit 1.027,91 DM in Rechnung gestellt und von dem Beklagten bezahlt wurden.

Im Jahre 1998 beabsichtigte der Kläger, sich einer umfangreichen rekonstruktiven zahnärztlichen Behandlung zu unterziehen, die in der Folgezeit zum Teil auch bereits durchgeführt wurde. Der Beklagte lehnte eine Übernahme der durch diese Behandlung entstehenden Kosten, die von der Zahnärztin Dr. M auf insgesamt 84.136,77 DM beziffert wurden, mit Schreiben vom 22.05.1998 unter Berufung auf die Einrede der Verjährung ab.

Mit der im März 1999 erhobenen Klage hat der Kläger behauptet, die vorgesehene rekonstruktive zahnärztliche Behandlung sei erforderlich, da er bei dem Verkehrsunfall als Dauerschaden eine Kaufunktionsbeeinträchtigung, Sensibilitätsstörungen und eine Gesichtsasymmetrie davongetragen habe, aufgrund derer eine prothetische Versorgung nicht möglich sei.

Der Kläger hat beantragt,

1.

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihn von den Kosten der zahnärztlichen Versorgung durch Frau Dr. M gem. des Befund- und Behandlungsplanes vom 24.02.1998 inkl. der für die Behandlung erforderlichen Kosten des Dentallabores in Höhe von 84.136,77 DM freizustellen, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind,

2.

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm weitere zukünftige Zahnarztbehandlungskosten nebst Nebenkosten anläßlich des Verkehrsunfalls vom 12.1982 zu erstatten, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat erneut die Einrede der Verjährung erhoben, sich darauf berufen, daß der Kläger im Hinblick auf § 116 SGB X nicht aktivlegitimiert sei, und behauptet, die Eingliederung eines herausnehmbaren Zahnersatzes, die maximal 20.000,00 DM kosten würde, sei zur Erreichung des Behandlungszieles ausreichend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mögliche Ansprüche des Klägers seien jedenfalls verjährt.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche unter Umstellung des Klageantrags zu 1) in einen Leistungsantrag weiter. Er wiederholt mit vertiefender Begründung seine Auffassung, die Klageansprüche seien nicht verjährt.

Mit Versäumnisurteil vom 05.04.2000, das dem Kläger am 07.04.2000 zugestellt worden ist, hat der Senat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 25.04.2000 Einspruch eingelegt.

Der Kläger beantragt,

das Versäumnisurteil vom 05.04.2000 aufzuheben und abändernd

1.

den Beklagten zu verurteilen, ihn von den Kosten der Zahnärztlichen Versorgung durch Frau Dr. M D gemäß Heil- und Kostenplan vom 24.02.1998 einschließlich der für die Behandlung erforderlichen Kosten des Dentallabors gemäß den Kostenvoranschlägen vom 23.02.1998 in Höhe von insgesamt 84.136,77 DM freizustellen, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind,

2.

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm auch weitere Zahnbehandlungskosten einschließlich Nebenkosten anläßlich des Verkehrsunfalls vom 12.1982 zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergehen.

Der Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Versäumnisurteil des Senats, durch das die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist, ist aufrecht zu erhalten (§§ 343 S. 1, 542 Abs. 3 ZPO).

Der zulässige Einspruch des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Die Berufung ist unbegründet.

Die von dem Kläger geltend gemachten Freistellungs- und Feststellungsansprüche sind, wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, verjährt.

Die Verjährungsfrist für verkehrsunfallbedingte Schadensersatzansprüche beträgt 3 Jahre ab Kenntnis des Verletzten vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen, §§ 852 Abs. 1 BGB, 14 StVG, 3 Nr. 3 S. 1 und 2 PflVG.

In der Annahme der am 11.1985 abgegebenen Vergleichs- und Abfindungserklärung des Klägers durch den Beklagten liegt hinsichtlich der vorbehaltenen Ansprüche allenfalls ein die Verjährung unterbrechendes deklaratorisches Schuldanerkenntnis im Sinne von § 208 BGB mit der Folge des Beginns einer neuen dreijährigen Verjährungsfrist gem. § 217 BGB, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahre 1999 bereits abgelaufen war.

Die Entgegennahme der Vergleichs- und Abfindungserklärung durch den Beklagten stellt dagegen kein zu einer Verjährungsfrist von 30 Jahren führendes konstitutives Schuldanerkenntnis im Sinne von § 781 BGB dar. Der vom Beklagten akzeptierte Vorbehalt in der Vergleichs- und Abfindungserklärung spricht weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Zweck, die zukünftigen unfallbedingten Zahnarztkosten aus dem Verzicht des Klägers auf die den Abfindungsbetrag übersteigenden Ansprüche auszugrenzen, dafür, daß die Parteien für diesen Zukunftsschaden eine von dem zugrundeliegenden Haftungstatbestand losgelöste selbständige Rechtsgrundlage schaffen wollten. In der Urkunde erklärt der Kläger vielmehr sogar ausdrücklich, er sei darüber unterrichtet, daß von dem Beklagten eine Verpflichtung zum Schadensersatz nicht anerkannt werde. Im übrigen fehlt es mangels einer Unterschrift des Beklagten unter der Vergleichs- und Abfindungserklärung des Klägers auch an der für ein konstitutives Schuldanerkennis vorgeschriebenen Schriftform.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist sein Anspruch auf Ersatz zukünftiger unfallbedingter Zahnarztkosten durch die Vereinbarung der Parteien auch nicht wie bei einem Feststellungsurteil gem. § 18 Abs. 1 BGB von der Verjährungseinrede des Beklagten aus §§ 852 Abs. 1 BGB, 14 StVG, 3 Nr. 3 PflVG "konstitutiv" befreit worden. Es kann dahinstehen, ob die Parteien bei Abschluß der Vereinbarung übereinstimmend davon ausgingen, daß weitere Zahnarztkosten erst nach Ablauf von 3 Jahren eintreten würden. Die sich daraus für derartige Zukunftsschäden ergebende Interessenlage des Klägers reicht für sich allein nicht aus, um den Kläger nur aufgrund der Entgegennahme des Vorbehalts durch den Beklagten so zu stellen, als ob er eine gerichtliche Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten erwirkt hätte (BGH, VersR 1992, 1091). Die von dem Kläger behauptete stillschweigende Einigkeit der Parteien, daß durch den Vorbehalt eine Verjährung der Zukunftsansprüche verhindert werden sollte, hat in der Vergleichs- und Abfindungserklärung keinen Ausdruck gefunden; vielmehr wird der Kläger ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß eine Verpflichtung zum Schadensersatz vom Beklagten nicht anerkannt wird. Wenn der bereits damals anwaltlich vertretene Kläger einen langfristigen Ausschluß der Verjährung erreichen wollte, hätte er den Beklagten zu einer eindeutigen Anerkenntniserklärung veranlassen oder notfalls eine Feststellungsklage erheben müssen (BGH, VersR 1992, 1091).

Die Verjährungsfrist war auch nicht nach § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG über den 11.1985 hinaus gehemmt. Denn mit der Abfindungsvereinbarung wurde die damals mögliche Schadensregulierung endgültig zum Abschluß gebracht, so daß ein schriftlicher Bescheid des Beklagten entbehrlich war. Mit dem in die Vergleichs- und Abfindungserklärung aufgenommenen Vorbehalt wurde dem Kläger lediglich die Berechtigung eingeräumt, in der Zukunft einen weiteren materiellen Schaden in Form von Zahnarztkosten mit der erneuten verjährungshemmenden Wirkung des § 3 Nr. 3 PflVG anzumelden, ohne daß die Regulierungsverhandlungen diesbezüglich auf unabsehbare Zeit in der Schwebe gehalten werden sollten (BGH, VersR 1999, 382).

Es kann dahinstehen, ob der Beklagte mit der Annahme der Vergleichs- und Abfindungserklärung des Klägers konkludent auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat. Ein derartiger Verzicht wäre nach § 225 S. 1 BGB unwirksam gewesen. Der Beklagte war auch nicht nach Treu und Glauben gehindert, sich im vorliegenden Rechtsstreit auf die Einrede der Verjährung zu berufen. Denn ein aus § 242 BGB abzuleitender Vertrauensschutz endete jedenfalls mit Erhalt des Ablehnungsschreibens des Beklagten vom 22.05.1998, in dem dieser ausdrücklich die Einrede der Verjährung erhob. Der Kläger mußte nunmehr alsbald die Frage der gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche abwägen und entscheiden. Die ihm zur Verfügung stehende angemessene Überlegungsfrist hat er mit einer Klageerhebung etwa 10 Monate nach Erhalt des Ablehnungsschreibens deutlich überschritten (BGH NJW 1991, 974). Aus diesem Grund kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf einen möglicherweise durch die im Jahr 1993 erfolgte Erstattung von Zahnarztkosten durch den Beklagten erweckten Vertrauenstatbestand berufen.

Schließlich sind auch keine sonstigen Gesichtspunkte erkennbar, die nach den Grundsätzen von Treu und Glauben der Erhebung der Verjährungseinrede entgegenstehen. Der von der Rechtsprechung anerkannte Ausnahmefall des Eintritts unvorhergesehener Spätschäden, welche den vereinbarten Abfindungsbetrag als unverhältnismäßig erscheinen lassen (BGH, VersR 1990, 984), liegt hier nicht vor. Die nunmehr geltend gemachten Schadensersatzansprüche sind aus der Abfindungsvereinbarung vielmehr ausdrücklich ausgeklammert worden. Die insoweit zwischenzeitlich eingetretene Verjährung liegt nicht im Verantwortungsbereich des Beklagten.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 108 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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