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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.10.2003
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. VII - 210/03
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 99
1. Zur Beurteilung eines Schwurgerichtsverfahrens als "besonders schwierig" und/oder "besonders umfangreich".

2. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass die vom Pflichtverteidiger aufgewendeten Fahrtzeiten, um vom Sitz seiner Kanzlei zum Gerichtsort zu gelangen, zwar nicht bei der Frage, ob dem Pflichtverteidiger überhaupt eine Pauschvergütung zugebilligt werden soll, aber bei der Bemessung einer aus anderen Gründen zu gewährenden Pauschvergütung zu berücksichtigen ist.


Beschluss

Strafsache

gegen U.M.

wegen Mordes (hier: Pauschvergütung für den als Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt).

Auf den Antrag des Rechtsanwalts Dr. H. aus K. vom 11. August 2003 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 10. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Rechtsanwalt Dr. H. wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 2.850 EURO eine Pauschvergütung von 6.500 EURO (in Worten: sechstausendfünfhundert EURO) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Dem ehemaligen Angeklagten wurde im vorliegenden Verfahren zur Last gelegt, am 12. Juli 1983 die K.O. ermordet zu haben. Er ist deswegen vom Schwurgericht durch Urteil des Landgerichts Münster vom 09. Dezember 2002 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Revision des ehemaligen Angeklagten hat der BGH inzwischen als unbegründet verworfen.

Der Antragsteller war dem ehemaligen Angeklagten während des Verfahrens als Pflichtverteidiger beigeordnet. Er beantragt nunmehr für seine für den ehemaligen Angeklagten im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung erbrachten Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschvergütung, die er im Wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten begründet:

Er hat im Vorverfahren einige Schreiben und Anträge verfasst und hat Einsicht in die rund 2.500 Seiten starke Akte genommen. Er hat außerdem an einem Besprechungstermin bei der Polizei in Münster, an einem weiteren Besprechungstermin bei der Staatsanwaltschaft in Münster teilgenommen und am 18. September 2003 den Tatort besichtigt. Außerdem hat er den ehemaligen Angeklagten vier Mal in der Justizvollzugsanstalt Münster besucht. Die Besuche haben jeweils zwischen vier und acht Stunden gedauert.

Er hat außerdem an der Hauptverhandlung, die in der Zeit vom 5. November 2002 bis zum 9. Dezember 2002 an insgesamt 7 Hauptverhandlungstagen statt gefunden hat, teilgenommen. Einmal waren in einer Kalenderwoche drei Termine terminiert, im Übrigen hat wöchentlich ein Termin stattgefunden. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine hat 5 Stunden betragen. Von den sieben Terminen haben zwei mehr als 7 Stunden, einer mehr als 6 Stunden, zwei mehr als 5 Stunden und zwei weniger als 2 Stunden gedauert. In der Beweisaufnahme sind 15 Zeugen und drei Sachverständige vernommen worden. Das landgerichtliche Urteil umfasst 37 Seiten.

Wegen des weiteren Umfangs der Inanspruchnahme und der von dem Antragsteller für seinen Mandanten erbrachten Tätigkeiten wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 19. September 2003 Bezug genommen.

Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren des Antragstellers betragen 2.850 EURO; die Wahlverteidigerhöchstgebühr beträgt 7.150 EURO. Der Antragsteller hat die Gewährung einer Pauschvergütung in Höhe von 8.010 EURO beantragt. Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat das Verfahren als nicht "besonders schwierig" angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat sich dem angeschlossen. Er sieht das Verfahren allerdings als besonders umfangreich an und hat demgemäss die Gewährung einer angemessenen Pauschvergütung befürwortet.

II.

Dem Antragsteller war nach § 99 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen.

1. Das Verfahren war allerdings nicht "besonders schwierig" im Sinne von § 99 Abs. 1 BRAGO. "Besonders schwierig" im Sinne des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend nach Einschätzung des Senats noch nicht der Fall. Insoweit schließt sich der Senat der Einschätzung des Vorsitzenden des Schwurgerichts an (vgl. dazu grundlegend Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Auch der Umstand, dass der ehemalige Angeklagte, der grundsätzlich geständig war, Frau O. getötet zu haben, hinsichtlich seiner Beweggründe unterschiedliche Darstellungen abgegeben hat, macht das Verfahren nicht "besonders schwierig" im Sinne von § 99 Abs. 1 BRAGO. Der Senat hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass in Schwurgerichtsverfahren der Gesetzgeber dem besonderen, im Vergleich zu anderen Verfahren vor der Strafkammer in der Regel höheren, Schwierigkeitsgrad schon dadurch Rechnung getragen hat, dass der Verteidiger höhere (gesetzliche) Gebühren erhält als in "normalen" Strafkammerverfahren (vgl. dazu u.a. Senat in StraFo 2000, 286 = ZAP EN-Nr. 557/2000 = AnwBl. 2001, 246; zuletzt Senat in AGS 2003, 257). Demgemäss führen Schwierigkeiten, die in anderen Verfahren zur Bejahung des Merkmals der "besonderen Schwierigkeit" herangezogen werden können, in diesen Verfahren nicht automatisch auch zur Bejahung dieses Merkmals (zur Einordnung eines Schwurgerichtsverfahrens als besonders schwierig siehe auch noch Senat in ZAP EN-Nr. 393/2002 = Rpfleger 2002, 480). Danach handelt es sich vorliegend noch nicht um ein "besonders schwieriges" Verfahren. Dies einzuschätzen, ist der Senat aufgrund seiner Erfahrung aus der Vielzahl von Pauschvergütungsverfahren, die bei ihm anhängig gewesen sind bzw. noch sind, in der Lage.

2. Das Verfahren war für den Antragsteller aber "besonders umfangreich" im Sinne des § 99 Abs. 1 BRAGO.

Insoweit kann zunächst dahinstehen, ob im Hinblick auf den vom Bundesministerium der Justiz am 28. August 2003 vorgelegten Referentenentwurf zu einem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, das die BRAGO ablösen soll, an der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Gewährung einer Pauschvergütung für einzelne Verfahrensteile nicht möglich ist (vgl. zuletzt u.a. Beschluss des Senats vom 6. Januar 2000 in 2 (s) Sbd. 6-253/99) festgehalten werden kann, nachdem der Gesetzgeber in den §§ 42, 51 RVG-E ausdrücklich - so die Begründung des Gesetzesentwurfs zu den vorgenannten Vorschriften - auch die Gewährung einer Pauschvergütung für einzelne Verfahrensabschnitte als möglich ansieht. Denn auch nach der vom Senat als erforderlich angesehenen Gesamtschau aller vom Pflichtverteidiger entfalteten Tätigkeiten ist das Verfahren als "besonders umfangreich" anzusehen. Auch die Tätigkeiten des Antragstellers im Revisionsverfahren sind so umfangreich, dass eine Kompensation mit anderen Verfahrensteilen ausscheidet.

Bei den für die Einordnung des Verfahrens als "besonders umfangreich" zu berücksichtigenden Tätigkeiten waren vor allem die vom Antragsteller im Vorverfahren erbrachten Tätigkeiten und die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen zu berücksichtigen. Rechtsanwalt Dr. Haas hat im Vorverfahren an insgesamt drei weiteren Terminen teilgenommen und seinen Mandanten vier Mal in der Justizvollzugsanstalt zu längeren Gesprächen aufgesucht. Das geht erheblich über das hinaus, was von einem Pflichtverteidiger auch in einem Schwurgerichtsverfahren erwartet werden kann. Die sieben Hauptverhandlungstermine waren mit einer durchschnittlichen Dauer von fünf Stunden auch für ein Schwurgerichtsverfahren schon zumindest durchschnittlich lang. Dies gilt vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass auch bei Schwurgerichtsverfahren eine Tendenz zu kürzeren Hauptverhandlungen festzustellen ist, was der Senat ebenfalls aufgrund der Vielzahl der bei ihm anhängigen Pauschvergütungsverfahren zu beurteilen in der Lage ist. Hinzu kommt, dass die Länge einzelner Hauptverhandlungstermine überdurchschnittlich war (vgl. dazu Senat in ZAP EN-Nr. 34/2002 = AGS 2002, 37 = AnwBl. 2002, 433) und die Termine zumindest teilweise dicht terminiert waren. Schließlich lagen auch die Tätigkeiten des Antragstellers im Revisionsverfahren im überdurchschnittlichen Bereich. Er hat erneut Akteneinsicht genommen, die Revision des ehemaligen Angeklagten auf 20 Seiten begründet und eine Stellungnahme zur Revision der Nebenkläger abgegeben. Nach allem war dem Antragsteller somit eine Pauschvergütung für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten zu gewähren.

Der Senat hat auf eine Pauschvergütung von 6.500 EURO erkannt. Eine Pauschvergütung in dieser Höhe erscheint unter Berücksichtigung der Höhe der gesetzlichen Gebühren und des Gesamtgefüges der Pflichtverteidigergebühren angemessen.

Bei der Bemessung der Pauschvergütung hat der Senat auch - in Übereinstimmung mit dem Vertreter der Staatskasse in seiner Stellungnahme vom 19. September 2003 - die von Rechtsanwalt Dr. H. aufgewendeten Fahrtzeiten berücksichtigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind diese zwar nicht bei der Frage, ob überhaupt eine Pauschvergütung zu gewähren ist, heranzuziehen, sie sind aber bei der Bemessung der Pauschvergütung ggf. pauschvergütungserhöhend von Belang (vgl. Senat in NStZ-RR 1999, 31 = Rpfleger 1999, 95 = AGS 1999, 168 und in StraFo 1999, 143 = wistra 1999, 156 = AGS 1999, 72 = StV 2000, 441; jeweils mit weiteren Nachweisen auch zu a.A.; siehe auch die Rechtsprechungsnachweise bei Burhoff AGS 2002, 37). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Zwar hat inzwischen der BGH in seinem Beschluss vom 20. März 2002 (4 StR 225/00, BRAGO-report 2003, 11) unter Hinweis auf § 28 BRAGO die vom Pflichtverteidiger aufgewendeten Fahrtzeiten bei der Gewährung einer Pauschvergütung als nicht berücksichtigungsfähig angesehen. Dies gibt dem Senat aber keinen Anlass, seine ständige Rechtsprechung, zu deren Begründung auf die o.a. Beschlüsse des Senats verwiesen wird, aufzugeben, zumal der BGH seine abweichende Ansicht nicht begründet hat. Auch der Beschluss des hiesigen 3. Strafsenats vom 16. September 2003 in 3 Ws 261/03 führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hat auch dieser - unter Hinweis auf die Entscheidung des BGH - im Rahmen der Gebührenbestimmung nach § 12 BRAGO Fahrtzeiten als nicht berücksichtigungsfähig angesehen, er hat sich aber - ebenso wie der BGH - nicht mit der entgegenstehenden Rechtsprechung des erkennenden Senats und anderer Obergerichte (vgl. die Nachweise bei Burhoff AGS 2002, 37) auseinandergesetzt.

Der über die vom Senat als angemessen angesehene Pauschvergütung hinausgehende Antrag des Antragstellers, mit dem eine über der Wahlverteidigerhöchstgebühr liegende Pauschvergütung beantragt worden ist, war abzulehnen. Eine Pauschvergütung in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr oder sogar noch darüber hinaus kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur dann in Betracht, wenn der Verteidiger durch das Verfahren über einen längeren Zeitraum ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch genommen worden ist. Das ist jedoch vorliegend nicht der Fall.

Ende der Entscheidung

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