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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.04.2004
Aktenzeichen: 15 W 74/04
Rechtsgebiete: GG, FGG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
FGG § 20 Abs. 1
BGB § 1896
BGB § 1904
1) Die Bejahung eines fortwirkendes Rechtsschutzinteresses an der Feststellung der Rechtswidrikgkeit einer erledigten betreuungsrechtlichen Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes setzt einen tatsächlich erfolgten Eingriff in Grundrechtspositionen des Betroffenen voraus.

2) Kommt es im Ergebnis nicht zu einem Eingriff in eine Grundrechtsposition des Betroffenen, weil die betreuungsrechtliche Maßnahme (hier: Genehmigung einer Bluttransfusion) tatsächlich nicht durchgeführt wird, ist eine feststellende Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit der Maßnahme ausgeschlossen.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 74/04 OLG Hamm

in der Betreuungssache

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 01. April 2004 auf die weitere Beschwerde der Betroffenen vom 06. Februar 2004 gegen den Beschluß der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 03. Dezember 2003

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Betroffene gehört seit ihrer Kindheit der Glaubensgemeinschaft der A an. Ende Juni 2003 begab sie sich zur Durchführung einer Hüftpfannenwechseloperation in die T in H. Bei ihrer Aufnahme legte sie eine von ihr unter dem Datum vom 26.05.2003 durch Ausfüllen eines Vordrucks errichtete und notariell beglaubigte Patientenverfügung vor, in der sie ihrer Glaubensüberzeugung folgend Transfusionen von Vollblut oder irgendeinem der Hauptbestandteile des Blutes ausschloß. Ferner errichtete sie am 22.06.2003 ebenfalls unter Verwendung eines Vordrucks eine schriftliche Patientenverfügung mit Betreuungsvollmacht, in der sie die derselben Glaubensgemeinschaft angehörenden Herren G und X in H zur Wahrnehmung der Gesundheitsfürsorge für den Fall bevollmächtigte, daß sie zur Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts selbst nicht mehr in der Lage sein sollte, und zwar u.a. mit der Maßgabe, daß die Bevollmächtigten für die Beachtung ihrer Anweisungen entsprechend ihren Glaubensüberzeugungen durch Ärzte und medizinisches Personal Sorge tragen sollten. Schließlich erklärte die Betroffene in dem vor der Operation durchgeführten Aufklärungsgespräch am 25.06.2003, das schriftlich dokumentiert wurde, auf keinen Fall - auch nicht im Notfall - eine Übertragung von Blut bzw. Blutbestandteilen zu wünschen; erlaubt sei lediglich das sog. Cell-Saver-Verfahren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Erklärungen der Betroffenen wird auf die zu den Akten gelangten Kopien Bezug genommen.

Nach Durchführung der Operation kam es bei der Betroffenen zu Komplikationen, die aus ärztlicher Sicht Bluttransfusionen dringend angezeigt erscheinen ließen. Die Betroffene wurde in ein künstliches Koma versetzt und beatmet, um den Sauerstoffverbrauch gering zu halten. Der behandelnde Arzt Dr. T teilte am 30.06.2003 telefonisch dem Amtsgericht mit, eine Behandlung mit Ersatzstoffen sei nicht mehr ausreichend, spätestens am 01.07.2003 müsse darüber entschieden werden, ob eine Bluttransfusion vorgenommen werde, ohne die aus medizinischer Sicht eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Betroffenen bis zum Tod wahrscheinlich sei.

Das Amtsgericht hat am 01.07.2003 den behandelnden Arzt, die für die Betroffene zur Verfahrenspflegerin bestellte Rechtsanwältin G, die für die Gesundheitsfürsorge bevollmächtigten Herren G und X sowie den Ehemann und die Kinder der Betroffenen angehört. Die Bevollmächtigten haben sich gegen die Durchführung von Bluttransfusionen ausgesprochen. Durch Beschluß vom 01.07.2003 hat das Amtsgericht den "Antrag der Vorsorgebevollmächtigten G und X auf vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Verweigerung einer Bluttransfusion durch die behandelnden Ärzte der T zurückgewiesen", und "klargestellt, daß damit die zur Durchführung der Bluttransfusion erforderliche Einwilligung als erteilt gilt." Die Formulierung des Beschlußtenors beruht auf den Grundsätzen des Beschlusses des BGH vom 17.03.2003 (u.a. veröffentlicht in NJW 2003, 1588), die das Amtsgericht auch auf den vorliegenden Fall für anwendbar gehalten hat.

In den folgenden Tagen verbesserte sich der Gesundheitszustand der Betroffenen in der Weise, daß eine Bluttransfusion nicht durchgeführt worden ist.

Gegen den Beschluß des Amtsgerichts haben die Betroffene sowie die Bevollmächtigten G und X mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 11.07.2003 Beschwerde eingelegt. Nach entsprechendem Hinweis haben sie geltend gemacht, auch nach Eintritt der Erledigung der Hauptsache müsse ein Rechtsschutzinteresse zur Überprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung bejaht werden.

Das Landgericht hat durch Beschluß vom 03.12.2003 das Rechtsmittel aller drei Beschwerdeführer als unzulässig verworfen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1), die sie mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 06.02.2004 bei dem Oberlandesgericht eingelegt hat. Sie rügt die Verwerfung ihrer Erstbeschwerde als unzulässig und beantragt die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

II.

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten folgt bereits daraus, daß das Landgericht ihre erste Beschwerde als unzulässig verworfen hat.

In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil das Landgericht die erste Beschwerde der Betroffenen zu Recht als unzulässig erachtet hat.

Bereits die erste Beschwerde der Betroffenen ist zu einem Zeitpunkt eingelegt, nachdem aus medizinischer Sicht eine Bluttransfusion nicht mehr erforderlich war, die dann auch nicht mehr durchgeführt worden ist. Das Rechtsmittel konnte danach weder der Beendigung einer bereits durchgeführten noch der Abwehr einer bevorstehenden Bluttransfusion dienen, die durch die Entscheidung des Amtsgerichts ermöglicht worden ist. Die betreuungsrechtliche Maßnahme ist dadurch zu keinem Zeitpunkt wirksam geworden und kann auch nicht mehr wirksam werden. Eine Sachentscheidung des Beschwerdegerichts, die in irgendeiner Weise die Wirksamkeit der betreuungsrechtlichen Maßnahme beeinflussen könnte, kann deshalb nicht mehr ergehen; es ist eine Erledigung der Hauptsache eingetreten. Davon geht auch die Betroffene selbst aus. Nach herkömmlicher Rechtsprechung schließt im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Eintritt der Erledigung der Hauptsache eine Sachentscheidung aus. Die Fortsetzung des Verfahrens zum Zwecke der Feststellung der Rechtswidrigkeit der getroffenen Maßnahme ist ausgeschlossen. Ein nach Eintritt der Erledigung der Hauptsache eingelegtes Rechtsmittel ist als unzulässig zu verwerfen (vgl. Keidel/Kahl, FG, 15. Aufl., § 19 Rdnr. 85 f., m.w.N.).

Das BVerfG hat in einer Reihe jüngerer Entscheidungen (NJW 1997, 2163; 1998, 2131; 1998, 2432) unter gleichzeitiger Aufgabe seiner früheren gegenteiligen Rechtsprechung hervorgehoben: "Die in Art. 19 IV GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes verbietet es den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel ineffektiv zu machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" zu lassen. Hiervon muß sich das Rechtsmittelgericht bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob im jeweiligen Einzelfall für ein nach der Prozeßordnung statthaftes Rechtsmittel ein Rechtsschutzinteresse besteht. Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur solange als gegeben ansehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzinteresse aber auch in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, daß der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen." Das BVerfG hat diese Rechtsprechung fortgeführt, indem es bei Freiheitsentziehungen in der Form der Abschiebungshaft (§ 57 AuslG) einen Anspruch des Betroffenen auf eine nachträglich feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme auch aus seinem Rehabilitierungsinteresse abgeleitet hat (NJW 2002, 2456). Schließlich hat das BVerfG (NJW 2002, 206) das Interesse einer der Glaubensgemeinschaft der A angehörenden Betroffenen an einer nachträglichen Überprüfung einer Bestellung ihres Ehemannes zum vorläufigen Betreuer bejaht, in deren Folge es aufgrund der durch den Betreuer erklärten Einwilligung zu mehreren Bluttransfusionen gekommen war.

Im vorliegenden Fall liegt indessen keine Konstellation vor, in der das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes die Bejahung eines Rechtsschutzinteresses der Betroffenen an einer nachträglichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der betreuungsrechtlichen Maßnahme gebietet. Entgegen der Auffassung der weiteren Beschwerde hat ein tiefgreifender Eingriff in Grundrechtspositionen der Betroffenen nicht stattgefunden. Dieser ergibt sich nicht allein daraus, daß das Amtsgericht am 01.07.2003 eine betreuungsrechtliche Maßnahme erlassen hat, die im Ergebnis darauf abzielt, eine rechtliche Grundlage für die Durchführung von Bluttransfusionen bei der Betroffenen zu schaffen. Denn nicht bereits der Erlaß dieser Entscheidung allein greift in die Grundrechte der Betroffene ein, weil diese sich in ihren beabsichtigten rechtlichen Wirkungen auf eine Ermächtigung beschränkt, bei der Betroffenen Bluttransfusionen als medizinische Behandlungsmaßnahme durchzuführen. Deshalb beeinträchtigt erst die tatsächliche Durchführung von Bluttransfusionen Grundrechtspositionen der Betroffenen, also die Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts auf der Grundlage ihrer religiösen Glaubensüberzeugung.

In der genannten Rechtsprechung des BVerfG ist bislang ein aus dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes abgeleitetes besonderes Feststellungsinteresse des Betroffenen jeweils nur in Fällen bejaaht worden, in denen Maßnahme mit Eingriffscharakter tatsächlich durchgeführt worden waren, also etwa eine Wohnungsdurchsuchung vorgenommen (NJW 1997, 2163; NJW 1998, 2131), eine freiheitsentziehende Unterbringung bzw. Haftanordnung vollzogen (NJW 1998, 2432; NJW 2002, 2456) oder auf betreuungsrechtlicher Grundlage eine Bluttransfusion tatsächlich durchgeführt worden war (NJW 2002, 206). Nach Auffassung des Senats muß das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes eine Entsprechung finden in einer effektiven Grundrechtsbeeinträchtigung des Betroffenen. Solange eine gerichtliche Maßnahme keine nachteilige Wirkung auf Grundrechtspositionen des Betroffenen erlangt hat und auch nicht mehr erlangen kann, besteht kein durch Art. 19 Abs. 4 GG zwingend vorgegebenes Bedürfnis, über bisher anerkannte Verfahrensgrundsätze hinausgehend ein Rechtsschutzbedürfnis für eine weitergehende gerichtlichen Überprüfung bereits erledigter Maßnahmen zu bejahen. Dementsprechend kann auch der Versuch der weiteren Beschwerde darzulegen, die vom Amtsgericht angeordnete Betreuungsmaßnahme stelle sich in der Sache als rechtswidriger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen dar, den im Gesetz nicht vorgesehenen Rechtsmittelzug nicht eröffnen, solange eine effektive Beeinträchtigung einer Grundrechtsposition der Betroffenen nicht erfolgt ist.

Die vom Amtsgericht getroffene betreuungsrechtliche Maßnahme hat ausschließlich fürsorgenden, jedoch keinerlei Sanktionscharakter. Einem Rehabilitierungsinteresse, das nach Auffassung des BVerfG bei einem Freiheitsverlust durch Inhaftierung indiziert wird (NJW 2002, 2456, 2457), kommt deshalb in dem hier vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zu. Darüber hinaus hat das Landgericht auch eine greifbare Wiederholungsgefahr mit der Erwägung verneint, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß die Betroffene in absehbarer Zeit aufgrund im Wesentlichen unveränderter tatsächlicher und rechtlicher Verhältnisse in eine Lebenssituation geraten könne, in der sie wiederum mit einer gleichartigen Maßnahme rechnen müsse. Der Senat hält diese Erwägung, die auch von der weiteren Beschwerde nicht angegriffen wird, für zutreffend.

Diese Beurteilung des Rechtsschutzinteresses entspricht inhaltlich derjenigen, die der Senat anderweitig bereits in einer Abschiebungshaftsache (Beschluß vom 22.12.2003 - 15 W 437/03 -) vorgenommen hat. Dort hat er die Zulässigkeit eines Rechtsmittels verneint, das sich gegen eine über den Abschiebungstermin hinausgehenden Haftzeitbestimmung richtete, nachdem im Hinblick auf die tatsächlich erfolgte Abschiebung die Haft über diesen Termin hinaus nicht vollzogen worden und insoweit ein Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen nicht erfolgt war.

Es bleibt daher bei der Unzulässigkeit der ersten Beschwerde der Betroffenen. Dies führt dazu, daß sich der Senat einer sachlichen Überprüfung der Entscheidung des Amtsgerichts zu enthalten hat.

Eine Wertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde ist im Hinblick auf § 131 Abs. 3 KostO nicht veranlaßt.

Ende der Entscheidung

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