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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.12.2006
Aktenzeichen: 2 Sdb (FamS) Zust. 14/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 606 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht - Familiengericht - Gelsenkirchen-Buer.

Gründe:

I.

Mit Antrag vom 29.6.2006 hat die Antragstellerin das Scheidungsverfahren vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Gelsenkirchen anhängig gemacht. Nachdem die Kindesmutter zusammen mit dem gemeinsamen Kind E (geb. am 12.11.2001) im August 2006 in den Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer verzogen ist, hat das Familiengericht Gelsenkirchen die im Prozesskostenhilfeprüfverfahren befindliche Sache - nach Anhörung der Parteien auf Antrag der Antragstellerin - formlos an das Amtsgericht - Familiengericht Gelsenkirchen-Buer abgegeben. Dieses hat die Übernahme durch begründeten Beschluss vom 14.11.2006 abgelehnt und die Akten an das Familiengericht Gelsenkirchen zurückgesandt. Mit Beschluss vom 17.11.2006 hat sich das Familiengericht Gelsenkirchen für örtlich unzuständig erklärt und zugleich die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit vorgelegt.

II.

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 I Nr. 6 ZPO sind gegeben, da sich sowohl das Amtsgericht - Familiengericht - Gelsenkirchen als auch das Amtsgericht - Familiengericht - Gelsenkirchen-Buer durch begründeten und dem jeweils anderen Gericht zugestellten Beschluss für örtlich unzuständig erklärt haben. Dem steht nicht entgegen, dass das zugrundeliegende Scheidungsverfahren bisher nicht rechtshängig geworden ist. Es ist anerkannt, dass in sinngemäßer Anwendung der Vorschrift des § 36 I Nr. 6 ZPO das zuständige Gericht auch dann bestimmt werden kann, wenn sich die Scheidung noch im Stadium der Prozesskostenhilfeprüfung befindet und deshalb von keinem der sich um die Zuständigkeit streitenden Gerichte eine bindende Verweisung der Sache an das jeweils andere Gericht vorgenommen werden kann (vgl. OLG Hamm FamRZ 1989, 641).

Da die Parteien nach dem Umzug der Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Bezirk desselben Gerichts haben, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 606 I 2 ZPO. Danach kommt es darauf an, in wessen Bezirk einer der Ehegatten mit dem gemeinsamen Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit (nicht der Anhängigkeit) des Scheidungsverfahrens. Ändern sich nach Einreichung des Scheidungsantrags aber vor Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Zustellung der Antragschrift die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen, ändert sich auch die Zuständigkeit des Gerichts (vgl. Zöller-Philippi, Zivilprozessordnung, 25. A., § 606 Rz. 39 f. m. w. N.). Durch den Umzug der Antragstellerin nach Einreichung aber vor Zustellung des Scheidungsantrags ist die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelsenkirchen-Buer begründet worden.

Dem steht nicht entgegen, dass die Parteien um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den minderjährigen Sohn E streiten. Die Regelung des § 606 I 2 ZPO stellt nicht auf den (vom sorgeberechtigten Elternteil abgeleiteten) Wohnsitz, sondern auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes ab. Gewöhnlicher Aufenthalt ist der Ort des tatsächlichen Lebensmittelpunktes des Minderjährigen, d. h. der Ort, der faktisch (nicht rechtlich) Schwerpunkt seiner sozialen und familiären Bindungen darstellt (vgl. BGH FamRZ 2002, 1182; OLG Hamm FamRZ 1989, 1109 f.; FamRZ 1991, 1346, 1347). Der Schwerpunkt seiner sozialen und familiären Bindungen befindet sich regelmäßig bei dem Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet (Zöller-Philippi, a. a. O., Rz. 30). Wann ein Aufenthaltswechsel oder Obhutswechsel des Kindes zu einem neuen gewöhnlichen Aufenthalt führt, bestimmt sich daher allein nach den tatsächlichen Verhältnissen, insbesondere nach der Dauer der Eingliederung in die neue soziale Umwelt, den vom geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Kindes getragenen Wunsch des betreuenden Elternteils, es auf Dauer bei sich aufzunehmen und der faktischen Möglichkeit des anderen Elternteils eine Rückführung des Kindes vor dessen sozialer Eingliederung am Ort des betreuenden Elternteils gerichtlich durchzusetzen (vgl. BGH a. a. O.; OLG Hamm FamRZ 1991, 1466, 1467 f.; NJWE-RR 1999, 30 f.). Auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltswechsels und den Willen des nicht betreuenden sorgeberechtigten Elternteils zur Rückführung des Kindes kommt es dabei kommt es dabei nur insoweit an, als diese Umstände konkrete Auswirkungen auf die tatsächlichen Obhutsverhältnisse haben (vgl. Zöller-Philippi, a. a. O., Rz. 35 m. w. N.).

Vorliegend kann davon ausgegangen werden, dass die Weigerung der Kindesmutter, das Kind am 20.7.2006 nach einem Umgangskontakt an den Kindesvater herauszugeben und der dadurch bedingte Obhutswechsel zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes am Wohnort der Mutter geführt hat. E befindet sich inzwischen seit rund einem halben Jahr im Haushalt der Mutter. In seiner Anhörung im Termin vor dem Familiengericht Gelsenkirchen vom 22.9.2006 im Verfahren zur elterlichen Sorge (24 F 183/06 AG Gelsenkirchen) hat er seinen Wunsch geäußert, bei der Mutter wohnen bleiben zu wollen. Es ist nicht abzusehen, wann der Streit der Kindeseltern um die Erlangung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts des Kindes in der Hauptsache entschieden wird. Mit einem kurzfristigen Wechsel der Obhutsverhältnisse (vor Entscheidung in der Hauptsache zur elterlichen Sorge) ist nicht zu rechnen. Die vorläufige - bis zur Anhörung des gemeinsamen Kindes durch das Gericht befristete - Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Kindesvater durch Beschluss des Familiengerichts vom 16.8.2006 ist durch Zeitablauf erledigt. Beide Parteien haben außergerichtlich eine Umgangsvereinbarung zugunsten des Kindesvaters getroffen, die dieser im Wege der einstweiligen Anordnung durchzusetzen versucht. Damit haben sie gleichzeitig zu erkennen gegeben, dass ein dringendes Bedürfnis für einen Wechsel der Obhutsverhälnisse zumindest derzeit nicht besteht. Angesichts der Dauer des bestehenden Obhutsverhältnisses und des geäußerten Kindeswillens wären die Erfolgsaussichten eines erneuten Antrages des Kindesvaters auf Rückführung des Kindes vor Entscheidung in der Hauptsache auch völlig ungewiss.

Ende der Entscheidung

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