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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.05.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 113/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 40
Zum Begriff des Gerichts des ersten Rechtszuges in Strafvollstreckungssacgen nach der Änderung des § 40 StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. 8. 2004.
Beschluss

Strafsache

gegen F.N.

wegen Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, Zuhälterei u.a.,

(hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich eines Strafrestes).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 6. April 2006 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 8. November 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. 05. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 8. November 2005 hat die Strafvollstreckungskammer die dem Verurteilten durch ihren Beschluss vom 23. August 2000 in Verbindung mit dem Beschluss vom 6. September 2000 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich des letzten Drittels der durch Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Lippstadt vom 15. Oktober 1999 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat widerrufen.

Der Verurteilte war am 11. September 2000 aus der Strafhaft entlassen worden.

Nachdem die ursprüngliche Bewährungszeit von drei Jahren wegen mehrerer in der Bewährungszeit begangener Straftaten durch Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer vom 16. Mai 2001 und vom 29. September 2004 bereits jeweils um ein Jahr verlängert worden war, ist der Widerruf nunmehr darauf gestützt, dass der Verurteilte erneut am 14. Oktober und 24. November 2004 sowie am 16. Januar 2005 weitere Straftaten, nämlich jeweils vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, begangen hat und deswegen rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist.

Da bislang von der Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses vom 8. November 2005 seit dem 15. Dezember 2005 ausgegangen worden ist, obwohl diese - wie sich im Nachhinein ergeben hat - erst mit Erlass des vorliegenden Beschlusses eingetreten ist, ist die Vollstreckung des Strafrestes von noch 255 Tagen mit Beginn des 11. Mai 2006 vorgemerkt. Dies bedarf nunmehr aufgrund des vorliegenden Beschlusses jedoch keiner Korrektur.

Derzeit verbüßt der Beschwerdeführer seit seiner Festnahme am 21. März 2006 nach Widerruf die Restfreiheitsstrafe von 51 Tagen in dem Verfahren 15 VRs 131/98 StA Essen.

Nach Vollstreckung der Reststrafe des vorliegenden Verfahrens (vorgemerkt bis zum 20. Januar 2007) sind noch die Freiheitsstrafen von 10 Monaten in dem Verfahren 361 Js 1126/04 V StA Paderborn und - nach Widerruf - die Vollstreckung der Freiheitsstrafe von acht Monaten in dem Verfahren 361 Js 573/03 V StA Paderborn vorgemerkt.

II.

Die am 10. April 2006 - ohne Vorlage einer Vollmacht - mit Schriftsatz seines jetzigen Verteidigers vom 6. April 2006 eingegangene sofortige Beschwerde ist gemäß § 453 Abs. 2 S. 3 StPO i.V.m. § 56 f StGB statthaft und auch zulässig, da bislang eine wirksame Zustellung des angefochtenen Beschlusses nicht erfolgt ist.

Die durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 18. November 2005 angeordnete öffentliche Zustellung des Widerrufsbeschlusses vom 8. November 2005 war unwirksam, da vor ihrer Anordnung nicht alle zumutbaren Versuche unternommen worden sind, den unbekannten Aufenthalt des Adressaten zu ermitteln.

Die öffentliche Zustellung wurde bereits angeordnet, nachdem in der Zustellungsurkunde der Deutschen Post AG vom 11. November 2005 lediglich mitgeteilt worden war, dass der Empfänger unbekannt verzogen sei, wobei noch am 24. September 2005 unter der seit Juni 2005 bekannten Adresse zugestellt werden konnte.

In diesem Zusammenhang war als Grundlage der Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung auch nicht ausreichend, dass die Bewährungshelferin am 10. Oktober 2005 mitgeteilt hatte, derzeit keinen Kontakt zum Probanden zu haben und durch die Ausländerbehörde des Kreises Soest erfahren zu haben, dass der Verurteilte bis zum 30. September 2005 Deutschland hätte verlassen müssen.

Ob dies tatsächlich geschehen ist, ist nicht bekannt und war zuvor auch nicht überprüft worden.

Da an die Anforderungen zur Ermittlung des unbekannten Aufenthalts eines Adressaten vor Anordnung der öffentlichen Zustellung ein strenger Maßstab anzulegen ist, waren die bis dahin erlangten Erkenntnisse der Strafvollstreckungskammer noch nicht ausreichend (vgl. auch BVerfG in NStZ-RR 2005, 205).

Hinzu kommt, dass sich im Jahr zuvor im Rahmen der Prüfung der Frage, ob die Bewährungszeit noch einmal zu verlängern sei, mit Schriftsatz vom 7. September 2004 unter Vorlage einer Vollmacht Rechtsanwalt Dr. E. aus B. als Verteidiger für das Vollstreckungs- und das Widerrufsverfahren gemeldet hatte.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund zumindest nicht fernliegender Anhaltspunkte weitere Ermittlungen nach dem Aufenthalt hätten erfolgreich sein können (vgl. BVerfG a. a. O.).

III.

Eine wirksame Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Verurteilten selbst ist im Übrigen auch nicht dadurch erfolgt, dass nach dessen Verhaftung der Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft einen bereits mit Rechtskraftvermerk versehenen Widerrufsbeschluss hat zustellen lassen. Abgesehen davon, dass die diesem Beschluss beigefügte Belehrung nicht diejenige über das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss enthielt, war die am 30. März 2006 durch Übergabe in der Justizvollzugsanstalt erfolgte Zustellung schon deshalb nicht wirksam, weil sie nicht vom Vorsitzenden des zuständigen Gerichts - hier der Strafvollstreckungskammer - angeordnet worden war.

IV.

Die somit zulässige sofortige Beschwerde war jedoch aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses zu verwerfen. Angesichts der Begehung dreier neuer Straftaten während der - verlängerten - Bewährungszeit kamen mildere Maßnahmen als der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr in Betracht, zumal die im Oktober und November 2004 sowie im Januar 2005 begangenen Taten in Bezug auf die weiteren in der Bewährungszeit begangenen Straftaten, die jedoch jeweils nur zur Verlängerung der Bewährungszeit geführt hatten, weitgehend einschlägig sind.

Die neuen Straftaten sind auch in jedem Fall noch innerhalb der verlängerten Bewährungszeit begangen worden, wobei es dahinstehen kann, ob die zweite Verlängerung ein ganzes Jahr hätte betragen dürfen oder auf ein halbes Jahr hätte begrenzt werden müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juni 2000 in 2 Ws 147 - 149/00 = NStZ-RR 2000, 346).

Die Beschwerdebegründung, der Verurteilte sei nicht in Deutschland gewesen und habe die Bewährungsauflagen daher nicht erfüllen können, ist nicht nachvollziehbar, zumal der Widerruf allein und zu Recht auf § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt worden ist.

Die sofortige Beschwerde war somit mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge als unbegründet zu verwerfen.

V.

Im Hinblick darauf, dass die - hier aus den o. g. Gründen nicht zulässige und nicht wirksame - öffentliche Zustellung durch zweiwöchigen Aushang an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Lippstadt als dem Gericht des ersten Rechtszuges im Erkenntnisverfahren bewirkt werden sollte, merkt der Senat an, dass diese Verfahrensweise zwar seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung entsprochen hätte, nach der Änderung des § 40 StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 aber zumindest zweifelhaft erscheint.

Bislang galt nach dieser Rechtsprechung als Gericht des ersten Rechtszuges gemäß § 40 Abs. 2 StPO a. F. auch im Vollstreckungsverfahren nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das erstinstanzliche Gericht im früheren Erkenntnisverfahren (vgl. Senatsbeschluss in 2 Ws 336/99 unter Bezugnahme auf den Beschlusses des hiesigen 3. Strafsenats vom 31. Oktober 1996 in 3 Ws 538/96 = JMBl. NW 1997, 80 und ihm folgend auch der hiesige 1. und 4. Strafsenat u. a. in 4 Ws 111/01 und 4 Ws 62 u. 63/03).

Der 3. Strafsenat hatte seine diesbezügliche Rechtsprechung inzwischen jedoch aufgegeben und in Übereinstimmung mit dem OLG Köln und dem OLG Düsseldorf als Gericht des ersten Rechtszuges i.S.v. § 40 Abs. 2 StPO a. F. bei öffentlichen Zustellungen in Strafvollstreckungssachen das zur erstinstanzlichen Vollstreckungsentscheidung gemäß § 462 a StPO berufene Gericht angesehen (vgl. Beschlüsse des hiesigen 3. Strafsenats vom 16. August 2005 in 3 Ws 352 u. 353/05 = NStZ-RR 2006, 30 (LS) sowie vom 19. August 2004 in 3 Ws 417 - 419/04; OLG Düsseldorf, NStZ 2003, 167; OLG Köln, NStZ-RR 2000, 83, denen allerdings sämtlich noch die alte Fassung des § 40 StPO zugrundelag).

In § 40 StPO in der z. Zt. gültigen Fassung ist aber das Gericht, bei dem der Aushang zu erfolgen hat, nicht mehr genannt.

Der Begriff des Gerichts des ersten Rechtszuges als - wenn auch auslegungsfähiger - Anknüpfungspunkt für die bisherige Rechtsprechung ist in dieser Vorschrift gestrichen worden.

In § 37 Abs. 1 StPO wird für das Verfahren bei Zustellungen auf die entsprechende Geltung der Vorschriften der ZPO verwiesen, so dass nach § 186 Abs 2 ZPO die öffentliche Zustellung durch Aushang einer Benachrichtigung und nicht mehr des Beschlusses selbst an der Gerichtstafel oder durch Einstellung in ein elektronisches Informationssystem, das im Gericht öffentlich zugänglich ist, zu erfolgen hat. Bei welchem Gericht das zu geschehen hat, wird auch in § 37 StPO nicht genannt.

Lediglich in § 186 Abs 1 ZPO ist vom Prozessgericht - allerdings bezogen auf den Zivilprozess -, das über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung zu entscheiden hat, die Rede.

Die Kommentierung bei Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, § 37 Rdnr. 5 mit dem Hinweis auf § 40 StPO als Sondervorschrift führt nach der o. g. Gesetzesänderung zu keiner Lösung, zumal in Rdnr. 7 zu § 40 noch davon ausgegangen wird, dass die öffentliche Zustellung durch Aushang bei dem Gericht des ersten Rechtszuges bewirkt wird.

§ 40 Abs. 1 S. 2 StPO ist aber als Sondervorschrift für das Strafverfahren lediglich insoweit anzusehen, als die Zustellung als erfolgt gilt, wenn seit dem Aushang - an der Gerichtstafel - zwei Wochen vergangen sind, während dies gem. § 188 ZPO erst nach einem Monat der Fall wäre.

Seit der Gesetzesänderung erscheinen die Vorschriften über die öffentliche Zustellung nach der StPO und der ZPO nicht mehr hinreichend aufeinander abgestimmt und lassen zumindest für das Strafvollstreckungsverfahren die erforderliche Klarheit vermissen.

Den genannten Vorschriften vermag der Senat jedenfalls nicht eindeutig zu entnehmen, welches Gericht im Strafverfahren und insbesondere im Strafvollstreckungsverfahren mit "Prozessgericht" gemeint ist und dass der Aushang immer an der Gerichtstafel desjenigen Gerichts zu erfolgen hat, das auch für die Anordnung und die Bewilligung der öffentlichen Zustellung zuständig ist. Dies jedenfalls wäre eine eindeutige und auch praktikable Regelung.

Dass dies möglicherweise im Hinblick darauf, dass die Reform des Verfahrens über die öffentliche Zustellung eine deutliche Vereinfachung herbeiführen sollte, so beabsichtigt gewesen sein könnte, kann auch der Begründung des Gesetzentwurfs entnommen werden. Insbesondere ist es nur dann sinnvoll, statt der zuzustellenden Entscheidung nur eine Benachrichtigung anzuheften, wenn die Möglichkeit der Einsicht in die Entscheidung selbst und deren Begründung dort gegeben ist, wo auch der Aushang an der Gerichtstafel erfolgt (vgl. zu allem auch BT-Drucks. 15/3482 S. 20, 21).

Es wäre aber Sache des Gesetzgebers, hier eine unmissverständliche Klarstellung herbeizuführen.

Eine dauerhafte Lösung kann es sicherlich nicht sein, dass inzwischen im Hinblick auf die nicht einheitliche Rechtsprechung und die unklare Gesetzeslage einige Strafvollstreckungskammern die öffentliche Zustellung dadurch bewirken, dass sie einen Aushang sowohl bei dem erstinstanzlichen Gericht des Erkenntnisverfahrens als auch bei dem Gericht der Strafvollstreckungskammer selbst vornehmen (vgl. Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 20. Dezember 2005 in 1 Ws 521, 524 u. 525/05).

Ende der Entscheidung

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