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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.10.2003
Aktenzeichen: 15 W 78/03
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB § 1934 d a.F.
EGBGB Art. 227 Abs. 1
Eine bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die erbrechtliche Gleichstellung nichtehelicher Kinder mögliche Vereinbarung über einen vorzeitigen Erbausgleich konnte auch das volljährige nichteheliche Kind wirksam erst mit der Vollendung des 21. Lebensjahres abschließen.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 78/03 OLG Hamm

In der Nachlasssache

betreffend die Erteilung eines Erbscheins nach dem am 07.06.2002 mit seinem letzten Wohnsitz in Dülmen verstorbenen Herrn ...

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 7. Oktober 2003 auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 11. Februar 2003 gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 28. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Engelhardt und Lohmeyer

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Vorbescheid des Amtsgerichts Dülmen vom 7. August 2002 werden aufgehoben.

Das Amtsgericht wird angewiesen, den am 19. Dezember 2002 zugunsten der Beteiligten zu 1) erteilten Erbschein einzuziehen.

Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.

Der Geschäftswert wir auf 125.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Erblasser war mit der am 15. März 1998 vorverstorbenen Frau ... verheiratet. Die Beteiligte zu 1) ist das (einzige) eheliche Kind des Erblassers, die am 9. September 1969 geborene Beteiligte zu 2) dessen nichteheliche Tochter.

Am 2. Juli 1990 schlossen der Erblasser und die Beteiligte zu 2) "zur Regelung des vorzeitigen Erbausgleichs gem. § 1934 d BGB" die nachfolgende notariell beurkundete Vereinbarung:

"Der Erschienene zu 1) [d.h. der Erblasser] hat an die Erschienene zu 2) [d.i. die Beteiligte zu 2)] zur Erfüllung des vorzeitigen Erbausgleichs bereits einen Betrag von 50.000 DM geleistet.

Die Erschienene zu 2) erklärt sich mit der Zahlung dieses Betrages als endgültige Erfüllung ihres vorzeitigen Erbausgleiches einverstanden.

Die Rechtswirkungen des vorzeitigen Erbausgleichs sind den Beteiligten bekannt

Die Kosten dieser Verhandlung trägt der Erschienene zu 1)."

Nach dem Tod des Erblassers beantragte die Beteiligte zu 1) zu notarieller Urkunde) vom 25. Juni 2002 die Erteilung eines Erbscheins, der sie als die alleinige Erbin nach ihrem Vater ausweist.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 7. August 2002 angekündigt, den Erbschein antragsgemäß zu erteilen, wenn nicht binnen einer Frist von zwei Wochen gegen den Vorbescheid Beschwerde eingelegt werde. Hiergegen hat die Beteiligte zu 2) Beschwerde eingelegt, mit der sie geltend gemacht hat, die Vereinbarung vom 25. Juli 1990 sei unwirksam, weil sie seinerzeit noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet gehabt habe. Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 28. November 2002 zurückgewiesen.

Am 19. Dezember 2002 hat das Amtsgericht entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 1) einen Erbschein erteilt.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 11. Februar 2003 hat die Beteiligte zu 2) gegen die Entscheidung des Landgerichts weitere Beschwerde eingelegt. Die Beteiligte zu 1) ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.

II.

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft und in der rechten Form eingelegt worden. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) folgt aus der Zurückweisung ihrer Erstbeschwerde. Die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde wird nicht dadurch berührt, dass das Amtsgericht auf die Entscheidung des Landgerichts hin mittlerweile der Beteiligten zu 1) einen Erbschein erteilt hat. Nach Erteilung eine Erbscheins wird der Vorbescheid als reine Zwischenentscheidung zwar gegenstandslos. Gleichwohl kann in einem solchen Fall das Rechtsmittel mit dem Ziel der Einziehung des erteilten Erbscheins (§ 2361 BGB) weitergeführt werden (vgl. Keidel/Winkler, FG, 15. Aufl., § 84, Rn. 2 m.w.N.).

In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 FGG iVm § 546 ZPO.

Das Landgericht hat im Kern ausgeführt, der notarielle Vertrag vom 2. Juli 1990 sei wirksam. Dabei könne es dahinstehen, ob ein Vertrag nach § 1934 d BGB a.F. einvernehmlich außerhalb der dort genannten Altersgrenzen geschlossen werden könne. Jedenfalls sei der Vertrag als Erbverzichtsvertrag nach §§ 2346 ff BGB wirksam.

Diesen Ausführungen folgt der Senat nicht. Bis zum 1. April 1998 war das nichteheliche Kind beim Tod seines Vaters nicht dessen Erbe, wenn es Miterbe neben den ehelichen Kindern des Vaters oder dessen Ehefrau wurde. In diesen Fällen hatte es lediglich einen Erbersatzanspruch gemäß der durch Art. 1 Nr. 88 des Gesetzes über die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder vom 19. August 1969 (NEhelG; BGBl. I S. 1243) mit Wirkung vom 1. Juli 1970 eingeführten Regelung in § 1934 a BGB (das NEhelG hatte das bis dahin geltende Recht geändert, das dem "unehelichen Kind jeden Erb- und Pflichtteilsanspruch versagt hatte). Die Vorschrift des § 1934 a BGB ist durch das Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder vom 16. Dezember 1997 (BGBl. 1997 I, S. 2968) für die seit dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder beseitigt worden, die seitdem den ehelichen Kindern gleichgestellt sind. Nach Art. 227 Abs. 1 EGBGB sind aber die bis zum 1. April 1998 geltenden Vorschriften über das Erbrecht des nichtehelichen Kindes weiter anzuwenden, wenn (1.) der Erblasser vor diesem Stichtag gestorben ist oder (2.) über den Erbausgleich eine wirksame Vereinbarung getroffen oder der Erbausgleich durch rechtskräftiges Urteil zuerkannt worden ist. Die Beteiligte zu 1) ist daher nur dann Alleinerbin ihres Vaters geworden, wenn der notarielle Vertrag vom 2. Juli 1990 eine wirksame Vereinbarung über den Erbausgleich enthält (§ 1934 d BGB a.F.) oder als ein Erbverzichtsvertrag ausgelegt werden kann (§ 2346 BGB).

Nach § 1934 d Abs. 1 BGB a.F. war ein nichteheliches Kind, welches das 21., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hatte, berechtigt, von seinem Vater an Stelle des Erbersatzanspruchs einen vorzeitigen Erbausgleich in Geld zu verlangen, um den nichtehelichen Kindern die Möglichkeit des Ausgleichs eines den ehelichen Kindern gegenüber bestehenden generellen Lebensdefizits zu geben (vgl. BGH FamRZ 1986, 259, 261). Dabei war der Gesetzgeber von der Erwägung ausgegangen, dass es für das Kind oft wertvoller und auch richtiger ist, in der Zeit, in der es sein Berufsleben beginnt oder eine Ehe gründet, eine Starthilfe zu bekommen (vgl. Bericht des Rechtsausschusses zu Nr. 82 BT-Drucks. V/4179). Die Vorschrift war, als mit dem Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31. Juli 1974 das Volljährigkeitsalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt worden war, zum Schutz des Minderjährigen nicht geändert worden. Die Bundesregierung hatte in Artikel 1 unter Ziffer 11 ihres Gesetzentwurfes zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters (BT-Drucks. VI/3450 S. 2, 9) noch vorgesehen, auch in § 1934 d BGB den Zeitpunkt, von dem an das nichteheliche Kind den vorzeitigen Erbausgleich verlangen konnte, von 21 Jahren auf das neue Volljährigkeitsalter von 18 Jahren zu senken. Hiergegen hatte sich der Bundesrat mit der Begründung ausgesprochen, die Möglichkeit, einen vorzeitigen Erbausgleich schon mit 18 Jahren zu fordern, würde darauf hinauslaufen, dass er in der Mehrzahl der Fälle vor dem Eintritt in das Berufsleben verlangt werden könnte, womit der Sinn dieser Einrichtung verfehlt würde, weil die Zahlung nicht als Starthilfe für den Beruf verwendet, sondern häufig verschleudert würde (BT-Drucks. VI/3450 S. 31, 32 und 7/117, S. 31 f). Dem hatte sich der Rechtsausschuss angeschlossen (BT-Drucks. 7/1762 S. 6) und geltend gemacht, es bestehe kein notwendiger Zusammenhang zwischen Volljährigkeitsalter und Mindestalter des nichtehelichen Kindes für die Geltendmachung des vorzeitigen Erbausgleichs. Daraufhin wurde vom Bundestag keine Änderung des § 1934d BGB vorgenommen. Obwohl das Kind mit 18 volljährig geworden ist, war es ihm mit Rücksicht auf seine geringe Lebenserfahrung und der weitreichenden Folgen für sich und seine Abkömmlinge nicht gestattet, schon vor dem 21. Geburtstag den vorzeitigen Erbausgleich zu verlangen (vgl. zu allem Bosch in der Festschrift für Schiedermair, 1976, S. 51, 58 ff).

Der durch das Volljährigkeitsgesetz 1974 vom Gesetzgeber bewusst nicht veränderte § 1934 d BGB ist daher so zu verstehen, dass das nichteheliche Kind - weiterhin - einen vorzeitigen Erbausgleich wirksam erst ab Vollendung des 21. Lebensjahres verlangen können sollte. Wollte man die Vorschrift dahin auslegen, dass das nichteheliche Kind die Vereinbarung bereits mit Eintritt der Volljährigkeit, d.h. mit 18 Jahren abschließen konnte, es aber erst mit 21 Jahren den Anspruch auf vorzeitigen Erbausgleich geltend machen konnte, so würde dies dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, der dahin ging, zum Schutz des Minderjährigen vor einem voreiligen Verlangen die Vorschrift des § 1934 d BGB von der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters herauszunehmen.

Da vorliegend das Verlangen der Beteiligten zu 2) vor der Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt war, war es verfrüht. Es ist deshalb unwirksam und ist nicht etwa zum frühestmöglichen Zeitpunkt gültig geworden (so zutreffend Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl., § 1934 d Rn. 12; Erman/Schlüter, BGB, 10. Aufl., § 1934 d Rn. 15; MünchKommBGB/Leipold, 3. Aufl., § 1934 d Rn. 13; Staudinger/Werner, BGB, 13. Bearbeitung, § 1934 d Rn. 13; Palandt/Edenhofer, BGB, 55. Aufl., § 1934 d Rn. 7; Bosch aaO.). Daher ist auch die notarielle Vereinbarung über den vorzeitigen Erbausgleich unwirksam (Soergel/Stein, a.a.O.; MünchKommBGB/Leipold, a.a.O.; Staudinger/Werner, a.a.O., Rn 14; Palandt/Edenhofer, a.a.O., Rn. 8).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der notarielle Vertrag vom 25. Juli 1990 nicht als ein Erbverzichtsvertrag angesehen werden. Das Landgericht hat diese Auslegung ohne jegliche Begründung vorgenommen, es hat sich weder mit dem Wortlaut der Vereinbarung auseinandergesetzt noch sonstige Umstände dargelegt, aus denen es seine Auffassung gefolgert hat. Die Entscheidung des Landgerichts ist daher wegen eines Begründungsmangels (§ 25 FGG) rechtsfehlerhaft.

Da sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, kann sie keinen Bestand haben. Einer Zurückverweisung der Sache bedarf es indes nicht, weil sie entscheidungsreif ist.

Zwar kann es in Betracht kommen, eine Vereinbarung nach § 1934 d BGB ausnahmsweise als Erbverzichtsvertrag auszulegen (Palandt/Edenhofer, BGB, 62. Auflage, § 2346 Rn. 3), vorliegend bestehen aber keine hinreichende Anhaltspunkte hierfür. Der Wortlaut der Urkunde spricht gegen die Annahme, es sei der Wille der Vertragsbeteiligten gewesen, auch andere Erklärungen, die über einen vorzeitigen Erbausgleich nach § 1934 d BGB hinausgehen, abzugeben und auch die Wirkungen eines Erbverzichts herbeizuführen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bis auf die Kostenregelung jeder Satz der in der Urkunde niedergelegten Vereinbarung einen Hinweis auf den vorzeitigen Erbausgleich nach § 1934 d BGB enthält: die Vereinbarung wurde "zur Regelung des vorzeitigen Erbausgleich gem. § 1934 d BGB getroffen; der Betrag von 50.000 DM wurde "zur Erfüllung des vorzeitigen Erbausgleichs ... geleistet"; die Beteiligte zu 2) "erklärt sich mit der Zahlung dieses Betrages als endgültige Erfüllung ihres vorzeitigen Erbausgleiches einverstanden" und "Die Rechtswirkungen des vorzeitigen Erbausgleichs sind den [Vertrags-]Beteiligten bekannt". Dies zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Vereinbarung auf die Regelung des vorzeitigen Erbausgleichs gem. § 1934 d BGB begrenzt sein sollte. Nimmt man hinzu, dass sich die Voraussetzungen und Wirkungen eines vorzeitigen Erbausgleichs einerseits und eines Erbverzichts andererseits nicht decken - der Kreis der betroffenen Personen ist bei § 2349 BGB einerseits und bei § 1934 e BGB andererseits unterschiedlich; der Erbverzicht ändert nichts am gesetzlichen Erbrecht des Vaters beim Tod des nichtehelichen Kindes und beseitigt auch nicht gesetzliche Erbrechte des nichtehelichen Kindes nach väterlichen Verwandten (vgl. Staudinger/Leipold, BGB, 12. Aufl., § 1934 d, Rn. 13) -, so hätte es weiterer Anhaltspunkte bedurft für die Annahme, die Vertragsschließenden hätten mit ihrer Vereinbarung vom 2. Juli 1990 unabhängig von der Wirksamkeit des vereinbarten vorzeitigen Erbausgleichs auch einen Erbverzichtsvertrag schließen wollen.

Der notariell beurkundete Vertrag vom 2. Juli 1990 ist aus den dargelegten Gründen als Vereinbarung nach § 1934 d BGB unwirksam und kann auch nicht in einen wirksamen Erbverzichtsvertrag umgedeutet werden. Die angefochtene Entscheidung und der Vorbescheid sind daher unrichtig und auf die erste und weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) aufzuheben. Weiter war anzuordnen, dass der auf der Entscheidung des Landgerichts beruhende Erbschein vom 19. Dezember 2002 wegen Unrichtigkeit einzuziehen ist, § 2361 BGB (Palandt/Edenhofer, BGB, 62, Auflage, § 2361 Rn. 14).

Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Auslagen beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz FGG, die Wertfestsetzung auf den §§ 131 Abs. 2, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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