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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.07.2005
Aktenzeichen: 2 Ss 172/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 258
StPO § 265
StPO § 344
1. Zur Beruhensfrage bei Fehlen einer erforderlichen rechtlichen Hinweises.

2. Neben dem jugendlichen Angeklagten ist gemäß § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs., 2 und 3 StPO dessen gesetzlichen Vertretern oder Erziehungsberechtigten stets von Amts wegen das letzte Wort zu erteilen


Beschluss

Strafsache

wegen Diebstahl oder Fundunterschlagung oder Hehlerei

Auf die (Sprung-) Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 21. Dezember 2004 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 07. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendrichter - Recklinghausen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Recklinghausen - Jugendrichter - hat die Angeklagten durch Urteil vom 21. Dezember 2004 wegen gemeinschaftlich begangener Fundunterschlagung in geringem Wert verwarnt. Es hat ihnen jeweils die Weisung erteilt, Sozialdienst nach näherer Weisung des Stadtjugendamtes bis zum 28. Februar 2005 abzuleisten, und zwar der Angeklagte L. 40 Stunden und der Angeklagte M. 24 Stunden.

Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren form- und fristgerecht eingelegten Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen.

Mit der Verfahrensrüge machen sie u. a. geltend, ihren gesetzlichen Vertretern sei das letzte Wort nicht erteilt worden und das Amtsgericht habe es unterlassen, sie gemäß § 265 StPO auf die geänderte Rechtslage hinzuweisen. Die Anklage habe ihnen einen Diebstahl gemäß §§ 242, 243 StPO zur Last gelegt, die Verurteilung sei hingegen wegen Fundunterschlagung gemäß §§ 246 Abs. 1, 248 a StGB erfolgt, ohne dass ihnen ein entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt worden sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat von einer Antragstellung abgesehen.

II.

Die (Sprung-)Revisionen der Angeklagten sind frist- und formgerecht eingelegt worden und haben auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

1. Zwar haben die Angeklagten ihr Rechtsmittel zunächst nicht konkret bezeichnet, jedoch ist die unbestimmte Anfechtung eines Urteils, bei der der Beschwerdeführer die Wahl zwischen Berufung und Revision zunächst offen lässt, zulässig, weil er die Entscheidung über das geeignete Rechtsmittel in der Regel erst nach Kenntnis der Urteilsgründe treffen kann (vgl. Meyer-Goßber, StPO, 48. Aufl., § 335 Rdnr. 2). Die Angeklagten haben vorliegend innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die endgültige Wahl getroffen und ihr Rechtsmittel als Revision bezeichnet.

2. Soweit die Angeklagten rügen, es fehle bereits an einer Prozessvoraussetzung, da ein wirksamer Strafantrag nicht vorliege, können sie mit dieser Rüge nicht gehört werden. Ob die von Amts wegen zu beachtenden Prozessvoraussetzungen vorliegen, hat das Revisionsgericht - bei zulässiger Revision - nach den Grundsätzen des Freibeweises zu prüfen, ohne dabei auf die von dem Tatrichter getroffenen Feststellungen beschränkt und an dessen Beweiswürdigung gebunden zu sein (vgl. BGH MDR 1955, 143).

Entgegen den Ausführungen der Revisionsführer liegt ein wirksamer Strafantrag vor, gestellt durch den gesetzlichen Vertreter des Geschädigten, Herrn B.M.. Zwar bezieht sich der Strafantrag unmittelbar auf die Entwendung des Fahrrades vor der Wohnung des Geschädigten am 17. April 2004; es ist jedoch davon auszugehen, dass sich der Strafantrag auch auf die Unterschlagung bezieht. Denn ein Strafantrag liegt vor, wenn er das Begehren eines strafrechtlichen Einschreitens wegen einer bestimmten Handlung erkennbar zum Ausdruck bringt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 77 Rdnr. 24). Damit ist der Wille des Geschädigten so auszulegen, dass sich der Strafantrag auf sämtliche mit der Entwendung seines Fahrrades im Zusammenhang stehende Straftaten beziehen sollte.

Unabhängig davon kann die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen (§§ 248 a, 246 Abs. 1 StGB), und zwar kann sie eine entsprechende Erklärung noch in der Revisionsinstanz erklären (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 230 Rdnr. 4 m.w.N.). Dies hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Übersendungsverfügung ausdrücklich getan.

3.

Soweit die Angeklagten rügen, das Amtsgericht habe es entgegen § 265 StPO unterlassen, sie auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hinzuweisen, dass nämlich statt des angeklagten Diebstahls auch eine Verurteilung wegen Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB in Betracht kommt, genügt die Rüge noch den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Die Rüge hat auch Erfolg.

Eine Verletzung des § 265 StPO führt jedoch nur dann zur Aufhebung, wenn das Urteil auf diesem Gesetzesverstoß beruhen kann. Die Revision kann also keinen Erfolg haben, wenn sich in den Fällen des § 265 Absätze 1 und 2 StPO unter Beachtung der für das Revisionsgericht gebotenen Zurückhaltung zweifelsfrei oder mit Sicherheit ausschließen lässt, dass sich der Angeklagte bei einem (rechtzeitig) gegebenen Hinweis anders und erfolgreicher (als geschehen) hätte verteidigen können (vgl. BGH StV 1988, 329). Die Angeklagten haben vorliegend zwar selbst vorgetragen, dass sie das Fahrrad lediglich gefunden haben, jedoch scheint es möglich, dass sie sich noch weitergehend verteidigt hätten, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass nunmehr eine Verurteilung wegen § 246 Abs, 1 StGB in Betracht kam. Jedenfalls kann dies nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Ein entsprechender rechtlicher Hinweis hätte daher ergehen müssen, so dass das Urteil aufgrund dieses Verfahrensverstoßes aufzuheben ist.

4. Soweit mit der Revision jeweils gerügt wird, das Amtsgericht habe den gesetzlichen Vertretern der minderjährigen Angeklagten nach den Schlussvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung jeweils nicht das letzte Wort gewährt, ist diese Rüge von dem Angeklagten M. zu Recht erhoben. Eine Rügeverlust ist insoweit nicht eingetreten. Der Angeklagte kann die Nichterteilung des letzten Worts an seinen gesetzlichen Vertreter auch dann rügen, wenn er in der Hauptverhandlung eine diesbezügliche Entscheidung des Gerichts nicht beantragt hat (vgl. OLG Zweibrücken StV 2003, 455).

Neben dem jugendlichen Angeklagten ist gemäß § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs., 2 und 3 StPO dessen gesetzlichen Vertretern oder Erziehungsberechtigten stets von Amts wegen das letzte Wort zu erteilen (BGH NStZ 1996, 612). Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 21. Dezember 2004 steht fest, dass die Eltern des zur Zeit der Hauptverhandlung erst 15 Jahre alten Angeklagten M. anwesend waren. Das letzte Wort ist ihnen jedoch nach der Sitzungsniederschrift, für die insoweit die Beweiskraft gemäß § 274 StPO gilt, nicht erteilt worden. Die Eltern des Angeklagten M. warteten vor dem Sitzungssaal, da sie als mögliche Zeugen nicht an der Verhandlung teilnehmen durften. Der Tatrichter unterließ es jedoch, sie nach dem Schluss der Beweisaufnahme wieder in den Sitzungssaal zu rufen. Unerheblich ist auch, ob die Eltern des Angeklagten das letzte Wort überhaupt ergreifen wollten. Dieses ist ihnen nämlich nicht nur auf Verlangen, sondern von Amts wegen zu erteilen (vgl. BGHSt 21, 288, 289; BGH NStZ 1996, 612; BayObLG StV 2001, 173).

Es besteht kein Zweifel, dass das Urteil auf dieser Gesetzesverletzung beruht. Es besteht Einigkeit darüber, dass das Beruhen des Urteils auf Verstößen gegen § 258 StPO nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen ausgeschlossen ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 258 Rdnr. 34 m. w. Nachw.). Ein solcher Ausnahmefall ist zum Beispiel angenommen worden bei einem Geständnis des Angeklagten (vgl. Meyer, Goßner, a.a.O.). Dieser Fall ist hier aber gerade nicht gegeben.

Soweit der Angeklagte L. rügt, seiner Mutter sei das letzte Wort nicht erteilt worden, kann von einer Verletzung des § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs., 2 und 3 StPO nicht ausgegangen werden. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 21. Dezember 2004 war die Mutter des Angeklagten L. nämlich nicht anwesend. Die Frage der Anwesenheit kann zwar im Wege des Freibeweises geklärt werden, jedoch hat die dienstliche Äußerung des Tatrichters vom 25. März 2005 keine Klärung bringen können.

5. Da die zuvor geschilderten Verfahrensverstöße bereits zur Aufhebung des Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen führen, war ein Eingehen auf die weiteren erhobenen Rügen, insbesondere die Sachrüge, nicht erforderlich.

Die Sache war nach alledem zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückzugeben, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden hat.

Ende der Entscheidung

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