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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.07.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 197/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 200
Zur Ordnungsgemäßheit einer Anklageschrift, mit der dem Angeklagten mehrere Diebstahlstaten zur Last gelegt werden
Beschluss[Strafsache gegen I.I wegen Diebstahls u.a.

Auf die Revision der Angeklagten vom 06. August 2002 gegen das Urteil der 1. kleinen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 05. August 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 07. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Angeklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gewährt.

Der Beschluss der 1. kleinen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 15. Oktober 2002 wird für gegenstandslos erklärt.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse mit Ausnahme der Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die der Angeklagten auferlegt werden.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hat am 20. Dezember 2001 gegen die Angeklagte vor dem Amtsgericht Recklinghausen Anklage erhoben. Die Anklageschrift, die vom Strafrichter am Amtsgericht Recklinghausen am 09. März 2002 uneingeschränkt zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, weist folgenden Inhalt auf:

"I.I.

wird angeklagt,

im Jahre 2001 bis zum 20.07.2001 in Waltrop

fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sachen sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen.

Der Angeschuldigten wird folgendes zur Last gelegt:

Die Angeschuldigte war als Putzfrau in dem Wohnhaus der alleinstehenden Geschädigten M:M., Z.weg in W. tätig. Die Arbeitszeit beläuft sich auf insgesamt einmal 14-tägig für 3 bis 4 Stunden. Am 6.7.01 bemerkte die Geschädigte M. erstmalig, dass eine Bluse, welche an ihrem Schlafzimmerschrank hing, fehlte. Im Rahmen einer weiteren Nachschau in ihrem Schlafzimmerschrank bemerkte sie dann den Verlust weiterer Kleidungsstücke.

Am 20.7.01 überprüfte die Geschädigte den Tascheninhalt der Angeschuldigten, als diese gerade nach Hause gehen wollte. In einer mitgeführten Tasche befanden sich tatsächlich zwei Tops, ein Handtuch und ein Keramikteller der Geschädigten. Der Geschädigten fehlen insgesamt folgende Gegenstände:

1 Seidenbluse fraisrot 350,00 DM 1 rotes Kleid 890,00 DM 1 schwarzes Kleid 400,00 DM 1 weißes Jäckchen 390,00 DM 1 BH 100,00 DM 1 schwarze Jacke 275,00 DM 1 Top weiß 120,00 DM 1 Rock schwarz 170,00 DM ca. 12 Handtücher (14,00 DM) 168,00 DM 1 Seiden-Nachthemd 130,00 DM 1 Palettenjacke weiß 490,00 DM 1 Palettenjacke schwarz 550,00 DM 1 Mohairjacke blau 550,00 DM 1 Strickjacke rot-gelb-schw. 650,00 DM 1 Strickweste curry 200,00 DM 1 Strickweste weiß 220,00 DM 1 Pullover rot 170,00 DM 1 Pullover blau 170,00 DM 1 Jacke blau/grün gesteppt 380,00 DM 6 diverse Kleider 3.000,00 DM 4 Seidenblusen à 200,00 DM 800,00 DM 1 Abendkleid Perlenstick. 980,00 DM Weingläser ca. 12 Stck. 120,00 DM 2 Topfsets 3teilig 750,00 DM 2 Kissen groß v. Polsterbett 530,00 DM 2 Kissen klein v. Polsterbett 240,00 DM 1 Kissen + Bezug v. Metallbett 364,00 DM 1 Plaid v. Metallbett 410,00 DM 1 Kissenbezug 244,00 DM 3-4 Kochtöpfe aus Serie blau mit Glasdeckel (unbenutzt) ca. 380,00 DM ca. 4 Pullover 720,00 DM 1 Strickweste rosa 350,00 DM

Vergehen nach § 242, 52 StGB".

Das Amtsgericht Recklinghausen hat gegen die Angeklagte durch Urteil vom 22. Mai 2002 wegen Diebstahls in drei Fällen eine "Gesamtfreiheitsstrafe von 80 Tagessätzen zu jeweils 25,00 Euro" verhängt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Angeklagten hat die 1. kleine auswärtige Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum durch Urteil vom 05. August 2002 verworfen.

Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 06. August 2002, der am 07. August 2002 beim Landgericht Bochum eingegangen ist, hat die Angeklagte gegen diese Entscheidung Revision eingelegt. Das angefochtene Urteil ist ihrem Verteidiger persönlich am 12. September 2002 übergeben worden. Mit einem am 15. Oktober 2002 bei der gemeinsamen Briefannahmestelle der Justizbehörden in Recklinghausen eingegangenen Schriftsatz ihres Verteidigers, auf den Bezug genommen wird, sind die Revisionsanträge angebracht und die Revision begründet worden. Neben der allgemein erhobenen Sachrüge macht die Angeklagte insbesondere geltend, dass die Anklageschrift nicht den Anforderungen des § 200 StPO entspreche.

Mit Beschluss vom 15. Oktober 2002 hat die 1. kleine auswärtige Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum die Revision der Angeklagten wegen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Diese Entscheidung ist dem Verteidiger der Angeklagten am 17. Oktober 2002 zugestellt worden. Mit einem am 22. Oktober 2002 bei der 1. kleinen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen eingegangenen Schriftsatz vom 18. Oktober 2002 hat dieser beantragt, den Verwerfungsbeschluss aufzuheben, sowie "rein vorsorglich", der Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Unter Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung hat er vorgetragen, den Revisionsbegründungsschriftsatz am 14. Oktober 2002 gegen 17.50 Uhr persönlich in den Nachtbriefkasten des Amtsgerichts Recklinghausen eingeworfen zu haben. Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 22. Oktober 2002, eingegangen am 23. Oktober 2002, hat die Angeklagte gegen den Verwerfungsbeschluss vom 15. Oktober 2002 die Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO beantragt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, der Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsschrift zu gewähren und den Beschluss der kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 15. Oktober 2002 für gegenstandslos zu erklären.

Hinsichtlich der Revision hat sie keinen Antrag gestellt.

II.

Die Revision ist zulässig.

1. Zwar ist sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO begründet worden. Das angefochtene Urteil ist dem Verteidiger der Angeklagten am 12. September 2002, d.h. nach Ablauf der Frist zur Revisionseinlegung, durch Übergabe an ihn persönlich zugestellt worden. Sie lief daher am 12. Oktober 2002 ab. Da dieser Tag auf einen Samstag fiel, endete sie gemäß § 43 Abs. 2 StPO erst mit Ablauf des nächsten Werktages am Montag, dem 14. Oktober 2002. Der Revisionsbegründungsschriftsatz vom 14. Oktober 2002 ist jedoch ausweislich des Eingangsstempels erst am 15. Oktober 2002 und damit verspätet bei der gemeinsamen Briefannahmestelle der Justizbehörden Recklinghausen engegegangen.

2. Der Angeklagten ist aber auf ihren innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO gestellten und durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Verteidigers vom 18. Oktober 2002 gemäß § 45 Abs. 2 StPO glaubhaft gemachten Antrag nach § 44 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren.

Trifft wie hier ein Antrag gem. § 346 Abs. 2 StPO mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zusammen, entscheidet das Revisionsgericht zunächst über den Wiedereinsetzungsantrag, weil sich bei dessen Begründetheit der Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO erledigt (Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 346 Rn. 17).

Die Antragstellerin war ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Revisionsbegründung einzuhalten. Sie hat sich von einem Verteidiger vertreten lassen. Dieser hat nach seinen Angaben den Revisionsbegründungsschriftsatz noch am 14. Oktober 2002 gegen 17.50 Uhr in den Nachtbriefkasten des Amtsgerichts Recklinghausen eingeworfen, während der Eingangsvermerk erst vom 15. Oktober 2002 datiert. Ob ihn an der Fristversäumung ein Verschulden trifft, kann dahinstehen. Selbst wenn dieses so wäre, könnte ein Verschulden ihres Verteidigers der Angeklagten nicht zugeordnet werden (BVerfG NJW 1991, 351; 1994, 1856; BGHSt 14, 306, 308; Meyer-Goßner, a.a.O., § 44 Rn. 18).

3. Aufgrund des zulässigen und begründeten Wiedereinsetzungsantrags ist der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO erledigt.

4. Die Gewährung der Wiedereinsetzung bewirkt, dass der tatrichterliche Verwerfungsbeschluss nach § 346 Abs. 1 StPO gegenstandslos wird (RGSt 61, 181; BayObLGSt NJW 1961, 1982; OLG Celle NStZ 1983, 377; Karlsruher Kommentar-Kuckein, StPO, 4. Aufl., § 346 Rn. 29).

I.

Die Revision ist auch begründet.

1. Die bei einer - wie vorliegend - zulässigen Revision von Amts wegen gebotene Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen (vgl. Kuckein, StraFo 1997, 33) ergibt, dass der Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 09. März 2002 mit durchgreifenden Mängeln behaftet ist. Da der in der Anklageschrift enthaltene Anklagesatz durch unveränderte Zulassung zur Hauptverhandlung notwendiger Bestandteil des Eröffnungsbeschlusses wird, sind Fehler des Anklagesatzes zugleich Mängel des Eröffnungsbeschlusses (BGH GA 1973, 111; Karlsruher Kommentar-Tolksdorf, a.a.O., § 200 Rn. 1, 23).

2. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 20. Dezember 2001 entspricht nicht den nach § 200 StPO an eine ordnungsgemäße Anklageschrift zu stellenden Anforderungen.

a) In prozessualer Hinsicht hat die Anklageschrift eine doppelte Bedeutung. Einerseits soll sie den Prozessgegenstand bestimmen, d.h. sie dient der konkreten Bezeichnung der individuellen Tat, über die das Gericht befinden soll (BGHSt 16, 47, 48; 29, 124, 126; 40, 390, 392 = NStZ 1995, 297), sog. Umgrenzungsfunktion (Löwe-Rosenberg-Rieß, StPO, 25. Aufl., § 200 Rn. 3 a). Diese folgt aus dem Gebot "ne bis in idem" - Art. 103 Abs. 3 GG - und grenzt die Reichweite der materiellen Rechtskraft der Entscheidung ein (Schlüchter JR 1990, 10, 12). Andererseits soll die Anklageschrift darüber hinaus dem Gericht und dem Angeklagten die für die Durchführung des Verfahrens und für die Verteidigung notwendigen Informationen vermitteln (Krause/Thon StV 1985, 252, 253), sog. Informationsfunktion.

b) Um insbesondere der Umgrenzungsfunktion gerecht zu werden, hat die Anklageschrift die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist. Sie muss sich von anderen gleichartig gelagerten strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (vgl. BGHSt 40, 44, 45; 40, 390, 391; BGH NStZ 1995, 245; OLG Düsseldorf JMBl. NW 1995, 237; Urteil des Senats vom 22. November 2000 - 2 Ss 908/2000 - in ZAP EN-Nr. 59/2001 = StraFo 2001, 290 und Urteil des Senats vom 07. März 2001 - 2 Ss 1058/2000 - in wistra 2001, 236). Es muss klar sein, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (BGH NStZ 1999, 553).

Mit welchen näheren Tatsachen eine Tat in ausreichendem Maß gekennzeichnet ist, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab (BGHSt 40, 44, 46; NStZ 1995, 245; NStZ 1984, 229; 469; StV 1996, 362). Die Anforderungen an die Konkretisierung des Tatvorwurfs sind umso stärker, desto eher die allgemeine Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte in der in Betracht kommenden Zeit andere verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (BGHSt 10, 137, 140; NStZ 1984, 229; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 4, 7). Zwar muss zur erforderlichen eindeutigen Abgrenzung der einzelnen Taten zum Nachteil desselben Opfers grundsätzlich versucht werden, die konkreten Einzelfälle möglichst genau nach Tatzeit, Tatort, Ausführungsart und anderen individualisierenden Merkmalen zu kennzeichnen (BGHSt 40, 138, 161; Karlsruher Kommentar-Tolksdorf, a.a.O., § 200 Rn. 6). Sind aufgrund der Vielzahl gleichförmiger Taten, eines lange zurückliegenden Tatzeitraums oder des geringfügigen Alters des Opfers oder Beteiligten konkretere Angaben nicht möglich, reicht es insbesondere bei Serienstraftaten oder bei Taten, die nach der früheren Rechtsprechung zu einer fortgesetzten Handlung zusammengefasst worden wären, zur Vermeidung von gewichtigen Lücken in der Strafverfolgung aber aus, in der Anklageschrift einen bestimmten Tatzeitraum, die Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung, den Tatort und das Tatopfer sowie die Tatbeteiligten mitzuteilen. Darüber hinaus muss die Anklage die Anzahl der Taten benennen, die dem Angeklagten zur Last gelegt werden. Denn anderenfalls ist nicht erkennbar, ob sich das Urteil innerhalb des von der Anklage gegebenen tatsächlichen Rahmens hält und ob es ihn ausschöpft (BGHSt 40, 44, 46, 47; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 13, 14; OLG Düsseldorf JMBl. NW 1995, 239; Karlsruher Kommentar-Tolksdorf, a.a.O., § 200 Rn. 6; Senat, a.a.O.). Die Angabe der Zahl der angeklagten Einzeltaten, die ohne Nachtragsanklage im Urteil nicht überschritten werden darf (BGH NStZ-RR 1999, 274), ist bei Tatmehrheit unumgänglich (BGHSt 40, 138, 161 = NStZ 1994, 383, 386; Karlsruher Kommentar-Tolksdorf, a.a.O., § 200 Rn. 6).

c) Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 20. Dezember 2001 genügt diesen Grundsätzen nicht. Zwar werden die Zeugin M. M. als Geschädigte, ihr Wohnhaus am Z.weg in W. als Tatort, die mit ihren genauen Personalien als Täterin bezeichnete Angeklagte, ein konkreter Tatzeitraum - im Jahre 2001 bis zum 20. Juli 2001 -, der auch der Verurteilung der Angeklagten zugrunde gelegt worden ist, die Grundzüge der Tatausführung durch Verbringen der Gegenstände in eine mitgeführte Tasche sowie die der Geschädigten insgesamt fehlenden Gegenstände benannt. Auch wenn dies nicht expressis verbis dargelegt wird, ergibt sich doch aus dem Gesamtzusammenhang, dass diese Gegenstände von der Angeklagten entwendet worden sein sollen.

Die Anklageschrift verhält sich aber nicht zur Anzahl der in Tatmehrheit verwirklichten Einzeltaten, die der Angeklagten zur Last gelegt werden. Es wird auch nicht ausgeführt, welche der aufgelisteten Gegenstände sie bei welcher Gelegenheit entwendet haben soll. Dass sie sämtliche Gegenstände bei einer einzigen Tat in ihrer Tasche verstaut haben könnte, ist ausgeschlossen. In der Anklageschrift hätte zumindest die Höchstzahl der innerhalb des angegebenen Tatzeitraums begangenen Einzeltaten benannt werden müssen (vgl. BGHSt 40, 44, 47; NStZ-RR 1999, 274). Dagegen wird lediglich die Tat vom 20. Juli 2001, bei der die Geschädigte in der Tasche der Angeklagten zwei Tops, ein Handtuch und einen Wandteller aus ihrem Eigentum vorgefunden haben soll, näher konkretisiert.

Es lässt sich daher anhand der Anklageschrift nicht zweifelsfrei feststellen, welcher historische Vorgang jeweils angeklagt und dem Tatrichter zur Entscheidung unterbreitet werden soll. Wegen dieser Mängel in der Tatkonkretisierung erfüllt die Anklageschrift ihre Umgrenzungsfunktion nicht.

3. Mängel der Anklageschrift haben aufgrund der verschiedenen Aufgaben der Umgrenzungs- und der Informationsfunktion unterschiedliche Folgen; die Möglichkeit der Heilung eines inhaltlichen Mangels der Anklageschrift richtet sich nach seiner jeweiligen Bedeutung (Kuckein, a.a.O., S. 36). Während die die Informationsfunktion betreffenden Schwächen in der Regel noch im Hauptverfahren zu heilen sind, ist dies bei Defiziten hinsichtlich der Umgrenzungsfunktion umstritten.

a) Einigkeit besteht zumindest darin, dass es zulässig ist, zur Ergänzung einer ungenauen oder unvollständigen Tatbezeichnung im Anklagesatz auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zurück zu greifen (Löwe-Rosenberg-Rieß, a.a.O., § 200 Rn. 11 a, 57; Karlsruher Kommentar-Tolksdorf, a.a.O., § 200 Rn. 23 m.w.N.). Eine derartige Heilung kommt hier jedoch nicht in Betracht. Denn in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 20. Dezember 2001, die an den Strafrichter des Amtsgerichts Recklinghausen gerichtet ist, ist gemäß § 200 Abs. 2 Satz 2 StPO in zulässiger Weise von der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen abgesehen worden.

b) Unterschiedlich beurteilt wird hingegen die Frage, ob Mängel der Umgrenzungsfunktion vom Tatrichter durch eine Ergänzung im Eröffnungsbeschluss oder in der Hauptverhandlung durch einen als wesentliche Förmlichkeit nach § 273 Abs. 1 StPO zu protokollierenden Hinweis an den Angeklagten geheilt werden können (bejahend u.a. BGH GA 1973, 111, 112 und 1980, 108, 109; OLG Karlsruhe StV 1993, 403, 404; Karlsruher Kommentar-Tolksdorf, a.a.O., § 200 Rn. 24; Meyer-Goßner, a.a.O., § 200 Rn. 26 und § 207 Rn. 11, 12; verneinend u.a. Löwe-Rosenberg-Rieß, a.a.O., § 200 Rn. 57 a m.w.N.; Krause/Thon, a.a.O., S. 255).

Der Meinungsstreit kann hier indes dahinstehen, da eine derartige Heilung jedenfalls nicht vorgenommen worden ist. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 20. Dezember 2001 ist im Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 09. März 2002 ohne Änderungen oder Ergänzungen zur Hauptverhandlung zugelassen worden. Weder in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Recklinghausen vom 23. Mai 2002 noch in der Berufungshauptverhandlung vor der 1. kleinen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 05. August 2002 sind ausweislich der jeweiligen Sitzungsniederschriften derartige Hinweise erteilt worden.

4. Aufgrund der nicht geheilten Mängel in ihrer Umgrenzungsfunktion ist die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 20. Dezember 2001 und damit auch der Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 09. März 2002 unwirksam. Auf die Revision der Angeklagten war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren wegen des Verfahrenshindernisses des Fehlens einer wesentlichen Prozessvoraussetzung nach den §§ 206 a Abs. 1, 349 Abs. 4, 354 Abs. 1 StPO einzustellen (vgl. BGHSt 10, 137, 138, 141; 40, 44, 45; 40, 390, 392; BGH GA 1973, 111, 112; OLG Karlsruhe StV 1993, 403 ff.; Meyer-Goßner, a.a.O., § 200 Rn. 25 m.w.N.; Löwe-Rosenberg-Rieß, a.a.O., § 200 Rn. 57; Kuckein, a.a.O., S. 35; zu allem auch Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 2. Aufl., 1999, Rn. 107 ff.).

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf den §§ 467 Abs.1 analog, 473 Abs. 7 StPO.

Ende der Entscheidung

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