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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.07.2002
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. VII - 107/02
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 99
Zur Bemessung der Pauschvergütung in einem besonders umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren
2 (s) Sbd. VII - 106/02 OLG Hamm 2 (s) Sbd. VII - 107/02 OLG Hamm

Beschluss Strafsache

gegen F.B. u.a.,

hier: H.S.

wegen Betruges u.a.,

(hier: Pauschvergütung für die gerichtlich bestellten Verteidiger gem. § 99 BRAGO).

Auf die Anträge auf Bewilligung einer Pauschvergütung

1. der Rechtsanwältin P. in B. vom 30. Dezember 2001 und

2. des Rechtsanwalts R. in B. vom 28. Dezember 2001 jeweils für die Verteidigung des früheren Angeklagten S.

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09. 07. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Den Antragstellern werden - jeweils unter Ablehnung ihrer weitergehenden Anträge - für ihre Tätigkeit im vorliegenden Verfahren anstelle ihrer gesetzlichen Gebühren Pauschvergütungen bewilligt, und zwar

1. Rechtsanwältin P. anstelle ihrer gesetzlichen Gebühren von 61.020,- DM in Höhe von 63.000 EUR (in Worten: dreiundsechzigtausend Euro) und

2. Rechtsanwalt R. anstelle seiner gesetzlichen Gebühren von 69.000,- DM in Höhe von 76.000 EUR (in Worten: sechsundsiebzigtausend Euro).

Gründe:

Die Antragsteller waren seit ihrer Bestellung am 19. Mai 1995 bis zur Beendigung des Verfahrens bezüglich des früheren Angeklagten S. am 30. Juni 1999 im sogenannten "Balsam-Verfahren" tätig, bei dem es sich um eines der umfangreichsten und spektakulärsten Wirtschaftsstrafverfahren der deutschen Rechtsgeschichte handelt, wie der Senat bereits in zahlreichen Beschlüssen betreffend Vorschüsse auf eine künftige Pauschvergütung sowie betreffend die endgültige Bewilligung von Pauschvergütungen dargelegt hat (vgl. den grundlegenden Beschluss vom 25. April 1996 in 2 (s) Sbd. 4 - 49/96 = AnwGebSpezial 1996, 125 sowie zuletzt Beschlüsse vom 16. Juni 2000 in 2 (s) Sbd. 6 - 53, 54 und 55/00 = AnwGebSpezial 2000, 249, vom 27. April 2001 in 2 (s) Sbd. 6 - 46 und 52/01, vom 14. Mai 2001 in 2 (s) Sbd. 6 - 51, 69 und 70/01 und vom 1. Oktober 2001 in 2 (s) Sbd. 6 - 126/01 = JurBüro 2002, 142).

Den ursprünglich sieben Angeklagten wurde in erster Linie Betrug zum Nachteil verschiedener Banken mit einem Schaden in Milliardenhöhe zur Last gelegt. Dem früheren Angeklagten S. sowie dem Mitangeklagten O. wurden als Vorstandsmitgliedern der Balsam-AG neben zahlreichen Betrugstaten auch Konkursvergehen und Bilanzfälschungen vorgeworfen.

Die im April 1995 erhobene Anklage vom 30. März 1995 umfasst rund 860 Seiten. Zwischen dem 26. April 1996 und dem 23. Juni 1999 hat vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts B. die Hauptverhandlung gegen die Angeklagten S. und O. stattgefunden. Am 23. Juni 1999, dem insgesamt 186. Hauptverhandlungstag, wurde das Verfahren gegen die Angeklagten S. und O. vom Verfahren gegen die übrigen Angeklagten abgetrennt und insoweit gemäß § 153 a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Nachdem beide Angeklagte eine Geldbuße von jeweils 100.000,- DM gezahlt hatten, wurde das Verfahren durch Beschluss der Wirtschaftsstrafkammer vom 30. Juni 1999 gegen diese beiden Angeklagten endgültig eingestellt.

Die Antragsteller begehren nunmehr mit näheren Begründungen für die Tätigkeit in diesem Verfahren als bestellte Verteidiger Pauschvergütungen in Höhe von 180.000,- DM (Rechtsanwältin P.) und 200.000,- DM (Rechtsanwalt R.).

Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Antragsteller in ihren Antragsschriften verwiesen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat ferner auf die umfangreiche Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse vom 10. Juni 2002, die mit der ständigen Rechtsprechung des Senats übereinstimmt und die den Antragstellern bekannt ist, in vollem Umfang Bezug und tritt ihr bei. In dieser Stellungnahme sind zudem auch sämtliche Prozessdaten zutreffend dargestellt.

Ergänzend ist noch folgendes anzumerken:

Mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten stimmt der Senat darin überein, dass es sich um ein außergewöhnlich umfangreiches Strafverfahren gehandelt hat, in dem eine Reihe besonders schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen zu klären war. Sowohl der Aktenumfang als auch die Verhandlungsdauer mit einer Beiordnungszeit von mehr als vier Jahren, die besonders komplexe Beweisaufnahme mit der in Anwesenheit der Antragsteller erfolgten Vernehmung von mehr als 100 zum Teil mehrfach vernommener Zeugen und von drei Sachverständigen rechtfertigen es, die vorliegende Sache innerhalb der bereits besonders umfangreichen und besonders schwierigen Verfahren im oberen Bereich anzusiedeln.

Insbesondere die intensive Vorbereitung der am 26. April 1996 begonnenen Hauptverhandlung hat angesichts des außerordentlichen Umfangs des Aktenmaterials einen ganz erheblichen Arbeitsaufwand erfordert. Dieser wurde in erheblichem Umfang noch dadurch gesteigert, dass sich der Angeklagte S. vom 7. Juni 1994 bis zum 30. Januar 1996 in Untersuchungshaft befand und auch aufgrund seiner persönlichen Situation einer besonderen Betreuung durch die Antragsteller mit zahlreichen Besuchen in der Justizvollzugsanstalt bedurfte, wie dies in den Anträgen anschaulich dargestellt worden ist.

Darüber hinaus hat die Vor- und Nachbereitung der einzelnen Hauptverhandlungstage und auch die Abstimmung mit den weiteren (Pflicht-) Verteidigern des Angeklagten und der Mitangeklagten die Antragsteller zusätzlich in erheblichem Umfang in Anspruch genommen.

Andererseits bedeutete es während der Hauptverhandlung für die Antragsteller auch eine Erleichterung, dass für ihren Mandanten noch weitere Verteidiger zur Verfügung standen. Insbesondere Rechtsanwältin P. war es daher möglich, an zahlreichen Tagen an der Hauptverhandlung gar nicht teilzunehmen. Sie hat auch in weitaus größerem Umfang als Rechtsanwalt R. und der weitere Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Wunderlich an den Hauptverhandlungstagen, an denen sie anwesend war, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, zumindest teilweise und oftmals mehrere Stunden lang der Hauptverhandlung fernzubleiben. Gleichwohl steht ihr und allen weiteren Pflichtverteidigern für jeden der Hauptverhandlungstage, auch wenn sie an diesen nur kurze Zeit teilgenommen haben, eine gesonderte gesetzliche Gebühr zu. Demgegenüber hat der Senat aber dabei auch berücksichtigt, dass die Antragsteller solche Zeiten vorübergehender Abwesenheit während der laufenden Hauptverhandlung auch dazu genutzt haben, für das vorliegende Verfahren außerhalb des Sitzungssaales tätig zu sein. Die durchschnittliche Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung, die zwar nicht allein ein ausschlaggebendes Merkmal, jedoch ein nicht unwesentlicher Hinweis auf den gesamten Umfang der Tätigkeit eines Verteidigers ist, betrug danach bei Rechtsanwältin P. gut viereinhalb Stunden und bei Rechtsanwalt R. rund fünf Stunden. Von den insgesamt 186 Hauptverhandlungstagen hat Rechtsanwältin P. an 160 Tagen und Rechtsanwalt R. an 181 Tagen teilgenommen.

Diese Umstände und die sich über den gesamten Zeitraum der Beiordnung ergebende relativ geringe Terminsdichte machen deutlich sichtbar, dass die Antragsteller auch neben ihrer Tätigkeit für das ohne Frage außerordentlich umfangreiche vorliegende Verfahren noch die Möglichkeit hatten, in nicht ganz unerheblichem Umfang andere Mandate wahrzunehmen und einigermaßen flexibel ihre übrige Arbeitszeit einzuteilen.

Wie der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 5. August 1999 (2 (s) Sbd. 6 - 150/99 = AnwGebSpezial 2000, 7) betreffend die Bewilligung einer Pauschvergütung für eine nach dem 113. Hauptverhandlungstag ausgeschiedene Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten B. und in seinen bereits genannten Beschlüssen vom 16. Juni 2000 (u.a. betreffend Rechtsanwalt W. als Mitverteidiger des Angeklagten S.), vom 27. April 2001, 14. Mai 2001 und vom 1. Oktober 2001 ausgeführt hat, darf bei der Bewilligung einer Pauschvergütung insgesamt das vorgegebene Gesamtgefüge der gesetzlichen Gebühren für den Pflichtverteidiger nicht außer Acht gelassen werden. Auch soll der Pflichtverteidiger durch die Gewährung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO nicht etwa einem Wahlverteidiger gleichgestellt, sondern es sollen lediglich außergewöhnliche und unzumutbare Belastungen des Pflichtverteidigers vermieden werden.

Unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände und des gesamten Vorbringens der Antragsteller hat der Senat daher insbesondere auf Grund der enormen Fülle des Aktenmaterials, des Umfangs der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung und der auch außerhalb der Verhandlung erforderlichen Zeit für die Bearbeitung des vorliegenden Verfahrens Pauschvergütungen festgesetzt, die die Höchstgebühren eines Wahlverteidigers sowohl bei Rechtsanwältin P. als auch bei Rechtsanwalt R. - bei diesem in erheblichem Umfang - übersteigen.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Antragsteller untereinander erschien bei Rechtsanwältin P. eine Pauschvergütung in Höhe von 63.000 EUR (= rund 123.220,- DM) und bei Rechtsanwalt R. eine solche in Höhe von 76.000 EUR (= rund 148.650,- DM) angemessen, so dass sie - unter Ablehnung der weitergehenden Anträge - in den genannten Höhen festgesetzt worden sind.

Diese Pauschvergütungen stehen auch in angemessenem Verhältnis zu denjenigen, die der Senat in den bereits genannten und den Antragstellern großenteils bekannten Beschlüssen vom 5. August 1999, 16. Juni 2000, 27. April 2001, 14. Mai 2001 und 1. Oktober 2001 weiteren Pflichtverteidigern bewilligt hat.

Dabei hat der Senat ebensowenig übersehen, dass im Verhältnis zu dem Mitverteidiger Rechtsanwalt W. dieser erst mit der Verteidigung befasst worden ist, als der Angeklagte S. bereits aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, wie auch den Umstand, dass beide Antragsteller - im Gegensatz zu nahezu allen anderen Pflichtverteidigern - von der Möglichkeit, Vorschüsse auf die zu erwartende künftige Pauschvergütung zu erhalten, keinen Gebrauch gemacht und bislang nur die ihnen zustehenden gesetzlichen Gebühren erhalten haben.

Ende der Entscheidung

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