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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.05.2007
Aktenzeichen: 2 Ss 171/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 158
StGB § 185
Für die Annahme eines Strafantrages ist die ausdrückliche Bezeichnung eines (Strafverfolgungs)Begehrens als Strafantrag nicht erforderlich. Inhaltlich genügt es für einen solchen Strafantrag vielmehr, wenn sich der Wille des Verletzten bzw. des Dienstvorgesetzten ergibt, dass der Angeklagte wegen der geschilderten Tat strafrechtlich verfolgt wird.

Für die Annahme einer Beleidigung ist die beanstandete Äußerung in ihrer Gesamtheit zu bewerten; einzelne Elemente dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht herausgelöst und einer vereinzelten Betrachtung zugeführt werden, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden Grundrechtsschutz von vornherein versagen würde.


Beschluss

Strafsache

gegen H.G.

wegen Beleidigung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 18. Januar 2007 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07. 05. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Bochum hat gegen den Angeklagten durch Urteil vom 15. August 2006 wegen Beleidigung eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 7, EUR verhängt. Die hiergegen eingelegte Berufung hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum am 18. Januar 2007 mit der Maßgabe verworfen, dass der Tagessatz auf 3,- € festgesetzt wird. Die Kammer hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:

"Im Oktober 2005 wurde der Angeklagte von der JVA Aachen in die JVA Bochum verlegt. In Bochum kam der Angeklagte in Kontakt zu dem als Anstaltsarzt tätigen Zeugen Dr. X.. Von Anfang an kam es zwischen beiden zu Streitigkeiten, insbesondere aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die Behandlung der Diabeteserkrankung. Nachdem der Angeklagte kurz zuvor im Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg noch neu eingestellt worden war, änderte der Zeuge Dr. X. die Insulineinstellung, worüber sich der Angeklagte ärgerte. Der Angeklagte war auch nicht damit einverstanden, dass der Zeuge Dr. X. ihn als arbeitsfähig für Tätigkeiten im Strafvollzug erklärte, während er offenbar noch in der JVA Aachen für dauerhaft arbeitsunfähig eingestuft wurde. Wegen dieser Unstimmigkeiten kam es zu erheblichen verbalen Auseinandersetzungen, indem der Angeklagte den Zeugen immer wieder beschimpfte. In den Sprechstunden mit dem Zeugen kam kaum ein echtes Gespräch zustande; der Angeklagte hatte seine feste Meinung, ließ sich nichts sagen sondern stand einfach auf und ging.

Nachdem der Angeklagte bereits zahlreiche Eingaben an das Landesjustizvollzugsamt NRW fertigte, übersandte er unter dem 28.10.2005 ein weiteres Schreiben an diese Behörde mit zahlreichen Beschwerden. In diesem Schreiben heißt es im Zusammenhang mit der vom Angeklagten beanstandeten, mangelhaften diätetischen Verpflegung u.a. wörtlich:

"Erwartungsgemäß wird behauptet, dass die hiesige Krankenkost den Anforderungen entspricht. Selbst der Lagerarzt aus Bautzen, der in der hiesigen Anstalt leider verantwortlich als "Arzt" tätig ist (Dr. (?) X.), vertrat süffisant lächelnd die Auffassung, dass die hiesige Diät nicht immer passe."

In einer weiteren Eingabe an das Landesjustizvollzugsamt NRW vom 10.11.2005 schreibt der Angeklagte wörtlich:

"Am gestrigen Tag wurde ich auf Veranlassung des Herrn (Dr.?) X., dem ehemaligen Lagerarzt des DDR-Zuchthauses Bautzen, vom hiesigen Normalvollzug in die Pflegeabteilung der hiesigen JVA verlegt, die leider dem vorgenannten "Mediziner" untersteht. (...) Eine Behandlung durch Herrn X. lehne ich ab. Meine Eingaben, die sich auf die Misshandlungen dieses Mediziners beziehen, sprechen für sich. Der Unrechtsstaat DDR existiert nicht mehr und gesundheitsschädigende Handlungen und Maßnahmen (Verweigerung von Insulin) müssen nicht hingenommen werden.""

Gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten, mit der er seinen Freispruch erstrebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die fristgerecht eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete Revision ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Soweit der Angeklagte rügt, es fehle bereits an einer Prozessvoraussetzung, da ein wirksamer Strafantrag nicht vorliege, kann er mit dieser Rüge nicht durchdringen. Ob die von Amts wegen zu berücksichtigenden Prozessvoraussetzungen vorliegen, hat das Revisionsgericht nach den Grundsätzen des Freibeweises zu prüfen, ohne dabei auf die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen beschränkt und an dessen Beweiswürdigung gebunden zu sein (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juli 2005 in 2 Ss 172/05; BGH MDR 1955, 143).

Entgegen der Ansicht der Revision lässt sich dem Schreiben des Leiters der Justizvollzugsanstalt Bochum vom 08. November 2005 ein Strafantrag wegen Beleidigung hinreichend deutlich entnehmen. Eine ausdrückliche Bezeichnung des Begehrens als Strafantrag ist nicht erforderlich (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 77 Rn. 38). Inhaltlich genügt es für einen solchen Strafantrag vielmehr, wenn sich der Wille des Verletzten bzw. des Dienstvorgesetzten ergibt, dass der Angeklagte wegen der geschilderten Tat strafrechtlich verfolgt wird (vgl. BGH NJW 1951, 368; OLG Hamm, Beschluss vom 30. Januar 2007 in 3 Ss 383/06; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Auflage, § 77 Rn. 24). Dieses Begehren ist dem Schreiben vom 08. November 2005 zu entnehmen. Diesbezüglich hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 16. April 2007 u.a. Folgendes ausgeführt:

"Dass das Schreiben des nach §§ 3 LBG, 12, 13 LOG zuständigen Dienstvorgesetzten vom 08.11.2005 auf strafrechtliche Verfolgung gerichtet war, ergibt sich bereits aus dem Folgeschreiben vom 24.11.2005 (Bl. 14 d.A.), in dem auf die "Strafanzeige" vom 08.11.2005 Bezug genommen wird. Außerdem haben die von hier aus im Freibeweis durchgeführten Ermittlungen (telefonische Auskunft des Sachbearbeiters Altunas am 16.04.2007) ergeben, dass vor Absendung des fraglichen Schreibens die Sache dem Leiter der Justizvollzugsanstalt zur "Billigung" vorgelegt und in einem Vermerk festgehalten worden war, dass "Strafanzeige" erstattet werden solle."

Diesen Ausführungen tritt der Senat bei. Darüber hinaus spricht gerade der vom Revisionsführer vorgetragene Umstand, dass das Schreiben vom 08. November 2005 "aus dem Mund eines Volljuristen" stammt, für den erforderlichen ausdrücklichen Verfolgungswillen. Denn das an die Staatsanwaltschaft Bochum gerichtete Schreiben ist - wie bereits dargelegt - nicht vom betroffenen Anstaltsarzt, dem ein persönliches Antragsrecht zugestanden hätte, sondern von dessen Dienstvorgesetzten verfasst worden, dem gem. § 194 Abs. 3 S. 1 StGB zusätzlich ein eigenes Antragsrecht zustand. Die Beleidigung eines Amtsträgers wird nämlich nicht nur im Interesse des betroffenen Amtsträgers, sondern auch im Interesse der Behörde verfolgt (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 194 Rn. 5). Vor diesem Hintergrund lässt sich der Bitte "um strafrechtliche Überprüfung der Angelegenheit" sowie der hiermit verbundenen Bitte um Mitteilung des Ausgangs des Verfahrens deutlich entnehmen, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bochum nicht nur eine Verfolgung der Tat anheim gestellt oder angeregt, sondern ein strafrechtliches Einschreiten ausdrücklich verlangt hat. Denn das von dem persönlich nicht betroffenen Anstaltsleiter verfasste Schreiben macht anderenfalls - gerade aus der Sicht eines Volljuristen - keinen Sinn. Bei dem "ausdrücklichen Strafantrag" vom 03. April 2006 handelt es sich hingegen lediglich um eine Bekräftigung des ohnehin schon deutlich gemachten Strafverlangens und nicht um eine erstmalige Bitte um strafrechtliches Einschreiten.

2. Die Feststellungen der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung.

Unter einer Beleidigung ist die Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung zu verstehen (vgl. BGHSt 1, 298; 11, 67; 16, 58 f). Dabei kann die Beleidigung durch ehrenrührige Tatsachenbehauptung sowie durch herabsetzende Werturteile gegenüber dem Betroffenen begangen werden (vgl. OLG Hamm vom 10. Oktober 2005 in 3 Ss 231/05).

Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge ist bei Angriffen auf die Ehre zunächst zu untersuchen, ob eine Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe einer Meinung, d.h. eines Werturteils, darstellt. Bei der Tatsachenbehauptung steht die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund, so dass sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich ist. Hingegen sind Meinungen, auf die sich der grundgesetzliche Schutz der Meinungsfreiheit in erster Linie bezieht, durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. BVerfG, StV 2000, 416; NJW 1994, 1779). Tatsachenbehauptungen können jedoch auch in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen, und zwar dann, wenn sie im Zusammenspiel die Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, weil sich diese in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen (vgl. BVerfG NJW 1994, 1779). Ob der Tatrichter den Aussagegehalt einer beanstandeten Äußerung zutreffend erfasst und rechtlich einwandfrei zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil unterschieden hat, unterliegt revisionsrechtlicher Nachprüfung (vgl. BGH NJW 1997, 2513). Zu bewerten ist die beanstandete Äußerung in ihrer Gesamtheit; einzelne Elemente dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht herausgelöst und einer vereinzelten Betrachtung zugeführt werden, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden Grundrechtsschutz von vornherein versagen würde (vgl. BGH a.a.O.).

Das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum wird diesen Anforderungen gerecht. Die Kammer hat die Äußerungen des Angeklagten umfassend in ihrer Gesamtheit betrachtet und abgewogen und ist zu dem zutreffenden Schluss gelangt, dass es dem Angeklagten in erster Linie darum gegangen sei, "seine negative Meinung über den Zeugen kundzutun, und nicht etwa eine eventuelle unwahre Tatsache zu behaupten". Damit ist klargestellt, dass der Schwerpunkt der Äußerung auf dem Werturteil liegt. Bei Bekundungen, die sowohl Elemente von Tatsachenbehauptungen als auch Wertungen enthalten, entscheidet der überwiegende Teil (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 186 Rn. 3 m.w.N.). Insbesondere wenn der Vorwurf - wie im vorliegenden Fall - als Glied einer Argumentationskette erscheint, mit welcher vom Täter behauptete Ungerechtigkeiten angeprangert werden sollen, sind entsprechende Äußerungen in der Regel als Meinungsäußerung aufzufassen (vgl. BayObLG NStZ-RR 2002, 41).

Dementsprechend fallen die Äußerungen des Angeklagten in den Schutzbereich des Art. 5 Absatz 1 GG. Prüfungsmaßstab für die vorliegenden Erklärungen ist somit das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Es gewährleistet jedermann grundsätzlich das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (vgl. BVerfG NJW 1976, 1980). Aus diesem Grund sind Werturteile von Art. 5 Absatz 1 GG unabhängig davon geschützt, ob die Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", "emotional" oder "rational" begründet ist (vgl. BVerfG NJW 1992, 2815; NJW 1983, 1415; NJW 1972, 811).

Ob ein Werturteil überhaupt einen abwertenden Charakter hat und damit eine strafbewehrte Persönlichkeitsverletzung darstellt, hat der Tatrichter unter umfassender Auslegung des tatsächlichen Gehalts der Äußerung, ihrer Zielsetzung und der von ihr ausgehenden Wirkungen zu bewerten. Nicht jede Verletzung von Persönlichkeitsrechten stellt eine gem. § 185 StGB strafbare Ehrverletzung dar. So liegt in der bloßen Ablehnung eines anderen für sich allein keine Beleidigung, wenn damit eine Ehrverletzung noch nicht einhergeht. Deshalb ist es eine anhand der Umstände des Einzelfalls tatrichterlich zu entscheidende Interpretationsfrage, ob mit einer Äußerung zugleich auch die Minderwertigkeit des Betroffenen zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Senatsbeschluss vom 22. September 2003 in 2 Ss 452/03; OLG Zweibrücken NStZ 1994, 490).

Die tatrichterliche Auslegung unterliegt dabei allerdings nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung (vgl. BVerfG NJW 2000, 199). Das Revisionsgericht darf nur überprüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht oder gegen Sprach- und Denkgesetze verstößt (vgl. BGHSt 21, 371) oder ob sie lückenhaft ist, also ob im Rahmen der Auslegung alle Begleitumstände berücksichtigt worden sind (vgl. BGHSt 40, 97). Das Revisionsgericht hat zudem zu berücksichtigen, ob der Tatrichter bei der Anwendung der §§ 185 ff. StGB die Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit, die durch § 185 StGB eingeschränkt wird, auf der anderen Seite droht, gesehen und richtig gewertet hat. Urteile, die den Sinn der mündlichen Äußerung erkennbar verfehlen und deren rechtliche Würdigung darauf gestützt wird, halten den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht stand. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt auch dann vor, wenn das Strafgericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfG NJW 1990, 980 und 1995, 3303; OLG Hamm vom 10.Oktober 2005 in 3 Ss 231/05).

Ein solcher Fall fehlerhafter Auslegung liegt jedoch nicht vor.

Die Kammer hat die Umstände, die für die Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Angriffs auf die Ehre maßgeblich sind, so umfassend aufgeklärt und im Urteil mitgeteilt, dass dem Senat aus den Urteilsfeststellungen heraus eine Überprüfung möglicht ist (vgl. Senatsbeschluss vom 21.02.2000 in 2 Ss 130/00).

Dass sich die fraglichen Bemerkungen des Angeklagten nicht allgemein auf die Ärzte in der Justizvollzugsanstalt als Kollektiv oder - wie vom Revisionsführer dargelegt - auf das "System des real existierenden Strafvollzugs in der JVA Bochum" bezogen, liegt auf der Hand, da der Name des betroffenen Arztes in den Schreiben ausdrücklich genannt worden ist. Diese gezielte Bezugnahme auf den Zeugen Dr. X. entfällt nicht allein dadurch, dass der Angeklagte sich erkennbar in den Beschwerdeschreiben generell gegen die seiner Ansicht nach mangelhafte Verpflegung und medizinische Versorgung in der Justizvollzugsanstalt Bochum wendet und dessen Verbesserung begehrt. Zur Verfolgung dieses Zweckes wird der Zeuge nämlich zielgerichtet aus der (kleinen) Gruppe der Anstaltsärzte herausgegriffen und in Zusammenhang mit den inhumanen Haftbedingungen und Misshandlungen in den Haftanstalten der ehemaligen DDR gebracht. Zudem wird ihm die ärztliche Qualifikation abgesprochen, indem seine Promotion in Zweifel gezogen wird.

Es ist - auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht - nicht zu beanstanden, dass die Kammer hierin eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung des Zeugen Dr. X. gesehen hat. Sie hat sich im Rahmen der erforderlichen Auslegung damit auseinander gesetzt, dass neben einer bloßen Herabwürdigung des Anstaltsarztes auch eine (negative) Bewertung des Verhaltens des Betroffenen durch den Angeklagten als Deutungsmöglichkeit in Betracht kommt. Die Schreiben waren nämlich an das Justizvollzugsamt NRW in Wuppertal gerichtet und zielten auf die Feststellung der mangelhaften Versorgung und Verpflegung für Diabetespatienten in der Justizvollzugsanstalt Bochum ab.

Gleichwohl ist die Kammer mit rechtsfehlerfreien Argumenten davon ausgegangen, dass die vom Angeklagten gewählte Formulierung ("Lagerarzt aus Bautzen") den Zeugen auf eine Stufe mit den ausführenden Organen eines Unrechtsstaates stellt. Dem Arzt wird hierdurch unterstellt, er wende illegale Behandlungsmethoden an, die aus den Gefängnissen der ehemaligen DDR bekannt geworden sind. Dies wird durch das wiederholte Anzweifeln der ärztlichen Qualifikation bestärkt. Diese zulässige Deutungsvariante stellt einen schwerwiegenden Vorwurf und damit eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts dar (vgl. BVerfG NJW 2006, 3769).

Auch die vom Revisionsführer vorgebrachte alternative Deutung, es habe sich lediglich um den Gebrauch eines gängigen Spitznamen für den betroffenen Anstaltsarzt gehandelt, ist erwogen und - nach entsprechender Beweiserhebung - mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen worden. Dass die Bezeichnung unter den Gefangenen - zumindest gelegentlich - als "Spitzname" für den Zeugen verwendet wurde, ist ohne Belang. Sie hat sich nämlich nicht derart verselbständigt, dass sie als wertfreie oder auch nur saloppe Anrede eingestuft werden könnte. Insbesondere kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, ehrverletzende Bezeichnungen hinzunehmen, nur weil sie sich unter den Gefangenen der Justizvollzugsanstalt eingebürgert haben.

Die Kammer hat die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arztes auch zutreffend nicht als Schmähkritik aufgefasst, sondern ist mit tragbaren Argumenten in die gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Ehrenschutz des Betroffenen eingetreten, die Art. 5 Abs. 1 GG bei der Anwendung des § 185 StGB grundsätzlich verlangt (vgl. BVerfG NJW 2005, 3274 m.w.N.). Die Äußerung des Angeklagten ist nämlich - wie bereits erwähnt - nicht allein auf die Herabsetzung der Person des Zeugen gerichtet, sondern auch auf eine Auseinandersetzung in der Sache. Dieser greifbare Sachbezug, nämlich die Ausrichtung an dem Ziel, die Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Bochum zu verbessern, kann den Schreiben des Angeklagten nicht völlig abgesprochen werden.

Im Rahmen der Abwägung, bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt und deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist (vgl. BVerfG NJW 2000, 199), sind alle wesentlichen Umstände des Falles zu berücksichtigen (vgl. BVerfG NJW 1996, 1529; NJW 1999, 2262). Für den Angeklagten spricht zwar, dass er seine Meinungsäußerung nicht als unbeteiligter Dritter, sondern als Partei einer rechtlichen Auseinandersetzung im Kampf um Rechtspositionen gemacht hat (vgl. OLG Hamm vom 03. Juni 2004 in 4 Ss 138/04). Dabei kommt es grundsätzlich auch nicht darauf an, dass er seine Kritik anders hätte formulieren können (vgl. BVerfG StV 1991, 458). Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Angeklagte als juristischer Laie deutliche Kritik an den seiner Ansicht nach nicht haltbaren Vorgängen in der Justizvollzugsanstalt Bochum üben wollte. In diesem Zusammenhang ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterhin zu beachten, dass das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gehört (vgl. BVerfG NJW 1992, 2815). Dies gilt vor allem, wenn sich das Werturteil auf staatliche Einrichtungen, deren Bedienstete und deren Vorgehensweise bezieht (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 295). Selbst scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen in diesem Zusammenhang in den Schutzbereich des Art. 5 Absatz 1 GG (vgl. BVerfG NJW 1992, 2815).

Dieser grundgesetzlich geschützten Position des Angeklagten steht aber die Schwere der Ehrkränkung des angegriffenen Zeugen und sein Anspruch auf Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte gegenüber. Der Vorwurf der Anwendung rechtswidriger Behandlungsmethoden und das generelle Infragestellen der ärztlichen Qualifikation bedeuten für jeden Mediziner eine inakzeptable Kränkung (vgl. BVerfG NJW 2006, 3769), insbesondere wenn die Vorwürfe wiederholt erhoben werden. Unter Abwägung sämtlicher - auch bereits erwähnter - Umstände ist hier der verletzten Rechtsposition des angegriffenen Anstaltsarztes ein höheres Gewicht beizumessen als der Meinungsfreiheit. Bei der Abwägung ist zwar zu berücksichtigen, dass der Betroffene durchaus an einer hoheitlichen Maßnahme Kritik üben kann und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen darf, ohne sogleich befürchten zu müssen, der Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. OLG Hamm vom 03. Juni 2004 in 4 Ss 138/04; KG StV 1997, 485; BayObLG NStZ RR 2002, 41). Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt.

Der Ehrenschutz kann in Fällen wie dem vorliegenden schon deshalb nicht zurücktreten, weil der Anstaltsarzt den inakzeptablen Angriffen des Angeklagten kaum anders wird begegnen können als auf der Ebene der strafrechtlichen Verfolgung. Er muss im Rahmen seiner Arbeit tagtäglich mit den Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt in Kontakt treten. Zu diesem Personenkreis gehört auch der Angeklagte, selbst wenn dieser derzeit von dem zweiten Anstaltsarzt betreut wird, nachdem er im Zuge einer Auseinandersetzung über die Häufigkeit von Augenarztbesuchen seinerseits Strafanzeige gegen den Zeugen Dr. X. erstattet hatte. In dieser besonderen, durch den Haftalltag geprägten Situation sähe sich der Betroffene ständigen inakzeptablen Diffamierungen ausgesetzt, wenn man der Meinungsfreiheit des Angeklagten in diesem Fall einen höheren Stellenwert einräumte als dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen.

3. Der Rechtsfolgenausspruch ist zwar nicht frei von Rechtsfehlern, der Senat hat gleichwohl von der Aufhebung des angefochtenen Urteils nach § 354 Abs. 1 a StPO abgesehen, weil die verhängte Strafe angemessen ist.

Die Verurteilung des Angeklagten hat Bestand, obwohl die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Kammer rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er "in der Hauptverhandlung keinerlei Reue und Einsicht gezeigt hat, sondern vielmehr der Auffassung ist, zu solchen ehrverletzenden Äußerungen berechtigt zu sein". Die Generalstaatsanwaltschaft weist zu Recht darauf hin, dass der Angeklagte angesichts der Tatsache, dass er in Abrede gestellt hat, mit Beleidigungsvorsatz gehandelt zu haben, keine Reue und Einsicht zeigen konnte, ohne seine Verteidigungsposition aufzugeben (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 46 Rn. 50 m.w.N.).

Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Prozessverhalten, das sich - wie im vorliegenden Fall - im Rahmen einer zulässigen Verteidigungsstrategie hält, dem Angeklagten nicht strafschärfend zur Last gelegt werden, weil sonst sein Recht, sich zu verteidigen, mittelbar in Frage gestellt wird (vgl. BGH StV 2002, 74; wistra 1998, 303; OLG Hamm, Beschluss vom 29. September 2005 in 1 Ss 400/05). Das gilt nicht nur für das Leugnen der Tat, sondern selbst dann, wenn der Angeklagte "nur" versucht, die Tat in einem wesentlich milderen Licht darzustellen. An ein solches Verhalten allein dürfen deshalb strafschärfende Erwägungen nicht angeknüpft werden (vgl. BGH StV 1991, 255).

Gleichwohl nötigt der Rechtsfehler in diesem Punkt der Strafzumessung nicht zu einer Aufhebung des Urteils. Gemäß § 354 Abs. 1 a StPO kann das Revisionsgericht wegen einer Verletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, wenn die verhängte Rechtsfolge angemessen ist.

Dies ist vorliegend der Fall.

Die vom Amtsgericht ausgeurteilte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 3,00 € erscheint angesichts der ausführlich dargestellten Gesamtumstände angemessen. Es erscheint auch ausgeschlossen, dass die rechtsfehlerhaften Erwägungen der Kammer bei der Festsetzung der Rechtsfolge bestimmend waren mit der Folge, dass einer Zurückweisung der Vorzug zu geben wäre (vgl. Meyer/Goßner, StPO, 49. Aufl., § 354 Rn. 28), zumal die verhängte Geldstrafe ohnehin im untersten Bereich des Strafrahmens liegt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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