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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.11.2006
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. IX - 116/06
Rechtsgebiete: RVG


Vorschriften:

RVG § 51
Der Senat hält daran fest, dass die Voraussetzungen der "Unzumutbarkeit" i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumindest immer dann zu bejahen sind, wenn das Verfahren bzw. der Verfahrensabschnitt sowohl als "besonders schwierig" als auch als "besonders umfangreich" anzusehen ist.
Beschluss

Strafsache

gegen H.R.

wegen Mordes (hier: Pauschgebühr für den als Pflichtverteidiger beigeordneten Rechtsanwalt).

Auf den Antrag des Rechtsanwalts C. aus P. vom 04. Januar 2006 auf Bewilligung einer Pauschgebühr für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten im vorbereitenden und gerichtlichen Verfahren 1. Instanz hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 11. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Rechtsanwalt C. wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 3.718 € für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten im vorbereitenden Verfahren und im gerichtlichen Verfahren I. Instanz eine Pauschgebühr in Höhe von 6.000 EURO (in Worten: sechstausend EURO) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Dem ehemaligen Angeklagten wurde im vorliegenden Verfahren ein Tötungsdelikt zur Last gelegt. Deswegen war beim Schwurgericht des Landgerichts Paderborn ein Verfahren gegen den Angeklagten anhängig. Gegen seine Verurteilung hat der ehemalige Angeklagten Revision eingelegt. Die Revision ist durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. Mai 2006 verworfen worden.

Der Antragsteller war dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Bestellung erfolgte am 15. Juli 2005. Der Antragsteller beantragt nunmehr für seine für den ehemaligen Angeklagte erbrachten Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschgebühr, die er im Wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten begründet:

Der Antragsteller ist für den ehemaligen Angeklagte bereits im Vorverfahren tätig gewesen. Er hat mehrere Schreiben und Anträge verfasst und Einsicht in die umfangreiche Strafakte, die rund 1700 Seiten stark war, genommen. Er hat außerdem Einsicht in neun Bände Spurenakten genommen. Der Antragsteller hat zudem an einer richterlichen Vernehmung des Ehefrau des ehemaligen Angeklagten sowie an der richterlichen Verkündung des Haftbefehls teilgenommen. Der Antragsteller musste sich darüber hinaus mit einem 86-seitigen gerichtspsychiatrischen und -psychologischen Gutachten sowie mit Spurengutachten auseinandersetzen. Das gerichtspsy-chiatrische Gutachten ist dem Antragsteller erst kurz vor der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt worden. Der Antragsteller hat zudem an zwei mehrstündigen Besprechungen mit dem Mandanten im WZFP in Lippstadt-Eickelborn und in der JVA Werl teilgenommen, wohin er jeweils von seinem Kanzleisitz in Paderborn angereist ist. Er hat außerdem noch eine rund 2 1/2 Stunden dauernde Besprechung mit einem "Sachverständigenberater" durchgeführt.

Der Antragsteller hat an der Hauptverhandlung, die in der Zeit vom 25. Oktober 2005 bis zum 11. November 2005 an insgesamt 6 Hauptverhandlungstagen statt gefunden hat, teilgenommen. Einmal waren in einer Kalenderwoche zwei, einmal drei Termine terminiert. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine hat rund 4 Stunden 14 Minuten betragen. Von den 6 Terminen hat einer mehr als 7 Stunden, einer mehr als 5 Stunden, einer mehr als 4 und zwei mehr als 3 Stunden und ein Termin nur knapp 1 Stunde gedauert. Von den 6 Terminen haben sich zwei bis in die Nachmittagsstunden erstreckt. In der Beweisaufnahme sind 26 Zeugen und vier Sachverständige vernommen worden. Das landgerichtliche Urteil umfasste 50 Seiten.

Der Antragsteller ist für seinen Mandanten auch im Revisionsverfahren tätig gewesen. Für dieses wird aber eine Pauschgebühr nicht geltend gemacht.

Wegen des weiteren Umfangs der Inanspruchnahme und der von dem Antragsteller für seinen Mandanten erbrachten Tätigkeiten wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 08. September 2006 Bezug genommen.

Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren des Antragstellers für das vorbereitende Verfahren und das gerichtliche Verfahren I. Instanz betragen 3.718 EURO. Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat das Verfahren als "besonders schwierig" angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat dem nicht widersprochen.

II.

Dem Antragsteller war nach § 51 Abs. 1 RVG eine Pauschgebühr zu bewilligen.

1. Entsprechend der Ansicht des Vorsitzenden des Schwurgerichts, der der Vertreter der Staatskasse nicht widersprochen hat, war das Verfahren auch "besonders schwierig" im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG. "Besonders schwierig" im Sinne des § 51 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (Burhoff/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 19 ff. mit weiteren Nachweisen; vgl. dazu auch Burhoff StraFo 1999, 261, 264; Das ist vorliegend nach Einschätzung des Senats schon der Fall. Insoweit schließt sich der Senat der Einschätzung des Vorsitzenden des Schwurgerichts an (vgl. dazu grundlegend dazu Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Der Senat hat zwar bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass in Schwurgerichtsverfahren der Gesetzgeber dem besonderen, im Vergleich zu anderen Verfahren vor der Strafkammer in der Regel höheren, Schwierigkeitsgrad schon dadurch Rechnung getragen hat, dass der Verteidiger höhere (gesetzliche) Gebühren erhält als in "normalen" Strafkammerverfahren (vgl. dazu u.a. Senat in StraFo 2000, 286 = ZAP EN-Nr. 557/2000 = AnwBl. 2001, 246). Demgemäss führen Schwierigkeiten, die in anderen Verfahren zur Bejahung des Merkmals der "besonderen Schwierigkeit" herangezogen werden können, in diesen Verfahren nicht automatisch auch zur Bejahung dieses Merkmals (zur Einordnung eines Schwurgerichtsverfahrens als besonders schwierig siehe z.B. auch Senat in ZAP EN-Nr. 393/2002 = Rpfleger 2002, 480). Diese zur BRAGO ergangene Rechtsprechung gilt nach Auffassung des Senats auch für das RVG (vgl. Beschluss des Senats in 2 (s) Sbd. VIII 239/05, JurBüro 2006, 255 Ls. ). Dennoch ist der Senat vorliegend der Auffassung, dass es sich auch unter Zugrundelegung dieses strengen Maßstabs schon um ein "besonders schwieriges" Verfahren im Sinne von § 51 Abs. 1 BRAGO gehandelt hat. Dies einzuschätzen, ist der Senat aufgrund seiner Erfahrung aus der Vielzahl von Pauschgebührenverfahren, die bei ihm anhängig gewesen sind bzw. noch sind, in der Lage. Vorliegend handelte es sich um eine lange zurückliegende Tat: Die Beweisführung konnte, das der ehemalige Angeklagte sich nicht zur Sache eingelassen hat, nur aufgrund umfangreicher Indizien erfolgen.

2. Das Verfahren war für den Antragsteller auch schon "besonders umfangreich" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG. In dem Zusammenhang hat der Senat seine Prüfung auf die Verfahrensabschnitte "vorbereitendes Verfahren" und "gerichtliches Verfahren I. Instanz" beschränkt. Ein Pauschgebührenantrag für die Verteidigung im Revisionsverfahren ist ersichtlich nicht gestellt. Das Revisionsverfahren beim BGH war bei Stellung des Pauschgebührenantrags noch gar nicht beendet. Der Antragsteller hat auch zunächst nur die gesetzlichen Gebühren für das vorbereitende und das gerichtliche Verfahren I. Instanz geltend gemacht.

Bei den somit insoweit zu berücksichtigenden Tätigkeiten hat der Senat neben der Teilnahme des Antragstellers an der richterlichen Vernehmung vor allem die umfangreichen sonstigen Tätigkeiten des Antragstellers im vorbereitenden Verfahren berücksichtigt, wobei nicht zu verkennen ist, dass dem Antragsteller dafür teilweise eigenständige gesetzliche Gebühren zustehen (vgl. dazu Senat in StraFo 2005, 263). Allerdings ist der Antragsteller darüber hinaus in nicht unerheblich zeitlichem Umfang tätig geworden und ist ihm das umfangreiche Sachverständigengutachten erst kurz vor der Hauptverhandlung zugegangen. Auch war der Aktenumfang erheblich. Die Teilnahme des Antragstellers an der Hauptverhandlung war allerdings mit einer durchschnittlichen Dauer von rund 4 Stunden 14 Minuten für ein Schwurgerichtsverfahren allenfalls durchschnittlich, wenn nicht leicht unterdurchschnittlich. Es kann jedoch nicht übersehen werden, dass zumindest einer der 6 Termine überdurchschnittlich lang war (vgl. dazu Senat in ZAP ENNr. 34/2002 = AGS 2002, 37 = AnwBl. 2002, 433) und die Termine dicht terminiert waren.

3. Unter Berücksichtigung dieser und aller weiteren Umstände des Einzelfalls war dem Antragsteller damit die vom Senat als angemessen angesehene Pauschgebühr von 6.000 EURO zu gewähren. Eine Pauschgebühr in dieser Höhe ist, insbesondere auch unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller für die Fahrt von Paderborn, dem Sitz seiner Kanzlei nach Lippstadt-Eickelborn bzw. Werl aufgewendeten Fahrtzeiten, angemessen (zur Berücksichtigung der Fahrzeiten siehe OLG Hamm, StraFo 2005, 130 = Rpfleger 2005, 214 = JurBüro 2005, 196 = AGS 2005, 117 = RVGreport 2005, 68; vgl. zu § 99 BRAGO zuletzt RVGreport 2005, 70 m.w.N.). Von Belang war daneben auch der Umfang der Verfahrensakten. Die insoweit vom Antragsteller erbrachten Tätigkeiten sind im vorbereitenden Verfahren mit der gesetzlichen Grund- und Verfahrensgebühr (Nr. 4101, 4105 VV = insgesamt 299 €) nicht in zumutbarer Weise abgegolten (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf Beschluss vom 7. September 2006, III-3 (s) RVG 4/06, www.burhoff.de).

Die dem Antragsteller zustehenden gesetzlichen Gebühren sind - worauf der Vertreter der Staatskasse zutreffend hinweist - im Hinblick auf den Umfang der erbrachten Tätigkeiten "unzumutbar" i.S. von § 51 Abs. 1 RVG. Der Senat hat in der Vergangenheit bereits darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen der "Unzumutbarkeit" i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumindest immer dann zu bejahen sind, wenn das Verfahren bzw. der Verfahrensabschnitt sowohl als "besonders schwierig" als auch als "besonders umfangreich" anzusehen ist (StraFo 2005, 173 = AGS 2005, 112). Daran hält der Senat fest. Zu einer Abkehr von dieser Auffassung führt nicht die Entscheidung des OLG Frankfurt in NJW 2006, 457. Dort wird nämlich nach Ansicht des Senats übersehen, dass auch nach den Änderungen im Recht der Pauschgebühr durch das RVG immer noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Inanspruchnahme Privater, auf die auch der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung verweist (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 201; eingehend dazu auch Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn. 23 ff.). Grundlage der Gewährung einer Pauschgebühr ist. Diese ist zwar, was auch der Senat nicht verkennt, durch die Schaffung neuer Gebührentatbestände in ihrem Anwendungsbereich zurückgedrängt worden. Der Gesetzgeber hat sie aber beibehalten, was deutlich zeigt, dass auch er die gesetzlichen Gebühren ggf. als nicht ausreichend ansieht, um die anwaltliche Tätigkeit angemessen zu honorieren. Die Auffassung des OLG Frankfurt würde demgegenüber dazu führen, dass der Anwendungsbereich des § 51 RVG in der Praxis auf extreme Ausnahmefälle reduziert wäre. Dieses Ziel lässt sich aber dem RVG gerade nicht entnehmen.

4.

Der weitergehende Antrag, mit dem ein Pauschgebühr von 8.000 € geltend gemacht worden ist, womit die so genannten Wahlverteidigerhöchstgebühren überschritten worden wären, war abzulehnen. Gebühren in dieser Höhe wären angesichts des Umfangs der von den Antragstellern erbrachten Tätigkeiten unangemessen. Dabei kann wegen der Höhe der geltend gemachten Gebühren dahinstehen, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung des Senats zu dieser Frage Bestand hat (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 94). Gebühren in dieser Höhe sind aber auf jeden Fall unangemessen und nicht gerechtfertigt.

Ende der Entscheidung

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