Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.08.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 164/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 44
StPO § 45
Ein mit einer Rechtsmittelschrift angegangenes Gericht ist im Fall der Unzuständigkeit dieses Gerichts aufgrund seiner prozessualen Fürsorgepflicht jedenfalls dann zum Ergreifen außerordentlicher Maßnahmen, wie z.B. der Übermittlung einer Rechtsmittelschrift per Telefax an das zuständige Gericht, verpflichtet, wenn sich der Eingabe neben dem korrekten Adressaten sogleich entnehmen lässt, dass der Ablauf der Rechtsmittelfrist unmittelbar bevorsteht und anderenfalls deren Versäumung droht.
Beschluss

Strafsache

wegen Körperverletzung u.a.

(hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Verwerfung des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens)

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 05. Mai 2003 gegen den Beschluss der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 14. April 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 08. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Dem Beschwerdeführer wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt.

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer ist durch das seit dem 24. April 2002 rechtskräftige Urteil des Landgerichts Bochum vom 26. November 2001 wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Sein undatierter, am 11. Dezember 2002 bei den Justizbehörden Bochum eingegangener Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist durch Beschluss der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 14. April 2003 als unzulässig verworfen worden. Gegen diese ihm am 02. Mai 2003 mit Rechtsmittelbelehrung zugestellte Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner an das Landgericht Hagen gerichteten, jedoch in einem an das Amtsgericht Dortmund adressierten Umschlag versandten sofortigen Beschwerde vom 05. Mai 2003, die am 08. Mai 2003 beim Amtsgericht Dortmund und am 15. Mai 2003 beim Landgericht Hagen eingegangen ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

II.

1. Die gemäß § 372 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig.

Zwar ist sie nicht rechtzeitig eingelegt worden. Nach den §§ 372 S. 1, 311 Abs. 2, 306 Abs. 1, 43 StPO hätte sie binnen einer Woche ab Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 02. Mai 2003, also bis zum 09. Mai 2003 beim Landgericht Hagen eingehen müssen. Dort ist sie dagegen erst am 15. Mai 2003 und damit verspätet eingegangen. Durch den Eingang des Rechtsmittels beim unzuständigen Amtsgericht Dortmund am 08. Mai 2003 ist die Frist nicht gewahrt worden.

Gegen diese Fristversäumung ist dem Beschwerdeführer aber von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er ohne Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert war.

Er hat sein an das Landgericht Hagen gerichtetes Beschwerdeschreiben zwar in einem Umschlag versandt, den er an das unzuständige Amtsgericht Dortmund adressiert hatte. Die Einreichung einer Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht ist in der Regel verschuldet, weil jeder nach entsprechender Belehrung für die zutreffende Angabe des Empfängers zu sorgen und für die Konsequenzen der Anbringung seiner Briefe bei der falschen Stelle einzustehen hat (zu vgl. OLG Düsseldorf JMBl. NW 97, 271; OLG Naumburg NStZ-RR 2001, 272, 273, jeweils m.w.N.).

In diesen Fällen kommt aber nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 44 S. 1, 45 Abs. 2 S. 3 StPO zumindest dann in Betracht, wenn die Schrift bei der unzuständigen Stelle so rechtzeitig eingeht, dass sie bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang noch rechtzeitig an das zuständige Gericht hätte weitergeleitet werden können (zu vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Naumburg, a.a.O.; OLG Hamm NJW 97, 2829, 2830, jeweils m.w.N.). Unterlässt die unzuständige Behörde die Weiterleitung der Beschwerdeschrift, obwohl das zuständige Gericht ohne weiteres erkennbar ist und obwohl der rechtzeitige Eingang bei diesem möglich wäre, so trifft den Rechtsmittelführer an der Fristversäumung kein Verschulden (zu vgl. OLG Naumburg, a.a.O., m.w.N.). Da die Beschwerdeschrift hier erst am 08. Mai 2003 und damit am vorletzten Tag der Beschwerdefrist beim Amtsgericht Dortmund eingegangen ist, konnte sie jedoch im ordentlichen Geschäftsgang nicht mehr rechtzeitig dem nach § 306 Abs. 1 StPO zuständigen Landgericht Hagen übermittelt werden. Sie hätte indes nach ihrem Eingang beim Amtsgericht Dortmund noch fristgerecht per Telefax an das Landgericht Hagen weitergeleitet werden können. Die Übermittlung des Inhalts eines Schriftstücks per Telefax durch das Gericht stellt hingegen eine außerordentliche Maßnahme dar, die über den Rahmen des ordentlichen gerichtlichen Geschäftsganges hinausgeht. Denn diese Maßnahme wird von den Gerichten nur ergriffen, wenn eine rechtzeitige Bearbeitung oder Erledigung einer dringlichen Angelegenheit auf dem Wege des üblichen Schriftverkehrs durch Übersendung durch die Post nicht möglich ist (zu vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Ob ein angegangenes unzuständiges Gericht generell verpflichtet ist, derartige außerordentliche Maßnahmen durchzuführen, um den rechtzeitigen Eingang einer Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten, ist umstritten (verneinend OLG Naumburg, a.a.O.; OLG Düsseldorf NStZ 84, 184; OLG Hamm, a.a.O.), kann aber vorliegend dahinstehen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, an der dieser festhält, ist das angegangene unzuständige Gericht aufgrund seiner prozessualen Fürsorgepflicht jedenfalls dann zum Ergreifen außerordentlicher Maßnahmen wie der Übermittlung einer Rechtsmittelschrift per Telefax an das zuständige Gericht verpflichtet, wenn sich der Eingabe neben dem korrekten Adressaten sogleich entnehmen lässt, dass der Ablauf der Rechtsmittelfrist unmittelbar bevorsteht und anderenfalls deren Versäumung droht. Dies war aus der Beschwerdeschrift für das Amtsgericht Dortmund auf den ersten Blick erkennbar. Denn diese enthielt gleich auf ihrer ersten Seite sowohl die Bezeichnung der Eingabe als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Hagen vom 14. April 2003 als auch die Angabe, dass jener am 02. Mai 2003 zugestellt worden war ("...traf der Terrorbeschluß des LG Hagen am 02. Mai 2003 ein."). Das Amtsgericht Dortmund hätte aus diesen Informationen ersehen müssen, dass die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde bereits am Folgetag ablief, und die Beschwerdeschrift daher umgehend per Telefax an das zuständige Landgericht Hagen weiterleiten müssen. Das Unterlassen dieser Maßnahme stellt ein amtliches Verschulden dar, das den verspäteten Eingang der Beschwerdeschrift bei dem Landgericht Hagen verursacht hat und daher ungeachtet des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers bei der Einreichung der sofortigen Beschwerde eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 44 StPO rechtfertigt.

2. Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die 6. große Strafkammer des Landgerichts Hagen hat das Wiederaufnahmegesuch des Beschwerdeführers zu Recht gemäß § 368 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, da es nicht in der vorgeschriebenen Form angebracht worden ist. Nach § 366 Abs. 2 StPO kann ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nur mittels einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht werden. Diesen Anforderungen genügt die vom Beschwerdeführer selbst handschriftlich verfasste und unterschriebene Eingabe dagegen nicht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 7 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück