Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.04.2006
Aktenzeichen: 15 W 445/05
Rechtsgebiete: VBVG


Vorschriften:

VBVG § 5 Abs. 1 S. 1
Für die Berechnung des pauschalierten Zeitaufwandes nach § 5 Abs. 1 S. 1 VBVG ist auch bei der Übernahme einer bisher ehrenamtlich geführten Betreuung durch einen Berufsbetreuer auf den Zeitpunkt des erstmaligen Wirksamwerdens der Beteuerbestellung abzustellen (wie OLG München BtPrax 2006, 73 und OLG Schleswig OLGR 2006, 201).
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 445/05 OLG Hamm

In der Betreuungssache

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 11.04.2006 auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) vom 06.12.2005 gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 16.11.2005

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Verfahrens dritter Instanz wird auf 250,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 20. 02. 2004 bestellte das Amtsgericht die Tochter des Beteiligten zu 1) zur vorläufigen Betreuerin. Das Gericht ordnete die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Mit weiterem Beschluss vom 16. 07. 2004 bestätigte das Gericht die Bestellung der Tochter zur Betreuerin auch in der Hauptsache. Auch bezüglich dieser Entscheidung ordnete das Gericht die sofortige Wirksamkeit an. Mit Beschluss vom 21. 02. 2005 entließ das Gericht die Tochter aus dem Amt der Betreuerin und bestellte den Beteiligten zu 2) zum neuen Betreuer, der die Betreuung nach der Entscheidung berufsmäßig führt. Auch bezüglich dieser Entscheidung ordnete das Gericht die sofortige Wirksamkeit an.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Anspruch des Beteiligten zu 2) auf Vergütung und Aufwendungsersatz für seine Tätigkeit in der Zeit vom 01.07. bis 30.09.2005.

Der Beteiligte zu 2), der nach den Feststellungen des Landgerichts über die berufliche Qualifikation eines Dipl.Sozialpädagogen verfügt, beansprucht gemäß seinem Antrag vom 02.10.2005 insgesamt einen Betrag von 580,07 € ausgehend von einem Stundensatz von 44,-- € und einem pauschalierten Zeitaufwand von 13,2 Stunden. Insoweit geht er bei seinem Antrag davon aus, dass der zu vergütende Zeitaufwand im Rahmen des § 5 des Gesetzes über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (VBVG) danach zu bestimmen ist, wann er zum Betreuer bestellt worden ist.

Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 05.10.2005 die Vergütung einschließlich des pauschalierten Aufwendungsersatzes für die Tätigkeit des Beteiligten zu 2) in der Zeit vom 01.07.2005 bis 30.09.2005 auf 330,-- € festgesetzt(44,-- € x 2,5 Stunden x 3). Nach Auffassung des Amtsgerichtes ist für den zu vergütenden Zeitaufwand im Sinne des § 5 VBVG die erstmalige Anordnung einer Betreuung maßgeblich. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichtes hat der Beteiligte zu 2) rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt. Diese hat das Landgericht zurückgewiesen und hierbei die sofortige weitere Beschwerde zugelassen, die der Beteiligte zu 2) durch Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten hat einlegen lassen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerden ist nach den §§ 56 g Abs. 5 S. 2, 27, 29 FGG infolge Zulassung durch das Landgericht statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.

In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil die Entscheidung des mit einer zulässigen Erstbeschwerde befasst gewesenen Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 S. 1 FGG.

Der dem Betreuer zu vergütende Zeitaufwand ist aufgrund der Neuregelung durch das 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz zum 1.7.2005 nach einem pauschalierten Stundenansatz zu bestimmen (§ 5 VBVG). Dieser beträgt nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift für einen nicht mittellosen Betreuten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat, in den ersten drei Monaten der Betreuung fünfeinhalb Stunden monatlich. Im vierten bis sechsten Monat verringert sich der monatliche Stundenansatz auf viereinhalb, im siebten bis zwölften Monat auf vier Stunden. Für anschließende Zeiträume ist der Zeitaufwand mit zweieinhalb Stunden im Monat anzusetzen. Den zuletzt genannten Stundenansatz haben die Vorinstanzen der Vergütung zugrunde gelegt.

Die zu treffende Entscheidung hängt damit wesentlich davon ab, ob hinsichtlich der Dauer der Betreuung auf die erstmalige Einrichtung abzustellen ist, oder auch andere Anknüpfungspunkte, wie etwa der Wechsel von einem ehrenamtlichen Betreuer zu einem Berufsbetreuer, in Betracht kommen. Zu dieser Frage hat zwischenzeitlich der 33.Zivilsenat des OLG München (Beschluss vom 29.02.2006 - 33 Wx 237/05-; BtPrax 2006, 73f) Folgendes ausgeführt:

"b) Bereits der Gesetzeswortlaut legt die Auslegung nahe, dass hierbei - ebenso wie für die jeweiligen Stundenansätze in den übrigen Fallkonstellationen des § 5 VBVG - auf den Lauf der Betreuung als solcher abzustellen ist, unabhängig davon, ob diese von Anfang an von dem anspruchstellenden Betreuer geführt wurde (ebenso Schleswig-Holst. OLG Beschluss vom 25.1.2006 - 2 W 240/05 - < zwischenzeitlich veröffentlicht in OLGR 2006, 201 >; Palandt/Diederichsen BGB 65. Aufl. Anh. zu § 1836 - § 5 VBVG Rn. 6 f.)

c) Auch die Systematik des Gesetzes zwingt nicht etwa dazu, demgegenüber erst den Zeitpunkt der Übernahme der Betreuung durch einen Berufsbetreuer für maßgebend zu halten (a. A. Deinert JurBüro 2005, 285/286 und BtPrax Spezial 2005, 13/15). Zwar regeln die Vorschriften des VBVG den Vergütungs- bzw. Aufwendungsersatz berufsmäßig tätiger Vormünder und Betreuer. Das schließt aber nicht denknotwendig aus, hierbei mit der Dauer der Betreuung an ein Merkmal anzuknüpfen, das insoweit "neutral" ist, d. h. auch bei zuvor ehrenamtlicher Führung der Betreuung erfüllt sein kann.

d) Für diese Auslegung spricht auch der Zweck der Neuregelung. Der Gesetzgeber wollte mit einer konsequenten Pauschalierung des Zeitaufwandes für die Betreuung ein "einfaches, Streit vermeidendes und an der Realität orientiertes, für die Betreuer auskömmliches Abrechnungssystem" schaffen (Bericht des BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. 15/4874 S. 73). Das nunmehr eingeführte System, das nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes keine Ausnahmen durch Einzelfallbetrachtung zulassen soll, beruht auf einer im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz durchgeführten rechtstatsächlichen Untersuchung des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) unter Auswertung von mehr als 1.800 Betreuungsakten. Dieser wurde u. a. die nahe liegende Erkenntnis entnommen, dass im Regelfall der Betreuungsaufwand, nach Spitzenwerten während der ersten drei Monate, kontinuierlich und stark abnimmt, wobei in den Phasen vom vierten bis sechsten Monat, vom siebten bis zwölften Monat und ab dem zweiten Jahr jeweils merkliche Verringerungen festzustellen sind (BT-Drs. 15/2494 S. 31 ff.).

Dieser Erfahrungswert ist im Grundsatz auch dann zu unterstellen, wenn die Betreuung, was das Gesetz in § 1836 Abs. 1, § 1908i Abs. 1 BGB schließlich als typisch voraussetzt, zunächst ehrenamtlich geführt wird.

Der Wechsel von einem ehrenamtlichen zu einem Berufsbetreuer wird vor allem in zwei Fallkonstellationen in Betracht kommen: Der ehrenamtliche Betreuer ist mit seinem Amt überfordert bzw. übt dieses missbräuchlich aus; durch Tod oder langfristige Verhinderung eines ehrenamtlichen Betreuers wird eine Neubestellung erforderlich, für die aus tatsächlichen Gründen nur ein berufsmäßiger Betreuer in Betracht kommt.

Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass in der ersten Fallgruppe vielfach ein höherer Zeitaufwand für den Betreuer notwendig sein wird, um zuletzt ungeordnet gebliebene Verhältnisse in den Griff zu bekommen (vgl. Deinert a.a.O.). Soweit etwaige Haftungsansprüche gegen den früheren Betreuer geltend zu machen sind, müssen diese allerdings nicht zwangsläufig mit dem Zeitkontingent des § 5 VBVG abgegolten sein, weil ein anwaltlicher Betreuer insoweit Aufwendungsersatz über § 1835 Abs. 3 BGB geltend machen und ein sonstiger Berufsbetreuer einen Rechtsanwalt beauftragen kann.

Aber schon die zweite Fallgruppe zeigt, dass nicht jeder Wechsel von der ehrenamtlichen zur berufsmäßigen Betreuung mit einer überdurchschnittlichen zeitlichen Belastung des neuen Betreuers verbunden sein muss. Bereits hieran wird deutlich, wie problematisch es sein kann, die Forderung nach Ausnahmen vom gesetzlichen Regelfall schlüssig zu begründen.

Eine solche Ausnahme entspräche aber auch nicht dem aus der Gesetzesbegründung zu erschließenden gesetzgeberischen Willen. Im Entwurf des Bundesrates (BT-Drs. 15/2494 S. 34) ist zu den vorgeschlagenen Vorschriften, die als § 5 Abs. 1 und 2 VBVG im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmend Gesetz geworden sind, ausgeführt:

"Um den mit der Pauschalierung verfolgten Zweck der Vereinfachung und Streitvermeidung nicht zu vereiteln, müssen Ausnahmen von dem vorgeschlagenen Pauschalierungsmodell so weit wie möglich begrenzt werden. Zudem sind in den vom ISG ausgewerteten Akten die Fälle besonderer Betreuungssituationen enthalten und somit in die gebildeten Pauschalen eingeflossen. Aus den oben dargestellten Gründen enthält der Entwurf im Fall eines Betreuerwechsels keine Ausnahme von dem vorgeschlagenen Pauschalierungsmodell. Der mit einem Betreuerwechsel regelmäßig einhergehende Mehrbedarf ist in den vom ISG erhobenen Zahlen enthalten. Maßgebend für die Anwendung der Pauschalen ist daher die erstmalige Bestellung eines Betreuers. Dies soll auch dann gelten, wenn es sich hierbei um einen ehrenamtlichen Betreuer handelt und später ein Berufsbetreuer bestellt wird. Geschieht dies z. B. im 3. Jahr einer Betreuung, kann der Berufsbetreuer nur die Pauschale für den Zeitraum ab dem 2. Jahr beanspruchen."

Damit ist auch nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Wechsel von einem ehrenamtlichen Betreuer zu einem Berufsbetreuer wie ein Übergang von einem Berufsbetreuer zu einem anderen zu behandeln und führt nicht zu einer Neuorientierung hinsichtlich der Grundlage des monatlichen Stundenansatzes.

e) Es besteht im Lichte dieser Erwägungen auch kein Anlass, durch eine teleologische Auslegung des Gesetzes einem vermeintlich anderen Gesetzeszweck oder einer abweichenden Absicht des Gesetzgebers Geltung zu verschaffen. Zweck der höheren Stundenansätze im ersten Betreuungsjahr ist zwar der Ausgleich der Mehrarbeit des Betreuers in diesem Jahr. Wenngleich bei von anderen Betreuern übernommenen Betreuungen vielfach ein höherer Zeitaufwand erforderlich ist als bei Betreuungen, in die der Betreuer bereits eingearbeitet ist, wurde jedoch dieser Mehrbedarf ausweislich der Gesetzesmaterialien bereits bei den dem Gesetz zu Grunde liegenden Erhebungen berücksichtigt. Eine Möglichkeit, ausnahmsweise einen außergewöhnlich hohen Zeitaufwand des Betreuers in besonderen Fallkonstellationen zu berücksichtigen, sieht das Gesetz nicht vor. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass auch die Erweiterung des Aufgabenkreises für ein und denselben Betreuer nicht zu einem erhöhten Zeitansatz führt, obwohl sie zeitlichen Mehraufwand bedeuten kann, der einer Erstbetreuung kaum nachsteht.

f) Der Senat vermag darin auch keinen Verstoß gegen Art 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu erkennen. Ein gesetzlicher Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung setzt voraus, dass die Regelung durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfGE 61, 291/312 m.w.N.; 76, 196/207; 82, 18/28; 83, 1/16). Die Pauschalierung der Betreuervergütung ohne Ausnahmen ist nicht zuletzt durch das Bestreben gerechtfertigt, einer übermäßigen Belastung der Länderhaushalte entgegenzuwirken und die berufsmäßigen Betreuer wie die Gerichte von zeitaufwändiger Abrechnungs- bzw. Überprüfungstätigkeit zu entlasten. Die Neuregelung erscheint auch verhältnismäßig. Der Gesetzgeber hat die Stundenansätze des § 5 VBVG nicht willkürlich, sondern auf Grund empirischer Erhebungen festgesetzt und hierbei umfassend alle Schwierigkeitsgrade berücksichtigt sowie auch auf die Auskömmlichkeit der Vergütung Bedacht genommen. ... "

Der Senat schließt sich der Auffassung des Oberlandesgerichts München an. Es kann nach dem Inhalt der Gesetzesmaterialien nicht zweifelhaft sein, dass der Gesetzgeber eine klare, einfach zu handhabende Regelung schaffen wollte, die einen Ausgleich von Besonderheiten des Einzelfalls (hier: den zusätzlichen Zeitaufwand des Berufbetreuers für die Übernahme einer bisher ehrenamtlich geführten Betreuung) nur innerhalb des in sich geschlossenen Systems der Zeitpauschalen zulässt, insbesondere den Berufsbetreuer darauf verweist, im Wege der Mischkalkulation in der Gesamtzahl der von ihm geführten Betreuungen eine angemessene Vergütung zu erzielen.

Wie das OLG München hat auch der Senat keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Regelung. Vergütungsregelungen und hierauf gründende Entscheidungen, die auf die Einnahmen, welche durch eine berufliche Tätigkeit erzielt werden können, und damit auch auf die Existenzerhaltung von nicht unerheblichem Einfluss sind, greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein (BVerfG NJW-RR 2000, 1241f). Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur dann mit Art. 12 Abs.1 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird (BverfG a.a.O.). Die aus Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Beschränkungen des Grundrechts stehen unter dem Gebot der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Wie das BVerfG in der o.a. Entscheidung (hinsichtlich der Stundensatzstufen des BVormVG) ausgeführt hat, handelt es sich bei einer Pauschalisierung, die dazu dient, den Berufsbetreuern klare Maßstäbe für eine einfach zu berechnende und damit im Vorhinein kalkulierbare Vergütung an die Hand zu geben und hiermit zugleich die Gerichte von aufwändigen Festsetzungsverfahren und sich anschließenden Rechtsmittelverfahren zu entlasten, um eine legitime, im öffentlichen Interesse liegende Zielsetzung. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber hierbei seinen weiten Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Regelung überschritten hat, vermag auch der Senat nicht zu erkennen.

Die Wertfestsetzung für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde beruht auf den §§ 131 Abs. 2 30 Abs. 1 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück