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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.10.2001
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6 - 126/01
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 99
1. Zur Gewährung einer über der Wahlverteidigerhöchstgebühr liegenden Pauschvergütung.

2. Im Das Pauschvergütungsverfahren ist ein Antrag auf Feststellung, dass die Bewilligung einer bestimmten Gebühr/Hauptverhandlungstag berechtigt ist, unzulässig.

3. Zur Berücksichtigung einer Auslandsreise im Rahmen des Pauschvergütungsverfahrens


Beschluss

Strafsache

gegen F.B. hier: U.B.,

wegen Betruges u.a.,(hier: Pauschvergütung für den gerichtlich bestellten Verteidiger gem. § 99 BRAGO).

Auf den Antrag des Rechtsanwalts R. in O. vom 29. Juni 2001 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Pflichtverteidigung des früheren Angeklagten B. hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01.10.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 45.320,- DM eine Pauschvergütung in Höhe von 95.000,00 DM (in Worten: fünfundneunzigtausend Deutsche Mark) bewilligt.

Die weitergehenden Anträge werden abgelehnt.

Gründe:

Der Antragsteller, der sich erstmals mit Schriftsatz vom 31. März 1995 als Wahlverteidiger gemeldet hatte, war seit seiner Bestellung am 24. Mai 1995 bis zur Beendigung des Verfahrens bezüglich des früheren Angeklagten B. am 5. April 2000 nach Rücknahme der Revisionen im sogenannten "Balsam-Verfahren" tätig, bei dem es sich um eines der umfangreichsten und spektakulärsten Wirtschaftsstrafverfahren der deutschen Rechtsgeschichte handelt, wie der Senat bereits in zahlreichen Beschlüssen betreffend Vorschüsse auf eine künftige Pauschvergütung sowie betreffend die endgültige Bewilligung von Pauschvergütungen dargelegt hat (vgl. den grundlegenden Beschluss vom 25. April 1996 in 2 (s) Sbd. 4 - 49/96 = AnwGebSpezial 1996, 125 sowie zuletzt Beschlüsse vom 16. Juni 2000 in 2 (s) Sbd. 6 - 53, 54 und 55/00 = AnwGebSpezial 2000, 249, vom 27. April 2001 in 2 (s) Sbd. 6 - 46 und 52/01 und vom 14. Mai 2001 in 2 (s) Sbd. 6 - 51, 69 und 70/01).

Den ursprünglich sieben Angeklagten wurde in erster Linie Betrug zum Nachteil verschiedener Banken mit einem Schaden in Milliardenhöhe zur Last gelegt.

Die im April 1995 erhobene Anklage vom 30. März 1995 umfasst rund 860 Seiten. Die Hauptverhandlung vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bielefeld hat am 26. April 1996 gegen alle sieben Angeklagte begonnen. Im Juni 1999 wurde das Verfahren gegen einzelne Angeklagte abgetrennt und in unterschiedlicher Weise beendet.

Durch Urteil vom 30. Juni 1999, dem insgesamt 188. Hauptverhandlungstag, wurde in dem abgetrennten Verfahren K 1/99 IX der Angeklagte B. - zusammen mit dem Angeklagten K. - wegen Kreditbetruges in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt; im übrigen wurde er freigesprochen.

Die zunächst von dem Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft eingelegten Revisionen wurden durch Schriftsätze der Verteidiger und der Staatsanwaltschaft vom 4. April 2000, die am selben Tage bei dem Landgericht eingingen, zurückgenommen.

Der Antragsteller beantragt nunmehr mit näherer Begründung für seine Tätigkeit in diesem Verfahren als bestellter Verteidiger eine Pauschvergütung, wobei er in erster Linie die Feststellung begehrt, dass eine solche oberhalb der Wahlverteidigerhöchstgebühr angemessen und in Höhe von 1.100,00 DM je Hauptverhandlungstag festzusetzen sei. Hilfsweise hält er einen Betrag von insgesamt 147.700,00 DM für angemessen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Antragstellers in seiner Antragsschrift verwiesen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat ferner auf die Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse vom 31. August 2001, die mit der ständigen Rechtsprechung des Senats übereinstimmt und die dem Antragsteller bekannt gemacht worden ist, in vollem Umfang Bezug und tritt ihr bei.

Ergänzend ist noch folgendes anzumerken:

Mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten stimmt der Senat darin überein, dass es sich um ein außergewöhnlich umfangreiches Strafverfahren gehandelt hat, in dem eine Reihe besonders schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen zu klären war. Sowohl der Aktenumfang als auch die Verhandlungsdauer mit einer Beiordnungszeit von fast fünf Jahren, die besonders komplexe Beweisaufnahme mit der in Anwesenheit fünf des Antragstellers erfolgten Vernehmung von mehr als 60 zum Teil mehrfach vernommener Zeugen und von zwei Sachverständigen rechtfertigen es, die vorliegende Sache im oberen Bereich innerhalb der bereits besonders umfangreichen und besonders schwierigen Verfahren anzusiedeln.

Insbesondere die intensive Vorbereitung der am 26. April 1996 begonnenen Hauptverhandlung hat angesichts des außerordentlichen Umfangs des Aktenmaterials einen ganz erheblichen Arbeitsaufwand erfordert. Darüber hinaus hat die Vor- und Nachbereitung der einzelnen Hauptverhandlungstage und auch die Abstimmung mit den weiteren (Pflicht-) Verteidigern des Angeklagten und der Mitangeklagten den Antragsteller zusätzlich in erheblichem Umfang in Anspruch genommen.

Andererseits bedeutete es während der Hauptverhandlung für den Antragsteller auch eine Erleichterung, dass für seinen Mandanten während der gesamten Zeit der Beiordnung noch zumindest ein weiterer Verteidiger zur Verfügung stand. Es war ihm daher möglich, an zahlreichen Tagen an der Hauptverhandlung gar nicht teilzunehmen. Auch hat er an einer Reihe von Hauptverhandlungstagen, an denen er anwesend war, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, zumindest teilweise der Hauptverhandlung fernzubleiben. Gleichwohl steht ihm für jeden der Hauptverhandlungstage, auch wenn er an diesen nur kurze Zeit teilgenommen hat, eine gesonderte gesetzliche Gebühr zu. Demgegenüber war aber dabei auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller solche Zeiten vorübergehender Abwesenheit während der laufenden Hauptverhandlung auch dazu genutzt hat, für das vorliegende Verfahren außerhalb des Sitzungssaales tätig zu sein. Die durchschnittliche Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung, die zwar nicht allein ein ausschlaggebendes Merkmal, jedoch ein nicht unwesentlicher Hinweis auf den gesamten Umfang der Tätigkeit eines Verteidigers ist, betrug danach beim Antragsteller knapp vier Stunden. Von den insgesamt 188 Hauptverhandlungstagen hat Rechtsanwalt R. lediglich an 117 Tagen teilgenommen, während der weitere Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S. an 169 Tagen und die weitere Pflichtverteidigerin Rechtsanwältin H., die am 24. September 1998 entpflichtet worden ist, von den bis dahin stattgefundenen 151 Hauptverhandlungstagen an 113 Tagen teilgenommen hat.

Diese Umstände und die sich über den gesamten Zeitraum der Beiordnung ergebende relativ geringe Terminsdichte machen deutlich sichtbar, dass der Antragsteller auch neben seiner Tätigkeit für das ohne Frage außerordentlich umfangreiche vorliegende Verfahren noch die Möglichkeit hatte, in nicht ganz unerheblichem Umfang andere Mandate wahrzunehmen und recht flexibel seine übrige Arbeitszeit einzuteilen.

Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 5. August 1999 (2 (s) Sbd. 6 - 150/99 = AnwGebSpezial 2000, 7) betreffend die Mitverteidigern H. und in seinen bereits genannten Beschlüssen vom 27. April 2001 und vom 14. Mai 2001 ausgeführt hat, darf bei der Bewilligung einer Pauschvergütung insgesamt das vorgegebene Gesamtgefüge der gesetzlichen Gebühren für den Pflichtverteidiger nicht außer Acht gelassen werden. Auch soll der Pflichtverteidiger durch die Gewährung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO nicht etwa einem Wahlverteidiger gleichgestellt, sondern es sollen lediglich außergewöhnliche und unzumutbare Belastungen des Pflichtverteidigers vermieden werden.

Unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände und des gesamten Vorbringens des Antragstellers hat der Senat daher insbesondere auf Grund der enormen Fülle des Aktenmaterials, des Umfangs der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung und der auch außerhalb der Verhandlung erforderlichen Zeit für die Bearbeitung des vorliegenden Verfahrens eine Pauschvergütung festgesetzt, die die Höchstgebühren eines Wahlverteidigers noch deutlich übersteigt. Auch hat der Senat dabei nicht verkannt, dass Rechtsanwalt R. zur Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine aus Osnabrück anreisen musste. Andererseits ist in diesem Zusammenhang jedoch auch darauf hinzuweisen, dass auswärtige Verteidiger im Gegensatz zu ortsansässigen über ihre Gebühren und auch eine etwaige Pauschvergütung hinaus gemäß § 28 BRAGO Anspruch auf ein nicht ganz unerhebliches Abwesenheitsgeld haben.

Danach erschien eine Pauschvergütung in Höhe von 95.000,00 DM angemessen, so dass sie - unter Ablehnung des weitergehenden Hilfsantrages - in der genannten Höhe festgesetzt worden ist.

Bei der Bemessung der Höhe der Pauschvergütung hat der Senat allerdings nicht den zusätzlichen Zeitaufwand berücksichtigt, der dem Antragsteller dadurch entstanden ist, dass er seinen in die Schweiz geflohenen Mandanten dort besucht hat. Da die Wirtschaftsstrafkammer durch Beschluss vom 16. März 1999 zutreffend die Notwendigkeit einer derartigen Reise und die Erstattungsfähigkeit entsprechender Auslagen verneint hat, besteht insoweit auch keine Grundlage zur Festsetzung gesetzlicher Gebühren. Denn die Pauschvergütung tritt gemäß § 99 Abs. 1 BRAGO an die Stelle gesetzlicher Gebühren. Deshalb muß unter diesen Umständen auch eine Berücksichtigung bei der Bemessung der Höhe einer Pauschvergütung ausscheiden. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von demjenigen, in dem ein Verteidiger eine vom Gericht angeordnete und durchgeführte Auslandsreise durchführt bzw. begleitet, ohne dass ihm insofern eigenständige gesetzliche Gebühren zustehen würden.

Durch die gewährte Pauschvergütung ist die gesamte Tätigkeit des Antragstellers im vorliegenden Verfahren abgegolten. Dabei hat der Senat in einer Gesamtschau den gesamten Tätigkeitsumfang in sämtlichen Verfahrensabschnitten berücksichtigt. In die Berechnung eingeflossen ist somit auch die Tätigkeit im Vorverfahren, die - wie bereits erwähnt - auf Grund ihres Aufwands und Umfangs besondere Berücksichtigung gefunden hat. Soweit bereits durch Senatsbeschluss vom 14. August 1996 (2 (s) Sbd. 4 - 116, 117 und 118/96) insbesondere im Hinblick auf die Tätigkeit in diesem Verfahrensabschnitt ein Vorschuss auf eine künftige Pauschvergütung in Höhe von 15.000,00 DM bewilligt worden ist, erlangt dieser nicht etwa eigenständige Bedeutung. Grundlage und Sinn dieses Beschlusses war es vielmehr, dem Antragsteller im Vorschusswege bereits zu diesem Zeitpunkt einen nicht unerheblichen Gebührenanspruch zuzubilligen, da ihm trotz umfangreicher Tätigkeit bis dahin erst sehr geringe gesetzliche Gebühren zustanden.

Schließlich steht die nunmehr insgesamt bewilligte Pauschvergütung im Binnenvergleich auch in angemessenem Verhältnis zu denjenigen, die der Senat in den bereits genannten Beschlüssen vom 5. August 1999, 17. April 2001 und 14. Mai 2001 weiteren Pflichtverteidigern, insbesondere der Rechtsanwältin H. und dem Rechtsanwalt S., bewilligt hat.

Soweit Rechtsanwalt R. in erster Linie beantragt hatte, festzustellen, dass eine Pauschvergütung oberhalb der Wahlverteidigerhöchstgebühr angemessen ist, und ihm für jeden von ihm wahrgenommenen Hauptverhandlungstag einen bestimmten Betrag, nämlich 1.100,00 DM, als Pauschvergütung zu bewilligen, waren diese Anträge ebenfalls abzulehnen.

Der Feststellungsantrag ist schon deshalb gegenstandslos, weil dem Antragsteller eine Pauschvergütung oberhalb der Höchstgebühren eines Wahlverteidigers bewilligt worden ist.

Im übrigen wäre ein Feststellungsantrag auch deshalb nicht zulässig, weil das Ziel auch mit einem Leistungsantrag - eben einem solchen auf Bewilligung einer Pauschvergütung, deren Höhe angeregt werden kann, - erreicht werden kann (vgl. auch den Rechtsgedanken des § 43, Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Im übrigen sieht die BRAGO zwar die Möglichkeit der verbindlichen Feststellung der Erforderlichkeit einer Reise des bestellten Verteidigers und anderer Auslagen als Reisekosten vor (§§ 97 Abs. 2 Satz 2, 126 Abs. 2 BRAGO), eine entsprechende Feststellung bezüglich einer Zusage der Bewilligung von Mindestbeträgen im Rahmen einer zu bewilligenden Pauschvergütung kennt die BRAGO jedoch nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 17. März 1997 in 2 (s) Sbd. 5 - 240/96 = StraFo 1997, 286 = Anwaltsblatt 1998, 220).

Soweit der Antragsteller die Festsetzung eines bestimmten Betrages für jeden von ihm wahrgenommenen Hauptverhandlungstag beantragt hat, hat der Senat bereits durch Beschluss vom 2. Oktober 1997 (2 (s) Sbd. 5 - 164/97) einen entsprechenden Antrag des Mitverteidigers Rechtsanwalt S. im Rahmen der Bewilligung von Vorschüssen auf eine künftige Pauschvergütung abgelehnt und insoweit folgendes ausgeführt:

"Auch ist es nicht möglich, einen solchen festen Betrag - unabhängig von seiner Höhe - jeweils pro Sitzungstag zu bewilligen, und zwar weder als Vorschuss auf eine Pauschvergütung noch als bereits endgültig zu bewilligende Pauschvergütung. Es kann nämlich erst bei rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens im Rahmen einer Gesamtschau ermittelt werden, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung gegeben sind und wenn ja, in welchem Umfang. Da die Pauschvergütung als Gesamtbetrag an die Stelle der gesetzlichen Gebühren tritt, setzt sie sich auch nicht wie diese aus einzelnen fest taxierten und zu addierenden Beträgen zusammen."

Der Senat sieht auch weiterhin keinen Grund, seine insoweit ständige Rechtsprechung aufzugeben.

Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass möglicherweise andere Oberlandesgerichte (wie das OLG Celle) ihren Entscheidungen zur Bemessung der Höhe einer Pauschvergütung derartige feste Beträge zugrunde legen.

Soweit dem Antragsteller bereits mehrfach Vorschüsse auf eine künftige Pauschvergütung und Vorschüsse auf die gesetzlichen Gebühren gezahlt worden sind, sind diese auf die nunmehr gewährte endgültige Pauschvergütung anzurechnen.

Ende der Entscheidung

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