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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.08.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 200/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 147
StPO § 305
1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine nach Eröffnung des Hauptverfahrens ergangene das Akteneinsichtsrecht betreffende Entscheidung des Vorsitzenden.

2. Bei den Mitschriften der Berufsrichter aus einer ausgesetzten Hauptverhandlung handelt es sich nicht um Aktenbestandteile, auch wenn sie später erkennenden Berufsrichtern zur Verfügung gestellt worden sind.


Beschluss

Strafsache

gegen K. u.a.

wegen räuberischer Erpressung

hier: Akteneinsicht durch den Verteidiger

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 9. Juli 2004 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom selben Tage hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 08. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen.

Gründe:

Gegen den Beschwerdeführer K. und den Mitangeklagten Ka. wurde aufgrund der Anklage der Staatsanwaltschaft Hagen vom 30. Juni 2003 bereits in der sodann ausgesetzten Hauptverhandlung am 20. und 21. Oktober 2003 verhandelt. Als Berufsrichter waren die Stellvertretende Vorsitzende der Strafkammer sowie eine weitere Richterin tätig. Seit dem 24. Juni 2004 findet nunmehr erneut die Hauptverhandlung statt. Den Vorsitz führt der ordentliche Vorsitzende der Strafkammer, weiterer Beisitzer ist ein im Oktober 2003 in dieser Sache noch nicht tätiger Richter.

Im Hauptverhandlungstermin vom 6. Juli 2004, dem 4. Tag der Hauptverhandlung, beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers, ihm die über den Gang der letzten Hauptverhandlung im Oktober 2003 erstellten Mitschriften der damals beteiligten Berufsrichterinnen zur Verfügung zu stellen, da diese seiner Meinung nach Aktenbestandteil geworden sein sollen, "zumal sie bereits jetzt Grundlage von richterlichen Vorhalten geworden sein könnten".

Am darauffolgenden Hauptverhandlungstag wurde sodann die ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden auf Überlassung der Mitschriften der damaligen Berufsrichterinnen, welches als Gesuch auf Akteneinsicht zu verstehen sei, verkündet. Seine Entscheidung hat der Strafkammervorsitzende damit begründet, dass die an der Hauptverhandlung im Oktober beteiligten Berufungsrichterinnen sich bezüglich der in der damaligen Hauptverhandlung abgegebenen Einlassungen der Angeklagten und der Aussage eines Zeugen Notizen gemacht hätten, die sie den jetzt in der Hauptverhandlung beteiligten Berufsrichtern überlassen hätten. Diese Notizen, die weder in eine dienstliche Erklärung noch in einen Aktenvermerk gefasst worden seien, seien nicht Bestandteil der Akten geworden. Sie hätten auch sonst nicht eine Bedeutung erlangt, die sie zum Gegenstand eines Akteneinsichtsrechtes werden ließen. Sie dienten als Mitschriften den Mitgliedern der damals erkennenden Kammer lediglich als Hilfe zur Vorbereitung der zu treffenden Entscheidung.

Demgegenüber vertritt der Angeklagte in seiner am selben Tage eingelegten Beschwerde die Auffassung, die Mitschriften seien Aktenbestandteil. Sie unterlägen daher dem Einsichtnahmerecht durch den Verteidiger. Der Vorsitzende und der Beisitzer hätten nämlich die maschinenschriftliche Mitschrift der "Vorderrichterinnen" als Grundlage von Vorhalten und Rückfragen mehrfach in der Hand gehabt, als sie Zeugen und den Beschwerdeführer befragten.

In seiner Nichtabhilfeentscheidung hat der Strafkammervorsitzende sodann ausgeführt, es treffe zwar zu, dass im Rahmen der Einlassung des Angeklagten und der Aussage des Zeugen die besagten Notizen punktuell zur Hand genommen worden seien. Dies habe den jetzigen Berufsrichtern bisher jedoch lediglich zu einem Vergleich der damaligen und der jetzigen Angaben gedient, ohne das Ergebnis in die Hauptverhandlung einzuführen. Im Übrigen sei ein solcher Vergleich dem Verteidiger des Beschwerdeführers aufgrund seiner eigenen Notizen aus der damaligen Hauptverhandlung ebenfalls möglich. Grundlage eines Vorhaltes an den Beschwerdeführer und/oder an Zeugen seien die Notizen noch nicht geworden. Hierzu bedürfe es der Einführung der damaligen Einlassung des Angeklagten und Aussage des Zeugen in die jetzige Hauptverhandlung z.B. durch die Vernehmung der damals beteiligten Berufsrichterinnen als Zeugen.

Die Beschwerde ist unzulässig.

Ihrer Zulässigkeit steht nämlich § 305 S. 1 StPO entgegen (vgl. OLG Koblenz StV 2003, 608 unter Bezugnahme auf OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 374 und NStZ-RR 2003, 177).

Die Akteneinsicht gewährleistet den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren und soll - auch durch den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO gestützt - eine effektive Verteidigung ermöglichen. Jede dieses Recht tangierende Entscheidung des Vorsitzenden oder eines Kollegialgerichts nach der Eröffnung des Hauptverfahrens oder gar in laufender Hauptverhandlung steht somit in engem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung und kann geeignet sein, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei den hier in Frage stehenden Schriftstücken überhaupt um Aktenbestandteile handelt oder nicht.

Demgemäß war die Beschwerde mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge als unzulässig zu verwerfen.

Wollte man mit der Gegenmeinung (vgl. KK-Laufhütte, StPO, 5. Aufl., § 147 Rdnr. 27; SK-Wohlers, StPO, § 147 Rdnr. 115) die Beschwerde für zulässig erachten, wäre sie gleichwohl nicht begründet.

Bei den Mitschriften der Berufsrichterinnen aus der Hauptverhandlung im Oktober handelt es sich nämlich nicht um Aktenbestandteile, auch wenn sie den jetzt erkennenden Berufsrichtern zur Verfügung gestellt worden sind. Es handelt sich dabei um Arbeitsnotizen der Richter, wie sie beispielsweise auch in den sogenannten Senatsheften des Revisionsgerichts enthalten sein können und damit nicht der Akteneinsicht als Aktenbestandteil unterliegen. Die Schriftstücke wären auch nicht anders zu behandeln als die ebenfalls nicht der Akteneinsicht unterliegenden Handakten der Staatsanwaltschaft (vgl. KK-Laufhütte, a.a.O., Rdnr. 7; SK-Wohlers, a.a.O., Rdnr. 32 ff.; Fetzer in StV 1991, 142, jeweils m.w.N.). Nach dem bislang zugrunde zu legenden Sachverhalt ist der Wortlaut und der Inhalt der Mitschriften auch nicht Gegenstand der Hauptverhandlung geworden und in diese eingeführt worden.

Ob etwas anderes dann gelten könnte, wenn dies der Fall wäre und die Mitschriften im Hinblick auf ein faires Verfahren zu den Akten zu nehmen und dann deren Bestandteil wären, braucht daher nicht entschieden zu werden. Zur Einführung der früheren Angaben von Angeklagten und Zeugen in die Hauptverhandlung dürfte es vielmehr allein auf die Angaben der als Zeugen zu vernehmenden Berufsrichterinnen der ersten Hauptverhandlung ankommen.

Ende der Entscheidung

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