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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 25.09.2002
Aktenzeichen: 13 U 62/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 843

Entscheidung wurde am 30.12.2002 korrigiert: Vorinstanz durch Verfahrensgang ersetzt
Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen vermehrter Bedürfnisse gem. § 843 BGB
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 62/02 OLG Hamm 15 O 131/00 LG Münster

Verkündet am 25. September 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Zumdick und den Richter am Amtsgericht Mollenhauer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 20. Dezember 2001 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.358,48 € (= 43.729,38 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Januar 2000 zu zahlen.

Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger eine jeweils am 3. Werktag eines jeden Monats im voraus fällige und gemäß § 323 ZPO abänderbare Verdienstausfallrente ab dem 1. Dezember 2001 von monatlich 894,20 € (= 1.748,91 DM) bis zum 30. Juli 2045 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 14. April 1996 zu 80 % zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche oder private Versicherungsträger übergegangen sind.

Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits des 1. Rechtszuges tragen der Kläger 60 % und der Beklagte 40 %.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 92 % und der Beklagte 8 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Kläger um mehr als 20.000,00 €.

Tatbestand:

Der am 15.07.1980 geborene Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 14.04.1996. Der Kläger war Beifahrer in einem Pkw, welcher gegen einen Baum gesteuert wurde. Der Fahrer des Wagens verstarb am Unfallort. Der Kläger wurde aus dem Wagen geschleudert und schwer verletzt. Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma zweiten Grades mit schweren Hirnschädigungen sowie einer später auftretenden Epilepsie und einer Fußheber- und Zehenheberparese am linken Bein. In der Zeit vom 15. bis 19.04.1996 wurde der Kläger in der operativen Intensivmedizin der Universitätsklinik behandelt. Vom 19.04. bis 21.05.1996 wurde der Kläger im hospital versorgt. Vom 21.05.1996 bis 19.03.1997 hielt sich der Kläger im Rehabilitationszentrum in auf. Am 18.06.1996 konnte der Kläger erstmals mit Gehhilfen einige Schritte machen. Bis Ende August 1996 mußte der Kläger weitgehend einen Rollstuhl benutzen. Ab März 1997 besuchte der Kläger wieder die Realschule und erlangte die mittlere Reife. Von September bis Dezember 1998 nahm der Kläger an einer Berufsfindungsmaßnahme im teil. Seit dem 01.02.1999 unterzieht sich der Kläger einer Ausbildung zum Bauzeichner, deren Prüfung er inzwischen bestanden hat. Am 07.07.2000 erlitt der Kläger einen cerebralen Krampfanfall. Aufgrund dessen war ihm das Autofahren ärztlich untersagt. Wie der Kläger im Senatstermin erklärte, darf er nunmehr wieder Autofahren.

Die Parteien haben sich auf eine Haftungsquote in Höhe von 80 % geeinigt (streitig war, ob der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls angeschnallt war). Der Beklagte hat inzwischen 130.000,00 DM gezahlt.

Der Kläger verlangt neben weiterem Schmerzensgeld eine Schmerzensgeldrente, Verdienstausfall, eine Verdienstausfallrente sowie eine Rente wegen vermehrter Bedürfnisse.

Das Landgericht hat dem Kläger 120.000,00 DM Schmerzensgeld (80 % von 150.000,00 DM) zugesprochen, die durch den Vorschuß schon bezahlt worden seien. Eine Schmerzensgeldrente hat das Landgericht verneint. An Verdienstausfall und weiteren Schadenspositionen hat das Landgericht dem Kläger 51.363,56 DM zuerkannt und den noch offenen Vorschußbetrag von 10.000,00 DM abgezogen. Das Landgericht hat weiterhin einen monatlichen Verdienstausfall in beantragter Höhe von 1.594,67 DM vom 01.12.2001 bis zum 30.07.2045 zuerkannt. Schließlich hat es dem Feststellungsantrag stattgegeben und eine Rente wegen vermehrter Bedürfnisse abgelehnt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er macht weitere 30.000,00 DM Schmerzensgeld geltend und geht dabei von einem Gesamtschmerzensgeld bei voller Haftung in Höhe von 200.000,00 DM aus. Den noch fehlenden Verdienstausfall errechnet der Kläger mit 12.395,82 DM und beziffert die Verdienstausfallrente auf 1.748,91 DM. Der Kläger hält weiterhin eine Schmerzensgeldrente von 480,00 DM pro Monat für gerechtfertigt und eine Rente wegen vermehrter Bedürfnisse in Höhe von 500,00 € monatlich. Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen zu seinen Verletzungen und den daraus entstehenden Folgen.

Wegen des Antrags im einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 03.05.2002 verwiesen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verteidigt es mit näherer Begründung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. H . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die den im allseitigen Einverständnis gefertigten Berichterstattervermerk als Anlage zum Protokoll vom 25. September 2002 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat nur in geringem Umfang Erfolg.

1. Der Kläger kann kein weiteres Schmerzensgeld verlangen. Das Landgericht hat mit zutreffender und sorgfältiger Begründung ein Schmerzensgeld in Höhe von 120.000,00 DM (unter Berücksichtigung der Haftungsquote von 80 %) für angemessen erachtet. Dem schließt sich der Senat an. Die vom Kläger vorgestellten 200.000,00 DM nebst zusätzlicher Schmerzensgeldrente liegen erheblich außerhalb der bei ähnlichen Verletzungen und Folgen zugesprochenen Beträge. Zwar hat der Kläger dauerhaft eine schwere Hirnschädigung erlitten, die ihn in seiner Lebensführung massiv einschränkt. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß der Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H durchaus in der Lage ist, einen eigenen Hausstand zu führen und 80 bis 90 % der alltäglichen Angelegenheiten allein erledigen kann. Der Kläger hat eine Umschulung zum Bauzeichner begonnen und inzwischen erfolgreich abgeschlossen. Die vom Kläger vorgestellten Schmerzensgeldbeträge von 200.000,00 DM nebst Rente betreffen erheblich höhere Schäden und werden bei Querschnittslähmungen und vergleichbaren Fällen zugesprochen.

2. Eine Schmerzensgeldrente neben dem Kapitalbetrag ist nicht gerechtfertigt. Grundsätzlich ist das Schmerzensgeld in Kapitalform zu zahlen. Eine Rente wird nur ausnahmsweise und bei schwersten lebenslangen Dauerschäden zuerkannt, denen sich der Verletzte immer wieder neu und schmerzlich bewußt wird und die auch in Zukunft das körperliche und seelische Wohlbefinden oder die Lebensfreude beeinträchtigen (BGH NJWE-VHR 96, 141; NJW 94, 1592; OLG Hamm OLGR 96, 6; OLG Hamm VersR 90, 865). Dabei darf der Gesamtwert des Kapitalbetrages und der Rente nicht die Größenordnung des Schmerzensgeldes übersteigen, das im Fall einer alleinigen Kapitalentschädigung angemessen wäre. Solche schwersten Dauerschäden, die eine Rente rechtfertigen sind z.B. bejaht worden bei Querschnittslähmungen, bei schwersten Hirnschädigungen und wenn es um erhebliche Dauerschäden bei Kindern geht. Eine solche vergleichbare Situation liegt bei dem Kläger nicht vor.

3. Materiellen Schadensersatz und Verdienstausfall für die Zeit bis Juni 2001 kann der Kläger noch in Höhe von 43.729,38 DM (= 22.358,48 €) verlangen.

Den monatlichen Verdienstausfall hat die Berufung zutreffend mit 1.748,91 DM errechnet. Der Senat legt der Berechnung die vom Kläger vorgelegte Aufstellung (Anlage K 26) über den Verdienst eines Bauzeichners zugrunde. Diese Aufstellung war in erster Instanz nicht im Streit. Die Beträge schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO als zutreffend ein. Damit ergibt sich - unter Berücksichtigung der Tatsache daß das Landgericht bei dem Verdienstausfall von Juli 2001 bis November 2001 versehentlich statt 5 nur 4 Monate zugrunde gelegt hat ein Gesamtbetrag von 53.729,38 DM. Die vom Kläger im einzelnen in der Berufungsbegründung (Seite 11 bis 13) vorgenommene Berechnung ist zutreffend. Hiervon war die noch offene Vorschußzahlung in Höhe von 10.000,00 DM abzuziehen, so daß ein Restbetrag von 43.729,38 DM (22.358,48 €) verbleibt. Hierauf hat der Beklagte, wie im Senatstermin unstreitig wurde, noch einen Betrag von 815,34 € inzwischen gezahlt. Der Senat hat diesen Betrag allerdings noch nicht von der Urteilssumme abgezogen.

4. Die Verdienstausfallrente beträgt entsprechend der Berechnung in der Berufungsbegründung (Seite 11/12) und der Anlage K 26 1.748,91 DM = 894,20 €.

5. Eine Rente wegen vermehrter Bedürfnisse steht dem Kläger nicht zu.

Unter den Kosten vermehrter Bedürfnisse sind alle Mehraufwendungen für die persönliche Lebensführung zu verstehen, die weder der Wiederherstellung der Gesundheit noch der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit dienen, sondern den Zweck haben, diejenigen Nachteile auszugleichen, die dem Verletzten infolge eines erlittenen körperlichen Dauerschadens entstehen und bestimmt und geeignet sind, die jetzige durch den Unfall beeinträchtigte Lebensführung des Geschädigten wieder der früheren anzunähern (BGH NJW 74, 71; 82, 757). Bei dauernden, immer wiederkehrenden Mehraufwendungen für die persönliche Lebensführung kann der Geschädigte auch Schadensersatz in Form einer Geldrente (Mehrbedarfsrente) gemäß § 843 BGB verlangen. Solche Mehraufwendungen können etwa durch dauernde Pflege oder Beaufsichtigung des Geschädigten erforderlich werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein solcher Anspruch nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß der Geschädigte auf eine fremde Pflegekraft verzichtet und Familienangehörige diese Aufgabe übernehmen. Allerdings besteht nur insoweit eine Ersatzpflicht, als sich diese Leistungen aus dem selbstverständlichen und originären Aufgabengebiet der Eltern bzw. Angehörigen herausgeben. Nicht ersetzt werden die individuellen und nicht austauschbaren Zuwendungen der Eltern (BGH VersR 99, 1156).

Der Geschädigte ist gehalten, die Grundlagen für die Berechnung einer Mehrbedarfsrente konkret darzulegen. Er darf sich nicht damit begnügen abstrakt vorzutragen, daß er ständiger Aufsicht und Pflege bedürfe. Es ist vielmehr konkret auf der Grundlage vor allem in der Vergangenheit entstandenen Mehrbedarfs vorzutragen, für welche Verrichtungen des täglichen Lebens, wie An- und Auskleiden, Waschen, Rasieren, Kämmen, Essen und Trinken usw. Hilfe benötigt wird. Eine solche konkrete Darlegung des Schadens ist nicht dargetan, auch nicht mit Schriftsatz vom 17.09.2002, in welchem nur punktuelle Vorfälle geschildert werden, bei denen der Kläger Hilfe gebraucht hat. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H , daß dieser im Senatstermin vom 25.09.2002 ergänzt hat, kann der Kläger zu 80 bis 90 % seine alltäglichen Dinge allein erledigen. Der Kläger hat seine Ausbildung als Bauzeichner erfolgreich abgeschlossen und fährt auch wieder Auto. Es ist insoweit aus den gesamten Umständen auch nicht ersichtlich, inwieweit laufende Mehraufwendungen entstehen könnten.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10 ZPO. Für die Zulassung der Revision besteht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO keine Veranlassung.



Ende der Entscheidung

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