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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.01.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 1293/99
Rechtsgebiete: StPO, BRAGO, StGB, BGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 2
BRAGO § 17
StGB § 266
BGB § 320
Zum Umfang der erforderlichen Feststellungen, wenn der Tatrichter einen Rechtsanwalt nach zögerlicher Behandlung einer Verkehrsunfallsache und nur teilweiser Weiterleitung eines A-Konto-Betrages wegen Untreue verurteilt hat.
OBERLANDESGERICHT HAMM

BESCHLUSS

2 Ss 1293/99 OLG Hamm 4 Ds 82 Js 201/98 (357/98) AG Altena 82 Js 201/98 StA Hagen.

Strafsache

gegen

wegen

Untreue.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Altena vom 17. August 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul, den Richter am Oberlandesgericht Mosler und den Richter am Amtsgericht Giesecke von Bergh nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Altena zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden.

Das Amtsgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte war bis zum 21. Februar 1997 als Rechtsanwalt zugelassen und hatte viele Jahre eine Kanzlei. Er ist jetzt in einem Verlag als Geschäftsführer tätig. Im Oktober 1993 war der Zeuge B auf der Autobahn in der Nähe von Würzburg in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er selbst verletzt wurde und sein Fahrzeug Totalschaden erlitt. In der Folge betraute er den Angeklagten sowohl mit seiner Vertretung in einem eventuellen Straf- und Bußgeldverfahren sowie mit der Geltendmachung seiner zivilrechtlichen Ansprüche. Der Zeuge B war beim ADAC rechtschutzversichert. Mit Schreiben vom 2. November 1993 erklärte der ADAC-Rechtschutz Deckungszusage für eine Strafsache im Vorverfahren in der 1. Instanz. Nachdem das Bußgeldverfahren gegen den Zeugen B eingestellt worden war, stellte der Angeklagte dem ADAC-Rechtschutz mit Schreiben vom 13. Mai 1994 Kosten von 276,81 DM in Rechnung. Zugleich bat er um Kostendeckungszusage und Zahlung eines angemessenen Vorschusses für die Geltendmachung der zivilrechtlichen Ansprüche. Diese Zusage erteilte der ADAC-Rechtschutz mit Schreiben vom 26. Mai 1994 hinsichtlich der außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und bat zugleich um weitere Unterrichtung in dieser Sache.

Aufgrund der zunächst unklaren Haftungsfrage nahm der Angeklagte den Kaskoversicherer des Zeugen mit Schreiben vom 25. Mai 1994 in Anspruch und machte einen Schaden in Höhe von 22.469,70 DM geltend. Daraufhin zahlte der Versicherer am 1. Juni 1994 19.865,82 DM und am 7. Juni 1994 weitere 1.868,36 DM auf das Postscheckkonto des Angeklagten. Dieser zahlte jedoch nichts an seinen Mandanten aus. Obwohl der Angeklagte in der Folge nichts in der Sache unternahm und der Zeuge B mehrfach in der Kanzlei des Angeklagten vorstellig wurde und nach seinem Geld fragte, so am 19. August 1994 und wiederum am 18. Januar 1995, überwies der Angeklagte erst am 17. März 1995 15.000,- DM an den Zeugen B.

In der Sache selbst, also Geltendmachung der zivilrechtlichen Ansprüche, unternahm der Angeklagte weiterhin nichts. Nachdem wiederum fast acht Monate vergangen waren, ohne dass von dem Angeklagten irgendetwas unternommen worden war, fragte der Zeuge B bei einem Besuch in der Kanzlei des Angeklagten am 2. November 1995 nach dem Sachstand an. Irgendein Ergebnis zeitigte dieser Besuch nicht. Mit Schreiben vom 21. Februar 1996 bat der ADAC-Rechtschutz den Angeklagten um Sachstandsmitteilung. Offensichtlich daraufhin machte der Angeklagte mit Schriftsatz vom 26. April 1996 gegenüber dem Gerling-Konzern, Versicherer des Unfallgegners; Sachschäden in Höhe von 5.023,31 DM geltend und begehrte die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 14.000,- DM.

Über diesen Vorgang berichtete der Angeklagte dem ADAC-Rechtschutz mit Schreiben vom 13.Mai 1996. In der Folgezeit geschah wiederum lange Zeit nichts. Mit Schreiben vom 5. November 1996 sandte der Angeklagte den Entwurf einer Klageschrift an Korrespondenzanwälte in Würzburg, welche die Sache am dortigen Landgericht vertreten sollten. Mit Schreiben vom 7. November 1996 teilten die Würzburger Anwälte dem Angeklagten mit, es bestünden Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage, außerdem baten sie um Mitteilung des Angeklagten, weshalb der Klageanspruch nicht bereits verjährt sein sollte. Desweiteren rügten sie verschiedene Mängel der Klageschrift. Da der Angeklagte hierauf nicht reagierte, übersandten die Würzburger Anwälte mit Schreiben vom 8. November 1996 die Unterlagen an den Angeklagten zurück und teilten ihm mit, sie lehnten die Übernahme des Mandats ab.

Daraufhin unternahm der Angeklagte zur Förderung der Sache weiterhin nichts. Da der Zeuge mittlerweile misstrauisch geworden war, weil er nach über drei Jahren nach dem Unfall immer noch nicht den vollen Betrag aus der Zahlung seines Kaskoversicherers erhalten hatte, sprach er am 29. Januar 1997 erneut in der Kanzlei des Angeklagten vor und bat um Aufklärung. Verbindliche Auskünfte erhielt er nicht, da der Angeklagte mittlerweile nicht mehr als Anwalt tätig war. Weitere Anfragen des ADAC wurden nicht mehr beantwortet. Ab dem 27. Mai 1997 war der Zeuge Sch als Abwickler der Kanzlei tätig und kümmerte sich in der Folge um die Ansprüche des Zeugen B. Ihm ist es jedoch nicht gelungen, die noch offenen 6.734,18 DM dem Zeugen B auszuzahlen, weil er auf das Postscheckkonto des Angeklagten, auf dem der Betrag ursprünglich eingegangen war, keinen Zugriff hat.

Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, den zurückbehaltenen Betrag in Übereinstimmung mit dem Zeugen als. Vorschuss für den - später nicht mehr geführten - gegen die anderen Unfallbeteiligten gemäß § 17 BRAGO zurückgehalten zu haben. Diese Einlassung hat der Tatrichter allein aufgrund der erheblichen verzögerten Akontozahlung über 15.000,- DM und der gar nicht erfolgten Auszahlung-des Restbetrages trotz fehlenden Anspruchs aufgrund seiner Untätigkeit als widerlegt angesehen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg.

Zutreffend geht das Amtsgericht zunächst davon aus, dass zwischen dem Zeugen B und dem Angeklagten aufgrund der Mandatierung in der Verkehrsunfallsache ein Treueverhältnis i.S.d. § 266 StGB begründet worden ist (vgl. BGH, StV 1986, 200, 204; wistra 1987, 65).

Aus den allein maßgeblichen Urteilsgründen wird aber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit klar, worin das Tatgericht das strafbare Verhalten des Angeklagten erblickt, sodass insoweit ein Darstellungsmangel vorliegt.

Es fehlen insbesondere hinreichende Angaben darüber, ob der Angeklagte eventuell vermögenslos oder überschuldet war und das einbehaltene Geld für sich verbrauchte, wobei darüber hinaus nicht deutlich wird, ob der Tatrichter den Tatbestand der Untreue auch bereits in der über mehrere Monate verzögerten Auszahlung des Akontobetrages von 15.000,- DM gesehen hat.

Auch hat sich der Tatrichter nicht hinreichend mit der Einlassung des Angeklagten im Hinblick auf die Vorschrift des § 17 BRAGO auseinandergesetzt. Gemäß § 17 BRAGO kann der Anwalt von seinem Auftraggeber für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss verlangen. Dem Rechtsanwalt steht insoweit unter Umständen aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem Mandanten ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 320 BGB zu. Hinreichende Anhaltspunkte, dass diese Einlassung widerlegt wäre, insbesondere, dass der Zeuge mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden war, finden sich in den Urteilsgründen nicht. Allein der Umstand, dass der Angeklagte das Geld auch später nicht an den Zeugen B ausgezahlt hat, kann, wovon der Amtsrichter möglicherweise ausgegangen ist, seine Strafbarkeit nicht begründen. Zwar war der Angeklagte aufgrund des Geschäftsbesorgungsvertrages verpflichtet, zugunsten des Zeugen eingehende Gelder an diesen auszukehren. Diese Nichtauszahlung allein kann aber eine Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue nicht tragen, wenn man der Entscheidung des BGH in StV 1986, 204 folgt, die Treuepflicht, sondern nur die bloße Schuldnerpflicht tangiert. Wie bereits erwähnt, lässt sich den allein zu überprüfenden maßgeblichen Urteilsgründen nicht entnehmen, dass der Angeklagte das Geld ausgegeben oder in sonstiger Weise für sich verwandt hat. Selbst wenn man mit dem OLG Karlsruhe (NStZ 1990, 82) eine Differenzierung zwischen der Treuepflicht einerseits und der bloßen Schuldnerpflicht andererseits nicht vornehmen würde, lassen die Feststellungen nicht erkennen, ob der Zeuge B Kenntnis von dem Umfang seiner Schadensersatzansprüche oder der Angeklagte ihm eine Abrechnung erteilt hatte. Es fehlt insbesondere die Auseinandersetzung mit der Behauptung der Einbehaltung des Geldes als Vorschuss und eine Mitteilung darüber, welcher Gebührenstreitwert dem vom dem Angeklagten nicht geführten Zivilprozess zugrunde zu legen wäre. Ferner enthält das Urteil auch keine Feststellungen zu der Frage, ob und in welcher Höhe der Angeklagte seitens der Rechtschutzversicherung des Zeugen B Gelder erhalten hat, so dass sich auch aus der fehlenden Rückzahlung des einbehaltenen Betrages im Hinblick auf eine anderweitig auf eine anderweitig erstattete Kostenforderung keine Grundlage für eine Verurteilung wegen Untreue ergibt (vgl. BGH wistra 1987, 65).

Auch die Ausführungen des Amtsgerichts, der Angeklagte habe die Schadensersatzansprüche des Geschädigten durch seine Verzögerungen und die Übersendung einer unbrauchbaren Klageschrift an Korrespondenzanwälte in Würzburg wertlos werden lassen, sind keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung wegen Untreue. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es zu den Treuepflichten eines Rechtsanwalts aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag gehört, den Eintritt der Verjährung von Ansprüchen zu verhindern und dass derartigen Ansprüchen Vermögenswerte zukommen können (vgl. BGH NJW 1983, 461 = JR 1983, 515 mit Anm. Keller); doch genügen aber die getroffenen Feststellungen nicht dem Darlegungsumfang des Vermögensschadens, da sich den Urteilsgründen die Werthaltigkeit der Ansprüche nicht entnehmen lässt.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die kosten der Revision, gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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