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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 29.03.2000
Aktenzeichen: 13 U 189/99
Rechtsgebiete: StVG, PflVG, BGB, StVO, ZPO


Vorschriften:

StVG § 7
StVG § 17
StVG § 18
StVG § 17 Abs. 1
PflVG § 3 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 2
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 840
BGB § 421
BGB § 249 ff.
StVO § 3 Abs. 3 Nr. 1
StVO § 9 Abs. 3 S. 1
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Leitsatz:

Nach der Rspr. des Senates ist bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges im Regelfall ein Abzug von 10 % wegen ersparter Eigenaufwendungen vorzunehmen.

Dieser Abzug entfällt bei der Anmietung eines klassentieferen Fahrzeuges.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 189/99 OLG Hamm 1 O 175/98 LG Detmold

Verkündet am 29. März 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2000 durch die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Pauge und den Richter am Landgericht Lopez Ramos

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. Juli 1999 verkündete Urteil der Zivilkammer I des Landgerichts Detmold unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.202,39 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11.03.1998 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz trägt der Kläger 2/3 und die Beklagten 1/3.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Parteien jeweils in Höhe von 4.202,39 DM.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am gegen Uhr in in Höhe des Einmündungsbereiches der Straße in die ereignete.

Der Kläger befuhr mit seinem PKW Ford Sierra die (innerstädtische) L Straße stadteinwärts. In Fahrtrichtung des Klägers steigt die L Straße leicht an, führt über eine Kuppe und hat vor der G ihre höchste Erhebung. Der Beklagte zu 1) befuhr mit dem VW Caddy der Beklagten zu 2), der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist, die L Straße entgegen der Fahrrichtung des Klägers und beabsichtigte, nach links in die G abzubiegen. Bei diesem Abbiegevorgang kam es im Einmündungsbereich der G in die L Straße zur Kollision zwischen den Fahrzeugen. Dabei wurde der Beklagte zu 1) leicht verletzt; es entstand erheblicher Sachschaden.

Der Kläger hat erstinstanzlich Schadensersatz auf 100 %-Basis in Höhe von insgesamt 12.607,18 DM verlangt. Die Höhe des Schadens ist mit Ausnahme eines Teils der Mietwagenkosten (15 % Eigenanteil des Klägers) nicht im Streit.

Der Kläger hat unter Berufung auf das (Privat-)Gutachten des SV (Bl. 49 ff) behauptet, der Beklagte zu 1) habe einen Vorfahrtsverstoß begangen. Der Beklagte zu 1) habe den Gegenverkehr erkennen und seine Abbiegeabsicht zurückstellen können. Für ihn - den Kläger - sei der Unfall unabwendbar gewesen.

Demgegenüber haben die Beklagten behauptet, der Kläger sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Der Kläger habe wegen der Steigung der L Straße nicht einmal 100 m des weiteren Straßenverlaufes seiner Fahrtrichtung einsehen können und daher das Gebot des Fahrens auf Sicht verletzt. Für den Beklagten zu 1) sei der PKW des Klägers im Zeitpunkt des Abbiegemanövers nicht wahrnehmbar gewesen. Wegen der überhöhten Geschwindigkeit habe der Kläger den Unfall allein verursacht.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Rekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. die Klage abgewiesen. Der Unfall sei für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen. Der Kläger habe sich noch nicht im einsehbaren Bereich der L bewegt, als der Beklagte zu 1) den Einbiegeentschluss gefasst habe. Die Ausgangsgeschwindigkeit des Sierra habe zwischen 81 - 84 Km/h betragen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er aber nur noch Ersatz von 2/3 seines Schadens begehrt.

Er rügt, dass sich das Urteil nicht mit den (vom Gutachten abweichenden Feststellungen des SV auseinandergesetzt habe. Im Übrigen habe der Beklagte zu 1) den Unfall durch Abbruch des Abbiegevorgangs vermeiden können.

Die Beklagten verteidigen unter Aufrechterhaltung der Einwendungen zur Höhe das angefochtene Urteil. Der Kläger sei eindeutig zu schnell gefahren; der Beklagte zu 1) habe ihn weder wahrnehmen noch den Abbiegevorgang abbrechen können.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger und den Beklagten zu 1) persönlich angehört und zum Unfallhergang Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen P und ergänzender Anhörung der Sachverständigen Dipl.-Ing., Dipl.-Ing. und Dipl.-Ing.. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet. Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, 3 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 2 PflVG, §§ 823 Abs.1, Abs. 2, 840, 421, 249 ff. BGB ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 4.202,39 DM zu. Dies entspricht einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zu lasten des Klägers.

I.

Sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1) haben den Unfall schuldhaft mitverursacht. Die Abwägung der beiderseitigen Mitverschuldens- und Mitverursachungsbeiträge führt zu dem Ergebnis, dass der Kläger lediglich ein Drittel seines Schadens ersetzt verlangen kann.

1.)

Der Kläger hat gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen. Er hat die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 Km/h in erheblichem Umfange überschritten. Dies stellt der Kläger in der Berufungsinstanz auch nicht mehr in Abrede. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen geht der Senat zugunsten des Klägers von einer Mindestgeschwindigkeit von 71 Km/h aus (während die Sachverständigen S und G von Mindestgeschwindigkeiten von 72,6 Km/h bzw. 81 Km/h ausgehen). Dies entspricht einer Überschreitung in Höhe von 42 %.

Diese Überschreitung war auch unfallursächlich. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen aller Sachverständigen hätte der Kläger bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit die Kollision räumlich und zeitlich vermeiden können.

2.)

Aber auch dem Beklagten zu 1) ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein schuldhafter Verstoß anzulasten.

a)

Er hat entgegen § 9 Abs. 3 S. 1 StVO das Vorfahrtsrecht des Klägers nicht beachtet.

aa)

Der wartepflichtige Linksabbieger hat das Vorfahrtsrecht des Gegenverkehrs dann zu beachten, wenn das bevorrechtigte Fahrzeug in dem Augenblick, in dem er den Abbiegeentschluss fasst, bereits sichtbar ist. Die bloße Möglichkeit, dass ein anderes Fahrzeug herannahen könnte, jedoch wegen des Straßenverlaufes (Biegung, Kuppe) nicht sichtbar ist, löst noch keine Wartepflicht aus (Jagusch/Hentschel zu § 9 StVO, Rdnr. 39 m. w. N.). Entscheidend sind demnach die dem Beklagten zu 1) in Relation zu der von dem Kläger gefahrenen Geschwindigkeit zur Verfügung stehenden Sichtmöglichkeiten.

bb)

Im Senatstermin ist zwischen den Sachverständigen im wesentlichen dahingehend Übereinstimmung erzielt worden, dass die vor dem Beklagten liegende freie Strecke auf einer Entfernung von rd. 100 m einsehbar war. Selbst unter Berücksichtigung (zugunsten des Beklagten) der von dem Sachverständigen G ermittelten höchsten Ausgangsgeschwindigkeit des Sierra von 84 Km/h befand sich der Kläger zum Zeitpunkt des Abbiegeentschlusses des Beklagten zu 1) in einer Entfernung von weniger als 100 m und war somit wahrnehmbar. Zwar hat der Sachverständige ( bei 84 Km/h eine Entfernung von 101 m errechnet. Hierbei ist der Sachverständige jedoch von einer Stillstandzeit des Caddy von 0,8 s ausgegangen. Hieran kann jedoch nicht mehr festgehalten werden, nachdem der Beklagte zu 1) erklärt hat, während des Fahrvorganges abgebogen zu sein.

Soweit der Sachverständige G ausgeführt hat, dass der Beklagte zu 1) den Kläger evtl. nicht als Gefahr hat wahrnehmen können, entlastet dies den Beklagten zu 1) nicht. Die Wartepflicht besteht dem Grundsatz nach gegenüber jedem (entgegenkommenden) wahrnehmbaren Vorfahrtsberechtigten. Linksabbieger müssen mit (auch erheblichen) Geschwindigkeitsüberschreitungen des durchfahrenden Geradeausverkehrs rechnen. Linksabbieger müssen sich vor dem Abbiegen über die Fahrgeschwindigkeit der Entgegenkommenden vergewissern, mit nur mäßiger Geschwindigkeit dürfen sie nicht rechnen (BGH VRS 41.426; NJW 1984, 1962).

cc)

Es vermag den Beklagten auch nicht zu entlasten, dass nach den Ausführungen der Sachverständigen nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beklagte zu 1) wegen vorausfahrender Fahrzeuge nur eine sehr eingeschränkte Sicht nach vorne gehabt haben, könnte. Denn in diesem Falle war der Beklagte zu 1) erst recht gehalten, die Durchführung des Abbiegevorganges so lange zurückzustellen, bis er Gewissheit darüber hatte, dass ihm kein Verkehrsteilnehmer entgegenkommen konnte. Diese Gewissheit hätte er sich. z. B. durch Anhalten auf der Höhe der G verschaffen können. Evtl. wäre es auch möglich gewesen, sich während der Fahrt vorübergehend etwas zur Fahrbahnmitte zu orientieren, um sich in eine bessere Sichtposition zu bringen. Ein Abbiegen in der Hoffnung, es werde schon alles gut gehen, war in jedem Falle unzulässig.

b)

Demgegenüber hat sich nicht feststellen lassen können, dass der Beklagte zu 1) fehlerhaft und/oder verspätet reagiert hat.

Die Sachverständigen haben übereinstimmend ausgeführt, dass der Beklagte zu 1) keine Möglichkeit gehabt hat, durch Abrechen des Abbiegevorganges die Kollision zu vermeiden. In jedem Fall wäre der Beklagte zu 1) auf der Mitte der Fahrbahn zum Stillstand gekommen. Ein Einscheren nach rechts war zeitlich nicht möglich.

3.)

Die gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung vier wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile führt zu einer Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Klägers. Der schuldhafte Verstoß des Klägers gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO hat deutlich schwerwiegender zur Unfallverursachung beigetragen als der Verstoß des Beklagten zu 1). Der Kläger hat innerorts an einer nur eingeschränkt übersichtlichen Stelle (Kuppe, Biegung) die zulässige Geschwindigkeit um (mindestens) 42 % überschritten und hat somit die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr ganz erheblich erhöht. Demgegenüber wiegt der Verstoß des Beklagten zu 1) erheblich geringer. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Beklagte zu 1) den Kläger allenfalls im Grenzbereich wahrgenommen haben wird.

II.

1.)

Der Schaden des Klägers beträgt 12.607,18 DM.

a) Mit Ausnahme eines Teils der Mietwagenkosten ist der Schaden des Klägers nicht im Streit.

b)

Die geltend gemachten Mietwagenkosten in Höhe von 2.308,84 DM sind in voller Höhe ersatzfähig. Eine Kürzung dieser Schadensposition um 10 % wegen ersparter Aufwendungen ist nicht vorzunehmen.

Zwar muss sich der Anspruchsteller bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges ersparte Aufwendungen grundsätzlich im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen (im Regelfall 10 % der Mietwagenkosten, vgl. Palandt zu § 249 Rdnr. 14 a; OLGR Hamm 1992, 261; OLG Hamm r+s 1998,106).

Bei der Anmietung eines klassentieferen Fahrzeuges entfällt ein Abzug jedoch.

Der Kläger fuhr einen Ford Sierra Tonring, Baujahr 1991 und mietete einen Ford Fiesta, mithin ein klassentieferes Fahrzeug, an.

2.)

Bei Berücksichtigung einer Haftungsquote der Beklagten von 1/3 errechnet sich ein Anspruch des Klägers in Höhe von 4.202,39 DM.

3.)

Der Zinsanspruch ist nicht im Streit.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 92, 97, 708 Nr. 10, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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