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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.02.2005
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 803/04
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 73
Die Umdeutung eines Verlegungsantrags des Betroffenen in einen Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung ist nicht zulässig.
Beschluss

Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf den Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 02. August 2004 gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwerte vom 28. Juli 2004 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 02. 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Schwerte, das auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu entscheiden hat, zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer außerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung in Tateinheit mit fahrlässigem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes gem. §§ 41 Abs. 2, 21 a Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG, 17, 19 OWiG zu einer Geldbuße von 150 € verurteilt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, deren Zulassung er beantragt hat. Der Betroffene macht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist fristgemäß und hat auch in der Sache Erfolg. Die Rechtsbeschwerde war gem. §§ 80 Abs. 1 Nr. 1 2 OWiG zuzulassen.

Nach § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 OWiG ist, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat, die Rechtsbeschwerde bei der Festsetzung einer Geldbuße von 101 bis 250 € nur dann zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, oder wenn das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist.

Hier greift die vom Betroffenen mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch.

Die Rüge ist ausreichend begründet. Nach allgemeiner Meinung handelt es sich bei dieser Rüge um eine Verfahrensrüge, die demgemäss den strengen Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen muss (vgl. u.a. Senat in NStZ-RR 1999, 23 = VRS 99, 60 = StraFo 1999, 132 = NZV 1999, 220; NStZ-RR 2004, 307 = Rpfleger 2004, 585 = VRS 107, 127 = NZV 2004, 595 = NStZ 2004, 307). Danach muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft (Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 79 Rdnr. 27 d). Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt. Diesen Anforderungen wird der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde noch gerecht. Aus ihm geht eindeutig hervor, dass der Betroffene sein Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung auf jeden Fall wahrnehmen wollte. Der Betroffene legt insbesondere auch das, dass er nur wenige Tage nach dem anberaumten Hauptverhandlungstermin wegen der Beendigung seines studienbedingten Auslandsaufenthaltes in Griechenland sein Anwesenheitsrecht ab dem 31. Juli 2004 hätte wahrnehmen können.

Die Rüge hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht hat durch die von ihm gewählte Verfahrensweise das Anwesenheitsrecht des Betroffenen in der Hauptverhandlung, das mit seiner sich aus § 73 OWiG ergebenden Anwesenheitspflicht korrespondiert, verletzt.

Dem liegt folgenden Verfahrensgang zugrunde: Das Amtsgericht hatte zunächst Hauptverhandlung auf den 14. Januar 2004 bestimmt. Dieser Termin musste verlegt werden, da sich der Betroffene zu dem Zeitpunkt - entgegen seiner ursprünglichen Absicht - in Griechenland zum Studium aufhielt. Ein dann auf den 26. Mai 2004 bestimmter Termin musste wegen Verhinderung des Tatrichters verlegt werden auf den 14. Juli 2004. Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2004 beantragte der Verteidiger, diesen Termin aufzuheben, da sich der Betroffene noch bis Dezember zum Studium in Griechenland aufhalte. Das Amtsgericht hat den Betroffenen daraufhin vom persönlichen Erscheinen im Termin vom 14. Juli 2004 entbunden, den Termin aber aufrecht erhalten. Wegen urlaubsbedingter Verhinderung des Verteidigers ist dieser Termin dann auf den 28. Juli 2004 verlegt worden. Der Verteidiger hat dann erneut wegen Verhinderung des Betroffenen aufgrund seines Studiums in Griechenland um Terminsverlegung gebeten und mitgeteilt, dass der Betroffene sich zumindest bis Ende Juli 2004 in Griechenland aufhalte. Das Amtsgericht hat den Betroffenen vom persönlichen Erscheinen entbunden, den Termin vom 28. Juli 2004 aber aufrecht erhalten. Die Hauptverhandlung am 28. Juli 2004 hat dann ohne den Betroffenen statt gefunden.

Diese Verfahrensweise verletzt den Betroffenen in seinem Recht auf rechtliches Gehör (Art 103 GG).

Nach § 73 OWiG in Verbindung mit § 226 StPO besteht einerseits nicht nur eine Anwesenheitspflicht des Betroffenen in der Hauptverhandlung des OWi-Verfahrens (vgl. dazu Göhler, a.a.O., § 73 Rn. 1), sondern auch ein Anwesenheitsrecht des Betroffenen (vgl. dazu BayObLG NZV 2001, 221). Die Hauptverhandlung kann ohne den Betroffenen grundsätzlich nur dann durchgeführt werden, wenn dieser von seiner Pflicht, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, wirksam entbunden worden ist. Dies setzt einen Entbindungsantrag des Betroffenen voraus. Dieser kann zwar formlos gestellt werden (Göhler, a.a.O., § 73 Rn. 4), es muss jedoch erkennbar sein und zum Ausdruck kommen, dass der Betroffene von der Pflicht, an der Hauptverhandlung teilnehmen zu müssen, befreit werden möchte. Ein solcher Entbindungsantrag ist vorliegend nicht gestellt. Der Betroffene hat vielmehr durch die Schriftsätze seines Verteidigers mehr als deutlich zu erkennen gegeben, dass er von seiner Anwesenheitsrecht Gebrauch machen und an der Hauptverhandlung teilnehmen will. Anders lassen sich die Hinweise auf die Zeitpunkte, wann der Betroffene für eine Hauptverhandlung zur Verfügung steht, nicht auslegen. Soweit das Amtsgericht den Verlegungsantrag des Betroffenen in einen Entbindungsantrag umgedeutet hat, war das nicht zulässig (Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 2. Aufl., § 73 Rn. 16 a.E.). Denn mit einem Verlegungsantrag wird gerade nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will. Er enthält vielmehr den genau gegenteiligen Erklärungsinhalt. Deutlicher als mit einem Verlegungsantrag kann nämlich nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass der Betroffene an der Hauptverhandlung - entsprechend seiner Verpflichtung - teilnehmen will.

Das Amtsgericht konnte daher nicht in Abwesenheit des Betroffenen entscheiden. Seine Verfahrensweise hat den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt. Nach allem war somit das angefochtenen Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - zurückzuverweisen.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich empfehlen dürfte bei den herangezogenen Voreintragungen den Zeitpunkt der Rechtskraft aufzuführen.

Ende der Entscheidung

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