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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.07.2001
Aktenzeichen: 15 W 444/00
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 21 Abs. 3
WEG § 5 Nr. 1 (Abstellen von Kinderwagen im Hausflur)
Eine Regelung in der Hausordnung, dass Kinderwagen "vorübergehend im Hausflur abgestellt werden dürfen, ist nicht wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 444/00 OLG Hamm

In der Wohnungseigentumssache

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Hamm hat am 3. Juli 2001 auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 17) vom 19. Oktober 2000 gegen den Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 17. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird teilweise aufgehoben.

Die sofortige Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1) wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Verfahrens der ersten Beschwerde und der sofortigen weiteren Beschwerde werden den Beteiligten zu 1) auferlegt.

Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet in allen Instanzen nicht statt.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 DM festgesetzt.

Gründe:

1.

Die zu 1) beteiligten Antragsteller und die zu 2) bis 17) beteiligten Antragsgegner sind die Miteigentümer der eingangs bezeichneten Anlage, die von der Beteiligten zu 18) verwaltet wird.

Die Antragsteller sind Eigentümer einer Erdgeschosswohnung im Haus H. Der 1 m breite Zugang zu dieser Wohnung verläuft, vom Hauseingang aus gesehen, rechts neben der aufgehenden Treppe. Der Flur im Erdgeschoss, d.h. der Platz rechts neben der Hauseingangstür und der Bereich des Zugangs zur Wohnung der Antragsteller wird von einigen Wohnungseigentümern zum Abstellen von Kinderwagen benutzt. Im Keller des Hauses befindet sich ein gesonderter Raum zum Abstellen von Fahrrädern und Kinderwagen. Über einen Fahrstuhl verfügt das Haus nicht.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschloss am 21.05.1985 eine Hausordnung, die unter Ziffer II 3, 2. Halbsatz folgende Regelung enthält:

"Kinderwagen dürfen vorübergehend im Flur abgestellt werden, andere Gegenstände nicht."

Die Antragsteller fühlen sich durch das - auch nur vorübergehende - Abstellen von Kinderwagen im Flur behindert, weil ihr Wohnungszugang dadurch auf eine Laufbreite von 45 cm eingeengt werde. Dies sei feuerpolizeilich unzulässig, weil nach §§ 37, 38 Bauordnung NW ein Rettungsweg von mindestens einem Meter Breite eingehalten werden müsse. Im Flur standen zeitweilig zwei, mitunter aber auch bis zu vier Kinderwagen. In der Wohnungseigentümerversammlung vom 17.02.2000 stellten sie deshalb den Antrag, die Hausordnung dahingehend abzuändern, dass Kinderwagen an der betreffenden Stelle nicht mehr abgestellt werden dürfen. Dieser unter TOP 9 c zur Abstimmung gestellte Antrag wurde von den Wohnungseigentümern mehrheitlich abgelehnt.

Die Antragsteller haben daraufhin beim Amtsgericht im Verfahren nach dem Wohnungseigentumsgesetz beantragt, den unter TOP 9c in der Eigentümerversammlung vom 17.07.2000 gefassten Beschluss für ungültig zu erklären und die Hausordnung dahin zu ändern, dass Kinderwagen im Flur hinter der Haustür nicht mehr abgestellt werden dürfen. [Der weitere Antrag zu TOP 10 der Eigentümerversammlung betreffend den Wanddurchbruch für die Installation einer Dunstabzugshaube ist nicht mehr Gegenstand des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde.]

Die Antragsgegner haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie sind der Auffassung, den Wohnungseigentümern könne ein vorübergehendes Abstellen entsprechend der bestehenden Hausordnung nicht verboten werden.

Mit Beschluss vom 16.05.2000 hat das Amtsgericht den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen haben die Antragsteller fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt.

Das Landgericht hat mit den Beteiligten am 17.08.2000 mündlich verhandelt und mit dem am Schluss der Verhandlung verkündeten Beschluss unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen die Entscheidung des Amtsgerichts teilweise abgeändert. Es hat die Antragsgegner verpflichtet, die Hausordnung der Gemeinschaft so zu ändern, dass Kinderwagen hinter der Hauseingangstür im Hausflur nicht abgestellt werden dürfen.

Gegen diese ihren Verfahrensbevollmächtigten am 09.10.2000 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 19.10.2000 bei dem Landgericht eingegangene sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG, 45 Abs. 1 WEG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Beschwerdebefugnis der Antragsgegner ergibt sich daraus, dass das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts zu ihrem Nachteil abgeändert hat.

In der Sache führt die sofortige weitere Beschwerde zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung, weil die Entscheidung des Landgerichts einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält, § 27 FGG.

Das mit einer zulässigen Erstbeschwerde befasste Landgericht hat ausgeführt: Für den Antrag, den unter TOP 9 c der Eigentümerversammlung vom 17.02.2000 gefassten Beschluss für ungültig zu erklären, fehle das Rechtsschutzbedürfnis; denn mit der Aufhebung des Ablehnungsbeschlusses konnten die Antragsteller das von ihnen verfolgte Begehren nicht durchsetzen. Dieses Begehren verfolgten die Antragsteller mit ihrem weiteren Antrag auf Verpflichtung zur Abänderung der Hausordnung. Mit einer positiven gerichtlichen Entscheidung über dieses Begehren erübrige sich der von den Wohnungseigentümern gefasste Ablehnungsbeschluss ohne weiteres. Ihr Anliegen bezüglich des Abstellens der Kinderwagen sei berechtigt. Aus den überreichten Fotos sei gut zu erkennen, dass der Zugang der Antragsteller durch das Abstellen der Kinderwagen auf eine Breite unter einen Meter eingeengt werde. Eine solche Einengung sei ihnen nicht zuzumuten. Sie sei auch aus Gründen der Sicherheit nicht zulässig. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die Hausordnung den Wohnungseigentümern nur ein "vorübergehendes" Abstellen der Kinderwagen erlaube. Dieser Begriff sei viel zu unbestimmt, um das Abstellen in einer für die Antragsteller zumutbaren Weise zeitlich zu begrenzen. Es erscheine auch nicht praktikabel, die Hausordnung etwa dahingehend abzuändern, dass das vorübergehende Abstellen der Kinderwagen auf einen genauen Zeitraum begrenzt wurde. Das Einhalten dieser zeitlichen Begrenzung sei nämlich nicht nachprüfbar. Aus diesem Grunde sei die Figentümergemeinschaft verpflichtet, zu Gunsten der Antragsteller und der allgemeinen Sicherheit im Hausflur das Abstellen der Kinderwagen an der betreffenden Stelle völlig zu untersagen.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht im vollen Umfang statt. Richtig ist zwar, dass die Antragsteller den Eigentümerbeschluss vom 17.02.2000 zu TOP 9 c nicht anfechten können. Denn dieser Beschluss enthalte keine positive Regelung, sondern lehnt die von den Antragstellern begehrte Änderung der Hausordnung ab. Hat ein Antrag in der Eigentümerversammlung keine Mehrheit gefunden, so liegt ein Nichtbeschluß vor, der keinerlei Wirkung hat und daher auch nicht der Anfechtung unterliegt (BayObLGZ 1996, 256 - FGPrax 1997, 19).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist aber der - zulässige - Antrag, die Gemeinschaft zu verpflichten, die Hausordnung dahin zu ändern, dass Kinderwagen im Flur hinter der Haustür nicht mehr abgestellt werden dürfen, unbegründet.

Die am 21.05.1985 beschlossene Hausordnung ist nicht angefochten worden. Sie ist daher grundsätzlich unwirksam, es sei denn, die Hausordnung verstieße gegen eine Rechtsvorschrift, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann (§ 23 Abs. 4 Satz 2 WEG). Die unter Ziffer II 3, 2. Halbsatz getroffene Regelung hinsichtlich des Abstellens von Kinderwagen, die von der Wohnungseigentümergemeinschaft als Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung nach 21 Abs. 3 und 5 Nr.1 WEG beschlossen werden konnte, ist indes nicht nichtig.

Ihr fehlt es inhaltlich nicht an der erforderlichen Bestimmtheit. Das Gericht der weiteren Beschwerd kann die Regelung der Hausordnung selbst auslegen und ist nicht auf eine begrenzte Auslegung durch den Tatrichter verwiesen, weil sie auch ohne Grundbucheintragung für und gegen Sondernachfolger gilt, § 10 Abs. 3 und 4 WEG. Sie ist wie eine Grundbucheintragung objektiv und normativ auszulegen, wobei Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses nur herangezogen werden dürfen, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGH NJW 1998, 3713, 3714; BayObLG ZMR 2000, 115).

Eine sinn- und zweckorientierte Auslegung der unter Ziffer II 3, 2. Halbsatz der Hausordnung getroffenen Regelung ist möglich. Die Hausordnung lässt insoweit eine durchführbare Regelung noch erkennen. Ein etwaiger Mangel in der hinreichenden Bestimmtheit beruht nicht auf inhaltlicher Widersprüchlichkeit, so dass er allenfalls zur Anfechtbarkeit hätte führen können, nicht jedoch zur Nichtigkeit dieser Bestimmung (vgl. BGH a.a.O. Seite 3716). Mit ihr ist bezüglich des Abstellens von Kinderwagen ersichtlich eine zwar zeitlich begrenzte, aber auch nicht zu kleinliche Regelung gewollt, offensichtlich in Anbetracht dessen, dass im Erdgeschoss keine andere Abstellmöglichkeit gegeben ist, andererseits aber ein vorübergehendes Abstellen eines Kinderwagens im Erdgeschoss selbstverständlich, sozial üblich und Element der Zweckbestimmung der Wohnanlage ist. Sie ist objektiv erforderlich, weil weder die Wohnungen noch die ihnen vorgelagerten Flure noch der im Kellergeschoss befindliche Abstellraum für Kinderwagen über einen Fahrstuhl zu erreichen sind. Es liegt auf der Hand, dass es für Eltern von Kleinkindern unzumutbar, wenn nicht gar unmöglich ist, den Kinderwagen nach jedem Ausgang in die Wohnung zu nehmen oder zunächst in den nur über eine Treppe zu erreichenden Keller zu transportieren und erst dann mit dem Kind die Wohnung aufzusuchen. Bei der Auslegung, was unter "vorübergehendes Abstellen" gemeint ist, sind aber insbesondere auch die Interessen der Eigentümer der Wohnungen im Erdgeschoss zu berücksichtigen, deren Wohnungszugänge wegen der vorgegebenen räumlichen Verhältnisse durch das Abstellen von Kinderwagen stark eingeengt werden. Darüber hinaus sind die Interessen aller Eigentümer insoweit berührt, weil sie bei dem Aufsuchen ihrer Kellerräume und der im Kellergeschoss liegenden Gemeinschaftsräume durch im Erdgeschoss abgestellte Kinderwagen in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, was sich insbesondere beim Transport sperriger Güter wie zB. Fahrräder auswirkt. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist Ziffer II 2 Halbsatz 2 der Hausordnung dahin auszulegen, dass die Kinderwagen nicht mehr als nötig, also nur vorübergehend und nicht dauernd im Flur abgestellt werden dürfen. Dies schließt es aus, dass ein Kinderwagen dort an Tagen steht, an denen er nicht gebraucht wird, aber auch, dass er dort in den Abendstunden und nachts untergestellt wird, weil es einerseits allen Bewohnern auch möglich sein muss, abends ihr Fahrrad oder anderer sperrige Güter ohne Behinderung durch herumstehende Kinderwagen in den Keller zu transportieren, und weil es auf der anderen Seite Eltern von Kleinkindern zuzumuten ist, zu dieser Tageszeit einen Transport der Kinderwagen in den Keller zu organisieren.

Die Regelung in Ziffer II, 3 der 1985 beschlossenen Hausordnung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) nichtig. Nach dieser Vorschrift, die auch auf Beschlüsse angewandt wird (vgl. Staudinger/Bub, WEG, 12. Aufl., § 23 Rn. 231; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 8. Aufl., § 23 Rn. 121), ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Vorliegend käme allenfalls ein von den Antragstellern geltend gemachter Verstoß gegen §§ 37, 38 BauO NRW in Betracht. Jedoch ist bei einem Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften § 134 BGB nicht anwendbar, weil deren Überwachung den Baubehörden obliegt, die etwaigen Verboten durch verwaltungsrechtliche Maßnahmen Nachdruck verleihen kann; daneben hat die zivilrechtliche Nichtigkeit keinen Platz (vgl. BGHZ 75, 366 [368]; Münch.Komm.- Mayer-Maly/Armbruster, BGB, 4. Aufl., § 134 Rn. 86; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 134 Rn. 16).

Es besteht kein Anlass, aus sonstigen Gründen, insbesondere wegen veränderter Umstände die Hausordnung abzuändern. Denn die tatsächlichen Verhältnisse haben sich seit der Beschlussfassung vom 21.05.1985 nicht geändert. Weder haben sich die räumlichen Verhältnisse geändert noch hat sich das Bedürfnis für eine Regelung über das Abstellen von Kinderwagen im Flur geändert. Eine Verpflichtung der Gemeinschaft zur Aufhebung von II 3, 2. Halbsatz der Hausordnung besteht daher nicht.

Da die Anträge der Beteiligten zu 1) insgesamt unbegründet sind, entspricht es der Billigkeit, ihnen die Gerichtskosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen, § 47 Satz 1 WEG. Im Hinblick auf die nach § 47 Satz 2 WEG zu treffende Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt der Senat der in Wohnungseigentumssachen anzuwendenden Regel, dass jeder Beteiligte seine Kosten zu tragen hat und eine Kostenerstattung nur ausnahmsweise stattfindet. Für eine Ausnahme fehlen vorliegend besondere rechtfertigende Gründe, zumal die Vorinstanzen die Rechtsfrage unterschiedlich beantwortet haben.

Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 48 Abs. 3 WEG.

Ende der Entscheidung

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