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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 17.03.2009
Aktenzeichen: 2 Ss 94/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 247
StPO § 59
StPO § 60
StPO § 338
Zur Frage der Verletzung des § 247 StPO, wenn der Angeklagte die Hauptverhandlung freiwillig verlässt.

Zur Frage der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des § 247 StPO, wenn der Angeklagte die Hauptverhandlung mit Einverständnis des Verteidigers verlassen hat.


Beschluss

Strafsache

wegen Beleidigung.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten vom 08. Dezember 2008 gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Bochum vom 01. Dezember 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17. 03. 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig (§ 349 Abs. 4 StPO)

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Bochum zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Bochum vom 01. Dezember 2008 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 35,00 € verurteilt worden.

Gegen das in Anwesenheit des Angeklagten am 01. Dezember 2008 verkündete Urteil legte der Angeklagte durch anwaltlichen Schriftsatz vom 08. Dezember 2008, eingegangen bei dem Amtsgericht Bochum per Telefax am selben Tage, "Rechtsmittel" ein. Nachdem dem Verteidiger das Urteil am 17. Dezember 2008 zugestellt worden war, bezeichnete der Angeklagte das Rechtsmittel durch anwaltliches Schreiben vom 16. Januar 2009, welches am selben Tag per Telefax bei dem Amtsgericht einging, ausdrücklich als "Sprungrevision" und beantragte wie beschlossen. Zur Begründung erhob er die Sach- und die Verfahrensrüge. Bezüglich der Begründung der erhobenen Sachrüge wird auf das anwaltliche Schreiben vom 16. Januar 2009 Bezug genommen.

Hinsichtlich der gerügten Verletzung formellen Rechts führte der Angeklagte zur Begründung aus, der absolute Revisionsgrund nach dem § 338 Nr. 5 StPO in Verbindung mit den §§ 247, 230 StPO liege vor. Ferner sei ein relativer Revisionsgrund nach dem § 337 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 247 S. 4 StPO gegeben, auf dem das Urteil beruhe.

Nach Schilderung des bis dahin erfolgten Prozessablaufs im Hauptverhandlungstermin am 21. November 2008 trägt er dazu nur vor, nach dem allseitigen Verzicht auf die Vernehmung der Zeugin S. sei die 13-jährige Schülerin C.H. als Zeugin vernommen worden und habe zur Sache ausgesagt. Anschließend sei die Sitzung um 13.20 Uhr unterbrochen und um 13.14 Uhr fortgesetzt worden. Im Abschluss daran hätten die Angeklagten mit Billigung der Verteidiger den Saal verlassen und die Zeugin C.H. sei weiter vernommen worden. Ihr seien ein Foto und eine Zeugenaussage vorgehalten worden. Anschließend sei die Zeugin um 13.20 Uhr entlassen worden. Danach sei die 11 jährige Schülerin J.H. als Zeugin vernommen worden. Sie habe umfangreich zur Sache ausgesagt, mehrere Aktenteile seien ihr vom Vorsitzenden beziehungsweise dem Verteidiger vorgehalten worden, bevor sie um 13.40 Uhr entlassen worden sei. Anschließend seien die Angeklagten in den Sitzungssaal gerufen worden. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft sei dann die Unterbrechung der Hauptverhandlung beschlossen und verkündet worden. Neuer Termin sei auf den 01. Dezember 2008 festgesetzt worden. Darüber hinaus sei die Ladung weiterer Zeugen beschlossen worden, die Anwesenden seien mündlich von dem Vorsitzenden geladen worden.

Vor diesem Hintergrund rügt der Angeklagte, dass seine Entfernung aus dem Sitzungssaal ohne einen nach § 247 StPO erforderlichen Gerichtsbeschluss, aus dem die einzelnen Erwägungen des Tatrichters hervorgehen müssten, geschah. Die Anwesenheit des Angeklagten sei während aller wesentlichen Teile der Hauptverhandlung, zu denen die Vernehmung der Zeuginnen C. und J.H. gehörten, unverzichtbar; ein Gerichtsbeschluss sei auch nicht bei einem - wie vorliegend gegebenen - freiwilligen Verlassen des Sitzungssaals überflüssig. Der Geltendmachung dieses Rechtsverstoßes stehe auch nicht entgegen, dass der Verteidiger diesem Vorgehen des Gerichts während der Hauptverhandlung nicht widersprochen habe, da die Einhaltung der Anwesenheitspflicht des Angeklagten allein dem Gericht obliege.

Da er - der Angeklagte - nach seiner Rückkehr in den Sitzungssaal nicht vom Vorsitzenden über den Inhalt der Zeugenaussagen informiert worden sei, sei auch der relative Revisionsgrund nach § 247 S. 4 StPO in Verbindung mit § 337 StPO wegen Verletzung der gerichtlichen Mitteilungspflicht gegeben, auf der das Urteil beruhe.

Darüber hinaus " sei am Rande bemerkt", dass der Strafrichter bezüglich beider Zeuginnen eine Entscheidung über die Vereidigung nach § 59 StPO oder nach § 60 Nr. 1 StPO versäumt habe.

Sämtliche Rechtsverletzungen seien nicht durch das Gericht geheilt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat unter dem 25. Februar 2009 Stellung genommen und sich hinsichtlich der Verfahrensrüge mit eigenen Ausführungen der Revisionsrechtfertigung angeschlossen.

II.

Die gemäß §§ 312, 335 StPO statthafte und im Übrigen zulässige, insbesondere gemäß §§ 345, 344, 341 Abs. 1 StPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Sprungrevision des Angeklagten hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die auf eine Verletzung der §§ 230, 247 S. 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 338 Nr. 5 StPO gestützte Verfahrensrüge der vorschriftswidrigen Abwesenheit von Personen (des Angeklagten), deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Die Einordnung eines Verstoßes gegen § 247 S. 1 und 2 StPO als absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO, wenn ein förmlicher Gerichtsbeschluss fehlt (ständige Rechtsprechung des BGH, vergleiche nur: BGH, NJW 1953, 1925, 1926; NJW 1976, 1108; Urteil vom 21. September 2000 - 1 StR 257/00 -, zitiert nach juris Rn. 7; NStZ 1991, 296; zweifelnd zunächst noch der 2. Strafsenat, vergleiche: BGH, Urteil vom 28. September 1960 - 2 StR 429/60 -, NJW 1961, 132, der aber mittlerweile dieser Auffassung beigetreten ist, vergleiche: Beschluss vom 26. Februar 2003 - 2 StR 492/02 -, zitiert nach juris Rnrn. 4 und 7; ebenso: BayObLG, MDR 1974, 420), rechtfertigt sich bereits aus dem Wortlaut des § 338 Nr. 5 StPO und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2001 - 2 BvR 1620/01 -, zitiert nach juris R n. 3).

a) Die Rüge ist in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise ausgeführt worden. Die Revisionsbegründung ist aus sich heraus verständlich (vergleiche dazu: Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Auflage, Rn. 215). Ferner gibt der Angeklagte in der Revisionsbegründung genau an; in welchem Abschnitt der Verhandlung er abwesend war, wie es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlich ist (vergleiche dazu: BGHSt 26, 84, 91; GA 1963, 19; NStZ 1983, 36).

b) Die Rüge ist auch begründet.

Aus der Sitzungsniederschrift vom 21. November 2008 ergibt sich, dass der Angeklagte sich während der Vernehmung der Zeugin C.H. (vollständig wohl: C.-K.H.) freiwillig, aber nicht eigenmächtig im Sinne des § 231 StPO, sondern im Einverständnis mit dem Gericht aus der Hauptverhandlung entfernt hat. Angesichts der grundsätzlich zwingenden Anwesenheitspflicht des Angeklagten in der Hauptverhandlung (vergleiche § 230 StPO) hätte in seiner Abwesenheit die Verhandlung aber nur dann weitergeführt werden dürfen, wenn das Gericht gemäß § 247 S. 1 bzw. S. 2 StPO seine Entfernung durch förmlichen Gerichtsbeschluss, der in der Verhandlung hätte verkündet und begründet werden müssen (§§ 34, 35 StPO), angeordnet hätte (ständige Rechtsprechung des BGH im Anschluss an RGSt 20, 273 und RG in GA 48, 302, vergleiche dazu: BGH, NJW 1953, 1925, 1926; NJW 1961, 132; NJW 1976, 1108; BGHSt 20, 18, 20; Beschluss vom 09. August 1989 - 2 StR 306/89 -, zitiert nach juris Rn. 5; Urteil vom 21. September 2000 - 1 StR 257/00 -, zitiert nach juris Rn. 7; NStZ 1991, 296; NStZ 2002, 44, 45; ebenso: Senatsbeschluss vom 09. November 1999 - 2 Ss 1086/99 -, zitiert nach juris Rn. 7; BayObLG, MDR 1974, 420). Dem liegt zugrunde, dass das Anwesenheitsrecht des Angeklagten dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und damit seinem Schutz, der Möglichkeit uneingeschränkter Verteidigung sowie der Wahrheitsermittlung dient. Dazu gehört, dass der Angeklagte alle wesentlichen Teile der Hauptverhandlung, zu der grundsätzlich auch die Beweisaufnahme gehört (OLG Hamm, Urteil vom 27. November 2007 - 3 Ss 135/07 -), miterlebt, weil sich insbesondere auch aus dem Auftreten eines Zeugen, scheinbar nebensächlichen Äußerungen usw. Verteidigungsmöglichkeiten ergeben können (BGH, NJW 1961, 132; NJW 1976, 1108; BayObLG, MDR 1974, 420) oder der Angeklagte durch ein formloses Vorgehen des Gerichts überrascht werden kann (BayObLG, MDR 1974, 420). Vor diesem Hintergrund ist § 247 StPO als eng auszulegende Ausnahmevorschrift anzusehen, deren Anwendungsbereich streng auf den Gesetzeswortlaut beschränkt ist (ständige Rechtsprechung des BGH, vergleiche nur: NJW 1961, 132; NJW 1968, 806 mit weiteren Nachweisen; Urteil vom 21. September 2000 - 1 StR 257/00 -, zitiert nach juris Rn. 7) und die bei vorübergehender Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung ein formstrenges Vorgehen durch förmlichen Gerichtsbeschluss erfordert, dessen Begründung aus Transparenzgesichtspunkten alle tragenden Erwägungen für den Ausschluss enthalten muss. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof bereits in seinem Beschluss vom 25. Februar 1976 (abgedruckt in NJW 1976, 1108 f.) es sogar ausdrücklich für nicht ausreichend gehalten, wenn lediglich in geheimer Beratung ein Beschluss gefasst wurde, dieser jedoch - samt Begründung - nicht verkündet wurde. Denn erst mit der Verkündung des begründeten Beschlusses werde die erforderliche Klarheit für alle Verfahrensbeteiligten geschaffen (BGH, NJW 1976, 1108).

Soweit der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 19. Oktober 1982 zu 5 StR 670/82 (abgedruckt in NStZ 1983, 36) entschieden hat, das Entfernen des Angeklagten ohne förmlichen Gerichtsbeschluss könne jedenfalls dann die Revision begründen, wenn nicht klar zutage liege, dass die sachlichen Voraussetzungen des § 247 vorgelegen hätten, ändert dies vorliegend nichts. Denn es ist nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht befürchtete, die Zeuginnen würden bei ihrer Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten nicht die Wahrheit (§ 247 S. 1 StPO) sagen, es sei ein erheblicher Nachteil für deren Wohl zu befürchten (§ 247 S. 2 Alt. 1 StPO) oder es werde eine dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit der Zeuginnen bestehen (§ 247 S. 2 Alt. 2 StPO).

Ob der Verfahrensabschnitt, der in Anwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat, wesentlich war, hat der Senat von sich aus zu prüfen (vergleiche Dazu: BGH, NStZ 1983, 36). Dies ist der Fall. Die Bekundungen der Zeuginnen C. und J.H. werden in den Urteilsgründen erwähnt. Beide wurden ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. November 2008 zu der Tat vernommen, wegen der der Angeklagte verurteilt worden ist, so dass es sich bei ihren Vernehmungen um wesentliche Teile der Hauptverhandlung handelte.

c) Der Geltendmachung der Rüge steht nicht entgegen, dass der Angeklagte und sein Verteidiger die Entfernung des Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nicht beanstandet haben. Dies träfe nur dann zu; wenn die Entfernung eine die Sachleitung betreffende Anordnung des Vorsitzenden im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO darstellte, über die das Gericht auf die Beanstandung durch einen Prozessbeteiligten hin zu entscheiden hat. Wenn die Beanstandung in diesem Fall unterbleibt, kann die Unzulässigkeit der Anordnung nicht mehr mit der Revision geltend gemacht werden (RGSt 71, 21). Die Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung ist aber keine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO, denn sie steht nicht dem Vorsitzenden zu, sondern ihre Anordnung bedarf von vorneherein - und gerade nicht erst auf Beanstandung hin - eines Gerichtsbeschlusses. Der Angeklagte kann daher die Unzulässigkeit seiner Entfernung aus der Hauptverhandlung auch dann geltend machen, wenn er oder sein Verteidiger sie in der Hauptverhandlung nicht beanstandet haben (vergleiche zu all dem bereits: BGH, NJW 1953, 1925, 1926).

d) Der Geltendmachung der Rüge steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte den Sitzungssaal während der Vernehmungen der Zeuginnen C. und. J.H. - mit Billigung des Verteidigers - freiwillig verlassen hat. Die grundsätzlich zwingende Anwesenheitspflicht des Angeklagten (vergleiche § 230 StPO) steht - unabhängig von den in der Strafprozessordnung unter engen Voraussetzungen normierten Ausnahmen - nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten (vergleiche dazu: OLG Hamm, Beschluss vom 20. März 2007 - 3 Ss 541/06 -, zitiert nach juris Rn. 9). Wie sich bereits aus § 338 Nr. 5 StPO ergibt, kann der Angeklagte nicht wirksam auf seine ihm vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten (BGHSt 22, 18, 20; NStZ 2002, 44, 45; BGH, Beschluss vom 26. Februar 2003 - 2 StR 492/02 -, zitiert nach juris Rn. 7).

e) Die Geltendmachung der Rüge ist auch nicht wegen eines dem Angeklagten zurechenbaren dysfunktionalen Prozessverhaltens ausgeschlossen (sog. Rügeverwirkung oder - verzicht). Zwar hat der Angeklagte den Sitzungssaal freiwillig und vor allem ausweislich der Sitzungsniederschrift ausdrücklich mit Billigung seines Verteidigers verlassen, dies reicht aber zur Annahme einer Rügeverwirkung oder eines Rügeverzichts nicht aus. Für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des - rechtsunkundigen - Angeklagten sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Auch hinsichtlich des Verteidigers sind keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein im Ergebnis eine/n Rügeverwirkung oder -verzicht nach sich ziehendes Verhalten zu erkennen. Da der Verteidiger nach seiner Stellung im Prozess lediglich im Hinblick auf seine Schutzaufgabe bezüglich des Mandanten "Garant für die Justizförmigkeit des Verfahrens" ist (so ausdrücklich: Ernst-Walter Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 337 Rn. 282) und grundsätzlich die Gerichte, nicht aber die Verfahrensbeteiligten, für ein ordnungsgemäßes Verfahren verantwortlich sind (Ernst-Walter Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 337 Rn. 281), kommt eine solche ausschließlich bei spezifisch arglistigem Verhalten in Betracht, das heißt, wenn der Prozessbeteiligte den Verfahrensfehler absichtlich und mit dem Hintergedanken herbeigeführt hat, auf ihn gegebenenfalls die Revision zu stützen (Ernst-Walter Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 337 Rn. 282 a mit weiteren Nachweisen; vergleiche dazu auch: BGH; NStZ 2002, 44, 45). Es reicht demnach nicht aus, wenn ein Verteidiger - ebenso wie das Gericht - eine zwingende Verfahrensvorschrift übersehen oder verkannt hat (BGH, Entscheidung vom 13. Februar 1968 - 5 StR 706/67) oder einen Hinweis auf den Verfahrensverstoß an das Gericht unterlassen hat (Ernst-Walter Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 337 Rn. 282), mag das Verhalten auch standesrechtlich bedenklich sein. Handelt es sich - wie vorliegend - um eine Verletzung unverzichtbarer Vorschriften, so spricht ferner gerade die Unverzichtbarkeit dafür, dass die Vorschrift für den Gang des Verfahrens derart wichtig ist, dass sogar selbst ein arglistiges Verhalten dem Beschwerdeführer das Rügerecht nicht nehmen kann (Ernst-Walter Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 337 Rn. 284 mit weiteren Nachweisen; a.A. wohl: BGH, NStZ 1998, 209). Ob diese Ansicht zutrifft, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden, da jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte für ein arglistiges Verhalten des - rechtsunkundigen - Angeklagten nicht ersichtlich sind. Selbst bei arglistigem Verhalten des Verteidigers darf dies jedenfalls dem Angeklagten nicht angelastet werden (BGH, Entscheidung vom 05. Januar 1972 - 2 StR 376/71 -, zitiert nach juris Rn. 9 mit weiteren Nachweisen; Ernst-Walter Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 337 Rn. 284).

Bei Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO bedarf es grundsätzlich keiner Prüfung, ob das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht (BGH, Beschluss vom 15. Januar 1987 - 1 StR 678/86 -, zitiert nach juris Rn. 3). Ein Ausnahmefall, in dem jegliches Beruhen des Urteils auf der bloßen Abwesenheit des Angeklagten während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden kann, liegt nicht vor (vergleiche zu einem solchen Fall bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes: BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 4 StR 131/06 -, veröffentlicht bei juris), worauf die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm in ihrer Stellungnahme vom 25. Februar 2009 zutreffend hingewiesen hat.

g) Auch bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes ist ein Urteil lediglich in dem Unfang aufzuheben, in dem dieser Revisionsgrund sich auswirken konnte (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2003 - 2 StR 492/02 -, zitiert nach juris Rn. 9 mit Verweise auf BGH, StraFo 2003, 57). Da in vorschriftwidriger Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Vernehmungen der Zeuginnen C. und J.H. den gesamten Tathergang betrafen, hat der Senat das Urteil mit sämtlichen Feststellungen aufgehoben.

2. Darüber hinaus hat die erhobene Rüge der Verletzung des § 247 S. 4 StPO in Verbindung mit § 337 StPO in der Sache Erfolg, weil der Angeklagte ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. November 2008 nach seiner Rückkehr in den Sitzungssaal nach der Vernehmung der Zeuginnen C. und J.H. nicht durch den Vorsitzenden von dem wesentlichen Inhalt dessen unterrichtet worden ist, was in seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

a) Auch diese Rüge ist in einer den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise von dem Angeklagten angebracht worden.

b) Die Einordnung der Verletzung der in § 247 S. 4 StPO normierten Mitteilungspflicht als relativer Revisionsgrund im Sinne des § 337 StPO ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden (BVerfG, Nachtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2001 - 2 BvR 1620/01 - , zitiert nach juris Rn. 3 mit weiteren Nachweisen).

c) Der Angeklagte hat zu Recht die Verletzung seines Anspruchs auf Unterrichtung gemäß § 247 S. 4 StPO gerügt. Die Mitteilungspflicht aus § 247 S. 4 StPO dient der Sicherung der sachgerechten Verteidigung des Angeklagten, die von dem Inhalt der in seiner Abwesenheit durchgeführten Zeugenvernehmung abhängen kann (MeyerGoßner, StPO, 51. Auflage, § 247 Rn. 16 mit weiteren Nachweisen). Der Angeklagte rügt zu Recht, dass er ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 21. November 2008 über den Inhalt der Vernehmungen der Zeugen Christin und Johanna Hütt nicht - wie erforderlich - unverzüglich nach Wiederzulassung zur Hauptverhandlung unterrichtet worden und diese Unterrichtung auch später nicht nachgeholt worden ist.

d) Auf dieser Rechtsverletzung beruht auch das angefochtene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat schließt nicht aus, dass der Angeklagte in seiner effektiven Verteidigung beeinträchtigt worden ist, weil er infolge des gerichtlichen Vorgehens keine ausreichende Möglichkeit hatte, seine Verteidigung auf das Ergebnis der Zeugenvernehmungen einzustellen und ihm damit weitergehende aktive Verteidigungsmöglichkeiten abgeschnitten worden sein können. Dies muss zur Aufhebung des angefochtenen Urteil führen.

3. Darüber hinaus hat der Angeklagte ausweislich der Begründung der (Sprung-)Revision in einer nach Auffassung des Senats noch im Sinne des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ausreichenden Weise ferner eine Verletzung der §§ 59, 60 Nr. 1 Alt. 1 StPO (in Verbindung mit § 337 StPO) gerügt. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. November 2008 hat das Amtsgericht eine Entscheidung über die Vereidigung bzw. Nichtvereidigung der Zeuginnen C. und J.H. nicht entschieden, auch dem Sitzungsprotokoll vom 01. Dezember 2008 ist eine nachträgliche Entscheidung nicht zu entnehmen.

Ob auch nach dem Abschaffen der bis zum 31. August 2004 geltenden Regelvereidigung durch das Erste, Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBI. I S. 2198) eine ausdrückliche Entscheidung des Tatrichters über die Vereidigung eines Zeugen zu treffen und diese als wesentliche Förmlichkeit im Hauptverhandlungsprotokoll festzuhalten ist, wird in der Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet. Der 1. (Beschluss vom 15. Februar 2005 - 1 StR 584/04 -, zitiert nach juris Tenor, abgedruckt in StraFo 2005, 244) und der 3.Strafsenat (Beschluss vom 20. Januar 2005 - 3 StR 455/04 -, zitiert nach juris, abgedruckt in StV 2005, 200) halten dies unter Berücksichtigung der Begründung des Gesetzesentwurfs des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes, wonach der "Tatrichter (...) eine Entscheidung über die Vereidigung treffen und diese als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens im Protokoll festhalten" muss (BTDr. 15/1508, Artikel 3 Nr. 2, S. 23) auch nach der Änderung des § 59 Abs. 1 StPO für erforderlich. Demgegenüber ist der 2. Strafsenat der Gesetzesbegründung ausdrücklich entgegengetreten und hält eine ausdrückliche Entscheidung des Tatrichters, einen Zeugen nicht zu vereidigen, die in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen ist, nach der Änderung des 59 Abs. 1 S. 1 StPO nur dann für erforderlich, wenn zuvor ein Verfahrensbeteiligter einen Antrag auf Vereidigung gestellt hat (Beschluss vom 16. November 2005 - 2 StR 457/05 -, zitiert nach juris Rnrn. 4 und 6, abgedruckt in StraFo 2006, 234-235). Dies wird im Wesentlichen mit dem im neuen Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommenden Regel-AusnahmeVerhältnis des § 59 Abs. 1 S. 1 StPO und damit begründet, dass es nach allgemeinen Grundsätzen keiner Protokollierung und keiner förmlichen Entscheidung bedarf, wenn das Gericht die Voraussetzungen der Ausnahme gerade nicht als gegeben ansieht (Beschluss vom 16. November 2005 - 2 StR 457/05 -, zitiert nach juris Rnrn. 3 und 4, abgedruckt in StraFo 2006, 234-235).

Der Senat brauchte vorliegend diese Frage und die Frage, ob sich bei Eingreifen des Vereidigungsverbotes nach § 60 Nr. 1 Alt. 1 StPO etwas ändert, nicht zu entscheiden, da die Revision bereits nach §§ 247 S. 1 und 2, 230 in Verbindung mit § 338 Nr. 5 StPO sowie nach § 247 S. 4 in Verbindung mit § 337 StPO Erfolg hat.

Ende der Entscheidung

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