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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.01.2007
Aktenzeichen: 2 UF 258/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1631 b
FGG § 70 m
ZPO § 621 e
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I.

Die Beschwerde der Kindeseltern vom 14.12.2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Essen vom 21.11.2006 wird als unzulässig verworfen.

Die Beschwerdeführer tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens (außergerichtliche Kosten, Gerichtskosten).

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

II.

Der Antrag der Beschwerdeführer auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens wird zurückgewiesen.

Gründe:

A.

Die seit dem Jahr 1994 verheirateten Eheleute Y sind die Eltern der Kinder E, geboren am 10.5.1993, K, geboren am 13.12.1996, und K2 E2 Y, geboren am 29.11.2000.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Essen entzog den Kindeseltern durch Beschluss vom 20.06.2006 die elterliche Sorge über ihre drei Kinder und übertrug diese auf das Jugendamt der Stadt F als Vormund.

Das Jugendamt wurde unter dem 29.06.2006 zum Vormund über E bestellt (Bl. 10 d.A.).

Der Senat verwarf durch Beschluss vom 09.01.2007 (2 UF 142/06 OLG Hamm) die das Kind E betreffende befristete Beschwerde der Kindeseltern als unzulässig und wies das die Kinder K und K2 betreffende Rechtsmittel als (unbegründet) zurück.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen des Senats und der der Entscheidung zugrunde liegenden rechtlichen Erwägungen wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen (Bl. 104 ff. d.A.).

Der Vormund hat den Umzug von E am 7.8.2006 in das Kinderheim K3 in Z1-L veranlasst. E verließ das Heim mehrfach unerlaubt, um zu den Eltern zu gehen. Er wurde daraufhin am 10.8.2006 zu den S Kliniken in Z1 - ohne Anwendung von Zwangsmitteln - gebracht. Mit am 11.08.2006 beim Amtsgericht Essen eingegangenem Antrag hat der Vormund die Genehmigung der Unterbringung von E gem. § 1631 b BGB beantragt.

Seit dem 1.9.2006 hält sich E im Jugendhilfezentrum G in C2 auf.

Das Familiengericht hat eine Verfahrenspflegerin bestellt und ein schriftliches kinder- und jugendpsychiatrisches Gutachten des Dr. Dr. B zu der Frage der Notwendigkeit der Unterbringung eingeholt (Bl. 36 ff. d.A.).

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16.11.2006 hat es das Kind E, die Verfahrenspflegerin, den Vormund, eine Mitarbeiterin des Jugendhilfezentrums und die Kindeseltern unter Anwesenheit von Rechtsanwalt N, denen Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, angehört.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht die mit der Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung von E zeitlich befristet bis zum 20.11.2007 unter Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung familiengerichtlich genehmigt (Bl. 71 ff. d.A.).

Die Kindeseltern wenden sich mit ihrem Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Familiengerichts. Sie sind der Auffassung, dass sie hierdurch in ihrem grundgesetzlich geschützten Elternrecht verletzt seien und die Anordnung des Familiengerichts nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche (Bl. 79 ff. d.A.).

B.

I.

Das Rechtsmittel der Beschwerdeführer ist unzulässig, weil sie nicht beschwerdeberechtigt sind.

1.

Es kann dahingestellt bleiben, ob statthaftes Rechtsmittel gegen die hier gegenständliche Entscheidung des Familiengerichts die befristete Beschwerde gem. § 621 e ZPO ist (so z.B. OLG Bamberg, FamRZ 2003, 1854 m.w.N.) oder die sofortige Beschwerde gem. § 70 m FGG (so etwa BeckOK-Veit, Rnr. 10 zu § 1631 b BGB).

Denn die Beschwerdeführer haben hinsichtlich Form, Frist und Begründung ihrer Rechtsmittelschrift sowohl die Voraussetzungen des § 621 e ZPO als auch die des § 70 m FGG erfüllt.

Abweichungen bezüglich der Beschwerdeberechtigung gibt es zwischen § 70 m FGG einerseits und § 621 e ZPO andererseits nicht (vgl. MuekoBGB-Huber, 4. Auflage, Rnr. 19 zu § 1631 b BGB).

2.

Die Beschwerdeführer sind nicht beschwerdeberechtigt.

a)

Entgegen ihrer Auffassung folgt ihre Berechtigung zur Einlegung eines Rechtsmittels nicht aus § 20 Abs. 1 FGG.

Denn sie sind durch die Anordnung des Familiengerichts nicht in ihren Rechten beeinträchtigt.

aa)

Ein Eingriff in das Elternrecht der Beschwerdeführer liegt nicht vor, weil ihnen die (gesamte) elterliche Sorge über E rechtswirksam bereits zeitlich vor dem Antrag gem. § 1631 b BGB entzogen worden war.

Allein das Verwandtschaftsverhältnis zum Kind begründet keine Beschwerdebefugnis, weil § 57 Abs. 1 Nr. 8 und 9 FGG gem. §§ 57 Abs. 2, 64 Abs. 3 S. 3, 70 m FGG keine Anwendung finden (vgl. hierzu etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.11.2006 - 16 WF 192/06 -;OLG Frankfurt, Beschluss vom 6.12.2005 - 6 UF 228/05 - FamRZ 2006, 802; OLG Hamm, 11. Senat für Familiensachen, Beschluss vom 30.7.2003 - 11 WF 35/03 - FamRZ 2004, 887).

bb)

Es ist weder zur Entfaltung der Wirkungen des Art. 6 Abs. 2 GG noch aus Gründen des Kindeswohls geboten, § 20 Abs. 1 FGG erweiternd auszulegen.

Die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang den Kindeseltern die elterliche Sorge zu entziehen ist, wird in einem gesonderten gerichtlichen Verfahren nach den strengen Voraussetzungen der §§ 1666, 1666a BGB geprüft und entschieden, wobei hier das elterliche Erziehungsrecht zur vollen Geltung kommt. Soweit es zur Abwehr akuter Kindeswohlgefährdungen notwendig ist, den Kindeseltern die elterliche Sorge zu entziehen und auf einen Dritten als Vormund zu übertragen, übernimmt der Vormund die mit der elterlichen Sorge verbundene Verantwortung für das Kind.

Mit einer Ausweitung des Beschwerderechts der Eltern allein aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zum Kind wäre zudem die Gefahr (weiterer) Kindeswohlgefährdungen verbunden, weil von dem Beschwerdeverfahren regelmäßig Belastungen für das Kind unmittelbar und mittelbar ausgehen und der Entschluss der Eltern, ein Rechtsmittel einzulegen, auf Hintergründen, Handlungsmustern und Zielen beruhen kann, welche zumindest zum Teil den Grund dafür darstellen, warum es das Gericht für unabweisbar notwendig angesehen hat, den Kindeseltern die elterliche Sorge zu entziehen.

b)

Die Beschwerdeberechtigung ergibt auch nicht aus § 70 m Abs. 2 FGG i.V.m. § 70 d FGG.

aa)

§ 70 d Abs. 1 Nr. 2 FGG greift nicht zugunsten der Beschwerdeführer ein, weil E zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags gem. § 1631 b BGB am 11.8.2006 nicht mehr bei den Beschwerdeführern gelebt hat.

E lebt seit dem 7.8.2006 außerhalb des Haushalts der Beschwerdeführer, nämlich zunächst im Kinderheim K3 sodann in den S Kliniken und nunmehr im Jugendhilfezentrum H. Er hatte somit bereits am 11.8.2006 seinen Lebensmittelpunkt in einer Einrichtung, weshalb gem. § 70 d Abs. 1 Nr. 5 FGG der Leiter der Einrichtung respektive sein Vertreter vom Gericht anzuhören war.

Soweit E wiederholt die Beschwerdeführer gegen den Willen des Vormunds und der Heimleitung aufsuchte, stellte dies lediglich einen zeitweiligen Aufenthalt im Sinne eines bloßen Besuchs dar. Dieser ist bereits von seiner sprachlichen Bedeutung her von dem Leben bei den Eltern, worunter ein dauernder Aufenthalt i.S. eines Lebensmittelpunktes zu verstehen ist, abzugrenzen. Auch nach dem Sinn und Zweck findet die Nr. 2 des § 70 d Abs. 1 FGG keine Anwendung, weil aufgrund des Wegzugs des Kindes aus dem Elternhaus zeitlich vor der Anhängigkeit des Antrags gem. § 1631 b BGB ursächlich durch die angefochtene Anordnung des Gerichts nicht mehr eine zwangsweise Verschiebung des Lebensmittelpunktes des Kindes von dem elterlichen Haushalt zu einer Einrichtung hin herbeigeführt worden ist.

Zu einer extensiven Auslegung aus verfassungsrechtlichen Gründen besteht kein Anlass. Auf die Ausführungen zu oben a) bb) wird verwiesen.

bb)

Der von den Beschwerdeführern angeführte § 70 d Abs. 1 Nr. 4 FGG ist ebenfalls nicht einschlägig.

Dies gilt bereits deshalb, weil E tatsächlich nicht eine Person seines Vertrauens benannt hat, die vom Gericht hätte angehört werden müssen.

Zu einer erweiternden Auslegung der Vorschrift besteht kein Anlass.

Die gesetzliche Regelung ist im Hinblick auf das Gebot des Art. 104 Abs. 4 GG ergangen (vgl. Keidel/Kuntze, FGG, 15. Auflage, Rnr. 6 zu § 70 d FGG), wonach von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen ist. Diese Mitteilungspflicht soll gewährleisten, dass der Betroffene nicht unbemerkt zwangsweise einer staatlichen freiheitsentziehenden Maßnahme ausgesetzt wird.

Die dem Verfassungsartikel zugrundeliegende Gefährdungslage besteht von vornherein nicht, wenn das Jugendamt als Vormund und damit Inhaber der elterlichen Sorge die freiheitsentziehende Maßnahme beantragt und (noch dazu) ein Verfahrenspfleger für das Kind zur Wahrung seiner Rechte und Interessen im Verfahren bestellt wird.

cc)

Schließlich ergibt sich auch keine Beschwerdeberechtigung daraus, dass die Kindeseltern tatsächlich in erster Instanz vom Familiengericht angehört worden sind.

Das Familiengericht hat den Kindeseltern zu keinem Zeitpunkt formal die Stellung eines Verfahrensbeteiligten eingeräumt. So sind sie im angefochtenen Beschluss nicht als Verfahrensbeteiligte angeführt worden, was im Übrigen die Beschwerdeführer in ihrer Beschwerdeschrift rügen. Die Anhörung hat das Gericht offensichtlich im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 12 FGG) veranlasst.

Aus der - die Beschwerdeführer begünstigenden - Prozesskostenhilfebewilligung in erster Instanz kann mangels Beschwer keine Beschwerdebefugnis hergeleitet werden.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 13 a Abs. 1 S. 2 FGG, 131 KostO, die über die Wertfestsetzung auf den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.

II.

Der Senat sieht sich im Hinblick auf das Wohl von E veranlasst, noch folgendes anzumerken:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der mündlichen Verhandlung vom 9.1.2007 (2 UF 142/06) besteht bei den Kindeseltern das von dem Sachverständigen Dr. Dr. B in seinem Gutachten angeführte Gefährdungspotential (vgl. S. 26 des Gutachtens), weshalb es der Senat in Übereinstimmung mit dem Familiengericht ohne Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen, der sich keinen persönlichen Eindruck von den Eltern verschafft hat und auch den Verlauf und das Ergebnis des o.a. Verfahrens nicht kannte, für unabdingbar notwendig hält, dass E jedenfalls für die nächsten Monate notfalls freiheitsentziehend fremduntergebracht wird.

Die Kindeseltern neigen nach wie vor dazu, ihre Kinder massiv zu instrumentalisieren und sind nicht fähig, deren wirkliche Lage und Bedürfnisse zu erkennen und dementsprechend kindgerecht zu handeln. Es ist dringend geboten, dass sie an einer Verbesserung ihres Erziehungsverhaltens arbeiten, um so die Grundlage für eine Intensivierung des Kontaktes zu E herbeizuführen. Ein - selbst zeitlich begrenzter - Aufenthalt von E im elterlichen Haushalt kann derzeit nicht zugelassen werden.

Im Übrigen ist der Vormund in pflichtgemäßer Ausübung seines Amtes gehalten, die von den Eltern bemängelte Unterbringung von E einer Überprüfung zu unterziehen und ggf. das Erforderliche zu veranlassen.

III.

Da aus den Gründen zu oben I. keine Erfolgsaussichten für das eingelegte Rechtmittel bestehen, kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden.

Ende der Entscheidung

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