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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.09.2008
Aktenzeichen: 15 Wx 254/08
Rechtsgebiete: FGG, AufenthG, FEVG, ZPO


Vorschriften:

FGG § 18 Abs. 2
FGG § 27
FGG § 29
FGG § 28 Abs. 2
AufenthG § 50 Abs. 5
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG § 106 Abs. 2
FEVG § 5 Abs. 1
FEVG § 7 Abs. 1
FEVG § 7 Abs. 3 S. 2
FEVG § 10
FEVG § 10 Abs. 2
ZPO § 767 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird gem. § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste im Oktober 2004 in das Bundesgebiet ein und erhielt von dem Beteiligten zu 3) für jeweils verlängerte Zeiträume Aufenthaltserlaubnisse zu Studienzwecken. Zuletzt lehnte der Beteiligte zu 3) durch Bescheid vom 20.02.2008 eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und drohte dem Betroffenen nach Ablauf einer bis zum 31.03.2008 gesetzten Ausreisefrist die Abschiebung an. Einen Antrag des Betroffenen auf einstweiligen Rechtsschutz gegen diesen Bescheid lehnte das Verwaltungsgericht N mit Beschluss vom 22.04.2008 ab.

Der Beteiligte zu 3) betreibt nunmehr die Abschiebung des Betroffenen. Er unterrichtete mit Schreiben vom 24.06.2008, das er in den Briefkasten der elterlichen Wohnung einwerfen ließ, den Betroffenen über seine für den Folgetag geplante Abschiebung, die jedoch nicht durchgeführt werden konnte, weil der Betroffene nicht angetroffen werden konnte. Am 09.07.2008 wurde der zur Festnahme ausgeschriebene Betroffene im Bereich des Hauptbahnhofs F festgenommen. Bei seiner ausländerbehördlichen Anhörung durch den Beteiligten zu 2) erklärte er u.a., die deutsche Sprach gut zu verstehen. Zu dem Abschiebetermin sei er nicht anwesend gewesen, weil er einen Prüfungstermin habe wahrnehmen müssen. Anschließend habe er bei einem Freund in L gewohnt, dessen Anschrift er jedoch nicht angeben könne.

Der Beteiligte zu 2) hat mit Schreiben vom 09.07.2008 bei dem Amtsgericht die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen beantragt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen am selben Tag ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers angehört und durch mündlich verkündeten Beschluss mit sofortiger Wirksamkeit antragsgemäß die Haft für die Dauer von drei Monaten angeordnet.

Diesen Beschluss hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 31.07.2008 angefochten. Das Landgericht hat diese Erklärung als Einlegung des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde aufgefasst und diese durch gesonderten Beschluss vom 12.08.2008 (7 T 432/08) wegen Versäumung der Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 25.08.2008 hat der Senat durch Beschluss vom heutigen Tage (I-15 Wx 262/08) zurückgewiesen.

Der Betroffene hat in dem bereits genannten Schriftsatz vom 31.07.2008 zugleich die Aufhebung der Haftanordnung beantragt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, er habe die viel zu kurzfristig erfolgte, an die Wohnanschrift seiner Eltern gerichtete Mitteilung über den Termin der bevorstehenden Abschiebung nicht erhalten. Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, dass er sich der geplanten Abschiebung habe entziehen wollen. Unzureichend sei zudem die Anhörung durch das Amtsgericht vom 09.07.2008, weil wegen seiner nicht ausreichenden Sprachkenntnisse ein Dolmetscher habe hinzugezogen werden müssen.

Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 01.08.2008 den Haftaufhebungsantrag zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 05.08.2008 sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht durch Beschluss vom 12.08.2008 als unzulässig verworfen hat.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, die er mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 25.08.2008 bei dem Oberlandesgericht eingelegt hat.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 106 Abs. 2 AufenthG, 7 Abs. 1, 3 S. 2 FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Betroffenen folgt bereits daraus, dass seine erste Beschwerde als unzulässig verworfen worden ist.

In der Sache hält der Senat das Rechtsmittel für begründet, weil das Landgericht die sofortige erste Beschwerde des Betroffenen zu Unrecht ohne Sachprüfung als unzulässig verworfen hat. Dies muss zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur sachlichen Entscheidung über die Erstbeschwerde des Betroffenen führen. Einer dahingehenden Entscheidung steht jedoch der auf sofortige weitere Beschwerde ergangene Beschluss des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 15.10.2007 - 5 W 264/07 - (veröffentlicht in OLGR 2008, 193) entgegen. Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Saarländischen Oberlandesgerichts müsste der Senat die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen zurückweisen.

1)

Nach Auffassung des Senats ist hier folgende rechtliche Beurteilung geboten:

Das Landgericht hat zu Unrecht die sofortige erste Beschwerde des Betroffenen als unzulässig erachtet. Mit diesem Rechtsmittel angefochten ist die Entscheidung des Amtsgerichts vom 01.08.2008, durch die es den gem. § 10 Abs. 2 FEVG gestellten Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Haftanordnung vom 09.07.2008 zurückgewiesen hat. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht einen von einem Verfahrensbeteiligten, insbesondere also dem Betroffenen, gestellten Antrag auf Aufhebung der Freiheitsentziehung in jedem Fall zu prüfen und zu bescheiden. Nach der Konzeption der gesetzlichen Vorschrift handelt es sich um eine Sondervorschrift zu § 18 Abs. 2 FGG, durch die das Gericht ungeachtet der Anfechtbarkeit der Haftanordnung mit der sofortigen Beschwerde (§ 7 Abs. 1 FEVG) auf den Antrag eines Verfahrensbeteiligten zu einer erneuten Prüfung der Haftvoraussetzungen verpflichtet wird. Hat das Gericht danach eine erneute Sachentscheidung zu treffen, muss deren Anfechtbarkeit nach den allgemeinen Vorschriften für diese Sachentscheidung beurteilt werden, da § 10 FEVG selbst dazu keine Sonderregelung enthält. Folglich ist auch die hier erfolgte Ablehnung einer Haftaufhebung mit der sofortigen Beschwerde (§ 7 Abs. 1 FEVG) anfechtbar. Dies entspricht dem in der Rechtsprechung weitaus überwiegend vertretenem Standpunkt (BayObLG, Beschl. v. 03.08.2004 - 4 Z BR 32/04 - zitiert nach Melchior, Abschiebungshaft; OLG Stuttgart FGPrax 1996, 40; OLG Köln FGPrax 2007, 297).

Die gegenteilige Auffassung verneint die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung einer Haftaufhebung jedenfalls dann, wenn sie nicht auf nach Erlass der Haftanordnung neu eingetretene Tatsachen gestützt ist. Diese Auffassung wurde zunächst vom OLG Düsseldorf vertreten (Beschlüsse vom 25.09.2002 - 3 Wx 296/02 - und vom 16.04.2003 - 3 Wx 116/03 -) und zwischenzeitlich wieder aufgegeben (Beschl. v. 05.10.2004 - I-3 Wx 255/04, jeweils zitiert nach juris). Sie wird in der eingangs herangezogenen Entscheidung weiterhin vom Saarländischen Oberlandesgericht geteilt. Diese Auffassung beruht in ihrer Grundlage auf der Annahme, der Verfahrensgegenstand des Haftaufhebungsverfahrens nach § 10 Abs. 2 FEVG sei darauf beschränkt, dass der Anordnungsgrund aufgrund veränderter Verhältnisse entfallen sei. Demgegenüber könne eine Überprüfung des Fortbestandes der Haftanordnung unter dem Gesichtspunkt, ob entscheidungserhebliche Umstände unberücksichtigt geblieben seien oder die Entscheidung fehlerhaft ergangen sei, nicht getroffen werden. Diese erkennbar § 767 Abs. 2 ZPO entlehnte Beschränkung des Verfahrensgegenstandes des Haftaufhebungsverfahrens lässt sich jedoch nicht durch den Eintritt der Rechtskraft der ursprünglichen Haftanordnung rechtfertigen. Denn Entscheidungen in Freiheitsentziehungssachen können nach anerkannter Auffassung nur in formelle, nicht jedoch in materielle Rechtskraft erwachsen. Verfahrensgegenstand der Entscheidung über einen Haftaufhebungsantrag nach § 10 Abs. 2 FEVG ist deshalb nach zutreffender Auffassung die Rechtmäßigkeit des Fortbestandes der Haftanordnung für die Zukunft, wobei die zu treffende Sachentscheidung sowohl die bisherige Sachlage als auch neu hinzugetretene Tatsachen zu berücksichtigen hat (BayObLG a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 05.04.2005 - 20 W 139/05 - zitiert nach juris; OLG Celle InfAuslR 2003, 392).

Auf dieser Grundlage durfte die sofortige Beschwerde des Betroffenen nicht als unzulässig verworfen werden. Vielmehr hätte das Landgericht in eine sachliche Überprüfung des Fortbestehens der Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft eintreten müssen. Eine abschließende Sachentscheidung kann der Senat anstelle des Landgerichts nicht treffen, weil die Sache noch nicht zur abschließenden Entscheidung reif ist.

Für die zu treffende Sachentscheidung steht im Vordergrund, ob ein Haftgrund für die Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 S. 1 AufenthG fortbesteht. Neben dem allgemeinen Haftgrund nach Nr. 5 dieser Vorschrift kommt nach dem bisherigen - durchaus nicht widerspruchsfreien - Vorbringen des Betroffenen auch in Betracht, dass die Voraussetzungen des zwingenden Haftgrundes nach Nr. 2 der Vorschrift vorliegen. Danach ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Nach seinem bisherigen Vorbringen war der Betroffene jedenfalls am 24.06.2008 unter der der Behörde bekannten Wohnanschrift seiner Eltern nicht erreichbar und hat sich in der Folgezeit bis zu seiner Festnahme bei einem Freund in L aufgehalten, dessen Anschrift er allerdings nicht angeben können will. Nach dem eigenen Vorbringen des Betroffenen muss derzeit davon ausgegangen werden, dass er im Sinne des § 50 Abs. 5 AufenthG für einen längeren Zeitraum als drei Tage seinen bisherigen Aufenthaltsort verlassen hat und infolgedessen für die Ausländerbehörde nicht erreichbar war. Weitere Voraussetzung für die Bejahung dieses Haftgrundes ist allerdings, dass der Betroffene über seine Verpflichtung, der Ausländerbehörde Mitteilung von einem Aufenthaltswechsel zu machen, belehrt worden ist (OLG München OLGR 2006, 112; OLG Zweibrücken FGPrax 2006, 188). Dazu sind bislang keine tatsächlichen Feststellungen getroffen worden.

Unabhängig davon erfordert eine erneute Sachentscheidung eine Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen. Dies folgt aus der Vorschrift § 5 Abs. 1 FEVG, die auch im Beschwerdeverfahren anzuwenden ist. Das Vorbringen zur Begründung des Haftaufhebungsantrags enthält eine Sachverhaltsdarstellung, die in Teilaspekten von den Angaben des Betroffenen bei seiner Anhörung durch den Beteiligten zu 2) und das Amtsgericht am 09.07.2008 abweichen. Eine erneute Sachentscheidung ist daher nicht möglich, ohne dass das Beschwerdegericht sich durch persönliche Anhörung einen Eindruck von dem Betroffenen und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben verschafft. Dies gilt auch für den Fall, dass die Voraussetzungen des zwingenden Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG zu bejahen sein sollten. Auch bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten Vorschrift bleibt zu prüfen, ob nach dem Persönlichkeitsbild des Betroffenen angenommen werden kann, dass er sich der Abschiebung offensichtlich nicht entziehen will (BVerfG InfAuslR 1994, 342; OLG Düsseldorf FGPrax 2000, 167; BayObLG InfAuslR 2001, 177).

2)

In dem von ihm beabsichtigten Sinn kann der Senat nicht entscheiden, ohne im Sinne des § 28 Abs. 2 FGG von der eingangs genannten Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts abzuweichen. Dessen Entscheidung beruht auf der Rechtsauffassung, dass eine Beschwerde gegen die Ablehnung eines Haftaufhebungsantrags nach § 10 Abs. 2 FEVG unzulässig ist. Dementsprechend hat das Saarländische Oberlandesgericht in seiner Entscheidung in Abänderung derjenigen des Landgerichts die mit dem Ziel der Haftaufhebung eingelegte Erstbeschwerde ausdrücklich als unzulässig verworfen. Allerdings enthält die Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts eine Hilfsbegründung in der Richtung, dass die sofortige Beschwerde sich auch in der Sache als unbegründet erweise. Diese Hilfsbegründung beschränkt sich jedoch darauf, dass Gegenstand des Haftaufhebungsverfahrens nach § 10 Abs. 2 FEVG nur geänderte Umstände, nicht jedoch die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Haftanordnung sein könne, nach der mit der weiteren Beschwerde nicht angegriffenen Begründung der landgerichtlichen Entscheidung solche geänderten Umstände jedoch nicht eingetreten seien. Auch von dieser Hilfsbegründung müsste indessen der Senat abweichen, weil er aus den vorgenannten Gründen die darin zum Ausdruck kommende Beschränkung des Verfahrensgegenstandes des Haftaufhebungsverfahrens nicht für gerechtfertigt und deshalb eine weitere Sachverhaltsaufklärung für erforderlich hält. In einer solchen Konstellation bleibt die Vorlagepflicht nach § 28 Abs. 2 FGG bestehen (BGH NJW-RR 1987, 1036; Senat FGPrax 2003, 73, 74).

Ende der Entscheidung

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