Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.01.2003
Aktenzeichen: 15 W 32/01
Rechtsgebiete: BVormVG


Vorschriften:

BVormVG § 1 Abs. 2 S. 1
Eine abgeschlossene Hochschulausbildung als Diplom-Kauffrau vermittelt im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 BVormVG besondere Kenntnisse, die für die Führung von Betreuungen generell nutzbar sind, so daß die Nutzbarkeit dieser Kenntnisse für die Führung der konkreten Betreuung vermutet wird, sofern das Vormundschaftsgericht nicht aus besonderen Gründen bei der Bestellung des Betreuers etwas anderes bestimmt.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 32/01 OLG Hamm

In der Betreuungssache

betreffend die am geborene Frau wohnhaft

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 16. Januar 2003 auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) vom 17. Januar 2001 gegen den Beschluss der 7 Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 5. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Engelhardt und Christ

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligtem 1), die Diplomkauffrau ist, wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 13. Dezember 1999 (78 XVII S 358) "zur Betreuerin (Berufsbetreuerin)" für die Betroffene mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge einschließlich Klinikunterbringungen bestellt.

Mit Schreiben vom 27. Juni 2000 beantragte die Beteiligte zu 1), für ihre Tätigkeit als Berufsbetreuerin in dem Zeitraum vom 13. Dezember 1999 bis zum 31. Mai 2000 eine Vergütung von 1.672,72 DM sowie Aufwendungsersatz von 116,70 DM jeweils einschließlich Mehrwertsteuer festzusetzen, wobei diese Beträge im Hinblick auf die Mittellosigkeit der Betroffenen aus der Staatskasse zu erstatten seien. Den Zeitaufwand für ihre Betreuungstätigkeit hat die Beteiligte zu 1) in dem ihren Antrag beiliegenden Tätigkeitsnachweis mit 1.442 Minuten angegeben. Die beantragte Vergütung sei nach einem Stundensatz von 60,00 DM zu berechnen.

Durch Beschluss vom 30. Oktober 2000 setzte das Amtsgericht unter Zugrundelegung eines Zeitaufwandes für die Betreuungstätigkeit von 1392 Minuten und eines Stundensatzes von 60,00 DM eine Vergütung von 1.614,72 DM zuzüglich 116,70 DM Auslagenersatz jeweils einschließlich Mehrwertsteuer fest.

Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 2) rechtzeitig sofortige Beschwerde mit dem Ziel der Herabsetzung der festgesetzten Vergütung eingelegt. Nach seiner Auffassung steht der Beteiligten zu 1) nur ein Stundensatz von 35,00 DM zu, weil die Qualifikation als Diplomkauffrau für die Führung der Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge einschließlich Klinikunterbringung nicht nutzbar sei.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 5. Januar 2001 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die weitere Beschwerde zugelassen.

Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 2) mit Schreiben vom 17. Januar 2001 sofortige weitere Beschwerde eingelegt, mit der er weiterhin die Bemessung der Vergütung nach einem Stundensatz von 35,00 DM begehrt.

Auf Veranlassung des Senats hat der Leiter des Dezernats 10 des Oberlandesgerichts mit Verfügung vom 28. Oktober 2002 Stellung genommen. Die Beteiligte zu 1) hat Gelegenheit erhalten, sich dazu zu äußern.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 56 g Abs. 5 S. 2, 27, 29 FGG infolge Zulassung durch das Landgericht statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2) folgt bereits daraus, dass seine erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist das Rechtsmittel, mit dem allein die Höhe des Stundensatzes zur Überprüfung gestellt wird, unbegründet, weil die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer gemäß § 56 g Abs. 5 S. 1 FGG zulässigen sofortigen Erstbeschwerde des Beteiligten zu 2) ausgegangen. Auch die Sachentscheidung der Kammer hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Das Landgericht hat ausgeführt, dass sich der Stundensatz von 60,00 DM aus § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BVormVG ergebe. Als Diplomkauffrau verfüge die Beteiligte zu 1) über besondere Kenntnisse, die durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule erworben und für die Führung der Betreuung nutzbar seien. Von der Nutzbarkeit der Kenntnisse für die Betreuung sei nach § 1 Abs. 2 BVormVG auszugehen. Nach dieser Vorschrift werde vermutet, dass besondere Kenntnisse eines Betreuers, die für "die Führung der Vormundschaften allgemein nutzbar und durch eine Ausbildung im Sinne des Absatzes 1, Satz 2 erworben sind", auch für die Führung der dem Betreuer übertragenen Betreuung nutzbar seien, falls nicht das Vormundschaftsgericht aus besonderen Gründen bei der Bestellung des Betreuers etwas anderes bestimme. Diese Vermutung greife ein, weil die besonderen Fachkenntnisse einer Diplomkauffrau für die Führung von Betreuungen allgemein von Nutzen seien und das Vormundschaftsgericht keine andere Bestimmung getroffen habe.

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 BVormVG in der für den hier maßgeblichen Abrechnungszeitraum geltenden Fassung beträgt die nach §§ 1908 i Abs. 1 S. 1, 1836 a BGB bei Mittellosigkeit des Betreuten aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung für jede Stunde der für die Führung der Betreuung aufgewandten und erforderlichen Zeit 35,00 DM. Nach S. 2 der Vorschrift erhöht sich die Vergütung bei besonderen Kenntnissen des Betreuers, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, stufenweise, und zwar auf 45,00 DM, wenn die Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind (Nr. 1), sowie auf 60,00 DM, wenn sie durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind (Nr. 2).

Mit dieser nach dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz geschaffenen Regelung hat der Gesetzgeber im Interesse einer problemlosen Handhabung die Qualifikation des Betreuers nach der Art seiner Ausbildung typisiert. Zudem soll aufgrund einer standardisierten Vergütungsfestsetzung die Notwendigkeit entfallen, die Schwierigkeiten der einzelnen Betreuung konkret nachzuweisen. Das Vormundschaftsgericht hat von vornherein einzelfallbezogen einen geeigneten Betreuer zu bestellen. Im Rahmen dieser Eignungsprüfung ist festzulegen, ob für die Führung der Betreuung Fachkenntnisse notwendig, wünschenswert oder entbehrlich sind, wobei das Risiko von Fehlentscheidungen - überhöhte Vergütung für einen überqualifizierten Betreuer - jedenfalls im Regelfall die Staatskasse trägt. Mit der erfolgten Auswahl ist der Vergütungssatz vorgegeben. Der bestellte Betreuer soll sich grundsätzlich darauf verlassen können, eine seiner Qualifikation entsprechende Vergütung zu erhalten (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 14f., 26, 28; Senat, FamRZ 2000, 549 = BtPrax 2000, 37 und FamRZ 2000, 684 = FGPrax 1999, 223 = Rpfleger 1999, 539; OLG Zweibrücken, FamRZ 2000, 551 = FGPrax 2000, 64 = BtPrax 2000, 89). Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob der Betreuer im konkreten Fall auf seine Fachkenntnisse zurückgreifen muss. Entscheidend ist vielmehr, ob diese Kenntnisse im Rahmen der konkreten Betreuung verwendbar sein können (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2000, 847; Palandt/Diederichsen, BGB, 62. Aufl., § 1836 a Rdnr. 4 m.w.N.; Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl., Vorbem. v. §§ 65 ff. FGG Rdnr. 161; Wagenitz/Engers, FamRZ 1998, 1273, 1274). Handelt es sich um Fachkenntnisse, die generell für die Führung von Betreuungen nutzbar sind, so wird nach § 1 Abs. 2 S. 1 BVormVG die Nutzbarkeit dieser Kenntnisse für die Führung der Betreuung vermutet. Diese Vermutung entfällt nach Satz 2 dieser Vorschrift dann, wenn das Vormundschaftsgericht aus besonderen Gründen bei der Bestellung des Betreuers etwas anderes bestimmt, was hier nicht der Fall gewesen ist. Fachkenntnisse in diesem Sinne sind nur solche Kenntnisse oder Fertigkeiten, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen, die regelmäßig nicht nur durch Lebenserfahrung erworben werden und die für die Führung von Betreuungen hilfreich sind (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 14).

Die Einschätzung des Landgerichts, dass die besonderen Kenntnisse der Beteiligte zu 1), die sie durch eine Hochschulausbildung zur Diplomkauffrau erworben hat, für die Führung von Betreuungen allgemein von Nutzen sind, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Wegen der Vielfältigkeit der Aufgaben eines Betreuers und der Vielfältigkeit von Studiengängen ist eine abschließende Aufzählung der insoweit in Frage kommenden Qualifikationen kaum möglich. Angesichts des Wesens der Betreuung als rechtlicher Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) kommt insbesondere rechtlichen Kenntnissen eine grundlegende Bedeutung zu. Betreuungsrelevant sind im Allgemeinen ferner Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft. Erforderlich ist, dass die jeweilige Ausbildung in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung entsprechender Kenntnisse ausgerichtet ist, was etwa bei den Studiengängen Rechtswissenschaft, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie oder Betriebswirtschaftslehre der Fall ist (vgl. BayObLG, FamRZ 2000, 844 m.w.N. = FGPrax 2000, 22 = BtPrax 2000, 81; Thüringer OLG, FGPrax 2000, 110). Es handelt sich dabei um Fachdisziplinen, denen im weitesten Sinne gemeinsam ist, dass sie sich mit den individuellen Lebensbedingungen des Menschen und ihrer Gestaltung befassen, und in denen deshalb für die Ausübung von Betreuungen nutzbringende Kenntnisse vermittelt werden (vgl. LG Hamburg, FamRZ 2000, 1309).

Da die Beteiligte zu 1) ein Studium der Betriebswirtschaft an einer Hochschule erfolgreich absolviert hat, ist es demnach nicht rechtsfehlerhaft, wenn das Landgericht von für die Führung von Betreuungen generell nutzbaren besonderen Fähigkeiten ausgegangen ist (vgl. auch OLG Zweibrücken, FamRZ 2000, 551 = FGPrax 2000, 64 = BtPrax 2000, 89) und seine Entscheidung demgemäß auf die Vermutung des § 1 Abs. 2 S. 1 BVormVG gestützt hat.

Eine Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten sowie eine Festsetzung des Gegenstandswertes für das Verfahren der weiteren Beschwerde ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

Zurück