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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.08.2000
Aktenzeichen: 2 BL 140/2000
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
Leitsatz

In einer Haftsache ist es bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur gebotenen Förderung des Verfahrens unerlässlich, mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstatten ist, wobei der Gutachter ständig auf die bestehende Haftsituation hinzuweisen ist.


Beschluss

Strafsache

gegen C.B.,

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.08.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeschuldigten und seines Verteidigers beschlossen :

Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 21. Juli 2000 - 74 Ls 200 Js 252/00 - 33/00 - wird aufgehoben.

xGründe:

I.

Der Angeschuldigte wurde am 7. Februar 2000 in dieser Sache vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 8. Februar 2000 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom selben Tage (67 Gs 167/00) ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hagen. Der Haftbefehl wurde durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 21. Juli 2000 zwischenzeitlich ersetzt.

Dem Angeschuldigten wird zur Last gelegt, in zehn Fällen unerlaubt Betäubungsmittel erworben und in zwölf Fällen unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben, wobei es sich in einem Fall um eine nicht geringe Menge handeln soll.

Wegen der Tatbegehung im Einzelnen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt des Haftbefehls und der Anklageschrift Bezug genommen.

Noch am Tag seiner Festnahme wurde der weitgehend geständige Angeschuldigte verantwortlich sowie der Hauptbelastungszeuge "Erdal" zeugenschaftlich vernommen. Nachdem die Polizei die beim Angeschuldigten sichergestellten Betäubungsmittel am 7. Februar 2000 zur Analyse und Begutachtung an das Chemische Untersuchungsamt der Stadt Hagen übersandt hatte, wo sie am 14. Februar 2000 eingingen, gelangte die Ermittlungsakte am 11. Februar 2000 zur zuständigen Staatsanwaltschaft Hagen. Dort wurde die Akte dem Staatsanwalt aus verschiedenen Anlässen am 14. März, 24. März, 28. April, 22. Mai und 14. Juli 2000 vorgelegt, wobei dieser jeweils unter Hinweis auf das Gutachten Wiedervorlagefristen von drei Wochen verfügte.

Nachdem das Gutachten bis zum 18. Juli 2000 nicht zur Akte gelangte, rief der Staatsanwalt beim zuständigen Sachverständigen Dr. Rösener vom Chemischen Untersuchungsamt der Stadt Hagen an und bat um Übersendung des Gutachtens per Fax. Etwa eine Stunde später gelangte das Gutachten mit dem Datum vom 18. Juli 2000 zur Staatsanwaltschaft. Daraufhin erhob der zuständige Staatsanwalt noch unter demselben Tage Anklage an das Schöffengericht Hagen, wo die Anklage am 20. Juli 2000 einging. Mit dem Verteidiger des Angeschuldigten vereinbarte der Vorsitzende des Schöffengerichts einen Hauptverhandlungstermin am 28. September 2000. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist bisher noch nicht entschieden worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.

II.

Die Voraussetzungen gemäß § 121 Abs. 1 StPO für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind nicht gegeben.

Der Angeschuldigte ist zwar aufgrund seiner geständigen Einlassung der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Auch die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr begegnet aufgrund der Bindungslosigkeit des Angeschuldigten keinen Bedenken.

Gleichwohl unterliegt der an sich gerechtfertigte Haftbefehl aber der Aufhebung, da das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen, auf den Freiheitsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG beruhenden Beschleunigung gefördert worden ist (vgl. BVerfGE 46, 194, 195 m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten bzw. Angeklagten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist und sich sein Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft verstärkt (vgl. BVerfGE 19, 342, 347; 20, 45, 49 f.; 36, 264, 270; 53, 152, 158 f.). Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO dadurch Rechnung, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor dem Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO lässt also nur in begrenztem Umfange eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus zu und ist eng auszulegen (vgl. BVerfGE 20, 45, 50; 36, 264, 271).

Diesen Erfordernissen wird die Sachbehandlung durch die Staatsanwaltschaft Hagen in diesem Verfahren indessen nicht gerecht. Aus den Akten ist ersichtlich, dass nicht alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen getroffen worden sind, um die notwendigen Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und Anklage zu erheben.

Vorliegend rechtfertigen die Ermittlungen die Verfahrensdauer von fast fünfeinhalb Monaten zwischen der Festnahme und der Anklageerhebung nicht. Das allein gegen den Angeschuldigten gerichtete Ermittlungsverfahren weist weder sachliche noch rechtliche Schwierigkeiten auf. Bereits am Tag der Festnahme am 7. Februar 2000 hat der Angeschuldigte zwanzig der zur Anklage gebrachten Taten eingestanden und die beiden weiteren Taten gegenüber dem Haftrichter nicht mehr ausdrücklich bestritten. Der bezüglich dieser beiden Taten einzig maßgebliche Zeuge, der polizeiliche Scheinkäufer "Erdal", wurde ebenfalls bereits am 7. Februar 2000 abschließend zu den Taten vernommen. Weitere wesentlichen Ermittlungen wurden in der Folgezeit nicht durchgeführt. Sie waren im übrigen auch nicht erforderlich.

Zur rechtlichen Beurteilung, ob die kleinste nicht geringe Menge Heroin überschritten und damit der Verbrechenstatbestand des § 29 a BtMG verwirklicht worden ist, war deshalb allein die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Bestimmung der Qualität der sichergestellten Betäubungsmittel notwendig. Dabei ist gegen das genannte verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot verstoßen worden. Zwar sind die Betäubungsmittel noch zeitlich unmittelbar nach der Sicherstellung dem Sachverständigen zugeleitet worden, der sie bereits am 14. Februar 2000 erhalten hat. Die in der Folgezeit aufgetretene zögerliche Bearbeitung des Gutachterauftrages stellt aber nicht einen wichtigen Grund dar, der eine Haftverlängerung bis zu einer möglichen Hauptverhandlung Ende September 2000 rechtfertigen könnte.

Bei der Einholung eines Gutachtens ist es zur gebotenen Förderung des Verfahrens unerlässlich, mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstatten ist, wobei der Gutachter ständig auf die bestehende Haftsituation hinzuweisen ist. Staatsanwaltschaft oder Gericht haben darüber hinaus die zügige Gutachtenerstellung fortwährend zu kontrollieren (vgl. HansOLG Bremen, StV 1997, 143; OLG Düsseldorf, StV 1997, 144, 145) und erforderlichenfalls gemäß § 77 Abs. 2 StPO Ordnungsmittel gegen den Sachverständigen anzudrohen oder festzusetzen (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Bloße telefonische Mahnungen, das Gutachten vorzulegen, die anhand der Akte nicht definitiv festzustellen sind, genügen nicht, so dass es nicht darauf ankommt, ob allgemein mit dem Gutachter Telefongespräche geführt worden sind, in denen um die vordringliche Gutachtenerstattung gebeten wird.

Anhand der umgehenden Übersendung des Gutachtens innerhalb einer Stunde nach der dringenden Aufforderung durch die Staatsanwaltschaft am 18. Juli 2000 ist im übrigen auch erkennbar, dass bei gebotenem Nachdruck eine schnellere Begutachtung möglich gewesen ist.

Der Zeitraum von fast fünfeinhalb Monaten zwischen Festnahme und der Erhebung der Anklage ist deshalb bei einem Verfahren wie dem vorliegenden aus den genannten Gründen nicht mehr hinnehmbar. Im Hinblick hierauf kommt es auch nicht mehr darauf an, dass der in Aussicht genommene Hauptverhandlungstermin erst mehr als zwei Monate nach dem Eingang der Anklage beim Gericht liegt; auch wenn es dem Senat unverständlich ist, dass bei der erkennbaren Dringlichkeit einerseits sowie der einfach gelagerten Sach- und Rechtslage andererseits nicht eine kurzfristigere Terminierung möglich ist.

Der Haftbefehl war daher aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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