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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.11.2002
Aktenzeichen: 2 Ss 906/02
Rechtsgebiete: StPO, MRK


Vorschriften:

StPO § 100 a
StPO § 100 b
StPO § 203
MRK Art. 6
1. Für die Anordnung einer Telefonüberwachung muss weder "dringender Tatverdacht" im Sinn von § 112 Abs. 1 StPO vorliegen, noch "hinreichender" im Sinn von § 203 StPO. Vielmehr reicht ein sogenannter "einfacher Tatverdacht" aus, der jedoch auf bestimmten Tatsachen beruhen muss.

2. Zur Anwendung der Rechtsprechung des EGMR sowie der der BGH bei Tatprovokation zu einem BTM-Geschäft.


2 Ss 906/02 OLG Hamm

Beschluss

Strafsache

wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 18. April 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 11. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hagen hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht im angefochtenen Urteil mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte nur zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt wird. Hiergegen richtet sich nun noch die Revision des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel zu verwerfen.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen, so dass die Revision des Angeklagten - entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft - gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen war.

Der besonderen Erörterung bedürfen lediglich folgende Punkte:

1. Der mit der Revision geltend gemachte Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK führt nicht zum Erfolg.

Dahinstehen kann in dem Zusammenhang zunächst die auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bislang offen gebliebene Frage, ob dieser Verstoß mit der Verfahrensrüge oder mit der Sachrüge geltend zu machen ist (vgl. dazu BGHSt 45, 321 = StV 2000, 57 = NStZ 2000, 269; StV 2001, 492 = NStZ 2001, 553). Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass insoweit die Verfahrensrüge zu erheben ist, ist diese vorliegend ausreichend begründet. Die für den behaupteten Konventionsverstoß maßgeblichen Umstände ergeben sich aus dem Revisionsvortrag und dem angefochtenen Urteil. Die Revisionsbegründung besteht auch nicht nur - wie die Generalstaatsanwaltschaft meint - aus einer ungeordneten Aneinanderreihung von Ablichtungen des Akteninhalts, sondern aus einer zeitlich geordneten Darstellung des Verfahrensablaufs.

Die Rüge hat indes keinen Erfolg. Die Revision sieht den Konventionsverstoß vor allem darin, dass die von den Ermittlungsbehörden durchgeführte Telefonüberwachung rechtswidrig gewesen sei und daher nicht Grundlage für den Einsatz der Vertrauensperson gegen den Angeklagten habe sein können. Inwieweit diese Rechtsauffassung grundsätzlich zutrifft, kann dahinstehen, da die Anordnung der Telefonüberwachung gegen den ehemaligen Mitangeklagten W. (noch) rechtmäßig gewesen ist und sich damit die von der Revision aufgeworfene Frage im Ergebnis nicht stellt.

Der Anordnung der Telefonüberwachung liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Die Polizei in Hagen erhielt am 16. Oktober 2000 durch eine "namentlich hier bekannte Person", der die Vertraulichkeit durch die Staatsanwaltschaft Hagen zugesichert worden war, den Hinweis darauf, dass der ehemalige Mitangeklagte W. "umfangreich mit Drogen handelt". In der Akte festgehalten sind Angaben des Informanten zur Art der Betäubungsmittel, zum allgemeinen Umfang des Handels - "im großen Stil" - und zur Art und Weise der Übergabe. Diese Angaben führten dann zum Antrag zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs des ehemaligen Mitangeklagten. Der Überwachungsbeschluss wurde vom Amtsgericht Hagen am 19. Oktober 2000 erlassen. Aus der dann durchgeführten Telefonüberwachung ergaben sich Hinweise auf den Angeklagten, die in Zusammenhang mit den Angaben des Zeugen R., einer Vertrauensperson der Polizei, dazu führten, dass dieser Kontakt mit dem Angeklagten aufnahm und es dann schließlich zum Abschluss der beiden dem Angeklagten zur Last gelegten BtM-Geschäfte kam.

Bei dieser Sachlage ist die Anordnung der Telefonüberwachung nach §§ 100 a, 100 b StPO rechtmäßig. Die Revision übersieht, dass für die Anordnung einer Telefonüberwachung weder "dringender Tatverdacht" im Sinn von § 112 Abs. 1 StPO vorliegen muss noch "hinreichender" im Sinn von § 203 StPO. Vielmehr reicht ein sogenannter "einfacher Tatverdacht" aus, der jedoch auf bestimmten Tatsachen beruhen muss (Nack in Karlsruher Kommentar, 4. Aufl., § 100 a Rn. 6 mit weiteren Nachweisen; Wesemann StV 1997, 598; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., Rn. 1628). Solche bestimmten Tatsachen lagen vor. Der Informant hatte den Drogenhandel des ehemaligen Mitangeklagten W. nach der Art der Drogen, mit denen Handel getrieben wurde - "Haschisch, Ecstasy, Kokain und Amphetamin", nach Umfang - "im großen Stil" über seine namentlich benannte Freundin -, nach namentlich benannten Abnehmern und dem Ort der Übergabe der Drogen beschrieben. Damit lagen nicht mehr nur "Gerüchte" und Mutmaßungen vor, sondern schlüssige Umstände, die nach der Lebenserfahrung zu der Annahme berechtigten, dass der ehemalige Mitangeklagte W. als Täter eines Verstoßes gegen das BtM-Gesetz in Betracht kam. Diese Angaben konnten daher zu Recht zur Grundlage der Anordnung der Telefonüberwachung gegen den ehemaligen Mitangeklagten gemacht werden.

Auch die Angriffe der Revision gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 19. Oktober 2000, durch den die Telefonüberwachung angeordnet worden ist, führen nicht zum Erfolg der Revision. Zwar ist der Revision insoweit beizutreten, dass der Beschluss äußerst knapp begründet worden ist. Die Begründung ist aber noch nicht so knapp, dass der Beschluss als rechtswidrig und damit nicht mehr als Grundlage für die durchgeführten Maßnahmen angesehen werden könnte. Ihm lässt sich der gegenüber dem ehemaligen Mitangeklagten erhobene Vorwurf "Handel mit Betäubungsmitteln" entnehmen. Auch kann aus der Beschlussbegründung - "Verkauf an eine Vielzahl von Personen" - noch ausreichend entnommen werden, dass die Anordnung der Telefonüberwachungsmaßnahme auf die Katalogtat des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gestützt wird.

Nach allem bestand damit kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Telefonüberwachung gewonnenen Ergebnisse. Diese konnten (auch) Grundlage des Einsatzes des Zeugen R. gegen den Angeklagten sein. Dahinstehen kann in dem Zusammenhang inwieweit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in NStZ 2000, 489 der Einsatz einer bloßen Vertrauensperson gegen einen bestimmten Beschuldigten überhaupt noch zulässig ist. Denn selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass dies nicht mehr zulässig ist, wird man - zumindest für eine Übergangszeit - die für verdeckte Ermittler geltenden Vorschriften entsprechend anwenden können und müssen. Die Voraussetzungen (vgl. dazu Burhoff, a.a.O., Rn. 1782 ff. mit weiteren Nachweisen) waren vorliegend aber (auch) gegeben. Durch die Angaben des Informanten und die Ergebnisse der Telefonüberwachung bestanden "zureichende tat-sachliche Anhaltspunkte" für das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung aus dem BtM-Bereich.

2. Auch die Strafzumessung des angefochtenen Urteils ist frei von Rechtsfehlern. Soweit die Revision insoweit geltend macht, dass die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus den Entscheidungen vom 18. November 1999 (BGHSt 45, 321) und vom 30. Mai 2001 (NStZ 2001, 553) nicht beachtet seien, gehen auch diese Angriffe fehl. Dahinstehen kann in dem Zusammenhang zunächst, ob diese Rechtsprechung mit der des EGMR vereinbar ist (vgl. dazu EGMR NStZ 1999, 47 und dazu Sommer NStZ 1999, 48 und Kempf StV 1999, 128). Denn sowohl nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR, a.a.O.) als auch nach der des BGH (BGH, a.a.O.) ist entscheidend für die Bejahung eines Verfahrenshindernisses oder die Anwendung der sogenannten "Strafzumessungslösung", dass sich die Tatprovokation gegen eine "unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person" richtet. Das war der Angeklagte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen aber gerade nicht. Es lagen vielmehr aus der Telefonüberwachung Hinweise auf den Angeklagten vor. Er war zudem in beiden Fällen ohne weiteres und ohne, dass er von dem Zeugen R. überredet oder gedrängt werden musste, zu den BtM-Geschäften bereit.

Auch die von der Revision im Hinblick auf das zweite Geschäfte angeführten Grundsätze des BGH zum sogenannten "Quantensprung" treffen die vorliegende Fallgestaltung nicht. Bei beiden vom Angeklagten durchgeführten Geschäften handelte es sich um den Verkauf von Amphetaminen, so dass eine "Steigerung des Unrechtsgehalts" der Tat durch die gefährlichere Art des Rauschmittels, worauf der BGH in seiner Entscheidung vom 30. Mai 2001 entscheidend abgestellt hat, nicht angenommen werden kann. Auch der Mengenunterschied - 99,63 g Amphetamin im ersten Geschäft und 876,05 g im zweiten Geschäft - ist nicht derart groß, dass er angesichts der Gesamtumstände die Annahme rechtfertigen würde, der Unrechtsgehalt der zweiten Tat sei "von erheblich größerem Gewicht". Dies zeigt im Übrigen auch die vom Landgericht vorgenommene Gewichtung der Taten indem für die erste Tat eine Freiheitsstrafe von acht Monaten und für die zweite eine von zwei Jahren festgesetzt worden ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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