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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.01.2009
Aktenzeichen: 15 Wx 142/08
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 15 Abs. 3
1) Jeder Wohnungseigentümer hat grundsätzlich Anspruch darauf, dass der Gebrauch des Sonder- und des Gemeinschaftseigentums nur im Rahmen derjenigen bauordnungsrechtlichen Vorschriften erfolgt, die nachbarschützenden Charakter haben.

2) Die umfassende Zulässigkeit einer Nutzung eines Teileigentums zu gewerblichen Zwecken gibt dem Sondereigentümer kein Recht, vorhandene bauliche Anlagen über den vorgegebenen bauordnungsrechtlichen Rahmen hinaus nutzen zu können, um eine bestimmte Form gewerblicher Nutzung des Sondereigentums realisieren zu können.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 Wx 142/08 OLG Hamm

In der Wohnungseigentumssache

hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 9. Januar 2009 auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 30. April 2008 gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 29. Januar 2008

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts vom 9. August 2007 werden aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Gerichtskosten und die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens der sofortigen ersten und weiteren Beschwerde an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 2.000,00 € festgesetzt:

Gründe:

I.

Durch notarielle Erklärung vom 16.1.1997 teilte die Beteiligte zu 2) das in ihrem Eigentum stehende und mit einem Haus bebaute H-Straße in F in Wohnungs- und Teileigentum auf (UR-Nr 5/1997 des Notars T in C). In der Anlage zur Teilungserklärung wird das Teileigentum der Beteiligten zu 2) wie folgt beschrieben:

"3. Miteigentumsanteil von 40/1.000 an dem vorgenannten Grundstück verbunden mit dem Sondereigentum an den gewerblichen Räumen im Erdgeschoß rechts sowie 2 Kellerräumen im Kellergeschoß - im vorläufigen Aufteilungsplan mit Nr. 3 bezeichnet - ". In dem Aufteilungsplan ist die Einheit mit der Nr. 3 als LADEN gekennzeichnet, handschriftlich ist in dem Plan weiterhin "Imbiss" eingetragen."

In der Einheit Nr. 3 befand sich schon im Zeitpunkt vor der Umwandlung des Hauses in eine Wohnungseigentumsanlage ein Imbiss. Die Beteiligten zu 2) sind Eigentümer dieser Einheit, die sie vermieteten und in der in der Folgezeit verschiedene der Gastronomie zuzurechnende Betriebe betrieben wurden. Der derzeitige Mieter, Herr G, betreibt dort ein Restaurant namens "H". In der Einheit Nr.3 ist eine Abluftanlage installiert worden, die an einen bis dahin unbenutzten Schornstein angeschlossen ist, der auf dem Dach der Wohnungseigentumsanlage endet. Der Schornstein/Kamin steht im Gemeinschaftseigentum. Die Beteiligte zu 1) bewohnte ihre Dachgeschosswohnung ebenfalls schon vor dem Zeitpunkt der Umwandlung und erwarb das Wohnungseigentum im Jahre 1998.

Die Beteiligte zu 1) hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die durch den Schornstein abgeführten Küchendünste sich auf dem Dach verbreiten und in ihre Wohnung eindringen würden. Der Schornstein sei nicht für den Betrieb eines Speiselokals gebaut worden und auch mit der Abluftanlage nicht kompatibel. Der Kamin sei für den Betrieb von Kohleöfen errichtet worden. Die Beeinträchtigung gehe über das hinzunehmende Maß hinaus.

Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,

die Beteiligte zu 2) zu verpflichten, die Störung ihres Wohnungseigentums, gelegen im fünften Geschoss des I-Straße in F durch Abdunst des im Erdgeschoss rechts betriebenen Speiselokals zu beseitigen.

Die Beteiligte zu 2) hat die Zurückweisung dieses Antrags beantragt und erstinstanzlich vorgetragen, dass der Betrieb eines Speiselokals nach der Teilungserklärung zulässig sei. Der Kamin sei für den Betrieb eines Speiselokals sach- und fachgerecht geeignet und baurechtlich genehmigt. Die Beteiligte zu 1) habe die Ausdünstungen des Speiselokals hinzunehmen. Es werde auch bestritten, dass überhaupt Ausdünstungen des Speiselokals in die Wohnung der Beteiligten zu 1) gelangen würden.

Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Im Rahmen der von ihr gegen diesen Beschluss eingelegten sofortigen Beschwerde hat die Beteiligte zu 1) weiter vorgetragen, dass die Mieter der Beteiligten zu 2) den Kamin nicht bestimmungsgemäß nutzen würden. Der Kamin sei für eine Ofenheizung vorgesehen und nicht für den Anschluss einer Dunstabzugshaube. Die in ihre Wohnung eindringenden Gerüche seien nicht hinnehmbar. Die Beteiligte zu 1) hat ihre Behauptungen unter Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt.

Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Betrieb der Pizzeria sich im Rahmen der nach der Teilungserklärung zulässigen Nutzung der Einheit Nr. 3 halte und die Beteiligten zu 2) die Ungeeignetheit des Kamins für die Abführung der entstehenden Ausdünstungen nicht zu vertreten hätten.

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1).

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach §§ 62 Abs. 1 WEG n.F., 45 Abs. 1, 43 Abs. 1 WEG a.F., 27, 29 FGG statthaft sowie frist - und formgerecht eingelegt.

Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) folgt daraus, dass ihre Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

Das Rechtsmittel ist in der Sache begründet, weil die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG).

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer nach § 45 Abs. 1 WEG zulässigen Erstbeschwerde ausgegangen.

Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass im Rahmen des § 15 Abs. 3 WEG jeder einzelne Wohnungseigentümer berechtigt ist, von einem anderen Wohnungseigentümer einen Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums zu verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen und soweit sich die Regelung hieraus nicht ergibt, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Nach dieser Vorschrift ist jeder Wohnungseigentümer antragsbefugt (KG WE 1992, 286; Weitnauer/Lüke, WEG, 9. Aufl., § 15 Rn. 42; Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 15 WEG Rn. 134). Jeder Wohnungseigentümer kann verlangen, dass das Sondereigentum nur im Rahmen der Regelungen der Teilungserklärung genutzt wird, und einen Anspruch auf Unterlassung von Nutzungsänderungen und -überschreitungen geltend machen (Wenzel in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 10. Aufl., § 15 Rdn. 45).

In der Teilungserklärung ist das Teileigentum der Beteiligten zu 2) als "gewerbliche Räume" und in dem Aufteilungsplan als "Ladenlokal / Imbiss" bezeichnet. Welche Art der Nutzung nach der in der Teilungserklärung enthaltenen Zweckbestimmung zulässig ist, ist durch Auslegung der Regelung der Teilungserklärung festzustellen, die den Inhalt des im Grundbuch eingetragenen Sondereigentums bestimmt und deshalb der selbständigen Auslegung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt. Diese Auslegung hat allein nach dem objektiven Sinn zu erfolgen, wie er sich für den unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung aus dem Wortlaut der Teilungserklärung ergibt (vgl. BGH NJW 1998, 3713, 3714). Danach ist der Betrieb eines Restaurants in der Form einer Pizzeria in dem Teileigentum der Beteiligten zu 2) von der Teilungserklärung gedeckt. Geruchsbeeinträchtigungen, die im Rahmen eines ordnungsgemäßen Betriebes dieser Pizzeria entstehen, muss die Beteiligten zu 1) hinnehmen, so dass ihr Antrag, der nach seinem Wortlaut auf das Unterlassen jeglicher Störungen durch den Abdunst des Speiselokals im Erdgeschoss gerichtet ist, zu weit gefasst ist.

Wegen dieser lediglich ungeschickten Antragsfassung ist die Sache jedoch nicht zur abschließenden Entscheidung reif. Bezogen auf das von der Beteiligten zu 1) erkennbar verfolgte sachliche Ziel, Geruchsbeeinträchtigungen zu vermeiden oder zu verringern, muss ihr noch Gelegenheit gegeben werden, ihrem Antrag eine Erfolg versprechende Fassung zu geben (§§ 12 FGG, 139 ZPO). Das Landgericht hat im Kontext der Begründung seiner Entscheidung von der Erteilung eines entsprechenden Hinweises ersichtlich deshalb abgesehen, weil es einen Abwehranspruch der Beteiligten zu 1) gegen die Geruchsbeeinträchtigung insgesamt für unbegründet erachtet hat. Dieser Beurteilung kann sich der Senat nicht anschließen.

Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist der streitige Vortrag der Beteiligten zu 1) als richtig zu unterstellen, der vorhandene Schornsteinzug sei bauordnungsrechtlich nicht dafür zugelassen, durch ihn die von einer Lüftungsanlage angesaugte Abluft aus dem Speiselokal abzuführen. Trifft dies zu, steht der Beteiligten zu 1) ein Anspruch auf Unterlassung der Nutzung des Schornsteinzuges für den Anschluss und Betrieb der Abluftanlage zu. Dieser Anspruch folgt aus den §§ 1004 BGB, 15 Abs. 3 WEG, weil die bauordnungsrechtliche Beschränkung sich im Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer dahin auswirkt, dass eine solche Nutzung unzulässig ist. Bauordnungsrechtliche Vorschriften prägen und beschränken die Nutzungsbefugnisse der Sondereigentümer im Verhältnis zueinander jedenfalls dann, wenn diese Vorschriften nachbarschützenden Charakter haben. Denn jeder Wohnungseigentümer hat Anspruch darauf, dass sowohl das Sonder- als auch das Gemeinschaftseigentum nur in dem Umfang genutzt wird, in dem dies bauordnungsrechtlich zulässig ist. Dies ist in der Rechtsprechung für die Beurteilung der Zulässigkeit baulicher Veränderungen bereits anerkannt (BayObLG NZM 2001, 769; NZM 2001, 815; OLG München ZMR 2008, 566). Dies gilt in gleicher Weise, wenn ein Wohnungseigentümer vorhandene Bauteile des Gemeinschaftseigentums ohne gegenständliche Veränderung in einer Weise nutzt, die den bauordnungsrechtlichen Vorschriften nicht entspricht (Weitnauer/Lüke, a.a.O.). Die Zulässigkeit der Nutzung des Schornsteinzuges ist hier nach den tatsächlichen Gegebenheiten unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob es sich um eine Lüftungsanlage handelt, die den Anforderungen des § 42 Abs. 3 und 4 BauO NRW entspricht. Wenn es sich um eine Lüftungsleitung handelt, dürfte diese nach Abs. 4 S. 1 der genannten Vorschrift jedenfalls nicht in einen normalen Schornsteinzug eingeführt werden. Die Lüftungsanlage wäre nach Abs. 3 der Vorschrift überdies so herzustellen, dass sie Gerüche und Staub nicht in andere Räume überträgt. Die genannten Vorschriften haben ersichtlich im Hinblick auf den Brandschutz sowie die Vermeidung von Geruchsimmissionen nachbarschützenden Charakter.

An dieser Beurteilung ändert sich nichts unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nach der dargestellten Regelung der Teilungserklärung das Sondereigentum der Beteiligten zu 2) umfassend zu gewerblichen Zwecken und damit auch als Speiselokal genutzt werden darf. Denn daraus ergibt sich nur die Zulässigkeit der Nutzungsart als solche, jedoch kein Anspruch darauf, vorhandene bauliche Anlagen über den vorgegebenen bauordnungsrechtlichen Rahmen hinaus nutzen zu können, um eine bestimmte Form gewerblicher Nutzung des Sondereigentums realisieren zu können (siehe dazu wiederum analog zur Beurteilung der Zulässigkeit baulicher Veränderungen BayObLG OLGR 2006, 812). Der hier hervorgehobene Gesichtspunkt der beschränkten bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit der Nutzung des vorhandenen Schornsteinzuges begründet in tatsächlicher Hinsicht den maßgebenden Unterschied zu dem Sachverhalt, der der von den Vorinstanzen herangezogenen Entscheidung des OLG München (ZMR 2007, 215) zugrunde lag: Nicht über die Zulässigkeit der Art und Weise des Betriebs der Lüftungsanlage, sondern über die rechtlichen Folgen ihrer möglicherweise technisch unzureichenden Auslegung im Verhältnis zwischen einem Gastronomiebetrieb und einem benachbarten Textilgeschäft war dort zu entscheiden.

Auf der Grundlage ihres tatsächlichen Vorbringens könnte ein sachgerechter Antrag der Beteiligten zu 1) deshalb dahin gehen, den Beteiligten zu 2) aufzugeben es zu unterlassen, den hinsichtlich seiner örtlichen Lage näher zu beschreibenden Schornsteinzug für den Betrieb einer Gastronomie-Abluftanlage mit Abluftführung durch den Schornsteinzug zu nutzen oder durch Dritte nutzen zu lassen.

Da die abschließende Sachentscheidung noch durch weitere tatsächliche Ermittlungen (§ 12 FGG) vorbereitet werden muss, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht durchgeführt werden können, musste der Senat die Sache in die Tatsacheninstanz zurückverweisen. Dabei hat er von dem ihm zustehenden Ermessen dahin Gebrauch gemacht, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, weil bislang erforderliche Feststellungen insgesamt noch nicht getroffen worden sind und tatsächliche Ermittlungen tunlichst im Verfahren erster Instanz durchgeführt werden sollen.

Mit der erneuten Sachentscheidung war dem Amtsgericht auch die Entscheidung über die Gerichtskosten und die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens der sofortigen ersten und weiteren Beschwerde zu übertragen, die nach § 47 S. 1 und 2 WEG a.F. zu treffen ist.

Die Wertfestsetzung für das Verfahren dritter Instanz beruht auf § 48 Abs. 3 WEG.

Ende der Entscheidung

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