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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.08.2006
Aktenzeichen: 2 Ss 338/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329
StPO § 44
StPO § 344
1. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Berufung wegen Ausblieben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin verworfen worden ist.

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die Revision durch die Rüge materiellen Rechts bereits formgerecht im Sinne von § 345 Abs. 1 StPO begründet worden ist.


2 Ws 182/06 OLG Hamm 2 Ss 338/06 OLG Hamm

Beschluss

Strafsache

gegen L.N.

wegen Betruges, (hier: Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung und gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist sowie Revision des Angeklagten).

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 17. Mai 2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 8. Mai 2006, auf den Antrag des Angeklagten vom 29. Mai 2006 auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil der kleinen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 20. März 2006 sowie auf die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 08. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung bzw. auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

2. Das Wiedereinsetzungsgesuch wird auf Kosten des Angeklagten zurückgewiesen.

3. Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Recklinghausen hat den mehrfach vorbestraften und zuletzt wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Bewährungsstrafe in Höhe von zwei Jahren verurteilten Angeklagten am 1. Dezember 2005 wegen Betruges (erneut) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung das Amtsgericht nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt hat. Die dagegen eingelegte Berufung hat die Auswärtige Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum durch Urteil vom 20. März 2006 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben war. Nach Beginn der Berufungshauptverhandlung um 11.00 Uhr teilte der Angeklagte nämlich um 11.10 Uhr durch Vermittlung der Geschäftsstelle dem Vorsitzenden Richter fernmündlich mit, dass er statt zum Amtsgericht Recklinghausen, dem Sitz der Auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum, zum Landgericht Bochum gefahren sei. Dennoch erschien der Angeklagte bis um 12.03 Uhr nicht, obwohl er von dem Vorsitzenden in dem Telefonat darauf hingewiesen worden war, dass mit dem Beginn der Berufungshauptverhandlung bis 12.00 Uhr zugewartet werde und die Strecke von Bochum nach Recklinghausen mit einem PKW bzw. Taxi binnen 20 Minuten zu bewältigen ist.

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 22. März 2006, der per Fax am 23. März 2006 bei der Auswärtigen Strafkammer eingegangen ist, hat der Angeklagte um Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung nachgesucht und gleichzeitig "für den Fall der Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung" das Rechtsmittel der Revision gegen das Verwerfungsurteil eingelegt. Dieses hat der Angeklagte auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützt und gleichzeitig zur Begründung der formellen Rüge die Gewährung von Akteneinsicht beantragt.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuches hat der Angeklagte vorgetragen, er habe sich nach Beendigung des Telefonats mit dem Vorsitzenden sofort auf den Weg nach Recklinghausen gemacht. Allerdings habe er nur über vier Euro Bargeld verfügt und sei deshalb nicht in der Lage gewesen, ein Taxi für diese Fahrt zu bestellen. Mit "der Bahn" sei er sodann nach Gelsenkirchen gefahren, wo ihm dann weiteres Geld gefehlte habe, um mit "der Bahn" von Gelsenkirchen nach Recklinghausen zu fahren. Erst gegen 13.30 Uhr sei sein Bruder in der Lage gewesen, ihn mit einem PKW in Gelsenkirchen abzuholen. Gemeinsam mit dem Bruder und dem Zeugen R. sei er so in Recklinghausen eingetroffen und habe sich auf der Geschäftsstelle gemeldet. Hier sei ihm mitgeteilt worden, dass das Verfahren bereits abgeschlossen sei. Zum Zwecke der Glaubhaftmachung dieses Sachverhaltes hat der Angeklagte die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Zeugen R. angekündigt, die jedoch bis heute nicht vorliegt.

Das schriftliche Versäumnisurteil wurde der Verteidigerin des Angeklagten sodann unter dem 3. April 2006 zugestellt. Zur Frage der genügenden Entschuldigung im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO ist in diesem Urteil Folgendes ausgeführt:

"Den Angeklagten entschuldigt nicht, dass er versehentlich zum Landgericht Bochum gefahren ist. Seine Ladung hat einen ausdrücklichen Hinweis auf die Auswärtige Strafkammer in Recklinghausen enthalten. Auf seinen telefonischen Anruf um 11.10 Uhr hat die Kammer den Verhandlungsbeginn auf 12.00 Uhr verlegt. Auch den hat der Angeklagte verpasst, obwohl die Strecke mit dem PKW in 20 Minuten zu schaffen ist."

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 3. Mai 2006, der am selben Tag per Fax bei der Strafkammer eingegangen ist, hat der Angeklagte die Revision erneut mit der Verletzung materiellen und formellen Rechts begründet. Dabei hat er im wesentlichen unter Wiederholung des bereits im Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragenen Sachverhalts die formelle Rüge mit einer Verletzung des § 329 StPO begründet und dazu die Ansicht vertreten, dass bei diesem Sachverhalt, einer gebotenen weiten Auslegung zugunsten des Angeklagten und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei dem Angeklagten um einen juristischen Laien handele, ein Verwerfungsurteil im Sinne von § 329 StPO nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Bis zu diesem Zeitpunkt war der Verteidigerin des Angeklagten die zur Begründung der formellen Rüge mit Schriftsatz vom 22. März 2006 beantragte Akteneinsicht nicht gewährt worden. Sie hatte die Erledigung des Akteneinsichtsgesuchs bisher nicht angemahnt. In der Revisionsbegründungsschrift vom 3. Mai 2006 hat sie "nur" auf diesen Umstand hingewiesen.

Durch Beschluss vom 8. Mai 2006 hat die Auswärtige Strafkammer des Landgerichts Bochum sodann den Antrag des Angeklagten vom 22. März 2006 auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen darauf verwiesen, dass selbst bei Annahme des vom Angeklagten jetzt vorgetragenen Sachverhaltes ein Verschulden festzustellen sei, da die Ladung zur Auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum bei dem Amtsgericht Recklinghausen nicht zu übersehen gewesen sei und sich der Angeklagte auch die unzureichenden Bargeldmittel als Verschulden anrechnen lassen müsse. Im übrigen sei der gesamte Vortrag des Angeklagten letztlich u.a. deshalb nicht glaubhaft, weil eine Befragung der Geschäftsstellenbeamten ergeben habe, dass der Angeklagte am 20. März 2006 weder allein noch in Begleitung weiterer Personen auf der Geschäftsstelle erschienen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss Bezug genommen. Er wurde der Verteidigerin des Angeklagten am 11. Mai 2006 zugestellt.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten, die mit einem erneuten Akteneinsichtsgesuch der Verteidigerin verbunden war.

Diese Akteneinsicht wurde der Verteidigerin des Angeklagten sodann am 29. Mai 2006 gewährt. Mit Schriftsatz vom 29. Mai 2006, der per Fax am selben Tage bei der Auswärtigen Strafkammer eingegangen ist, hat die Verteidigerin des Angeklagten daraufhin beantragt, "Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist" zu gewähren und die Rüge einer Verletzung des § 329 StPO erneut erhoben. Dazu hat sie in diesem Schriftsatz die Darstellung aus der Revisionsbegründung vom 3. Mai 2006 wiederholt und dies ergänzend mit einer Darstellung des Hauptverhandlungsprotokolls vom 20. März 2006 sowie einem Zitat der Entscheidungsgründe verbunden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hinsichtlich der sofortigen Beschwerde und der Revision beantragt wie entschieden.

II.

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Strafkammer vom 8. Mai 2006 und die Revision des Angeklagten gegen das Verwerfungsurteil der Strafkammer sind zwar zulässig, haben in der Sache aber keinen Erfolg. Dabei ist im Rahmen der Revision die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Wiederholung der Rüge einer Verletzung des § 329 StPO ausgeschlossen.

1.

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zurückweisenden Beschluss der Strafkammer vom 8. Mai 2006 ist gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthaft und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg, weil die Strafkammer das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten zutreffend verworfen hat.

Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung kann nach §§ 329 Abs. 3, 44 Satz 1 StPO nur dem Angeklagten gewährt werden, der ohne Verschulden gehindert war, den Termin wahrzunehmen. Der Angeklagte hat dazu einen Sachverhalt vorzutragen, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes eigenes Verschulden ausschließt und der dem Berufungsgericht bei Erlass des Verwerfungsurteils nicht bekannt war. Erforderlich ist eine genaue Darstellung der Umstände, die für die Frage, wie und ggfl. durch welche Umstände es zu der Versäumung der Berufungshauptverhandlung gekommen ist, bedeutsam sind (vgl. OLG Hamm, VRS 96, 439; OLG Köln, NStZ-RR 2002, 142; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 169; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 329, Rdnr. 42). Nach § 45 Abs. 2 StPO sind diese Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages bei Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen.

Danach ist das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten bereits unzulässig, weil er die von ihm zur Begründung des Antrages vorgetragenen Tatsachen insgesamt nicht glaubhaft gemacht hat. Seinem Wiedereinsetzungsantrag ist kein Mittel zur Glaubhaftmachung beigefügt. Die von ihm zur Glaubhaftmachung nachträglich angekündigte eidesstattliche Versicherung des Zeugen R. liegt bis heute nicht vor. Damit kann die sofortige Beschwerde schon aus diesem Gesichtspunkt keinen Erfolg haben.

Im Übrigen sind die Gründe des angefochtenen Beschlusses auch in der Sache nachvollziehbar, überzeugend und somit im Ergebnis zutreffend.

Denn auch der vom Angeklagten jetzt vorgetragene Sachverhalt rechtfertigt nicht die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, weil er ein eigenes, der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden des Angeklagten nicht ausschließt. Es erklärt sich nicht, warum der Angeklagte nach Aufklärung seines Irrtums statt von Bochum direkt nach Recklinghausen zunächst "mit der Bahn" (Straßenbahn oder Deutsche Bundesbahn) nach Gelsenkirchen gefahren ist, obwohl (gerichtsbekannt) das für Gelsenkirchen reichende Ticket des VRR, Preisstufe II für die Fahrt nach Recklinghausen ausgereicht und damit sich die direkte Fahrt von Bochum über Herne Wanne Hauptbahnhof nach Recklinghausen mit der Deutschen Bundesbahn geradezu aufgedrängt hätte. Denn nur mit dieser insgesamt knapp 40 Minuten dauernden Fahrt konnte der Angeklagte innerhalb der ihm bekannten und angemessenen Wartefrist von einer Stunde rechtzeitig bei dem Amtsgericht Recklinghausen erscheinen, nicht aber bei dem von ihm ohne vernünftigen Grund gewählten "Umweg" über Gelsenkirchen, der fast zwei Stunden in Anspruch genommen hätte. Unter diesen Umständen stellt sich die Fahrt über Gelsenkirchen als ein schuldhaftes Verhalten des Angeklagten dar.

Soweit in dem Tatsachenvortrag des Angeklagten enthalten sein könnte, infolge seiner eingeschränkten Barmittel habe er lediglich eine Fahrt mit der Straßenbahn, aber nicht mit "Die Bahn DB" zahlen können, ist dies nicht nachvollziehbar. Der Angeklagte übersieht nämlich, dass das Ticket der Preisstufe II des VRR sowohl für "die Bahn DB" als auch die Bogestra - Straßenbahn gilt, da beide dem Verkehrsverbund VRR angehören.

Schließlich verweist die Strafkammer in dem angefochtenen Beschluss auch zu Recht darauf, dass dieser weitere Vortrag des Angeklagten zum Wiedereinsetzungsgesuch zumindest in Teilbereichen widersprüchlich ist und sich außerdem bei Nachfragen bezüglich des nachträglichen Eintreffens des Angeklagten auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Recklinghausen nicht bestätigt hat. Unter diesen Umständen ist jedenfalls nicht mehr ausreichend wahrscheinlich, dass sich der Angeklagte bemüht hat, das Amtsgericht Recklinghausen überhaupt noch zu erreichen. Vielmehr ist vor diesem Hintergrund eher wahrscheinlich, dass der Angeklagte von Bochum nach Gelsenkirchen als seinem Wohnort gefahren ist, weil er nicht mehr an einer Berufungshauptverhandlung noch teilnehmen wollte. Unter diesen Umständen ist sein Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung nicht entschuldigt.

2.

Das (weitere) Gesuch des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Begründung der formellen Rüge einer Verletzung des § 329 StPO bei Erlass des Verwerfungsurteils war als unbegründet zu verwerfen.

Zum einen fehlt es insoweit bereits an einer Fristversäumung im Sinne von § 44 StPO. Denn der Angeklagte hat mit seiner formellen Rüge inhaltlich geltend gemacht, die Strafkammer habe bei Erlass des Verwerfungsurteils die Rechtsbegriffe des "Ausbleibens" und der "nicht genügenden Entschuldigung" verkannt (vgl. OLG Hamm, NJW 1975, 1613, 1614; OLG Hamm, VRS 68, 55) und deshalb die Vorschrift des § 329 Abs. 1 StPO falsch angewendet. Diese Rüge ist bereits mit dem Schriftsatz der Verteidigerin des Angeklagten vom 3. Mai 2006 ausreichend und fristgerecht im Sinne von § 345 Abs. 1 StPO vorgetragen worden. Denn zur ordnungsgemäßen Begründung dieser Rüge ist die Darstellung und Wiederholung der tatsächlichen Feststellungen des Verwerfungsurteils, an die die gerügte Rechtsverletzung zu messen ist, ebenso wenig erforderlich, wie die Darstellung des Gangs der Hauptverhandlung (vgl. Meyer - Goßner, StPO, 49. Aufl., § 329 Rdnr. 48). Damit bedarf es zur Erhebung dieser formellen Rüge keiner Wiedereinsetzung.

Zum anderen ist eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die Revision zum Beispiel durch die Rüge materiellen Rechts - wie hier - bereits formgerecht im Sinne von § 345 Abs. 1 StPO begründet worden ist (vgl. BGH, NStZ 1981, 110; OLG Hamm, NZV 01, 490; OLG Köln NStZ-RR 1996, 212). Davon ist zwar dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Revisionsführer unverschuldet u.a. durch Maßnahmen des Gerichts an der rechtzeitigen Revisionsbegründung gehindert worden ist. Das ist zum Beispiel der Fall bei einer Verweigerung der Akteneinsicht während der Frist des § 345 Abs. 1 StPO (vgl. Meyer - Goßner, StPO, 49. Aufl., § 44 Rdnr. 7 a, m.w.N.). Eine solche Verweigerung liegt aber dann nicht vor, wenn die Akteneinsicht offensichtlich übersehen worden ist und die Verteidigerin sie auch nicht angemahnt hat. In einem solchen Fall wäre es spätestens nach der Urteilszustellung die Aufgabe der Verteidigerin und ihr auch zumutbar gewesen, mit Blick auf eine drohende Fristversäumung an die Erledigung des Akteneinsichtsgesuchs zu erinnern (vgl. dazu Senatsbeschluss in 2 Ss OWi 598/03, http://www.Burhoff.de; BGH, NStZ 2000, 326; BGH, NStZ 1985, 492; Meyer - Goßner, StPO, 49. Aufl., § 44 Rdnr. 7 b).

So liegt der Fall hier. Das Akteneinsichtsgesuch der Verteidigerin des Angeklagten ist offensichtlich infolge der Parallelität zwischen dem Wiedereinsetzungsantrag und der Revision übersehen worden, weil Akteneinsicht ohne weiteres nach der erneuten Antragstellung im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Strafkammer vom 8. Mai 2006 gewährt worden ist. Vor diesem Hintergrund ist demnach eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen.

3.

Damit ist die Revision des Angeklagten gegen das Verwerfungsurteil der Strafkammer vom 20. März 2006 zwar frist- und formgerecht und damit zulässig eingelegt. In der Sache hat die Revision aber weder mit der Rüge materiellen Rechts, noch mit der Rüge formellen Rechts Erfolg.

Die erhobene Sachrüge ist unbegründet. Da es sich bei einem Verwerfungsurteil gemäß § 329 StPO um ein Prozessurteil handelt, führt die Sachrüge nur zu einer Überprüfung der Frage, ob Verfahrenshindernisse gegeben sind (vgl. BGH St 21, 242; OLG Hamm Beschluss des 3. Strafsenats in 3 Ws 188/05, 3 Ss 247/05; Meyer - Goßner, StPO, 49. Aufl., § 329, Rdnr. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall.

In gleicher Weise ist die erhobene formelle Rüge unbegründet. Der Angeklagte macht mit ihr sinngemäß geltend, die Strafkammer habe bei Erlass des Verwerfungsurteils die Rechtsbegriffe des "Ausbleibens" bzw der "genügenden Entschuldigung" verkannt. Denn er beruft sich darauf, dass die Strafkammer bei dem vorgetragenen Sachverhalt ein Verwerfungsurteil infolge ausreichender Entschuldigung des Angeklagten nicht hätte erlassen dürfen.

Die Rüge ist unbegründet, weil die Feststellungen des angegriffenen Urteils einen solchen Fehler zu Lasten des Angeklagten nicht erkennen lässt. Denn bei der Frage, ob die Berufungskammer bei dem Erlass des Verwerfungsurteils die Rechtsbegriffe verkannt und deshalb falsch angewendet hat, darf nicht von dem Sachverhalt ausgegangen werden, den der Angeklagte in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand dargelegt hat. Der Senat ist vielmehr an die tatsächlichen Feststellungen des Verwerfungsurteils zum Hintergrund für das Ausbleiben des Angeklagten gebunden. Diese Feststellungen darf das Revisionsgericht weder auf ihre Richtigkeit überprüfen, noch dürfen sie durch weitere Feststellungen ergänzt werden (vgl. BGH St 28, 384; OLG Hamm, VRS 68, 55; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 329, Rdnr. 48 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen hat die Strafkammer die Rechtsbegriffe des § 329 Abs. 1 StPO nicht verkannt. Bei einer Wartezeit der Strafkammer von einer Stunde und einer Fahrzeit mit PKW oder Taxi für die Strecke von Bochum nach Recklinghausen von rund 20 Minuten, ist es nicht glaubhaft, dass den Angeklagten an sein Ausbleiben kein Verschulden trifft. Nach diesen Feststellungen ist das Verwerfungsurteil zu recht ergangen.

Die Revision war danach gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 und Abs. 7 StPO.

Ende der Entscheidung

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