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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: 2 WF 204/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 313 Abs. 1
BGB § 1601
ZPO § 323
ZPO § 798 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Kläger vom 28.7.2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rheda-Wiedenbrück vom 11.7.2006 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die 21.1.2005 volljährig gewordenen Antragstellerinnen begehren vom Antragsgegner, ihrem leiblichen Vater aus der geschiedenen Ehe mit der Mutter, im Wege der Leistungsklage Zahlung von Kindesunterhalt für den Zeitraum ab März 2005. Bereits durch Vergleich vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Rheda-Wiedenbrück vom 27.11.2002 (Az.: XXXXXX) wurde der Kindesunterhalt für die Antragsteller tituliert. In dem Vergleich ist festgelegt, dass der Antragsgegner an jede Antragstellerin monatlich 305 € (berechnet aus 382 € Tabellenunterhalt abzüglich 77 € Kindergeldanteil) zu zahlen hat. Eine Begrenzung auf die Zeit der Minderjährigkeit der Antragstellerinnen ist darin nicht vorgesehen.

Die im übrigen arbeitslose Antragstellerin zu 1) ist im Rahmen einer Nebentätigkeit in einer Fleischerei beschäftigt und verdient dort monatlich 72 €. Eine im Sommer 2004 begonnene Ausbildung als Arzthelferin hat sie abgebrochen, ebenso eine im Jahre 2005 begonnene Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, aus welcher sie zumindest im September und Oktober 2005 Einkünfte in Höhe von mehr als 410 € (Ausbildungsvergütung) erzielt hat.

Die Antragstellerin zu 2) ist Schülerin. Sie besucht das Berufskolleg in S mit einer Unterrichtsstundenzahl von 12 Wochenstunden mit dem Ziel des Erwerbs der Fachhochschulreife in den Fächern Sozial- und Gesundheitswesen. Sie verdient ebenfalls im Rahmen einer Nebentätigkeit bei einer Fleischerei monatlich 72 €.

Beide Antragsteller leben bei ihrer Mutter.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Familiengericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) zurückgewiesen.

II.

Die gem. § 127 II 2, 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Das Familiengericht ist zurecht davon ausgegangen, dass richtige Klageart nicht die Leistungsklage, sondern die Abänderungsklage gem. § 323 ZPO ist, denn der Unterhalt der Antragstellerin ist bereits durch Vergleich vom 27.11.2002 tituliert.

Der Fortgeltung des Titels steht - entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen - nicht entgegen, dass die Antragsteller inzwischen (nach Abschluss des Vergleichs) volljährig geworden sind.

Soweit Berechtigte aus dem Vergleich ihre Mutter ist, können sie den Titel auf sie - die Antragsteller - umschreiben lassen (§ 727 I ZPO).

Der Vergleich hat durch den Eintritt der Volljährigkeit der Antragsteller seine Wirksamkeit nicht verloren. Zwar erlischt mit dem Eintritt der Volljährigkeit das Sorgerecht (§ 1626 I BGB). Betreuungsunterhalt wird nicht mehr geschuldet. Wegen des Wegfalls der Betreuungsverpflichtung wird der bisher den Betreuungsunterhalt sicherstellende Elternteil ebenfalls barunterhaltspflichtig mit der Folge, dass sich der Barunterhalt anteilig nach den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen beider Elternteile bemißt (§ 1606 III 1 BGB). Darüber hinaus trifft den Volljährigen die Obliegenheit zur eigenverantwortlichen Sicherung seines Lebensunterhalts stärker als das minderjährige Kind. Die Besonderheiten, die für den Unterhalt minderjähriger Kinder gelten, rechtfertigen es jedoch nicht, den Anspruch auf Volljährigenunterhalt als eigenständigen und nicht mehr als Fortsetzung des bisherigen (während der Minderjährigkeit gegebenen) Anspruchs aufzufassen, denn die nach § 1601 BGB bestehende Unterhaltspflicht zwischen Eltern und ihren Kindern ist nicht an feste Altersgrenzen gebunden. Sie besteht - unter den allgemeinen Voraussetzungen der Bedürftigkeit des Kindes einerseits und der Leistungsfähigkeit des Elternteils andererseits - lebenslang fort (BGH FamRZ 1984, 682 f.; vgl. auch OLG Koblenz FamRZ 1999, 676, 677; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 907).

Soweit in der Rechtsprechung - unter Verweis auf die durch das Kindesunterhaltsgesetz vom 6.4.1998 neu eingefügte Vorschrift des § 798a ZPO - eine andere Auffassung vertreten wird (OLG Hamm, 9. FamS, FamRZ 2006, 48), vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. § 798a ZPO bestimmt, dass ein nach § 1612a BGB während der Minderjährigkeit des Unterhaltsgläubigers erwirkter dynamischer Titel auf Unterhalt für die Zeit nach dem Eintritt der Volljährigkeit in der Weise fortwirkt, dass der Unterhaltsschuldner dem titulierten Anspruch nicht (z. B. im Wege der Vollstreckungsgegenklage) entgegenhalten kann, dass die für Schaffung des dynamischen Titels erforderliche Minderjährigkeit nicht mehr besteht. Dabei handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die auf nicht dynamisch titulierte Ansprüche über konkret bezifferte Unterhaltsbeträge nicht analog anwendbar ist (OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1888). Daraus folgt jedoch nicht, dass nur nach § 1612a BGB dynamisierte Unterhaltstitel über den Eintritt der Volljährigkeit des Titelgläubigers hinaus Gültigkeit haben können. Dabei würde verkannt, dass der Sinn und Zweck § 798a ZPO darin besteht, der Besonderheit Rechnung zu tragen, dass die Erstellung eines dynamischen Unterhaltstitels nach § 1612a BGB nur für minderjährige, nicht aber für volljährige Kinder vorgesehen ist. Eine dem § 1612a BGB entsprechende Begrenzung auf die Zeit der Minderjährigkeit für nicht dynamische Unterhaltstitel von Kindern ist im Gesetz dagegen nicht vorgesehen. Deshalb besteht für nicht dynamische Unterhaltstitel kein Bedürfnis zur Schaffung einer gesetzliche Regelung, die die Vollstreckung daraus über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus zulässt (vgl. Stollenwerk, Anm. zu OLG Hamm FamRZ 2006, 48 in FamRZ 2006, 873 f.; so i. E. auch OLG Brandenburg, a. a. O.). Die Zulässigkeit der Vollstreckung über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus ergibt sich in diesem Falle bereits aus der Identität der den Unterhaltsanspruch begründenden Anspruchsgrundlage des § 1601 BGB.

Zu einem anderen Ergebnis kommt auch nicht die von der abweichenden Meinung zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG Brandenburg FamRZ 2004, a. a. O.). Danach scheiterte die Vollstreckung aus dem während der Minderjährigkeit des Unterhaltsgläubigers geschaffenen Titel nach Eintritt der Volljährigkeit im konkreten Fall lediglich daran, dass der titulierte Unterhaltsanspruch in der betreffenden Jugendamtsurkunde ausdrücklich auf die Zeit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Unterhaltsgläubigers begrenzt war.

Im Ergebnis kann daher festgestellt werden, dass sich durch die neu eingefügte Vorschrift des § 798a ZPO an der materiell-rechtlichen Fortwirkung eines während der Minderjährigkeit geschaffenen Unterhaltstitels nach Eintritt der Volljährigkeit des Unterhaltsgläubigers nichts geändert hat.

b) Das Familiengericht hat auch zurecht dahinstehen lassen, ob die unzulässige Leistungsklage in eine Abänderungsklage umgedeutet werden kann, denn die Antragstellerinnen haben nicht schlüssig vorgetragen, dass ihnen nach Eintritt der Volljährigkeit ein Anspruch auf Abänderung des durch gerichtlichen Vergleich vom 27.11.2002 titulierten Unterhaltsanspruchs nach den §§ 313 I, 1601 ff. BGB i. V. m. § 323 ZPO gegen den Antragsgegner zusteht.

Hinsichtlich der - mit der Beschwerde nicht angegriffenen - Berechnung der Unterhaltsansprüche der Antragstellerinnen wird, zur Vermeidung von Wiederholungen, auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Danach steht den Antragstellerinnen im Falle der von ihnen behaupteten Leistungsunfähigkeit der Mutter ein Unterhaltsanspruch gegen den Antragsgegner nach der 7. Einkommensgruppe, 4. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle, von derzeit 476 € und nach Abzug des bedarfsdeckenden Kindergeldes von derzeit 154 € je Kind ein Zahlbetrag von 322 € zu. Das sind 17 € je Antragsteller mehr, als durch Vergleich vom 27.11.2002 tituliert.

Hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) fehlt es jedoch an ihrer Bedürftigkeit. Für die Zeit der Ausbildung war ihr Bedarf durch ihre eigene Einkünfte (Ausbildungsvergütung) - auch unter Berücksichtigung des ausbildungsbedingten Mehrbedarfs von 85 € monatlich - gedeckt. Nach Beendigung, bzw. Abbruch ihrer Ausbildung war sie gehalten, ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen (§ 1602 II BGB). Da sie weder dargelegt noch nachgewiesen hat, dass sie sich um eine entsprechende Arbeitstätigkeit bemüht hat und auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es ihr nicht möglich gewesen wäre, mindestens 322 € monatlich zu verdienen, muss sie sich so behandeln lassen, als wenn ihr Bedarf gedeckt wäre (vgl. Wendl/Staudigl-Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. A., § 2 Rz. 48, 345 m. w. N.).

Soweit das Familiengericht hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) die Erfolgsaussichten für eine Abänderung des titulierten Kindesunterhalts mit der Begründung verneint hat, dass es an an der Wesentlichkeit der Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse i. S. v. § 242 BGB fehle, ist das nicht zu beanstanden. Allerdings folgt das Erfordernis der Wesentlichkeit nicht aus § 242 BGB, sondern aus § 313 I BGB, wonach eine Anpassung des zwischen den Parteien geschlossen Vergleichs an die veränderten Verhältnisse nur dann erfolgen soll, wenn ihnen ein Festhalten an der bisherigen Regelung nicht zugemutet werden kann. Dabei hat das Familiengericht zutreffend auf die vorliegenden Umstände des Einzelfalles abgestellt (vgl. BGH FamRZ 1992, 539).

Zwar indiziert eine Veränderung der Tabellensätze der Düsseldorfer Tabelle (wozu auch der Wechsel der Altersstufe gehört) in der Regel die Notwendigkeit der Anpassung des Unterhaltstitels an die geänderten Verhältnisse, weil damit gleichzeitig eine Veränderung der Einkommensverhältnisse oder der Lebenshaltungskosten ausgedrückt wird (vgl. BGH FamRZ 1995, 221, 223). Es ist auch anerkannt, dass es keine feste Grenze gibt, ab der eine Änderung des Unterhaltsanspruchs zu einer Unzumutbarkeit des Festhaltens an dem gerichtlichen Vergleich führt. Zumindest für den Unterhalt minderjähriger Kinder ist vielmehr grundsätzlich vom Vorliegen der Abänderungsvoraussetzungen auszugehen, wenn das Existenzminimum (derzeit der Unterhalt aus der 6. Einkommensgruppe) nicht gewahrt ist (vgl. BGH FamRZ 1995, a. a. O.; OLG Hamm FamRZ 2004, 1051, 1052; 1885, 1886, FamRZ 2005, 1100, 1101).

Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, dass die Antragstellerin zu 2) volljährig ist und daher nicht mehr in dem Umfang wie eine Minderjährige des besonderen Schutzes durch das Gesetz bedarf. Außerdem ist durch den titulierten Unterhalt ihr Existenzminimum von derzeit 442 € unter Berücksichtigung des bedarfsdeckenden Kindergeldes von 154 € gewahrt. Unter diesen Umständen ist es ihr nicht unzumutbar, die geringfügige Abweichung von rund 5 % zwischen dem geschuldeten und dem titulierten Unterhalt hinzunehmen. Hinzu kommt, dass ihre wöchentliche Unterrichtsstundenzeit im Berufskolleg nur 12 Stunden beträgt, sie mithin nicht mit der vollen ihr zur Verfügung stehenden Zeit in ihre Schulausbildung eingebunden ist. Das zeigt sich auch daran, dass sie tatsächlich in der Lage ist, durch Nebentätigkeit geringfügige Einkünfte zu erzielen, mit welchen sie die Differenz des titulierten zum geschuldeten Unterhalt abdecken kann. Darauf, dass sie grundsätzlich nicht verpflichtet ist, ihre geringfügigen Einkünfte zur Deckung ihres eigenen Bedarfs einzusetzen (vgl. OLG Köln FamRZ 1995, 55, 56) kommt es, angesichts der nur geringfügigen Abweichung des geschuldeten vom titulierten Unterhalt, für die Frage der Zumutbarkeit i. S. v. § 313 I BGB nicht an.

c) Soweit das Familiengericht in seinem angefochtenen Beschluss von einer Prozesskostenhilfebewilligung für den nachgeschobenen Auskunftsantrag der Antragstellerinnen abgesehen hat und dazu ausgeführt hat, dass dieser nur "äußerst hilfsweise" für den Fall erhoben worden ist, dass das Gericht von einem anrechenbaren Nettoeinkommen des Antragsgegners von weniger als 2.400 € monatlich ausgeht, ist das nicht zu beanstanden. Da der Prozesskostenhilfebeschluss des Familiengerichts vom 11.7.2006 mit der Beschwerde insoweit nicht angegriffen wird und das Familiengericht seiner Berechnung ein Nettoeinkommen des Antragsgegners in Höhe von 2.400 € zugrunde gelegt hat, kann davon ausgegangen werden, dass der nur hilfsweise erhobene Auskunftsantrag nicht zur Entscheidung gestellt werden soll.

Ende der Entscheidung

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