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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.06.2001
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6-78/01
Rechtsgebiete: BRAGO, StPO, ZPO


Vorschriften:

BRAGO § 99
BRAGO § 102
StPO § 404
ZPO § 112
Leitsatz

Der Rechtsanwalt ist nur dann befugt, für den Nebenkläger vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Angeklagten im Adhäsionsverfahren einzuklagen und seine diesbezüglichen Gebühren gegen die Staatskasse geltend zu machen, wenn er dem Nebenkläger im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß §§ 404 Abs. 5 Satz 2 StPO, 121 Abs. 2 ZPO gesondert für das Adhäsionsverfahren beigeordnet worden ist (Anschluss an BGH Rpfleger 2001, 370; Abgrenzung zu Senat in 2 (s) Sbd. 6-87/01).


Beschluss Strafsache gegen R.O.,

wegen sexuellen Missbrauchs (hier: Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung für den als Beistand des Nebenklägers bestellten Rechtsanwalt nach §§ 102, 99 BRAGO).

Auf den Antrag der Rechtsanwältin T. aus Minden vom 13. März 2001 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Vertretung der Nebenklägerin hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.06.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Der Antragstellerin wird anstelle ihrer gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.000 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 1.750 DM (in Worten: eintausendsiebenhundertundfünfzig Deutsche Mark) bewilligt.

Gründe:

I.

Im Verfahren wurde dem ehemaligen Angeklagten sexueller Missbrauch zum Nachteil der Mandantin der Antragstellerin vorgeworfen. Diese hatte sich dem Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen. Ihr ist durch Beschluss des Amtsgerichts vom 27. März 1998 unter Gewährung von Prozesskostenhilfe die Antragstellerin als Beistand gem. § 397 a StPO beigeordnet worden. Zuvor hatte die Antragstellerin für die Nebenklägerin bereits die Strafanzeige verfasst und zwei Besprechungen mit ihr durchgeführt. In der folgenden Zeit hat die Antragstellerin mehrfach Akteneinsicht genommen, insgesamt drei Schreiben für ihre Mandantin verfasst und sich weitere fünf Mal mit ihr besprochen. Die Besprechungen haben, wie die Antragstellerin vorgetragen hat, jeweils 1 bis 5 Stunden gedauert. Die Antragstellerin hat außerdem an den beiden Hauptverhandlungsterminen teilgenommen, die beim Jugendschöffengericht durchschnittlich nur 50 Minuten gedauert haben. Die Antragstellerin ist außerdem für die Nebenklägerin im Adhäsionsverfahren tätig gewesen, in dem in der Hauptverhandlung ein Vergleich zugunsten der Nebenklägerin abgeschlossen worden ist. Insoweit stehen der Antragstellerin Gebühren gemäß § 89 BRAGO in Höhe von 420,-- DM zu.

Die gesetzlichen Gebühren der Antragstellerin betragen 1.000 DM. Der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts hat das Verfahren als nicht "besonders schwierig" angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat sich dem angeschlossen. Er ist jedoch der Ansicht, dass das Verfahren für die Antragstellerin "besonders umfangreich" gewesen sei, allerdings können nach seiner Ansicht die Tätigkeiten der Antragstellerin im Adhäsionsverfahren keine Berücksichtigung finden.

II.

Der Antragstellerin war eine Pauschvergütung zu bewilligen.

1.

Das Verfahren war allerdings nicht besonders "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Insoweit tritt der Senat mit dem Vertreter der Staatskasse der sachnahen Einschätzung des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts bei; ein Grund, dieser nicht zu folgen, ist nicht ersichtlich (vgl. insoweit Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Das Jugendschöffengericht hatte zwar in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs zu entscheiden. Diese Verfahren sind häufig "besonders schwierig", der Senat hat aber bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass sie nicht in der Regel "besonders schwierig" sind (zum Missbrauchsverfahren siehe auch Senat in StraFo 1998, 175). Das vorliegende Verfahren war vor allem deshalb nicht "besonders schwierig", weil die 1985 geborene Nebenklägerin zur Tatzeit immerhin schon 12 Jahre und während des Verfahrens rund 15 Jahre alt war. Damit waren nach Überzeugung des Senats die mit ihr zu führenden Gespräche einfacher als in Missbrauchsfällen zum Nachteil erheblich jüngerer Kinder zu führen.

2.

Das Verfahren war jedoch "besonders umfangreich" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO.

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Senat bei seiner Beurteilung des Verfahrens alle von der Antragstellerin erbrachten Tätigkeiten, also auch die noch vor der Beiordnung als Nebenklägervertreterin erbrachten, zugrunde gelegt hat. Seine insoweit andere ständige Rechtsprechung hat der Senat im Beschluss vom 17. Mai 2001 - 2 (s) Sbd. 6-72/01, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, aufgegeben. Diese neue Rechtsprechung des Senats gilt auch für die einem Nebenklägervertreter nach den §§ 99, 102 BRAGO zustehende Pauschvergütung.

Bei der Prüfung der Frage des "besonderen Umfangs" hat der Senat jedoch die von der Antragstellerin für die Nebenklägerin im Adhäsionsverfahren erbrachten Tätigkeiten nicht berücksichtigt. Wird - wie vorliegend - dem Nebenkläger gemäß § 397 a Abs. 1 StPO ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt, so erstreckt sich nach der (neuen) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 30. März 2001 - 3 StR 25/01 - Rpfleger 2001, 370) die Beiordnung nicht auch auf das Adhäsionsverfahren. Der Rechtsanwalt ist - so der BGH - nur dann befugt, für den Nebenkläger vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Angeklagten im Adhäsionsverfahren einzuklagen und seine diesbezüglichen Gebühren gegen die Staatskasse geltend zu machen, wenn er dem Nebenkläger im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß §§ 404 Abs. 5 Satz 2 StPO, 121 Abs. 2 ZPO gesondert für das Adhäsionsverfahren beigeordnet worden ist. Diese Auffassung hat der 3. Strafsenat überzeugend mit der Entstehungsgeschichte des § 397 a Abs. 1 StPO und des § 102 BRAGO sowie dem Gesetzeszweck des § 404 Abs. 5 StPO begründet. Dieser überzeugenden Begründung schließt sich der Senat an.

Er setzt sich damit nicht in Widerspruch zu seinem Beschluss vom 31. Mai 2001 - 2 (s) Sbd. 6-87/01). In diesem hat er für die Bestellung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ausgeführt, dass diese auch die Befugnis zur Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst und deshalb bei der Bewilligung einer Pauschvergütung die im Adhäsionsverfahren erbrachten Tätigkeiten zu berücksichtigen sind (ebenso OLG Schleswig NStZ 1998, 101 = StraFo 1998, 393 = AGS 1998, 6; JurBüro 1997, 417; wegen weiterer Nachweise, auch zur a.A., siehe den Beschluss des Senats vom 31. Mai 2001). Die Stellung (des Beistands) des Nebenklägers im Adhäsionsverfahrens unterscheidet sich aber von der des Pflichtverteidigers bzw. der des Angeklagten. Angeklagter und Pflichtverteidiger haben es nämlich nicht in der Hand, ob sie sich auf das Adhäsionsverfahren einlassen oder nicht. Vielmehr müssen sie sich insoweit einem Antrag des Nebenklägers, der im Strafverfahren auch seine zivilrechtlichen Ansprüche geltend machen will, stellen. Die Abwehr dieser Ansprüche, die in der Regel mit der Abwehr des staatlichen Strafanspruchs korrespondiert, ist nicht von ihnen, sondern vom Nebenkläger, der das Adhäsionsverfahren eingeleitet hat, veranlasst. Das ist nach Überzeugung des Senats ausreichender Grund, die Bestellung des Pflichtverteidigers auch auf das Tätigwerden im Adhäsionsverfahren zu erstrecken. Dem lässt sich zudem auch nicht das Argument entgegenhalten, dass dadurch die Staatskasse gegebenenfalls mit Gebührenansprüchen belastet werde, die durch das Einklagen nicht bestehender oder überhöhter Ersatzansprüche im Adhäsionsverfahren entstehen (BGH, a.a.O.). Denn der Angeklagte und sein Pflichtverteidiger müssen sich mit diesen Ansprüchen, wenn sie vom Nebenkläger geltend gemacht worden sind, auf jeden Fall auseinandersetzen. Anders als beim Nebenkläger kommt es insoweit auch nicht darauf an, ob die Verteidigung dagegen Aussicht auf Erfolg hat (§§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO, 114 ZPO). Ein Abstellen darauf würde dazu führen, dass im Zusammenhang mit der ggf. zu stellenden Frage der Beiordnung des Pflichtverteidigers auch für das Adhäsionsverfahren zugleich schon die Erfolgsaussicht der Verteidigung des Angeklagten geprüft werden müsste. Das würde dem gesamten System des Strafverfahrens widersprechen.

Der Senat steht mit seiner Auffassung auch nicht im Gegensatz zur Ansicht des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 30. März 2001 (a.a.O.). Der BGH hat die Frage, ob sich die Beiordnung des Pflichtverteidigers auch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt, nämlich ausdrücklich offen gelassen. Aus dem in dem Zusammenhang gegebenen Hinweis auf die enge tatsächliche und rechtliche Verbindung zwischen der Verteidigung des Angeklagten gegen die ihm vorgeworfene Straftat und der Abwehr der auf diese Straftat gestützten zivilrechtlichen Ersatz- oder Schmerzensgeldansprüche des Verletzten, meint der Senat zudem schließen zu können, dass der Bundesgerichtshof insoweit der gleichen Ansicht wie der Senat und das OLG Schleswig (a.a.O.) ist.

III.

Die danach bei der Bewilligung einer Pauschvergütung zu berücksichtigenden Tätigkeiten der Antragstellerin lassen die Beurteilung des Verfahrens als im Sinn des § 99 BRAGO "besonders umfangreich" zu. Bei dieser Beurteilung hat der Senat einerseits berücksichtigt, dass der Zeitaufwand der Antragstellerin für die beiden Hauptverhandlungstermine mit durchschnittlich je 50 Minuten auch für ein Verfahren vor dem Jugendschöffengericht nur unterdurchschnittlich ist. Allerdings musste sich die Antragstellerin wegen des langen zeitlichen Abstandes zwischen den beiden Hauptverhandlungsterminen nach Aussetzung der ersten Hauptverhandlung für den zweiten Termin erneut in den Prozessstoff einarbeiten. Das Gepräge geben dem Verfahren jedoch die insgesamt sieben Besprechungen, die die Antragstellerin mit der Nebenklägerin geführt hat. Auch wenn der dadurch entstandene Gesamtzeitaufwand nicht feststeht - die Antragstellerin spricht von jeweils 1-5 Stunden -, geht der mindestens anzunehmende Aufwand mit sieben Stunden erheblich über das hinaus, was in anderen amtsgerichtlichen Verfahren üblich ist.

Deshalb hat der Senat bei der Bemessung der Pauschvergütung auf eine solche in Höhe von 1.750 DM erkannt. Die bewilligte Pauschvergütung entspricht damit den sog. Mittelgebühren eines Wahlverteidigers.



Ende der Entscheidung

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