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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 25.09.2000
Aktenzeichen: 13 U 45/00
Rechtsgebiete: BGB, StVG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 670
BGB § 677
BGB § 832
BGB § 683
BGB § 1631 Abs. 1
BGB § 288
BGB § 286
StVG § 7 Abs. 2
ZPO § 287
ZPO § 92
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2
Leitsatz:

1)

Weicht ein Kraftfahrer einem dreijährigen Kind, das plötzlich über die Straße rennt, aus und fährt anschließend gegen einen Baum, dann kommen grundsätzlich Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670, 683, 677 BGB) gegen die Eltern in Betracht.

2)

Bei der Höhe des Aufwendungsersatzanspruches hat das Gericht einen Ermessensspielraum. Alle Umstände des Einzelfalles sind zu berücksichtigen.

Hier:

Bei Berücksichtigung der Betriebsgefahr des Fahrzeuges und des besonderen Umstandes, daß die maßgeblichen Schäden durch eine vermeidbare Kollision mit einem Baum entstanden sind, ist ein Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von 50 % des Sachschadens angemessen.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 45/00 OLG Hamm 3 O 423/99 LG Essen

Verkündet am 25. September 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Zumdick und die Richterin am Landgericht Kirchhoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 23. November 1999 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen teilweise abgeändert.

Die Beklagten bleiben verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 8.081,02 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21. Mai 1999 zu zahlen.

Die Kosten des gesamten Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Klägerin und die Beklagten um jeweils 8.081,02 DM.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 03.1999, der sich gegen 17.45 Uhr auf dem Weg in E ereignet hat. Die Klägerin befuhr diese Straße mit ihrem Pkw Opel Astra und kollidierte in Höhe des Hauses Nr. 17 mit der dreijährigen Tochter der Beklagten, die über die Straße lief. Die Klägerin wich nach links aus, erfaßte das Kind allerdings noch mit der rechten vorderen Seite und fuhr anschließend gegen einen Baum. Das Kind befand sich zunächst an der Hand der Zeugin A, riß sich dann aber los und wollte zu ihrer Mutter auf der anderen Straßenseite.

Das Landgericht hat der Klage aus Geschäftsführung ohne Auftrag stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg.

Die Klägerin kann von den Beklagten aus §§ 670, 683, 677 BGB Ersatz ihres Sachschadens nur in Höhe von 50 %, das sind 8.081,02 DM verlangen.

1.

Da eine Haftung der Eltern aus § 832 BGB mit den Gründen der landgerichtlichen Entscheidung zu verneinen ist, kommen nur Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht.

Ein solcher Aufwendungsersatzanspruch wird nach der grundlegenden Entscheidung des BGH (BGHZ 38, 270 = VersR 63, 143), der sich die Instanzgerichte und Teile der Literatur angeschlossen haben (vgl. z.B. OLG Köln, Zfs 94, 8; OLG Oldenburg, VersR 72, 1178; Greger, StVG, 3. Aufl., § 16 StVG, Rdn. 781 m.w.N.), dann anerkannt, wenn sich der Kraftfahrer nach § 7 Abs. 2 StVG entlasten kann, d.h., wenn der Unfall für ihn ein unabwendbares Ereignis darstellt. Ein Kraftfahrzeugführer, der den Entlastungsbeweis nicht führen kann, hat nach dem Gesetz für den Schaden einzustehen, der einem anderen durch den Betrieb seines Kraftfahrzeuges entsteht. Dann aber mutet es ihm das Gesetz erst recht zu, den eigenen Schaden zu tragen, der dadurch entsteht, daß er versucht, den sonst ihm selbst zur Last fallenden fremden Schaden zu vermeiden (BGHZ 38, 273).

Soweit das Landgericht Berlin in der von den Parteien zitierten Entscheidung (NJW 99, 2906) die Auffassung vertreten hat, die Eltern eines zehnjährigen Kindes seien nicht als Geschäftsherren im Sinne des § 683 BGB anzusehen, da sie rechtlich nicht verpflichtet seien, ihr Kind vor einem Schaden zu bewahren, bedarf es an dieser Stelle keine Auseinandersetzung mit dieser Auffassung (vgl. aber dazu Friedrich, VersR 2000, 697, 698). Die Tochter der Beklagten war im Unfallzeitpunkt drei Jahre alt. Daß in diesem Alter noch eine dauernde Aufsicht der Eltern gem. § 1631 Abs. 1 BGB besteht, kann nicht zweifelhaft sein und wird auch vom Landgericht Berlin nicht in Zweifel gezogen.

2.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere nach den Feststellungen des Sachverständigen G, war die Kollision mit dem Kind für die Klägerin ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen war das Kind für die Klägerin erst in dem Moment erkennbar, als es aus dem Schatten des geparkten Opel Vectra herauskam. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin mit ihrem Pkw noch 7,5 m vom späteren Kollisionsort entfernt, zeitlich gesehen noch 0,9 Sekunden. Bei Zugrundelegung der üblichen Reaktionszeit von 1 Sekunde, die in diesem besonderen Fall, wenn nämlich die Klägerin ihren Blick erst nach rechts wenden mußte, auch 1,5 Sekunden betragen haben könnte, hätte die frühestmögliche Reaktion erst 0,1 bzw. 0,6 Sekunden nach der Kollision wirksam werden können. Damit war der Zusammenstoß für die Klägerin nicht zu vermeiden.

3.

Soweit die Berufung darauf abstellt, daß die Ausweichreaktion zeitlich nach der Kollision erfolgt ist und infolgedessen der bereits erfolgte Unfall nicht mehr abgewendet werden konnte, so daß dieses Ausweichen nicht mehr dem Interesse der Eltern entsprochen habe, folgt der Senat dem nicht. Abzustellen ist im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht auf den Erfolg des durchgeführten Geschäftes, sondern auf die Geschäftsbesorgung selbst, d.h. auf die Tätigkeit als solche. Diese Tätigkeit bestand hier darin, daß die Klägerin bei Erkennen der Gefahr ausgewichen ist und gebremst hat. Dieses Handeln entsprach dem Interesse und dem mutmaßlichen Willen der Eltern. Daß das Ausweichen und Bremsen erst nach der Kollision wirksam werden konnte, hat insoweit keine Bedeutung.

4.

Damit kann die Klägerin grundsätzlich gem. § 683 BGB Aufwendungsersatz besanspruchen. Allerdings erfaßt der Anspruch in solchen Rettungsfällen nicht von vornherein den vollen Ersatz der Aufwendungen. Um den Besonderheiten der einzelnen Fälle Rechnung tragen zu können, muß dem Gericht ein Ermessensspielraum bei der Höhe des Aufwendungsersatzes eingeräumt werden (BGHZ 38, 278/279).

Die Klägerin und auch die Beklagten sind schuldlos in diese Gefahrenlage geraten. Eine angemessene Lösung bei dieser Situation muß berücksichtigen, daß die Klägerin die konkrete Gefahrenlage durch ihr Fahrzeug mit herbeigeführt hatte. Daß der Unfall für die Klägerin selbst unabwendbar im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG war, hindert die Berücksichtigung der Betriebsgefahr nicht. Da ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag auch ohne Verschulden der Beklagten entsteht, ist es gerechtfertigt, die vom Fahrzeug der Klägerin ausgehende Gefahr als eine besondere Ursache des Unfalls mit zu berücksichtigen.

Der Senat hat weiter berücksichtigt, daß nach den Feststellungen des Sachverständigen die Kollision mit dem Baum, die im wesentlichen den Schaden am Fahrzeug der Klägerin herbeigeführt hat, nicht unabwendbar im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG war. Der Baum, gegen den die Klägerin geprallt ist, befand sich in einer Entfernung von 16 m zum Kollisionsort. Bei der von der Klägerin gefahrenen Geschwindigkeit von 30 km/h betrug der Anhalteweg aber selbst bei einer eher geringen Bremsverzögerung von 6 m/s nur 14,1 m. Der Sachverständige hat dieses verspätete Bremsen als Reaktion auf die gerade erfolgte Kollision mit dem Kind erklärt. Es würde unbillig erscheinen, der Klägerin vollen Ersatz zuzusprechen, wo doch die Schäden am Pkw maßgeblich durch eine verspätete, wenn auch durch die gerade erfolgte Kollision mit dem Kind nachvollziehbare Reaktion entstanden sind. Bei Würdigung aller Umstände, hält der Senat es für angemessen, daß die Klägerin 50 % ihres Sachschadens ersetzt verlangen kann.

5.

Der Sachschaden beträgt insgesamt 16.162,04 DM. 50 % davon sind 8.081,02 DM.

Die einzelnen Schadenspositionen sind nicht zu beanstanden. Den Nutzungsausfall schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO entsprechend den Ausführungen der Klägerin in der Berufungserwiderung auf 883,00 DM.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 286 BGB.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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