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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.08.2007
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 271/07
Rechtsgebiete: BKatV


Vorschriften:

BKatV § 4
Zum Absehen vom Fahrverbot.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen D.E.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit (fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit).

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 27. Dezember 2006 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 08. August 2007 durch die Richterin am Oberlandesgericht (als Einzelrichterin gem. § 80 a Abs. 1 OWiG) auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Stadt Hagen hat mit Bußgeldbescheid vom 14. Juni 2006 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 100,00 € sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats mit der Maßgabe nach § 25 Abs. 2 a StVG festgesetzt.

Auf den hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Hagen am 27. Dezember 2006 im Beschlussverfahren gemäß § 72 OWiG wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 200,00 € festgesetzt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat es abgesehen. Das Amtsgericht hatte die Staatsanwaltschaft zuvor nicht über die beabsichtigte Verfahrensweise, nämlich im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, informiert.

Der Beschluss ist der Staatsanwaltschaft Hagen am 06. Februar 2007 zugestellt worden. Sie hat dagegen form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt, die sie mit der formellen und materiellen Rüge begründet und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat und der die Generalstaatsanwaltschaft mit ergänzenden Ausführungen beigetreten ist.

II.

Das gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 und 5 OWiG zulässige Rechtsmittel hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Hagen.

1. Der Beschluss war insgesamt aufzuheben.

Er konnte bereits aufgrund der von der Staatsanwaltschaft erhobenen formellen Rüge keinen Bestand haben. In ihrer ordnungsgemäß vorgebrachten Verfahrensrüge hat die Staatsanwaltschaft beanstandet, das Amtsgericht habe nach § 72 OWiG entschieden, obwohl sie - die Staatsanwaltschaft - dieser Verfahrensweise nicht zugestimmt habe.

Die Staatsanwaltschaft hatte einer Entscheidung durch Beschluss nach § 72 OWiG nicht zugestimmt, sondern lediglich auf die Teilnahme an einer Hauptverhandlung und auf eine entsprechende Terminsnachricht verzichtet. Daraufhin wurde vom Amtsgericht Hagen zunächst Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Noch bevor dieser Termin stattgefunden hatte, hob das Amtsgericht den Termin nach telefonischer Rücksprache mit dem Verteidiger auf und erließ mit Zustimmung des Betroffenen, aber ohne Anhörung der Staatsanwaltschaft den angefochtenen Beschluss.

Unerheblich ist insoweit, dass die Staatsanwaltschaft nicht ausdrücklich einer Entscheidung des Amtsgerichts im schriftlichen Verfahren widersprochen hat, denn die Rechtsbeschwerde ist auch bei einem sonstigen Verstoß gegen das rechtliche Gehör zulässig. Ein solcher Verstoß ist u. a. dann anzunehmen, wenn den Beteiligten - wie vorliegend der Staatsanwaltschaft - keine (hinreichende) Gelegenheit zum Widerspruch gegeben worden ist (vgl. hierzu OLG Koblenz NStZ 1991, 191; Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 72 Rdnr. 15).

Der Beschluss war daher insgesamt aufzuheben, da er unter Verstoß gegen die § 72 Abs.1 OWiG zustande gekommen ist.

Dies hat zur Folge, dass für die Beschränkung der Rechtsbeschwerde lediglich auf den Rechtsfolgenausspruch kein Raum ist.

Die Sache war daher an das Amtsgericht Hagen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zurückzuverweisen.

2. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat jedoch auf Folgendes hin:

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung hat der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Nachteile als Folgen eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. Senatsbeschluss vom 06. Februar 2006 in 2 Ss OWi 31/06 m.w.Nachw.; vgl. auch BayObLG NZV 2002, 143; Frankfurt a.M. NStZ-RR 2000, 312; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 25 StVG Rz. 25 m.w.N.). Es ist die substantiierte Darlegung solcher Tatsachen erforderlich, welche die Annahme einer Existenzgefahr für den Betrieb des Betroffenen greifbar erscheinen lassen und über die bei Freiberuflern und selbständigen Gewerbetreibenden sich im Allgemeinen ergebene Lage hinausgehen.

Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Er hat Angaben des Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und im Urteil darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet (vgl. ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. Beschluss vom 20. Mai 2005 in 2 Ss OWi 108/05). ; Hentschel, a.a.O., § 25 StVG, Rz. 26).

Zu der Frage, ob der Betroffene ggfl. auch einen Kredit aufnehmen muss, um die aus dem Fahrverbot möglicherweise resultierenden finanziellen Mehrbelastungen aufzufangen, ist Folgendes auszuführen: Eine Kreditaufnahme ist nur dann ausnahmsweise angezeigt, wenn sie zumutbar ist. Bei abhängig Beschäftigten dürfte dies in der Regel nicht der Fall sein (so auch OLG Koblenz NJW 2004, 1400). Bei Selbständigen hingegen kann eine Kreditaufnahme in geeigneten Fällen ein zumutbares Mittel sein; jedoch ist in einem solchen Fall zu verlangen, dass in den Urteilsgründen genaue Feststellungen zu Einkommen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen werden (vgl. hierzu auch OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2000, 312,313).

Ferner weist der Senat darauf hin, dass die mit dem Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung bei Gering- oder Durchschnittsverdienern unter Umständen auch mit einer empfindlicheren Geldbuße erreicht werden kann, sofern es sich um einen Ersttäter handelt (vgl. OLG Celle zfs 2005, 315) und lediglich eine fahrlässige Tatbegehung vorliegt (vgl. hierzu auch Beschluss des hiesigen 4. Senats für Bußgeldsachen vom 24. Januar 2007 in 4 Ss OWi 891/06; vgl. dazu auch Deutscher VRR 2007, 236; ders. in NZV 1999, 113; ders. in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 712 ff.; vgl. dazu auch Beschluss des erkennenden Senats vom 03. Juli 2006 in 2 Ss OWi 324/06; OLG Hamm VRR 2005, 155 = StraFo 2005, 257 sowie auch schon OLG Hamm zfs 1998, 75 und OLG Hamm VA 2001, 151 = NZV 2001, 436 = DAR 2001, 519 = VRS 101, 212 = zfs 2001, 567). Für diesen Fall hat der Tatrichter konkrete Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen.

Ende der Entscheidung

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