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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.01.2001
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 1163/00
Rechtsgebiete: BKatV


Vorschriften:

BKatV § 2
Leitsatz

Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen und Darlegungen des Tatrichters, wenn dieser ein höheres als das Regelfahrverbot festsetzen will.


Beschluss Bußgeldsache

gegen E.K.,

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 2. August 2000 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 11.01.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Betroffenen und seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der Rechtsbeschwerde im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Der Betroffene wird zu einer Geldbuße in Höhe von 400,00 DM verurteilt.

Dem Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Die Kosten der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene zu tragen, jedoch wird die Gebühr um 1/3 ermäßigt. In diesem Umfang hat die Landeskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach den §§ 41 (Zeichen 274), 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 500,00 DM verurteilt und außerdem ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Dazu hat es folgende Feststellungen getroffen:

"Der Betroffene ist pensionierter Polizeibeamter. Er ist straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten. Wegen Nichtbeachtung des Überholverbotes erging ein Bußgeldbescheid über 80,--DM gegen ihn, der seit dem 27.10.1998 rechtskräftig ist.

Der Betroffene befuhr am 01.01.2000 um 13.48 Uhr mit dem BMW, polizeiliches Kennzeichen PIR - UN 100 in Recklinghausen die Bundesautobahn A 2 in Fahrtrichtung Hannover. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt dort gem. § 41 (Zeichen 274 )StVO mit Zusatzschild 1052-36 (bei Nässe) 80 km/h.

Bei bedecktem Himmel hatte bereits morgens zwischen 8.00 und 9.00 Uhr leichter Regen und Sprühregen eingesetzt, der bis gegen 14.0 Uhr nur wenige meist kurze Unterbrechungen aufwies. Im Süden von Recklinghausen wurde eine Niederschlagshöhe von 1,5 bis 2,0 mm gemessen, von denen etwa 1,0 bis 1,5 mm über rund 5 Stunden verteilt bis 14.00 Uhr fielen. Die Fahrbahn wies eine durchgehende Wasserschicht auf. In den Spurrillen hatten sich Pfützen gebildet. Die Fahrzeuge zogen hohe Gischt. Wegen der Mischluft hatte sich ein entsprechender Dunst gebildet, so dass alle Fahrzeuge mit Licht fuhren.

Bei Kilometer 440 wurde der Betroffene mit dem Videomessverfahren ProViDa/PPS mit einer Geschwindigkeit von 193 km/h gemessen. Abzüglich eines Toleranzwertes von 5 % = 10 km/h ergibt dies eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 183 km/h . Mithin fuhr der Betroffene 103 km/h zu schnell. Die Messstrecke betrug 294 m und die Messzeit 5,47 Sekunden.

Die Messung erfolgte nach einem 100 km/h Zeichen und in Höhe des zweiten 80 km/h -Zeichens. Die Verkehrszeichen waren beidseitig, deutlich sichtbar aufgestellt."

Zum Rechtfolgenausspruch wird im angefochtenen Urteil u.a. folgendes ausgeführt:

"Der Bußgeldkatalog weist für eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung keine Regelbuße mehr aus. Er endet bei einer Überschreitung von 60 km/h, für die eine Regelbuße von 400,--DM und 1 Monat Fahrverbot vorgesehen ist. Bei der Bewertung dieses Vorfalls ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene straßenverkehrsrechtlich bereits in Erscheinung getreten ist. Im Hinblick hierauf und wegen der überheblichen Überschreitung hat das Gericht auf eine Buße von 500,--DM erkannt. Ferner hat das Gericht ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Voraussetzung für die Verhängung eines Fahrverbotes ist, dass in objektiver und subjektiver Hinsicht eine grobe Pflichtverletzung vorliegt. Der Vorwurf einer so erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung indiziert objektiv eine erhebliche Verletzung der Pflichten eines Fahrzeugsführer, so dass es hierzu keiner besonderen Begründung bedarf. Aber auch subjektiv handelte der Betroffene besonders pflichtwidrig, da er sich ohne zwingenden oder vollziehbaren Grund über die Geschwindigkeitsbeschränkung hinwegsetzte. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass der Betroffene die Fahrbahn nur für feucht gehalten hätte, war die von ihm gefahrene Geschwindigkeit schon aufgrund der schlechten Witterung erheblich überhöht. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte vermochte das Gericht von der Verhängung dieses Fahrverbotes auch gegen eine Erhöhung der Führerschein innerhalb von vier Monaten nach Rechtskraft des Urteils zu den Akten zu reichen."

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und mit der Verletzung materiellen Rechts begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er u.a. geltend macht, auf der BAB habe kein Wasser gestanden. Im übrigen sei ihm in subjektiver Hinsicht keine besonders grobe Pflichtverletzung vorzuwerfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 400,00 DM festzusetzen und ein einmonatiges Fahrverbot zu verhängen.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und hat teilweise Erfolg. Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt Rechtsfehler erkennen, die zur Aufhebung und Abänderung des angefochtenen Urteils im vorgenannten Umfange führen.

1.

Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilungen des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß den §§ 41 (Zeichen 274) 49 StVO, 24 StVG.

Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen den Schuldspruch des angefochtenen Urteils richtet, ist sie offensichtlich unbegründet; die Überprüfung des Urteils hat insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch.

Da die Geschwindigkeitsmessung in einem standardisierten, anerkannten Messverfahren erfolgte, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben waren, war das Amtsgericht nicht verpflichtet, in den Urteilsgründen Erörterungen über die Zuverlässigkeit der Messung anzustellen. Um dem Rechtsbeschwerdegericht auch insoweit eine hinreichende Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, reichte es vielmehr aus, in den Urteilsgründen das angewendete Messverfahren, den Messwert und den vorgenommenen Toleranzabzug mitzuteilen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 15. November 2000 -2 Ss OWi 1057/2000- m.w.N.; BGHSt 39, 219; OLG Celle NZV 1997, 188; OLG Köln DAR 1999, 516; OWiG, 12. Aufl., § 71 Rdnr. 43 f).

Im Hinblick auf die gemessene Geschwindigkeitsüberschreitung von 113 km/h kann auch dahinstehen, ob der vom Amtsgericht zu Grunde gelegte Toleranzabzug von 5% ausreichend ist oder ob nicht ein Toleranzwert von 8% hätte in Abzug gebracht werden müssen (vgl. dazu OLG Frankfurt NJW 1990, 1308). Selbst ein Abzug von 8% würde noch zu einer vorwerfbaren Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 97 km/h führen.

Auch die getroffenen Feststellungen zu den Wetterbindungen und Straßenverhältnissen auf der BAB sind ausreichend, um von "Nässe" im Sinn des Zusatzschildes 1052-36 der StVO ausgehen zu können. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist es allgemeine Meinung, dass "Nässe" im Sinne des Zusatzschildes vorliegt, wenn die gesamte Fahrbahn mit einem Wasserfilm überzogen ist. Demgegenüber ist von keiner "Nässe" auszugehen, wenn die Fahrbahn nur feucht ist oder nur in Spurrillen Wasser steht (vgl. BGHSt 27, 318; OLG Hamm VRS 53, 220; Senatsbeschluss vom 15. November 2000 - 2 Ss OWi 1057/2000-).

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen werden diesen Anforderungen gerecht. Aufgrund der Inaugenscheinnahme des Videos und der Aussage des Zeugen W. hat es festgestellt, dass die Fahrbahn eine durchgehende Wasserschicht aufwies und in den Spurrillen Wasser stand. Die dagegen erhobenen Angriffe in der Rechtsbeschwerdebegründung richten sich in unzulässiger Form gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung und die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen, die für den Senat als Rechtsbeschwerdegericht bindend sind.

2.

Demgegenüber kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zum Rechtsfolgenausspruch wie folgt Stellung genommen:

"Die Tabelle zu § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatV a. F. sieht bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 60 km/h eine Geldbuße in Höhe von 400,00 DM sowie ein Fahrverbot von einem Monat vor.

Das Gericht hat jedoch im Hinblick auf die Vorbelastungen des Betroffenen und die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung bei Erhöhung der Regelbuße auf 500,00 DM ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.

Die Bußgeldkatalogverordnung enthält zwar lediglich Regelbeispiele, da auch nach Inkrafttreten der Verordnung die Vorschrift des § 25 StVG im Ordnungswidrigkeitenbereich alleinige Rechtsgrundlage für die Verhängung eines Fahrverbots ist (BGHSt 38, 129; OLG Düsseldorf VM 1998, 60). Der Richter ist an die Indizwirkung eines Regelbeispiels auch nicht gebunden; ihm bleibt vielmehr Raum, im Rahmen einer Gesamtwürdigung und Abwägung der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen, ob die Tat vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle abweicht (BVerfG, NJW 1996, 1806; Ludovisy, NJW 1996, 2284).

Dieses Ermessen findet jedoch seine gesetzliche Schranke in § 2 Abs. 2 Satz 1 BKatV. Danach ist die Dauer des Fahrverbots in der Regel auf einen Monat festzusetzen, wenn ein Fahrverbot wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers zum ersten Mal angeordnet wird. Denn ausweislich seines Wortlautes konkretisiert § 2 Abs. 2 Satz 1 BKatV bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG die Voraussetzungen für die Anordnung eines Fahrverbots nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG (OLG Düsseldorf VM a.a.0.).

Beim Ersttäter ist die Überschreitung des Regelfahrverbots nur aus spezialpräventiven Gesichtspunkten zulässig und setzt daher eine ungünstige Prognose dahingehend voraus, dass das Regelfahrverbot - selbst bei Erhöhung der Geldbuße - nicht ausreicht, um den Betroffenen von erneuten Verkehrsverstößen abzuhalten (KG VRS 98, 290 m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird das amtsgerichtliche Urteil nicht gerecht. Das Amtsgericht hat zunächst verkannt, dass die Bußgeldkatalogverordnung a. F. bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von über 60 km/h eine Geldbuße von 400,00 DM sowie ein Fahrverbot von einem Monat vorsieht.

Die Urteilsgründe lassen auch vermissen, dass das Gericht sich mit der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 1 BKatV auseinandergesetzt hat, obwohl gegen den Betroffenen nach den vom Amtsgericht mitgeteilten Eintragungen im Verkehrszentralregister bislang kein Fahrverbot verhängt worden ist.

Das Amtsgericht hat auch nicht ausreichend dargelegt, dass nicht zu erwarten ist, dass die nach der Bußgeldkatalogverordnung bestimmte Dauer des Fahrverbots bei dem Betroffenen ausreicht, die beabsichtigte Erziehungs- und Warnfunktion zur künftigen Einhaltung der Verkehrsvorschriften zu erzielen.

...Der festgestellte Regelverstoß indiziert, dass der Betroffene eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG begangen hat, so dass es regelmäßig einer eindringlichen Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbotes bedarf (zu vgl. BGH NJW 1992, 446, 448).

Das Gericht hat rechtsfehlerfrei dargelegt, dass dem entgegenstehende konkrete Umstände weder in der Tat noch in der Person des Betroffenen vorliegen. Zwar kann in Fällen leichter Fahrlässigkeit ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden (zu vgl. BGHSt 43, 241). Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor, da sich die bei Nässe geltende Geschwindigkeitsbeschränkung auf Grund der schlechten Witterung - die Fahrzeuge zogen hohe Gischt und fuhren auf Grund des Dunstes mit Licht - aufdrängen musste.

Das Gericht hat auch nicht verkannt, dass gemäß § 2 Abs. 4 BKatV in Ausnahmefällen von der Verhängung eines Fahrverbotes gegen eine Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden kann. Zwar sind die Urteilsgründe - vermutlich infolge eines Computerversehens - insoweit unvollständig.

In den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatV ist die Anordnung eines Fahrverbotes jedoch zulässig, ohne dass es näherer Feststellungen dazu bedarf, ob der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg nicht auch mit einer Erhöhung der Geldbuße erreicht werden kann, falls der Tatrichter sich ausweislich der Urteilsgründe dieser Möglichkeit bewusst gewesen ist und dies in den Entscheidungsgründung zu erkennen gibt (zu vgl. BGHSt 38, 125; OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.1996 - 2 Ss OWi 1384/96 -) . Die - zwar unvollständigen, aber vorhandenen - Ausführungen des Gerichts lassen erkennen, dass es sich dieser Möglichkeit bewusst war.

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigenständiger Prüfung an.

Da nicht zu erwarten ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere bedeutsame Feststellungen getroffen werden könnten, hat der Senat von einer Zurückverweisung der Sache abgesehen und von der Möglichkeit des § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch gemacht, in der Sache selbst zu entscheiden.

Da der Betroffene verkehrsrechtlich bislang nur einmal in Erscheinung getreten ist, erschien die Verhängung der vorgesehenen Regelbuße in Höhe von 400,00 DM tat- und schuldangemessen. Darüber hinaus war gegen den Betroffenen gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatV in Verbindung mit laufender Nr. 5.3.6 der Tabelle 1 a, c des Anhangs zu Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV a. F. das für eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung regelmäßig vorgesehene Fahrverbot von einem Monat zu verhängen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 und 4 StPO und berücksichtigt den Teilerfolg der Rechtsbeschwerde hinsichtlich der Dauer des Fahrverbotes und der Höhe der Geldbuße.



Ende der Entscheidung

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