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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.06.2000
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6 - 96/2000
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 99
Leitsatz:

Bei der Bewilligung einer Pauschvergütung sind alle Umstände des Verfahrens zu berücksichtigen. Dabei ist die Zahl der Hauptverhandlungstage ein Kriterium. Es kann grds. nicht allein mit der Zahl der Hauptverhandlungstage der "besondere Umfang" des Verfahrens begründet werden

- Az: 2 (s) Sbd. 6 - 96/2000 OLG Hamm -


Beschluss: Strafsache gegen H.W. u.a.,

wegen Betruges u.a. (hier: Pauschvergütung für den bestellten Verteidiger).

Auf den Antrag des Rechtsanwalts C. aus B. vom 2. Juni 1999 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27.06.2000 durch die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Gegen den ehemaligen Angeklagten ist seit 1998 ein Verfahren wegen Betruges anhängig gewesen. Der Antragsteller, der zuvor bereits seit dem 23. März 1998 als Wahlverteidiger für den ehemaligen Angeklagten tätig gewesen ist, ist dem ehemaligen Angeklagten am 6. Januar 1999 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

In seiner Eigenschaft als Pflichtverteidiger hat der Antragsteller an der Hauptverhandlung vor der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum teilgenommen. Sie fand an 12 Terminen statt. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine betrug rund 3 Stunden 16 Minuten, diese waren auf zehn Wochen verteilt. Die beiden längsten Termine dauerten 5 Stunden 10 Minuten, die beiden kürzesten Termine nur 15 bzw. nur 20 Minuten. Der Antragsteller hat gegen das 104 Seiten lange Urteil Revision eingelegt und diese nach Akteneinsicht auf vier Seiten begründet.

Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers betragen 5.300,00 DM (300 + 480,00 DM + 11 * 380,00 DM + 340,00 DM). Der Antragsteller hat eine gegenüber den gesetzlichen Gebühren um 1.627,50 DM erhöhte Pauschvergütung beantragt, und zwar für jeden Hauptverhandlungstag ab dem sechsten Hauptverhandlungstag zusätzlich 232,50 DM. Der Vertreter der Staatskasse hat beantragt, den Pauschvergütungsantrag zurückzuweisen.

II.

Der Antrag war zurückzuweisen, da der Antragsteller weder in einem im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO "besonders schwierigen" noch in einem "besonders umfangreichen" Verfahren tätig geworden ist.

1.

Das Verfahren war für den Antragsteller nicht "besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO. Zwar hat der Vorsitzende in seiner Stellungnahme das Verfahren "wegen des überdurchschnittlichen Umfangs" als tatsächlich besonders schwierig angesehen. Dieser Einschätzung vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Einschätzung des Vorsitzenden hinsichtlich der "besonderen Schwierigkeit" grundsätzlich maßgeblich (siehe u.a. Senatsbeschluss in 2 (s) Sbd. 5 - 265/97 vom 15. Januar 1998 in AnwBl. 1998, 416 = AGS 1998, 104 = ZAP EN-Nr. 609/98). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Einschätzung nicht nachvollziehbar ist (Senats, a.a.O., und in JurBüro 1999, 194; zuletzt u.a. Beschluss des Senats vom 7. März 2000 in 2 (s) Sbd 6-11/2000, auf http:/www.burhoff.de). Das ist vorliegend der Fall. Das Verfahren ist nämlich, worauf der Vertreter der Staatskasse zutreffend hingewiesen hat, nicht so überdurchschnittlich umfangreich, als dass sich schon daraus besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher Hinsicht für den Antragsteller ergeben hätten. Das Verfahren ist vielmehr - wie noch darzulegen ist - noch nicht einmal "besonders umfangreich" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO.

2.

Der Antragsteller ist auch nicht in einem im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO "besonders umfangreichen" Verfahren tätig geworden. Besonders umfangreich ist eine Strafsache nach ständiger Rechtsprechung des Senats, die der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur entspricht (vgl. z.B. OLG Koblenz NStZ 1988, 371; siehe auch Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 13. Aufl., 1999, § 99 Rn. 3), wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" Sache zu erbringen hat. Vergleichsmaßstab sind dabei nur gleichartige Verfahren (OLG Koblenz Rpfleger 1985, 508; OLG München JurBüro 1976, 638 = MDR 1976, 689), vorliegend also Verfahren vor der Strafkammer (vgl. auch Senat in NStZ-RR 1998, 254 = StraFo 1998, 321, 356 = AGS 1998, 140 = StV 1998, 619 und die weiteren Nachweise aus der Rechtsprechung des Senats bei Burhoff StraFo 1999, 261). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Legt man diesen Maßstab hier zugrunde, hat es sich nicht um ein "besonders umfangreiches" Verfahren gehandelt.

Die zeitliche Beanspruchung des Antragstellers durch die Teilnahme an der Hauptverhandlung lag mit einer durchschnittlichen Hauptverhandlungsdauer von rund 3 Stunden 16 Minuten nur im unterdurchschnittlichen Bereich. Auch war die Terminierung mit durchschnittlich einem Hauptverhandlungstag/Woche nur locker. Zutreffend ist auch die Auffassung des Vertreters der Staatskasse, dass die vom Antragsteller noch als Wahlverteidiger erbrachten Tätigkeiten bei der Bewilligung einer Pauschvergütung außer Betracht zu bleiben haben (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt bestätigt im Beschluss vom 6. April 2000 - 2 (s) Sbd. 6-6 u. 7/2000, auf http://www.burhoff.de). Schließlich war auch die Tätigkeit des Antragstellers im Revisionsverfahren nur durchschnittlich.

Eine andere Beurteilung des Verfahrens folgt nicht aus dem Umstand, dass die Hauptverhandlung an 12 Terminen stattgefunden hat. Zwar ist das OLG Brandenburg in seiner vom Antragsteller zitierten Entscheidung vom 1. Oktober 1997 (StV 1998, 92) offenbar der Ansicht, dass schon bei einer Anzahl von mehr als fünf Hauptverhandlungstagen allein dieser Umstand grundsätzlich zur Bewilligung einer Pauschvergütung führen soll. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen, wobei er offen lässt, ob und wenn ja bei welcher größeren Anzahl von Hauptverhandlungstagen ggf. allein wegen der Anzahl der Hauptverhandlungstage eine Pauschvergütung zu bewilligen ist. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass der Charakter der Gebühr des § 99 BRAGO als eine Pauschvergütung es nach Auffassung des Senats verbietet, allein einen Umstand als für die Bewilligung einer Pauschvergütung ausschlaggebend anzusehen. Demgemäss hat der Senat in ständiger Rechtsprechung auch immer wieder betont, dass im Rahmen der Bewilligung einer Pauschvergütung alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen. Dabei ist die Anzahl der Hauptverhandlungstage grundsätzlich ein - zwar gewichtiges - Indiz, aber eben nur ein Indiz, das in der Gesamtschau aller Kriterien, die für die Bewilligung einer Pauschvergütung bestimmend sind, zu sehen ist. In dem Zusammenhang kann auch nicht übersehen werden, dass dem Verteidiger für jeden wahrgenommenen Folgetermin eine gesonderte Gebühr nach den §§ 97 Abs. 1 Satz 1, 83 Abs. 2 Satz 1 BRAGO zusteht (vgl. Beschlüsse des Senats vom 25. Oktober 1999 - 2 (s) Sbd. 6-190-192/99, sowie vom 18. Januar 1999 - 2 (s) Sbd. 5-275, 276/98), durch die der durchschnittliche Zeitaufwand für jeden (weiteren) Hauptverhandlungstag an sich abgegolten ist. Zwar kann in umfangreichen (Wirtschafts-)Strafverfahren etwas anderes gelten (vgl. dazu Senat in StV 1998, 618 = AGS 1998, 142 = Rpfleger 1998, 497 = AnwBl. 1998, 613 [betr. Vorschuss]; Senat in AGS 1998, 141 [betr. Vorschuss]). Die insoweit vom Senat zugrunde gelegten Kriterien greifen vorliegend jedoch nicht. Denn es darf hinsichtlich des vorliegenden Antrags nicht übersehen werden, dass die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine mit nur 3 Stunden 18 Minuten für ein Strafkammerverfahren nur unterdurchschnittlich lang war, wobei ein Termin sogar nur 15 Minuten und einer nur 20 Minuten gedauert hat. Zwar haben zwei Termine auch mehr als 5 Stunden gedauert, dies führt aber nicht dazu, die gesamte zeitliche Inanspruchnahme des Antragstellers für den ehemaligen Angeklagten nicht als insgesamt deutlich unterdurchschnittlich anzusehen. Da auch im Übrigen keine weiteren Kriterien ersichtlich sind, die eine Beurteilung des Verfahrens als "besonders umfangreich" rechtfertigen würden - auch die Tätigkeit des Antragstellers im Revisionsverfahren war nur durchschnittlich -, war der Pauschvergütungsantrag abzulehnen.

Der Senat weist abschließend darauf hin, dass dem Antragsteller nach seiner Auffassung auch vom OLG Brandenburg keine Pauschvergütung zugebilligt worden wäre. Das OLG Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 1. Oktober 1997 (a.a.O.) zwar offenbar grundsätzlich eine Hauptverhandlungsanzahl von mehr als fünf Tagen als ausreichend für die Bewilligung einer Pauschvergütung angesehen. Der Antragsteller übersieht aber, dass auch nach Auffassung des OLG Brandenburg eine Kompensation zwischen außergewöhnlich vielen Verhandlungstagen und einer außergewöhnlich geringen durchschnittlichen Verhandlungsdauer möglich ist. Das Letztere nimmt das OLG Brandenburg bei einer deutlich unterhalb des Üblichen liegenden Verhandlungsdauer an. Davon wäre vorliegend aber wegen der nur durchschnittlich 3 Stunden 16 Minuten langen Verhandlungsdauer auszugehen.



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