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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.03.2008
Aktenzeichen: 2 Sdb (FamS) Zust. 6/08
Rechtsgebiete: GVG, HausratsVO


Vorschriften:

GVG § 23 b Abs. 1 Nr. 8
HausratsVO § 1 Abs. 1
HausratsVO § 1 Abs. 2
HausratsVO § 1 Abs. 3
HausratsVO § 11 Abs. 1
Für die Entscheidung über den Antrag auf Zahlung von Nutzungsentgelt gegen den nach rechtskräftiger Ehescheidung in der Ehewohnung der Parteien verbliebenen Ehegatten ist das Familienrecht auch dann funktional zuständig, wenn der in Anspruch genommene Ehegatte die Ehewohnung, die im Alleineigentum des antragstellenden Ehegatten steht, freiwillig aufgegeben hat und sich der Anspruch auf Nutzungsentschädigung auf einen Zeitraum bezieht, in welchem die Parteien noch keine endgültige und umfassende Einigung über die Nutzung der Ehewohnung getroffen haben.
Tenor:

Sachlich und funktional zuständig ist das Amtsgericht - Familiengericht - Steinfurt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin Nutzungsentschädigung für die Weiternutzung des in seinem Alleineigentum stehenden - von den Parteien als Ehewohnung genutzten - Einfamilienhauses nach der Ehescheidung am 13.9.2006.

Mit Antrag vom 27.7.2007 hat der Antragsteller beim Amtsgericht - Familiengericht - Steinfurt einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt und angekündigt, dass er nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragen werde, ihm das in seinem Alleineigentum stehende - von den Parteien vormals als Ehewohnung genutzte - Einfamilienhaus in N2 zur alleinigen Nutzung zuzuweisen, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Immobilie zu räumen und an ihn herauszugeben sowie an ihn eine Nutzungsentschädigung für die Zeit vom Beginn des auf die Rechtskraft der Scheidung der Ehe folgenden Monats, das ist die Zeit ab dem 1.10.2006, in Höhe von 544,70 € monatlich zu zahlen. Nachdem die Antragsgegnerin mit den beiden gemeinsamen Kindern der Parteien am 1.8.2007 aus der Ehewohnung ausgezogen ist, beantragt er nunmehr, ihm Prozesskostenhilfe für den Antrag auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 1.10.2006 bis zum 31.7.2007 in Höhe von insgesamt 5.447,00 € nebst Zinsen zu bewilligen. Über sein Prozesskostenhilfegesuch ist noch nicht entschieden worden.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Steinfurt hat das bei ihm anhängig gemachte Verfahren nach Anhörung der Parteien am 20.8.2007 formlos an die allgemeine Zivilabteilung desselben Gerichts abgegeben. Diese hat die Sache nach Anhörung des Antragstellers durch den Parteien zugestellten Beschluss an das Landgericht Münster verwiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses vom 27.12.2007 (Bl. 29 d. A.) Bezug genommen. Das Landgericht hat sich nach Anhörung beider Parteien durch begründeten und den Parteien zugestellten Beschluss vom 5.2.2008 für unzuständig erklärt und die Sache gem. § 281 ZPO an das Amtsgericht - Familiengericht - Steinfurt verwiesen. Mit den Parteien zugestellten Beschluss vom 14.2.2008 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Steinfurt die Übernahme abgelehnt und die Akten dem Oberlandesgericht übersandt.

II.

a) Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung sind nach § 36 I Nr. 6 ZPO gegeben, da sich sowohl das Landgericht Münster als auch das Amtsgericht - Familiengericht - Steinfurt durch begründeten und den Parteien zugestellten Beschluss für unzuständig erklärt haben. Dem steht nicht entgegen, dass das zugrundeliegende Verfahren bisher nicht rechtshängig geworden ist, weil ein Hauptsacheantrag noch nicht gestellt und über den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers noch nicht entscheiden worden ist, denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Vorschrift des § 36 I Nr. 6 ZPO auf Verfahren, die sich noch im Prozesskostenhilfeprüfungsstadium befinden, entsprechend anwendbar (vgl. Senat, FamRZ 1989, 641).

b) Die Bestimmung des Amtsgerichts - Familiengericht - Steinfurt als für die Entscheidung in der Hauptsache zuständiges Gericht ist weder durch die Bitte um Übernahme seitens der Familienabteilung vom 20.8.2007 noch durch den Verweisungsbeschluss der allgemeine Zivilabteilung vom 27.12.2007 gehindert.

aa) Die allgemeine Zivilabteilung des Amtsgerichts war durch die Abgabeverfügung der Familienabteilung vom 20.8.2007 nicht daran gehindert, die Sache an das Landgericht zu verweisen, denn die formlose Abgabe innerhalb eines Gerichts bindet die Abteilung, an die die Sache abgegeben worden ist, nicht (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 26. A., § 281 Rz. 4 m. w. N.).

bb) Das Landgericht war durch den Verweisungsbeschluss der allgemeinen Zivilabteilung des Amtsgerichts nicht daran gehindert, die Sache schon im Prozesskostenhilfeverfahren an die Familienabteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

In Rechtsprechung und Literatur ist zwar anerkannt, dass § 281 ZPO - der gem. §§ 621 I Nr. 7, 621a I 2 ZPO auch im FGG-Verfahren nach der Hausratsverordnung Anwendung findet (vgl. Zöller-Philippi, a. a. O., § 621a Rz. 11) - im Prozesskostenhilfeverfahren entsprechend anwendbar ist mit der Folge, dass ein im Prozesskostenhilfeverfahren erlassener Verweisungsbeschluss Bindungswirkung für dieses, allerdings nicht auch für das nachfolgende Hauptsacheverfahren entfalten kann (vgl. BGH NJW-RR 1992, 59 f.; Zöller-Philippi, a. a. O., § 281 Rz. 16b).

Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt aber ausnahmsweise dann, wenn er auf einer Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten beruht (BGH FamRZ 1978, 402 f.) sowie dann, wenn der Beschluss mangels jeglicher Begründung nicht erkennen lässt, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Verweisung beruht (vgl. KG MDR 1993, 176) und die Parteien nicht übereinstimmend die Verweisung begehrt haben (vgl. BGH FamRZ 1988, 943). Vorliegend sind beide Ausnahmetatbestände erfüllt. Der Verweisungsbeschluss beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, denn das Amtsgericht hat vor der Verweisung an das Landgericht mit gerichtlicher Verfügung vom 27.11.2007 nur dem Antragsteller, nicht aber der Antragsgegnerin Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Verweisung gegeben. Der Beschluss lässt auch nicht erkennen, auf welcher gesetzlichen Grundlage das Amtsgericht die funktionelle Zuständigkeit der allgemeinen Zivilgerichte angenommen hat. Er enthält keine Begründung. Aus dem Inhalt der Verfügung vom 27.11.2007 geht lediglich hervor, dass das Amtsgericht seine sachliche Zuständigkeit gem. § 29a ZPO (ausschließlicher Gerichtsstand für Miet- und Pachtsachen) und gem. § 23 Nr. 1 GVG (Streitwertgrenze) geprüft hat. Mit einer möglichen funktionalen Zuständigkeit des Familiengerichts hat es sich nicht auseinandergesetzt. Das war aber geboten, nachdem der Antragsteller auf die - seiner Ansicht nach gegebene -Zuständigkeit des Familiengerichts nach § 11 HausratsVO verwiesen und nur hilfsweise Abgabe an das Landgericht Münster beantragt hatte.

c) Ob und in welchem Umfang der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Münster vom 5.2.2008 Bindungswirkung (analog § 281 II 2 ZPO) gegenüber dem Amtsgericht - Familiengericht - Steinfurt entfaltet, kann dahingestellt sein, denn die sachliche und funktionale Zuständigkeit des Familiengerichts folgt - unabhängig von den Rechtsfolgen der Verweisung - aus den §§ 23b I Nr. 8 GVG, 11 I HausratsVO. Danach ist das Familiengericht für alle Verfahren über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats zuständig. Um ein solches Verfahren handelt es sich bei dem vom Antragsteller anhängig gemachten Begehren auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Ehewohnung der Parteien.

Die Beantwortung der Frage, ob ein Verfahren die Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung zum Inhalt hat oder ob es sich um eine nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts zu entscheidende Sache handelt, für die die funktionale Zuständigkeit der allgemeinen Zivilgerichte gegeben ist, hängt vom Inhalt der Antragstellung und der Art des geltend gemachten Anspruchs ab (vgl. BGH FamRZ 1988, 1035 f.; OLG Brandenburg FamRZ 2006, 1392 f.).

aa) Ursprünglich handelte es sich bei dem mit dem Prozesskostenhilfeantrag verbundenen Antrag auf Wohnungszuweisung und Verurteilung der Antragsgegnerin zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung um einen Antrag auf Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung nach § 1 I HausratsVO. Dem steht nicht entgegen, dass die Ehe der Parteien im Zeitpunkt der Antragstellung bereits geschieden war, denn das Verfahren auf Zuweisung der Ehewohnung nach der Hausratsverordnung kann auch nach rechtskräftiger Scheidung als selbständiges FGG-Verfahren betrieben werden (vgl. Palandt-Brudermüller, BGB, 67. A., Anh. zu §§ 1361a, 1361b, Einleitung Rz. 4).

bb) Hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften über die Hausratsverordnung hat sich durch den Auszug der Antragsgegnerin aus der Ehewohnung und Umstellung des Prozesskostenhilfeantrags durch den Antragsteller auf Nutzungsentschädigung für den vergangenen Zeitraum von Oktober 2006 bis Juli 2007 keine Änderung ergeben. Sein Anspruch auf Nutzungsentgelt beruht nach wie vor auf § 2 HausratVO (vgl. OLG München FamRZ 2007, 1655 ff.). Er ist Ausfluss der Befugnis des Familiengerichts, die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung nach billigem Ermessen zu gestalten und dem die Wohnung überlassenden Ehegatten ein angemessenes Nutzungsentgelt für die Dauer der Nutzung durch den anderen Ehegatten zuzusprechen (vgl. Palandt-Brudermüller, a. a. O., § 2 HausratsVO, Rz. 3, § 3 HausratsVO, Rz. 2).

(1) Zwar ist nach § 1 HausratsVO die Entscheidungsbefugnis des Familiengerichts nicht mehr gegeben, wenn sich die geschiedenen Ehegatten über die Nutzung der Ehewohnung geeinigt haben. Das setzt jedoch voraus, dass die Einigung ohne jeden Vorbehalt, umfassend, wirksam und bindend sein muss, so dass sie eine richterliche Regelung in jeder Hinsicht entbehrlich macht (vgl. OLG München a. a. O.). Daran fehlt es jedenfalls für die Zeit, für die der Antragsteller Nutzungsentschädigung verlangt, denn er hat der Antragsgegnerin - nach seinen Angaben in der Antragsschrift - die Ehewohnung nach der Scheidung nicht freiwillig überlassen. Vielmehr haben sich die Parteien bis zum Auszug der Antragsgegnerin aus der Ehewohnung um die Berechtigung zur Nutzung derselben gestritten.

(2) Soweit in der Rechtsprechung teilweise die Ansicht vertreten wird, dass immer dann, wenn ein Ehegatte die Ehewohnung endgültig aufgegeben hat und sich die Parteien nur noch um die Nutzungsentschädigung streiten, eine sachliche Zuständigkeit der Familiengerichte nicht mehr gegeben ist (vgl. KG FamRZ 2000, 304 f.; OLG Hamburg FamRZ 1982, 941; zum Streitstand vgl. auch OLG Naumburg FamRZ 2001, 45 f.), vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 4.2.1982 (BGH FamRZ 1982, 355 f.) ausgeführt, dass bei Aufgabe der Ehewohnung durch einen Ehegatten kein Raum mehr für eine Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung nach der Hausratsverordnung gegeben ist. Dem von ihm zu entscheidenden Fall lag jedoch der Sachverhalt zugrunde, dass sich die Parteien über die Nutzung der Ehewohnung endgültig geeinigt hatten und Nutzungsentschädigung von dem in der Wohnung verbleibenden Ehegatten nur für die Zeit nach Einigung und Auszug des anderen Teils begehrt worden ist. Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, denn der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin Nutzungsentschädigung für die Zeit vor der Einigung der Parteien über die Nutzung der Ehewohnung. Der von ihm geltend gemachte Anspruch betrifft daher einen Zeitraum, in welchem - im Unterschied zu dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall - eine Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung nicht gegeben war.

Der freiwillige Auszug eines Ehegatten führt auch nicht dazu, dass der Streit der Parteien um die Berechtigung an der Ehewohnung für die Vergangenheit erledigt ist. Er setzt sich vielmehr in dem Streit um die Nutzungsentschädigung an der Ehewohnung für die Vergangenheit fort. Das wird bestätigt durch die dem Familienrecht zugeordnete Vorschrift des § 1361b III BGB, wonach auch der freiwillig aus der Ehewohnung ausziehende Ehegatte in der Trennungszeit (vor Rechtskraft der Scheidung) von dem anderen Teil eine Nutzungsvergütung, dessen Höhe sich nach der Billigkeit richtet, verlangen kann.

Durchgreifende Gründe, die Frage der Nutzungsentschädigung nach der Ehescheidung aber vor endgültiger Einigung der Parteien über die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung anders zu behandeln als in der Trennungszeit, bestehen nicht. In beiden Fällen können Trennung und Scheidung dazu führen, dass die Nutzungsberechtigung an der Ehewohnung anders geregelt werden muss als die Eigentumsverhältnisse. Sinn und Zweck der Regelung der Eigentumsverhältnisse nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften ist es, einen Ausgleich zwischen Eigentümer und Besitzer der streitbefangenen Sache zu schaffen. Die Höhe der dem Eigentümer zustehenden Nutzungsentschädigung nach den §§ 812, 987 ff. BGB richtet sich daher ausschließlich nach dem objektiven Mietwert der Wohnung (vgl. Palandt-Heinrichs/Ellenberger, a. a. O. § 100 Rz. 2; Palandt-Sprau, a. a, O., § 812 Rz. 28; Palandt-Bassenge, a. a. O., § 987 Rz. 3). Zu- oder Abschläge nach Billigkeitsgesichtspunkten sind im zivilrechtlich geregelten Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nicht vorgesehen. Bei der Anwendung der §§ 1361b III 2 BGB und 2 HausratsVO geht es dagegen nicht in erster Linie darum, die Rechtsfolgen eines Eingriffs in den Besitz oder das Eigentum an der bisherigen Ehewohnung zu regeln, sondern vielmehr darum, den Verlust des Wohnungsbesitzes und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Nachteile für den weichenden Ehegatten im Einzelfall und nach Billigkeit zu kompensieren. Deshalb sind bei der Billigkeitsabwägung neben den Eigentumsverhältnissen an der Ehewohnung (vgl. § 3 I HausratsVO) alle sonstigen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl. OLG München a. a. O.). Dazu gehören das Wohl der gemeinsamen Kinder sowie die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Parteien (vgl. Palandt-Brudermüller, a. a. O., § 2 HausratsVO, Rz. 7 ff. m. w. N.). Das führt vielfach dazu, dass die Frage der Nutzungsvergütung von der unterhaltsrechtlichen Problematik, die der Familienrichter in der Regel besser überschauen kann als der Zivilrichter, überlagert wird (vgl. OLG München a. a. O.; für § 1361b auch: OLG Dresden NJW 2005, 3151 f.).

Deshalb erscheint es gerechtfertigt, dass die Frage der Höhe des Nutzungsentgelts für die Ehewohnung auch nach Rechtskraft der Scheidung durch den Familienrichter entschieden wird, soweit sie - wie im vorliegenden Fall - einen Zeitraum betrifft, der in den Anwendungsbereich der Hausratsverordnung fällt.

Ende der Entscheidung

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