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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.09.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 519/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 224
StGB § 244
Eine geladene Schreckschusswaffe ist generell als "Waffe" im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen einzuordnen.
Beschluss

Strafsache

wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die (Sprung-) Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 5. März 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26. 09. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Kosten des Rechtsmittels fallen dem Angeklagten zur Last (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Recklinghausen hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil einer gefährlichen Körperverletzung für schuldig erkannt und ihm die Weisung erteilt, 30 Stunden Sozialdienst nach Maßgabe des Jugendamtes zu verrichten.

Zum Tatgeschehen hat die Tatrichterin folgende Feststellungen getroffen:

"Am Abend des 09.02.2002 hielten sich die Angeklagten sowie der geschädigte Zeuge K. mit seinen Söhnen in der Gaststätte B. in Waltrop auf, um dort Karneval zu feiern. Sowohl die Angeklagten als auch der Zeuge K. sprachen in erheblichem Maße dem Alkohol zu. Im Verlaufe des Abends kam es immer wieder zu kleinen Streitgesprächen mit ihnen, die letztlich gegen ca. 1.00 Uhr nachts dahin mündeten, dass die Angeklagten den Zeugen K. aufforderten, die Gaststätte zu verlassen und nach Hause zu gehen. Dies tat der Zeuge K. dann auch.

Nachdem der Zeuge die Gaststätte verlassen hatte, teilte die ehemalige Freundin des Angeklagten T. dem Angeklagten B. mit, dass sie zuvor von dem Zeugen K. belästigt worden sei. Daraufhin beschlossen die Angeklagten, zur Wohnung K., G.Str. in W. zu gehen. Gegen 1.30 Uhr nachts schellten sie dort an der Wohnungstür,. Der Zeugin Petra K., der Ehefrau des Geschädigten K., die die Tür öffnete, erklärten die Angeklagten, dass sie ihren Ehemann sprechen wollten. Die Zeugin K., die bemerkte, dass der Angeklagte B. Alkohol getrunken hatte und einen aggressiven Eindruck machte, wollte ein Gespräch verhindern und wies auf die späte Zeit hin. Aufgrund des Lärms im Flur kam der Geschädigte K. zur Tür, wo er sofort durch den Angeklagten B. als "Spinner und Wichser" bez4eichnet wurde. Dabei wurde ihm weiter vorgehalten, dass er die Freundin des Angeklagten T. sexuell angemacht habe.

Während dieses Gespräches fuchtelte der Angeklagte B. vor dem geschädigten K. mit den Händen herum, so dass der Geschädigte K. den Eindruck bekam, dass er diesen angreifen wollte. Er kam diesem erwarteten Angriff zuvor und sprang seinerzeit den Angeklagten B. an, wodurch dieser zu Fall kam. In diesem Moment schoss ihm der Angeklagte aus einer Entfernung von 1,5 Metern mit einer Schreckschusspistole gegen den Oberkörper. Sodann flüchteten beide Angeklagten.

Der geschädigte Zeuge K. ist durch diesen Schuss nach hinten gegen den Türrahmen gestoßen und zu Boden gegangen. Das Unterhemd, das der Geschädigte bei geöffnetem Hemd getragen hatte, wies in Brusthöhe ein ca. 2 Zentimeter großes Einschussloch auf. Der Schuss hinterließ auf der Brust des Geschädigten eine ca. 1 Zentimeter große Wunde, ohne jedoch in den Körper eingedrungen zu sein. Der Zeuge verbleib vier Tage in stationärer Krankenhausbehandlung.

Der Zeuge B. hat sich durch den Kopfstoß eine Schädelpellung und eine Oberlippenschleimhautverletzung zugezogen."

Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, dass unmittelbar nach dem Öffnen der Wohnungstür durch Frau K. der Geschädigte hinzu gekommen sei, es habe sofort einen lauten Disput gegeben und der Zeuge K. habe dem Mitangeklagten B. einen Kopfstoß versetzt, durch den dieser zu Boden gegangen und bewusstlos geworden sei, so dass er, der Angeklagte, keine andere Möglichkeit gesehen habe, als mit seiner Schreckschusspistole, die er an diesem Tag von einer Reparatur geholt habe, auf den Zeugen K. zu zielen und zu schießen. Sein Verhalten sei daher gerechtfertigt.

Das Amtsgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme den Schuss des Angeklagten auf den Zeugen K. weder als gerechtfertigte Nothilfe noch als einen rechtfertigenden Notstand angesehen und hierzu ausgeführt:

" Die Angeklagten sind zu nächtlicher Zeit bei dem Zeugen K. an die Wohnungstür gegangen und haben ihn dort in aggressiver Form zur Rede gestellt und beschimpft. Der Zeuge K. hat sich hiergegen gewehrt, indem er den Angeklagten B. körperlich angegriffen hat. Durch diese Handlung war jedoch nicht der Einsatz der Schreckschusspistole gegen den stark alkoholisierten Zeugen K. geboten. Die Angeklagten hätten das, was sie nach dem Schuss getan haben, bereits vorher machen müssen, nämlich fluchtartig das Wohnhaus verlassen, nachdem sie merkten, dass der Zeuge K. ihr provokantes Verhalten nicht hinnehmen würde. Die von dem Angeklagten T. begangene Körperverletzung ist daher rechtswidrig. Er hat auch schuldhaft gehandelt."

Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten mit dem am 7. März 2003 bei dem Amtsgericht Recklinghausen eingegangenem Schriftsatz Rechtsmittel eingelegt, das er nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 1. April 2003 mit am 2. Mai 2003 eingegangenem Schriftsatz als Revision bezeichnet und begründet hat.

Die Revision greift das amtsgerichtliche Urteil mit der Sachrüge an und beantragt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zu verweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die (Sprung-)Revision des Angeklagten ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1.

Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Der Angeklagte hat einen anderen durch eine Handlung sowohl körperlich verletzt als auch an der Gesundheit beschädigt. Denn nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte mit der Schreckschusspistole auf den Zeugen K. gezielt, so dass dieser eine ein Zentimeter große Wunde im Brustbereich erlitt. Diesen objektiven Feststellungen kann auch noch hinreichend entnommen werden, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat.

Die Schreckschusspistole ist vorliegend auch zumindest als gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen.

Während die Rechtsprechung bisher geladene Schreckschusspistolen nicht als Waffen im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen angesehen hat, da sie nicht dazu bestimmt sei, durch Schüsse körperliche Verletzungen hervorzurufen (vgl. hierzu BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr. 1 Schusswaffe 1; BGHSt 44, 103, 105; 45, 92, 93; BGH NStZ 1999, 301, 302), hält der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofes hieran in Bezug auf die geladene Schreckschusswaffe nicht mehr fest. In seinem Beschluss vom 4. Februar 2003 - GSSt 2/02 - ( abgedruckt in StV 2003, 336, 337) hat er nunmehr entschieden, dass die geladene Schreckschusswaffe generell als "Waffe" im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen einzuordnen sei. Sie wird damit der geladenen Gaswaffe gleich gestellt, die in der Rechtsprechung des BGH schon bisher allgemein als Schusswaffe und damit als Waffe im technischen Sinne eingestuft worden ist (vgl. BGHSt 45, 92, 93 m. w. Nachw.). Der Große Senat des Bundesgerichtshofes hat maßgeblich darauf abgestellt, dass die Gefährlichkeit der geladenen Schreckschusswaffe nicht derart hinter einer geladenen Gaswaffe zurücksteht, dass dies eine unterschiedliche rechtliche Einstufung rechtfertigt. Mit Gaskartuschen geladene Waffen sollen die körperliche Unversehrtheit eines anderen Menschen beeinträchtigen, indem das durch den Schuss freigesetzte Gas - auch über eine gewisse Distanz hinweg - auf das Nervensystem des Gegners einwirkt, während mit Knallkartuschen geladene Waffen in erster Linie einen Knall erzeugen sollen. Dies allein stehe der Qualifizierung der geladenen Schreckschusswaffe als "Waffe" im strafrechtlichen Sinne jedoch nicht entgegen (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 4. Februar 2003, StV 2003, 336, 337).

Unabhängig davon sei die geladene Schreckschusswaffe, bei der beim Abfeuern der Explosionsdruck nach vorn aus dem Lauf austritt, nach ihrer Beschaffenheit durchaus geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Die Waffenmechanik bei dieser Waffe sei identisch mit der bei scharfen Waffen, sie unterscheide sich nur dadurch, dass Sperrungen vorhanden sind, die das Abschießen fester Geschosse verhindern sollen. In der kriminaltechnischen und rechtsmedizinischen Literatur sei früher schon wiederholt auf ihre Gefährlichkeit hingewiesen worden ( vgl. BGH, a.a.O.; vgl. hierzu auch Rothschild, Zur Gefährlichkeit freiverkäuflicher Schreckschusswaffen, NStZ 2001, 406 ff.). Dieser Einschätzung ist im Übrigen auch der Gesetzgeber bei dem am 1. April 2003 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts gefolgt. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 WaffG sind Schreckschusswaffen Waffen im technischen Sinne (vgl. Anlage 1, Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1 sowie Nr. 2 und 2.7), für deren Führen es nach § 10 Abs. 4 S. 4 WaffG n.F. auch eines Waffenscheines bedarf.

Zwar kann vorliegend mangels konkreter Feststellungen des Tatrichters zu der vom Angeklagten verwandten Scheckschusswaffe deren Waffeneigenschaft nicht bejaht werden. Das angefochtene Urteil enthält nämlich keinerlei Ausführungen dazu, ob der Explosionsdruck beim Abfeuern nach vorn aus dem Lauf tritt, so dass sie nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.

Die vorliegend verwandte Schreckschusspistole erfüllt aber jedenfalls die Voraussetzungen eines gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB, da sie geeignet ist, nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im Einzelfall erheblichere Körperverletzungen zuzufügen. Der Angeklagte hat die Schreckschusspistole vorliegend innerhalb kürzester Zeit zum Einsatz bringen können und dem Geschädigten K. nicht unerhebliche Verletzungen im Brustbereich zugefügt, die einen mehrtägigen stationären Krankenhausaufenthalt erforderlich machten.

2.

Das Amtsgericht ist auch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der von dem Angeklagten abgegebene Schuss mit der Schreckschusspistole nicht erforderlich war, um einen möglichen weiteren Angriff des Zeugen K. abzuwehren. Der Rahmen der erforderlichen Verteidigung wird durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen bestimmt (vgl. BGHR, StGB, § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 2, erforderliche Verteidigung). Die Tatrichterin hat in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass es für den Angeklagten, der die Auseinandersetzung herbeigeführt hat, indem er den Zeugen K. an dessen Wohnungstür in aggressiver Form zur Rede gestellt und beschimpft hat, viel näher gelegen hätte, das Wohnhaus zu verlassen und der Schuss mit der Schreckschusspistole nicht geboten war.

3. Auch der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils ist nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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