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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 12.01.2007
Aktenzeichen: 19 U 98/06
Rechtsgebiete: AVBEltV, BGB


Vorschriften:

AVBEltV § 20
AVBEltV § 20 Abs. 1
AVBEltV § 20 Abs. 2
AVBEltV § 21
AVBEltV § 21 Abs. 1
AVBEltV § 21 Abs. 1 S. 1
AVBEltV § 21 Abs. 2
BGB § 288 Abs. 1 S. 2
BGB § 291
BGB § 433 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag nebst Zinsen hinaus weitere 1.989,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. 2. 2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin versorgt den Beklagten aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden Energielieferungsvertrages mit Strom. Eine Ablesung des Zählerstandes erfolgte im Zeitraum ab dem 10. 6. 2000 zunächst weder durch die Klägerin noch durch den Beklagen. Die Jahresabrechnungen 2001 und 2002 erstellte die Klägerin daher jeweils aufgrund einer von ihr vorgenommenen Schätzung des Stromverbrauchs, worauf sie in den einzelnen Abrechnungen ausdrücklich hinwies. Im Juli 2003 ließ sie den Zählerstand ablesen, wodurch sich ein Mehrverbrauch gegenüber der bis dahin geschätzten und berechneten Energiemenge ergab. Die Klägerin stornierte die bisherigen auf der Schätzung beruhenden Rechnungen und nahm eine Neuberechnung des aufgrund der Ablesung ermittelten tatsächlichen Stromverbrauchs vor. Der Beklagte hat erstinstanzlich einen Betrag von 8.000,- € aus der ihm gegenüber erhobenen Forderung in Höhe von 9.989,84 € anerkannt. Hinsichtlich des darüber hinaus gehenden Betrages hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass Nachforderungen für den Zeitraum vom 10. 6. 2000 bis zum 4. 6. 2001 nicht erhoben werden könnten. Gemäß § 21 Abs. 2 AVBEltV seien Nachforderungen der Klägerin auf den zurückliegenden Zeitraum von zwei Jahren beschränkt, weil die zu niedrig gegriffene Schätzung des Stromverbrauchs einem Ablesefehler i.S.d. § 21 Abs. 1 AVBEltV gleichzustellen sei. Da die Verbrauchsschätzung, wie sich aus § 20 AVBEltV ergebe, eine Möglichkeit der Berechnung des Stromverbrauchs sei, müssten in diesem Zusammenhang auftretende Schätzfehler wie ein Ablesefehler dem Verantwortungsbereich des Energieversorgers zugeordnet werden. Dies rechtfertige die Anwendung des § 21 Abs. 2 AVBEltV. Mit ihrer Berufung erstrebt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des noch ausstehenden Betrages von 1.989,84 €.

II.

Die Berufung ist begründet. Auf die Berufung der Klägerin hin war das angefochtene Urteil des Landgerichts teilweise abzuändern und der Beklagte über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus zur Zahlung weiterer 1.989,84 € nebst Zinsen zu verurteilen.

Der Klägerin steht gemäß § 433 Abs. 2 BGB aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Stromlieferungsvertrages ein Anspruch auf Zahlung des der Höhe nach mit 1.989,84 € unstreitigen Nachforderungsbetrages zu.

Der Anspruch der Klägerin ist nicht durch die jeweils auf einer Schätzung beruhenden vorangegangenen Abrechnungen ausgeschlossen. Die zunächst fehlerhafte Abrechnung entfaltet keine Bindungswirkung und lässt die Forderung dem Grunde und der Höhe nach unberührt (Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, § 21 AVBEltV Rn. 1ff; OLG Saarbrücken BeckRS 2003 30331753).

Die Nachforderung für den Zeitraum vom 10. 6. 2000 bis 4. 6. 2001 ist auch nicht im Hinblick auf die Vorschrift des § 21 AVBEltV ausgeschlossen. § 21 Abs. 1 S. 1 AVBElt bestimmt, dass der zu viel oder zu wenig berechnete Betrag zu erstatten oder nachzuentrichten ist, wenn eine Prüfung der Messeinrichtungen eine Überschreitung der Verkehrsfehlergrenzen ergibt oder Fehler in der Ermittlung des Rechnungsbetrages festgestellt werden. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass technische Mängel oder menschliches Versagen bei der Erfassung und Abrechnung der gelieferten Energie auch bei sorgfältiger Kontrolle und Organisation der Verbrauchserfassung und -abrechnung nicht zu vermeiden sind und innerhalb der Zweijahresfrist des Absatzes 2 nachberechnet werden können müssen. Die Zweijahresfrist gilt nur für Berechnungsfehler, die auf fehlerhafte Messeinrichtungen, auf Ablesefehler oder auf eine falsche kaufmännische Berechnung des Strompreises zurückzuführen sind. Nicht erfasst werden Fehler bei der Vertragsanwendung und der Vertragsauslegung (BGH NJW-RR 2004, 242). Die von der Klägerin dem Beklagten zunächst erteilten und sodann stornierten Rechnungen basierten nicht auf einer fehlerhaften Messeinrichtung. Die Rechnung krankte auch nicht an einer unzutreffenden kaufmännischen Berechnung des Strompreises, weil hier nicht behauptet wird, dass sich arithmetische Fehler eingeschlichen hätten. Die Rechnung beruht aber auch nicht auf einem Ablesefehler. Denn der Stromverbrauch ist von der Klägerin zunächst geschätzt worden. Ob die Schätzung ihrerseits zulässig gewesen ist, kann entgegen der Ansicht des Beklagten dahin gestellt bleiben. Gemäß § 20 Abs. 1 AVBEltV werden die Messeinrichtungen vom Beauftragten des Energieversorgers oder auf Verlangen des Kunden vom Kunden selbst abgelesen. Solange der Energieversorger die Kundenräume nicht zum Zwecke der Ablesung betreten kann, kann dieser den Verbrauch schätzen. Die Klägerin verzichtet auf eine regelmäßige Jahresablesung und eröffnet dem einzelnen Kunden durch Überlassung einer vorbereiteten Postkarte die Möglichkeit, ihr den von ihm selbst abgelesenen Zählerstand mitzuteilen. Ob der Beklagte in der Vergangenheit diese vorbereiteten Postkarten erhalten hat oder nicht und er damit möglicherweise nicht an der Ablesung mitgewirkt hat, ist ohne Bedeutung. Die Klägerin hat jedenfalls - ob zu Recht oder zu Unrecht - die Abrechnung auf eine Schätzung gestützt. Wird die Berechnung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 AVBEltV auf eine Schätzung gestützt, ist dies eine zulässige Berechnungsmethode, die gleichwohl die konkrete Berechnung aufgrund Ablesens zu einem nachfolgenden Zeitraum nicht ausschließt (Hempel/Franke, a.a.O., § 20 Rn. 9). Sollten die Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vorgelegen haben, kehrt sich dieser Vorgang nicht in einen Berechnungsfehler um, sondern berechtigt den Kunden nur dazu, die Unzulässigkeit der Schätzung geltend zu machen. Ein eventueller Verstoß der Klägerin hat daher keine Sanktionswirkung zur Folge. Die nachteiligen Rechtsfolgen erschöpfen sich - wenn wie hier nicht konkret abgelesen werden kann - darin, dass der Energieversorger im Nachhinein auf andere Art und Weise den tatsächlichen Verbrauch darlegen muss.

Der Beklagte kann sich auch nicht in entsprechender Anwendung des § 21 AVBEltV auf die darin verankerte zeitliche Beschränkung für Nachforderungen berufen. In der Kommentierung und in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Fälle der unterbliebenen Abrechnung nicht der Regelung des § 21 AVBEltV unterfallen (vgl. BGH NJW-RR 1987, 237 m.w.N.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 945; OLG Hamm RdE 1992, 192). Die Beschränkung des Nachberechnungs- und Nachforderungsrechts auf einen Zeitraum von zwei Jahren basiere auf dem Gedanken des Schutzes des Vertrauens des Kunden darin, dass die ihm aufgrund einer vorangegangenen Ablesung erteilte Rechnung vollständig und richtig ist. Ein solches Vertrauen könne derjenige nicht gewonnen haben, der über einen langen Zeitraum hinweg Energie beziehe, ohne jemals eine Rechnung von dem Energieversorger erhalten zu haben. Dass dieser nicht kostenlos liefere, verstehe sich von selbst. Dem vergleichbar ist die Situation, dass für den Kunden erkennbar - hier aus dem entsprechenden Hinweis in den beiden Rechnungen - die Abrechnung auf einer Schätzung beruht. Ein Vertrauenstatbestand kann hier nicht entstehen, weil seitens des Energieversorgers offengelegt wird, dass die Abrechnung nicht nach dem tatsächlichen Verbrauch, sondern aufgrund einer Verbrauchsschätzung erfolgt ist (vgl. LG Köln RdE 1985, 107; LG München RdE 1998, 124; LG Berlin ZMR 2003, 678). Die Schätzung ist zwar unter den Voraussetzungen des § 20 AVBEltV eine zulässige Art der Berechnung. Der Schätzung ist aber eigen, dass sie immer nur einen mehr oder weniger genauen Annäherungswert bringt, quasi die Veranlagung eines Irrtums in sich trägt und daher nicht die Qualität des Ablesens als Maßnahme einer konkreten Verbrauchserfassung haben kann. Da jedweder Energieverbrauch zur Vermeidung einer Übervorteilung der einen oder anderen Seite nicht aufgrund einer pauschalen Schätzung, vielmehr nach tatsächlichem Verbrauch nach kw/h berechnet wird, weiß der Kunde, dass die ihm erteilte und auf einer Verbrauchsschätzung beruhende Abrechnung nur eine vorläufige sein kann, mit deren Ersetzung durch eine Abrechnung entsprechend dem durch Ablesung ermittelten tatsächlichen Verbrauch er jederzeit - vorbehaltlich eines begründeten Verjährungs- oder Verwirkungseinwandes - rechnen muss. Die letztgenannten Gesichtspunkte greifen vorliegend nicht ein mit der Folge, dass der Beklagte entsprechend dem in der Berufung gestellten Antrag der Klägerin zu verurteilen war.

Die Zinsforderung ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB ab dem 1. 2. 2006 begründet.

Die Entscheidung zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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