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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.02.2006
Aktenzeichen: 18 U 40/05
Rechtsgebiete: GVG, ArbGG, HGB


Vorschriften:

GVG § 17 a Abs. 1
GVG § 17 a Abs. 2 S. 1
GVG § 17 a Abs. 2 S. 2
GVG § 17 a Abs. 3 S. 2
GVG § 17 a Abs. 5
ArbGG § 5
ArbGG § 5 Abs. 1
ArbGG § 5 Abs. 3
ArbGG § 5 Abs. 3 S. 1
HGB § 87 a Abs. 1
HGB § 87 a Abs. 3
HGB § 92 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 17. Dezember 2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund aufgehoben, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 18.339,41 Euro nebst Zinsen in Höhe von 3 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basis-zinssatz aus 17.556,97 Euro seit dem 01.01.2004 zu zahlen.

2. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird für unzulässig erklärt.

3. Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung von Amts wegen an ein Ar-beitsgericht und auf den Hilfsantrag der Klägerin an das in Dortmund verwie-sen.

Gründe:

Die Berufung ist begründet. Die vor den ordentlichen Gerichten erhobene Zahlungsklage ist unzulässig; die Unzulässigkeit der Klage führt indes nicht zur Klageabweisung, sondern gem. § 17 a Abs. 2 S. 1 GVG zur Verweisung des Rechtsstreits in die Arbeitsgerichtsbarkeit und gem. § 17 a Abs. 2 S. 2 GVG zur Verweisung an das Arbeitsgericht in Dortmund.

Unabhängig von dem Status des Beklagten als Arbeitnehmer oder selbständiger Handelsvertreter sind die Arbeitsgerichte für die Entscheidung jedenfalls gem. § 5 Abs. 3 Arbeitsgerichtsgesetz zuständig.

1.

Der Beklagte ist unstreitig Einfirmenvertreter, gehört also zu dem Personenkreis, für den nach § 92 a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann.

2.

a)

Während der letzten 6 Monate des Handelsvertreterverhältnisses, also von April bis Oktober 2002 erwirtschaftete der Beklagte nach den eigenen von dem Beklagten nicht bestrittenen Angaben der Klägerin gem. der mit der Klagebegründung vorgelegten Anlage K 5 Provisionen in Höhe von 34,79 Euro, 35,02 Euro und 389,26 Euro, also im monatlichen Durchschnitt weniger als 1.000,-- Euro. Auch die Zeiten in denen der Beklagte innerhalb der letzten 6 Monate nicht mehr gearbeitet haben sollte, sind in die Durchschnittsberechnung einzubeziehen (vgl. BAG NJW 2005, Seite 1146 ff.).

b) In die Berechnung der durchschnittlichen monatlichen Vergütung ist entgegen der Auffassung der Klägerin der dem Beklagten gezahlte oder ihm bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses verbleibende Provisionsvorschuß nicht einzustellen.

Bei den Provisionsvorschüssen handelt es sich ihrer Rechtsnatur nach nicht um eine Vergütung des Beklagten, sondern um Darlehen.

Dass die Parteien in Bezug auf diese Vorschüsse Darlehen und nicht Vergütungen vereinbaren wollten, ergibt sich bei verständiger Würdigung der die Provisionsvorschüsse regelnden Abschnitte des Handelsvertretervertrages vom 21. Januar 2002.

Der Wortlaut der getroffenen Vereinbarung spricht zweifelsfrei für das Verständnis als Darlehen. In § 6 Ziff. 6, 7, 8 und 9 des Handelsvertretervertrages sind die Provisionsvorschüsse unmissverständlich als Darlehen bezeichnet worden.

Auch der Sinn und Zweck der getroffenen Vereinbarungen spricht durchgreifend für die Einordnung der Provisionsvorschüsse als Darlehen. Wie sich aus § 6 Ziff. 8 und 11 des Handelsvertretervertrages ergibt, wären nach den vorgenannten vertraglichen Bestimmungen die Provisionsvorschüsse mit den dann entstandenen Provisionsansprüchen verrechnet worden, wenn das Vertragsverhältnis nicht beendet worden wäre oder der Beklagte während der Laufzeit des Vertrages hinreichende Provisionsansprüche erworben hätte. Die Provisionsansprüche stellen sich folglich nicht als Vergütung des Beklagten für seine Tätigkeit für die Klägerin dar. Die Vergütung musste erst noch erwirtschaftet werden. Nach § 5 Abs. 3 S. 1 Arbeitsgerichtsgesetz sind jedoch nur Vergütungen für die Tätigkeit des Handelsvertreters maßgeblich, so dass Darlehen keine Berücksichtigung finden können. An dieser Beurteilung vermag auch der in § 6 Ziff. 11 des Vertrages vereinbarte teilweise Erlaß des Darlehens nichts zu ändern. Zum einen vermag ein Teilerlaß ohnehin schon nicht den Rechtscharakter eines Rechtsgeschäftes zu verändern. Zum anderen ergibt sich aus § 6 Ziff. 11 des Handelsvertretervertrages, dass dieser Erlaß nicht im Zusammenhang mit der vom Beklagten für die Klägerin erbrachten Tätigkeit, sondern vielmehr mit dem seinerseits erklärten Verzicht auf 50 % der nach seinem Ausscheiden noch verdienten Provisionen steht.

Für diese rechtliche Einschätzung spricht durchgreifend auch der hinter § 5 Abs. 3 Arbeitsgerichtsgesetz stehende gesetzgeberische Gedanke. Der Gesetzgeber wollte ersichtlich den sozial schwächeren Handelsvertreter einem Arbeitnehmer gleichstellen, da er ihn als besonders schutzbedürftig angesehen hat (vgl. auch Bundestagsdrucksache 1/3856, Seite 45 zu Art. 3). Dieser gesetzgeberische Gedanke ergibt sich nach Auffassung des Senats auch aus der in § 5 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz verwandten Formulierung der sonstigen "Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen sind", auf die § 5 Abs. 3 S. 1 Arbeitsgerichtsgesetz Bezug nimmt (anderer Ansicht wohl Bundesarbeitsgericht NJW 2005, Seite 1146). Der erfolgreiche Handelsvertreter, der ausreichende Provisionsansprüche erwirbt und damit auch wirtschaftlich selbständig ist, bedarf dieser Gleichstellung nicht. Dabei geht § 5 Arbeitsgerichtsgesetz ersichtlich davon aus, dass der Handelsvertreter, der durch eigenes Geschick und Können zu Provisionsverdiensten von mehr als 1.000,-- Euro monatlich in der Lage ist, in diesem Sinne erfolgreich und wirtschaftlich selbständig ist.

Den dieser Auffassung des Senats entgegenstehenden Entscheidungen des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 30.12.2004 - 17 W 74/04 - und des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 03.05.2005 - 16 W 119/04 - folgt der Senat aus folgenden Gründen nicht:

Beide Oberlandesgerichte haben in den zitierten Entscheidungen für ihre Rechtsauffassung maßgeblich darauf abgestellt, dass die hälftigen Provisionsvorschüsse bei einer Vertragsbeendigung auf jeden Fall bei dem Handelsvertreter verbleiben.

Auf die insofern vom Oberlandesgericht Frankfurt herangezogene Entscheidung des BGH NJW 1964, Seite 497 f. lässt sich diese abweichende Rechtsauffassung indes nicht stützen. Der Bundesgerichtshof hat in der zitierten Entscheidung darauf abgestellt, dass als Vergütung im Sinne des § 5 Abs. 3 S. 1 Arbeitsgerichtsgesetz nur bereits gem. § 87 a Abs. 1 und Abs. 3 HGB unbedingt entstandene Provisionsansprüche gelten und eben gerade nicht bloße Provisionsvorschüsse. Nur wenn ein erhaltender Provisionsvorschuß also durch einen tatsächlich unbedingt entstandenen Provisionsanspruch gedeckt wird, kann er als Vergütung im Sinne des § 5 Abs. 3 S. 1 Arbeitsgerichtsgesetz angesehen werden. Vorliegend beruht der Rechtsgrund zum Behaltendürfen der hälftigen Provisionsvorschüsse jedoch nicht auf noch gem. § 87 a Abs. 1 und Abs. 3 HGB unbedingt entstandenen Provisionsansprüchen, sondern auf einer Erlaßvereinarung der Parteien bezüglich des vereinbarten Darlehens. Ein Erlaß vermag ein Darlehen jedoch nicht in eine Vergütung umzuwandeln.

Allerdings ist den zitierten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Frankfurt und des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts im Hinblick auf den Schutzzweck des § 5 Abs. 3 S. 1 Arbeitsgerichtsgesetz zuzugeben, dass der Beklagte durch die Teilerlassvereinbarung bei Beendigung des Vertragsverhältnisses faktisch monatlich mindestens 1.100,-- Euro erhalten hat. Diese 1.100,-- Euro sollen ihm nach der getroffenen Vereinbarung jeden Monat verbleiben. Das wird durch die Regelung, dass Provisionsvorschüsse bei Beendigung des Vertragsverhältnisses nur zur Hälfte zurückgefordert werden können, sichergestellt. Vordergründig drängt sich deshalb die Annahme auf, dass diese Vereinbarung sich wie ein monatliches Fixum oder wie ein monatlicher Mindestverdienst auswirkt.

Diese Annahme ist indes nur scheinbar richtig. Denn diese 1.100,-- Euro verbleiben dem Handelsvertreter nicht uneingeschränkt in jedem Fall. Vielmehr muß er nach § 6 Ziff. 12 des Handelsvertretervertrages für das Behaltendürften der 1.100,-- Euro noch die weitere Gegenleistung erbringen, dass er auf die Provisionen aus schwebenden Geschäften verzichten muß.

Selbst wenn man dieser Argumentation nicht folgen sollte, beruht das Behaltendürfen der 1.100,-- Euro monatlich gerade nicht auf dem Geschick und dem Können des so begünstigten Handelsvertreters und vermag daher der Annahme seiner wirtschaftlichen Unselbständigkeit nicht entgegen zu stehen. Es handelt sich insofern also nicht um eine Mindestvergütung, sondern dient allein der sozialen Absicherung des Handelsvertreters für die Zeit nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses.

3.

Der Senat ist an einer Verweisung des Rechtsstreits in die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht dadurch gehindert, dass das Landgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten bejaht hat. Hieran ist der Senat nicht gem. § 17 a Abs. 1 GVG gebunden.

Allerdings prüft das Gericht nach § 17 a Abs. 5 GVG nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, wenn - wie hier - über ein Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung zu befinden ist. Diese sich grundsätzlich aus § 17 a Abs. 5 GVG ergebende Bindungswirkung tritt indes nicht ein, wenn die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts in erster Instanz rechtzeitig, nämlich noch vor Verhandlung der Sache gerügt worden ist und das erstinstanzliche Gericht gleichwohl nicht gem. § 17 a Abs. 3 S.2 GVG durch Beschluß eine Vorabentscheidung hierüber getroffen hat (vgl. BGH NJW 1999, Seite 651).

Diese Voraussetzungen für das Entfallen der Bindungswirkung sind im Streitfall gegeben. Auch wenn de Beklagte in erster Instanz nicht ausdrücklich die Zuständigkeit des Landgerichts gerügt hat, hat er jedoch in seiner Klageerwiderung ausdrücklich geltend gemacht, nicht Handelsvertreter, sondern Angestellter der Klägerin zu sein. Ferner hat er darin die Mitarbeiterverträge als "Arbeitsverträge" bezeichnet. In eben einem solchen Vortrag sieht der Senat in Anlehnung an die oben zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs bereits eine ausreichende konkludente Zuständigkeitsrüge. Etwaige Zweifel an diesem Verständnis sind durch die Erklärungen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten in der Senatsverhandlung vom 20.02.2006 ausgeräumt worden.

Fehlt die gebotene Vorabentscheidung in erster Instanz, hat das Berufungsgericht grundsätzlich selbst in das Vorabverfahren einzutreten und auch darüber zu befinden, ob zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung gegen den von ihm erlassenen Beschluß die Beschwerde an den Bundesgerichtshof zuzulassen ist (vgl. BGH a.a.O. und NJW 1996, Seite 591). Da der Senat in seinen Beschlüssen vom 04.07.2005 - 18 W 25/05 - und vom 22.08.2005 - 18 W 10/05 - in völlig gleichgelagerten Fällen die Rechtswegeproblematik wie im jetzigen Streitfall entschieden und die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof zugelassen hat, wobei die insofern durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde begünstigte Klägerin hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, erschien es dem Senat nicht angezeigt, erneut die Rechtsbeschwerde zugunsten der Klägerin zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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