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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.02.2007
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. IX 10/07
Rechtsgebiete: RVG


Vorschriften:

RVG § 51
Bei der Bewilligung einer Pauschgebühr ist die aktive Mitarbeit des Verteidigers, die das Verfahren erheblich abgekürzt hat, zu berücksichtigen.
Beschluss

Strafsache

gegen C.G.

wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.,

(hier: Pauschgebühr für den bestellten Verteidiger gemäß § 51 RVG).

Auf den Antrag des Rechtsanwalts B. in Duisburg vom 14. November 2005 auf Bewilligung einer Pauschgebühr für die Pflichtverteidigung des früheren Angeklagten hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 02. 2007 durch den Richter am Landgericht (als Einzelrichter gemäß §§ 51 Abs. 2 S. 4, 42 Abs. 3 S. 1 RVG) nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsteller Rechtsanwalt B. wird anstelle der gesetzlichen Gebühren in Höhe von insgesamt 976 € eine Pauschgebühr in Höhe von 1.300 € (in Worten: eintausenddreihundert Euro) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt mit näherer Begründung, auf die Bezug genommen wird, für seine Tätigkeit als gerichtlich bestellter Verteidiger die Gewährung einer Pauschgebühr in Höhe von 3.000 €. Er ist dem ehemaligen Angeklagten durch Beschluss vom 09. August 2005 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden, mithin nach der am 21. Juni 2005 beim Landgericht Essen eingegangenen Anklage. Erstmals tätig geworden ist er am 19. Mai 2005.

Hinsichtlich seiner Tätigkeiten im Einzelnen wird auf die Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des OLG Hamm Bezug genommen, die dem Antragsteller bekannt ist.

II.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG liegen vor, da das Verfahren für den Antragsteller besonders umfangreich war und die gesetzlichen Gebühren "unzumutbar" im Sinne des § 51 RVG sind.

1. Besonders schwierig war das Verfahren hingegen nicht. Der Senat schließt sich insoweit der Stellungnahme der Vorsitzenden der Strafkammer an, wonach die Strafsache für den Pflichtverteidiger keine besonderen Schwierigkeiten geboten hat. Es ist kein Grund ersichtlich, sich der sachnahen Einschätzung der Vorsitzenden des Gerichts nicht anzuschließen (vgl. Senat in AnwBl. 1998, 416; JurBüro 1999, 194; 2000, 56 sowie zur Weitergeltung dieser Rechtsprechung nach Inkrafttreten des RVG Senat in StraFo 2005, 130 sowie Beschluss vom 15. August 2006 in 2 (s) Sbd. IX - 68/06).

2. Das Verfahren war für den Antragsteller allerdings "besonders umfangreich" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG, da der Antragsteller in weit überdurchschnittlichem Maße tätig gewesen ist, so dass die gesetzlichen Gebühren auch "unzumutbar" im Sinne des § 51 RVG sind.

Der Senat hat schon in seinem Beschluss vom 17. Februar 2005 (in 2 (s) Sbd. VIII 11/05) dargelegt, dass hinsichtlich des Merkmals des "besonderen Umfangs" die bisherige zu § 99 BRAGO ergangene Rechtsprechung grundsätzlich weitgehend anwendbar bleibt. Allerdings muss sie jeweils sorgfältig darauf untersucht werden, inwieweit Tätigkeiten, für die das RVG einen besonderen Gebührentatbestand geschaffen hat, jeweils für die Annahme des "besonderen Umfangs" mitbestimmend gewesen sind. "Besonders umfangreich" ist eine Strafsache dementsprechend nach wie vor dann, wenn der vom Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" Sache zu erbringen hat (allgemeine Meinung zu § 99 BRAGO; vgl. die Nachweise bei Burhoff StraFo 1999, 261, 263 in Fn. 30 und die ständige Rechtsprechung des Senats).

Das RVG sieht bei den Gebühren des Strafverteidigers in Teil 4 VV RVG im Wesentlichen eine verfahrensabschnittsweise Vergütung vor, die so der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung (vgl. dazu BT Dr. 15/1971, S. 220) eine bessere Honorierung der Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Strafverfahren ermöglicht. Dem hat er bei der Neufassung des § 51 RVG dadurch Rechnung getragen, dass nunmehr ausdrücklich in § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG die Bewilligung einer Pauschgebühr für einen Verfahrensabschnitt möglich sein soll (vgl. dazu BT Dr. 15/1971, S. 201, Burhoff/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 26 ff.). Dem hat nach Auffassung des Senats die Rechtsprechung auch dann Rechnung zu tragen, wenn eine Pauschgebühr - wie im vorliegenden Fall - nicht nur für einen einzelnen Verfahrensabschnitt beantragt wird, sondern für das gesamte Verfahren. Grundsätzlich wird auch in diesen Fällen zunächst zu untersuchen sein, inwieweit der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner Verfahrensabschnitte zu bejahen ist (so auch OLG Jena im Beschluss vom 11. Januar 2005, AR (S) 185/04, http://www.burhoff.de). Die bislang von der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in der Regel vorgenommene Gesamtbetrachtung des Verfahrens (vgl. dazu u.a. OLG Hamm StraFo 1997, 286 = AnwBl. 1998, 220) kann unter Geltung des RVG erst in einem zweiten Schritt vorgenommen werden, wenn nämlich zu entscheiden ist, ob zwar nicht ein einzelner Verfahrensabschnitt "besonders umfangreich" gewesen ist, ggf. das Verfahren aber insgesamt als "besonders umfangreich" einzustufen ist (so auch OLG Jena, a.a.O.). In diesem Zusammenhang ist aber unter Anwendung des RVG zu berücksichtigen, dass dieses nunmehr für einige Tätigkeiten des Pflichtverteidigers besondere eigenständige Gebühren vorsieht, wie die Nr. 4102 VV RVG und die so genannten Längenzuschläge für besonders lange Hauptverhandlungen. Diese Tätigkeiten haben in der Gesamtschau nicht mehr das Gewicht, dass sie bei der Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 99 BRAGO noch hatten (so auch Burhoff/Burhoff, a.a.O., Nr. 4114 VV RVG Rn. 1, Nr. 4110 VV RVG Rn. 2).

Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Auffassung, dass die Tätigkeiten, die der Antragsteller im vorgerichtlichen Verfahren erbracht hat, nicht als "besonders umfangreich" zu bewerten sind. Die Verfahrensgebühr (Nr. 4104 mit Zuschlag Nr. 4105 VV RVG) deckt die Handlungen bis zum Eingang der Anklage ab. Zwar hat der Antragsteller vorgetragen, er habe seinen Mandanten siebenmal in der Justizvollzugsanstalt besucht, wobei die Besuchsdauer 45, 90, 90, 150, 100, 120 und 85 Minuten betragen habe. Jedoch hat lediglich ein Besuch vom 20. Mai 2005 während des Vorverfahrens stattgefunden, die übrigen Besuche erfolgten hingegen nach Anklageerhebung. Allein der Haftbesuch vom 20. Mai 2005 mit einer Länge von 45 Minuten ist nicht von einem solchen Umfang, dass er die Tätigkeit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren schon als besonders umfangreich erscheinen ließe (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2005, a.a.O. sowie OLG Karlsruhe StV 2006, 205). Die nach der Anklageerhebung erfolgten Besuche sind hingegen nicht geeignet, eine Erhöhung der Verfahrensgebühr Nr. 4104 mit Zuschlag (Nr. 4105 VV RVG) zu begründen, da sie sich allein auf die Verfahrensgebühr Nr. 4112 mit Zuschlag Nr. 4113 VV RVG auswirken.

In Übereinstimmung mit dem Vertreter der Staatskasse ist allerdings die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung als "besonders umfangreich" und darüber hinaus - und insoweit abweichend von der Stellungnahme des Dezernats 10 - auch als "unzumutbar" im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG anzusehen. Das besondere Gepräge erhält die Tätigkeit in diesem Verfahrensabschnitt durch die erbrachten sechs Besuche in der Justizvollzugsanstalt, die insgesamt mehr als 10 1/2 Stunden gedauert haben (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.). Daneben waren der nicht unerhebliche Aktenumfang sowie mehrere Schreiben, Anträge und Akteneinsichten zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen war außerdem die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV RVG Rn. 34, 37; a.A. offenbar Enders JurBüro 2005, 34 in der Anmerkung zu AG Koblenz JurBüro 2005, 33).

Hinsichtlich der Hauptverhandlungstermine ist darauf zu verweisen, dass diese mit einer Länge von 2 Stunden und 20 Minuten sowie 4 Stunden und 25 Minuten nicht als "überdurchschnittlich" einzustufen sind. Dies ergibt sich schon daraus, dass das RVG für eine überdurchschnittliche Terminsdauer vor dem Landgericht gemäß Nr. 4116 und 4117 VV RVG einen Zuschlag vorsieht (vgl. Senatsbeschluss vom 22 Mai 2006 in 2 (s) Sbd. IX 53/06). Bei der vorgenannten Terminsdauer von jeweils unter 5 Stunden wird die Zuschlagsgebühr jedoch nicht erreicht.

An diesem Ergebnis ändert auch die Stellungnahme des Antragstellers vom 30. Januar 2007 nichts. Schon angesichts des relativ späten Terminbeginns (12:30 bzw. 10:00 Uhr) ist nicht ersichtlich, weshalb die Betreuung weiterer Mandate ausgeschlossen gewesen sein soll. Eventuelle Termine hätten - auch bei einer kleinen Kanzlei - am 21. Oktober 2005 ohne weiteres und am 08. November 2005 zumindest eingeschränkt am Vormittag bzw. morgens stattfinden können.

Allerdings führt auch die vorzunehmende Gesamtschau vorliegend dazu, das Verfahren insgesamt als "besonders umfangreich" im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zu bewerten. Insoweit ist von besonderer Bedeutung, dass das Verfahren durch die aktive Mitarbeit des Verteidigers erheblich abgekürzt werden konnte. Die Strafkammer hatte ursprünglich vier Verhandlungstage angesetzt und sieben Zeugen zu geladen; es waren letztlich jedoch nur zwei Verhandlungstage erforderlich, an denen lediglich ein Zeuge vernommen worden ist. Die vom Antragsteller im Schriftsatz vom 30. Januar 2007 dargelegte intensive Vorbereitung, die zu einer Verkürzung der Hauptverhandlung führte, hat der Senat auch in der Vergangenheit regelmäßig bei der Bewilligung einer Pauschgebühr berücksichtigt (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 09. Oktober 2006, a.a.O., sowie vom 29. März 2006 in 2 (s) Sbd. IX - 41/06).

Die dargestellte zeitliche Belastung wird auch nicht etwa durch geringere Belastungen in anderen Verfahrensabschnitten kompensiert, so dass die grundsätzliche Frage, ob eine Kompensation innerhalb des Anwendungsbereichs des § 51 RVG überhaupt (noch) zulässig ist, dahinstehen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 02. Januar 2007 in 2 (s) Sbd. IX - 150/06). Denn der Verteidiger - hat wie bereits erwähnt - durch seine Mitarbeit gerade zu der kürzeren Hauptverhandlungsdauer beigetragen, die mit 4 Stunden und 25 Minuten sowie 2 Stunden und 20 Minuten außerdem - gerade vor dem Hintergrund der in Nr. 4116 VV RVG festgesetzten Grenze von 5 Stunden - noch als durchschnittlich zu bezeichnen ist.

3. Demgemäß war dem Antragsteller eine Pauschgebühr zu bewilligen. Die Pauschgebühr hat der Senat in Höhe von 1.300 Euro als angemessen angesehen und in dieser Höhe festgesetzt. Dabei ist die Gebühr nach Nr. 4112, 4113 VV RVG wegen des "besonderen Umfangs" nahezu verdreifacht worden.

Es ist vorliegend angenommen worden, dass insgesamt die Voraussetzungen der "Unzumutbarkeit" i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zu bejahen sind.

In diesem Zusammenhang hat sich der Senat u.a. von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Sonderopfer Privater leiten lassen (vgl. dazu u.a. BVerfGE 54, 251, 271; 68, 237, 255; siehe auch BVerfG AGS 2001, 63). Danach darf das Sonderopfer für den von der öffentlichen Hand in Anspruch genommenen Privaten nicht zu groß sein, andererseits hat aber auch das Bundesverfassungsgericht eine vollständige Kostendeckung nicht gefordert (vgl. wegen weiterer Nachweise Burhoff/Burhoff, a.a.O.; Rn. 23 ff.). Diesbezüglich hat der Senat bereits zu § 99 BRAGO auf die Geldwäscheentscheidung des BGH (vgl. BGHSt 47, 68) hingewiesen (vgl. Senat in StraFo 2003, 66). Dieser Hinweis gilt trotz der durch das RVG gerade im strafverfahrensrechtlichen Bereich erfolgten Gebührenanhebung weiterhin und hat aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 2004 (NJW 2004, 1305) besonderes Gewicht.

Bei der Bemessung der Gebühren darf nach Überzeugung des Senats aber auch das Gesamtgefüge der anwaltlichen Vergütung in Strafsachen nicht übersehen werden. Insoweit ist vorliegend von Belang, dass die so genannte Wahlverteidigerhöchstgebühr hier "nur" 2.200 Euro betragen hätte. Dieser im Verhältnis zur BRAGO erheblich geringere Abstand zwischen den gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers und der Wahlverteidigerhöchstgebühr führt dazu, dass die zu gewährende Pauschgebühr angemessen in das Gesamtgefüge eingefügt und bemessen werden muss.

Der weitergehende Antrag, mit dem ein Pauschgebühr von 3.000 Euro geltend gemacht worden ist, war daher abzulehnen. Gebühren in einer Höhe, die die Wahlanwaltshöchstgebühren deutlich überschreiten, wären angesichts des Umfangs der vom Antragsteller erbrachten Tätigkeiten bei weitem unangemessen. Dabei kann wegen der Höhe der geltend gemachten Gebühren dahinstehen, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung des Senats zu dieser Frage Bestand hat (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn. 94). Gebühren in dieser übersetzten Höhe sind auf jeden Fall unangemessen und in keinem Fall gerechtfertigt. Soweit der Antragsteller seiner Berechnung ein Stundenhonorar zugrunde gelegt hat, weist der Senat darauf hin, dass das RVG zwar den Zeitaufwand des Rechtsanwalts stärker berücksichtigen will. Es hat aber dennoch im Teil VV RVG nicht Zeithonorare eingeführt, sondern es bei Betragsrahmengebühren belassen. Innerhalb der Rahmen hat der Rechtsanwalt die angemessene Gebühr zu bestimmen. Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers hat demgemäß Auswirkungen auf die gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers und damit auch auf die Höhe einer diesem zu gewährenden Pauschgebühr (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Februar 2005 in 2 (s) Sbd. VIII 11/05 ).

Der Senat hat davon abgesehen, im Einzelnen die Gebühren zu bestimmen, an deren Stelle die Pauschgebühr treten soll. Eine von § 51 Abs. 1 Satz 3 RVG ausdrücklich erfasste Fallgestaltung liegt nicht vor. Dann ist es nach Auffassung des Senats ausreichend, wenn wie unter Geltung des § 99 Abs. 1 BRAGO allgemein bestimmt wird, dass die Pauschgebühr an die Stelle der gesetzlichen Gebühren tritt. Eine andere Verfahrensweise erscheint dem Senat auch zur Klarstellung nicht angezeigt (so aber OLG Jena, Beschluss vom 11. Januar 2005, a.a.O.).

Ende der Entscheidung

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