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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.08.2007
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 372/07
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 33
Die Frage, ob es für die Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG aufgrund vorläufiger Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen darauf ankommt, ob ein Irrtum der Verfolgungsbehörde über die tatsächliche Abwesenheit des Betroffenen unverschuldet sein muss oder nicht, kann offen bleiben, wenn der Irrtum der Bußgeldbehörde über den Aufenthaltsort des Betroffene auf falschen Angaben einer anderen Behörde beruhen.
Beschluss

Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 29. März 2007 gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne vom 29. März 2007 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 02. August 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Die Sache wird dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird verworfen.

Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Nichteinhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug, Nichtanlegens des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes und fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 90 € verurteilt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, deren Zulassung er beantragt hat. Der Betroffene beruft sich auf Verjährung. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Da die verhängte Geldbuße nicht mehr als 100 € beträgt, richten sich die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG. Danach ist die Rechtsbeschwerde in den Verfahren mit den so genannten weniger bedeutsamen Fällen nur zulässig zur Fortbildung des materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 2 OWiG) oder wenn das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Vorliegend ist die Entscheidung über die zulässige Rechtsbeschwerde zugelassen und auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen worden, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen. Der vorliegende Einzelfall gibt Veranlassung, erneut die Frage des Anwendungsbereichs des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG näher zu klären, und zwar für den Fall, dass die Anschrift des Betroffenen von der Polizei falsch aufgenommen wird und die Bußgeldbehörde den Bußgeldbescheid daraufhin erfolglos an die falsch notierte Anschrift zuzustellen versucht. Zwar sind Verfahrenshindernisse wie die Verjährung grundsätzlich nach § 80 Abs. 5 OWiG im Zulassungsverfahren unbeachtlich, wenn sie - wie hier - bereits vor Erlass des Urteils im ersten Rechtszug vorgelegen haben. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war hier jedoch ausnahmsweise geboten (vgl. dazu Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 80 Rn. 24 mit weiteren Nachweisen), um zur Frage der Verfolgungsverjährung bei Irrtümern der Behörde über die Anwesenheit des Betroffenen ein klärendes Wort zu sprechen. Insoweit handelt es sich um eine Alleinentscheidung des mitentscheidenden Einzelrichters.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides am 21. oder 29. Dezember 2006 - das Datum ist nicht lesbar - noch keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Insoweit ist von folgendem Verfahrengang auszugehen:

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene die Ordnungswidrigkeiten am 4. September 2006 begangen; er wurde am selben Tage hierzu angehört. Der Bußgeldbescheid der Stadt Herne wurde am 2. Oktober 2006 erlassen, dem Betroffenen jedoch erst am 21. oder 29. Dezember 2006 zugestellt.

Zu diesem Zeitpunkt war aber Verjährung noch nicht eingetreten.

Die Verjährungsfrist beträgt gemäß §§ 24, 26 Abs. 3 StVG drei Monate und nach Erlass des wirksam zugestellten Bußgeldbescheides sechs Monate. Dabei beginnt - entgegen dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 StVG - die auf sechs Monate verlängerte Frist nicht mit dem Erlass des Bußgeldbescheides, sondern erst dann, wenn durch den Bußgeldbescheid die Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen wurde (BGHSt 45, 261, 264). Die dreimonatige Verjährungsfrist verlängert sich also nur dann auf sechs Monate, wenn ein wirksamer Bußgeldbescheid erlassen und wirksam zugestellt worden ist.

Zwar hat der Erlass des Bußgeldbescheides am 2. Oktober 2006 die Verjährung - entgegen der Ansicht des Amtsgerichts - nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen, da er nicht binnen zwei Wochen, sondern erst am 21. oder 29. Dezember 2006 wirksam zugestellt werden konnte. Unabhängig davon war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine Verjährung eingetreten, weil diese durch die am 13. Oktober 2006 erfolgte vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG wirksam unterbrochen worden war und die Verjährung gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 OWiG daher neu zu laufen begonnen hatte.

Hintergrund dieser (vorläufigen) Einstellung war, dass die Bußgeldbehörde davon ausging, der Aufenthaltsort des Betroffenen sei nicht bekannt, weil der Bußgeldbescheid vom 2. Oktober 2006 zunächst an der im Bußgeldbescheid angegebenen Adresse nicht zugestellt werden konnte. Grund für diesen fehlgeschlagenen Zustellungsversuch war, dass im Rahmen der Anhörung durch die Polizei in der Anzeige fälschlicherweise die Adresse Christinenstr. 56 (statt richtig 59) notiert worden war. Nachdem die Bußgeldstelle telefonisch von der korrekten Hausnummer in Kenntnis gesetzt worden war, nahm sie das Verfahren wieder auf und stellte den Bußgeldbescheid am 21. oder 29. Dezember 2006 zu.

Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG unterbricht die vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen durch die Verfolgungsbehörde die Verjährung. Dabei ist in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass es zur Unterbrechung der Verjährung nach dieser Vorschrift genügt, dass die vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen nach der Aktenlage angenommenen Abwesenheit des Betroffenen erfolgt und ein Irrtum über die tatsächliche Abwesenheit insoweit unschädlich ist (OLG Bamberg, Beschl. v. 18. April 2007, 2 Ss OWi 1073/06; OLG Brandenburg NZV 2006, 100, 101 OLG Karlsruhe DAR 2000, 371 =VRS 99, 68, Senat in 2 Ss OWi 479/04 in NZV 2005, 491 = VRS 108, 217 = mit vom Senat nicht geteilter ablehnender Anmerkung König NZV 2005, 492; Weller in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., 2006, § 33 Rn. 52; Göhler, a.a.O., § 33 Rn. 3, 27). Dies wird u.a. damit begründet, dass die enumerative Aufzählung der verjährungsunterbrechenden Handlungen in § 33 OWiG der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit diene, sodass eine Einzelfallprüfung, ob die Unterbrechungshandlungen geeignet seien, das Verfahren zu fördern, nicht erforderlich sei (OLG Bamberg, a.a.O.; Göhler, a.a.O., § 33 Rn. 3; Weller, a.a.O., § 33 Rn. 10). Vor diesem Hintergrund wird den in § 33 OWiG genannten Maßnahmen nur in wenigen Ausnahmefällen die Unterbrechungswirkung abgesprochen, dies insbesondere aber dann, wenn sie nichtig sind, es sich um bloße Scheinmaßnahmen handelt oder wenn die Anerkennung ihrer Gültigkeit wegen des Ausmaßes und des Gewichts ihrer Mangelhaftigkeit für die Rechtsgemeinschaft schlechthin unerträglich wäre (BGH NJW 1981, 133, 134; OLG Bamberg, a.a.O.; Göhler, a.a.O., § 33 Rn. 2b, 3; Weller, a.a.O., § 33 Rn. 7, 8). Voraussetzung für die Nr. 5 ist, dass sich die Behörde tatsächlich in einem Irrtum über den Aufenthaltsort des Betroffenen befindet.

Vorliegend bestand ein derartiger Irrtum der Bußgeldbehörde, denn aufgrund der fehlerhaften Aufnahme des Wohnsitzes des Betroffenen durch die Polizeibeamten musste diese nach dem fehlgeschlagenen Zustellungsversuch davon ausgehen, der Aufenthaltsort des Betroffenen sei nicht bekannt (so auch OLG Köln VRS 54, 361).

Insoweit besteht Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur. Streit besteht hingegen, ob der Irrtum der Behörde zudem unverschuldet sein muss. Teilweise wird dies unter Hinweis auf die oben genannten Grundsätze für nicht erforderlich gehalten. Auch eine Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen aufgrund eines von der Behörde verschuldeten Irrtums habe verjährungsunterbrechende Wirkung (OLG Bamberg, a.a.O.; Göhler, § 33 Rn. 3, 27; König NZV 2005, 492). Nach der - auch vom Senat vertretenen - Gegenauffassung darf die Verfolgungsbehörde hingegen kein Verschulden an dem Irrtum treffen (vgl. Senat, a.a.O.; OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.; Weller, a.a.O., § 33 Rn. 52). Dies wird damit begründet, die Bestimmungen über die Unterbrechung seien als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und loyal zu handhaben, Fehler der Verwaltungsbehörde dürften demnach dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen (OLG Hamm, a.a.O.). Zudem widerspreche es dem Gedanken der Verfahrensfairness, nach einem gewissen Zeitablauf das einmal gebildete Vertrauen des Betroffenen darauf, nicht mehr zur Rechenschaft gezogen zu werden, zu schützen, wenn die bewirkte Verzögerung allein der Verwaltungsbehörde zuzurechnen sei (OLG Brandenburg, a.a.O.).

Die Streitfrage bedarf vorliegend jedoch keiner Entscheidung. Auf die Frage kommt es hier nämlich nicht an, weil die Bußgeldstelle selbst an dem Irrtum, der zu der verspäteten Zustellung und der Annahme der Abwesenheit des Betroffenen geführt hat, kein Verschulden trifft. Denn die fehlerhafte Aufnahme der Adresse des Betroffene erfolgte hier nicht durch einen Mitarbeiter der Behörde bzw. die fehlerhafte Erstzustellung ist nicht auf einen Fehler der Behörde zurückzuführen. Vielmehr wurden von der Bußgeldbehörde lediglich die polizeilich notierten Daten übernommen. Auf deren Richtigkeit darf und muss sich die Behörde im Regelfall aber verlassen. Auch eine Zurechnung des Verschuldens der Polizeibeamten kommt nicht in Betracht, weil es sich bei Polizei und Bußgeldstelle um zwei organisatorisch selbstständige Behörden handelt. Zudem würde anderenfalls der Verwaltungsbehörde eine Überprüfungspflicht sämtlicher an sie übermittelter Daten aufgebürdet, die mit der kurzen regulären Verjährungsfrist im Ordnungswidrigkeitenrecht und dem daraus für die Behörde resultierenden Zeitproblem nicht in Einklang zu bringen wäre.

Da sich der Senat mit der hier vertretenen entscheidungserheblichen Rechtsauffassung insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs befindet, brauchte das Verfahren nicht zur Klärung der o.a. strittigen Fragen nach § 121 Abs. 2 GVG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt werden.

IV.

Sonstige Rechtsfehler sind nicht ersichtlich. Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist nicht geltend gemacht.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Abs. 3 OWiG, 473 StPO.

Ende der Entscheidung

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