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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.01.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 30/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
StPO § 143
Neben der gesetzlich in § 143 StPO geregelten Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung im Falle der Meldung eines Wahlverteidigers ist eine Entpflichtung eines Pflichtverteidigers nur dann zulässig, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden.
Beschluss

Strafsache

gegen M.M.

wegen versuchter schwerer Brandstiftung (hier: Beschwerde der Beschuldigten gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers).

Auf die Beschwerde der Beschuldigten vom 03. Januar 2006 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der großen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 21. Dezember 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26. 01. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschuldigten verworfen..

Gründe:

I.

Gegen die Beschuldigte, die gem. § 126 a StPO einstweilig untergebracht ist, ist beim Landgericht Bochum ein Sicherungsverfahren anhängig. Die Staatsanwaltschaft hat mit der Antragsschrift vom 17. November 2005 die Unterbringung der Beschuldigten beantragt. Diese wird einer im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen versuchten schweren Brandstiftung beschuldigt.

Der Beschuldigten ist auf deren Antrag und nach Anhörung im Sicherungsverfahren Rechtsanwalt A., der zunächst Wahlverteidiger der Beschuldigten war, als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dieser ist im Übrigen auch in verschiedenen anderen Verfahren, die im zivilrechtlichen Bereich anhängig sind, Verfahrenspfleger der Beschuldigten. Am 27. Oktober 2005 meldete sich für die Beschuldigte Rechtsanwältin N. als Wahlverteidigerin. Diese beantragte für die Beschuldigte die Entpflichtung von Rechtsanwalt A. und ihre Bestellung als Pflichtverteidigerin. Begründet wurde der Entpflichtungsantrag damit, dass das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt A. gestört sei. Dieser habe sich um die Beschuldigte nicht gekümmert. Die Beschuldigte fühle sich durch ihn "förmlich im Stich gelassen.". Dem ist Rechtsanwalt A. entgegengetreten und hat im Einzelnen dargelegt, wann er mit der Beschuldigten gesprochen und diese - gemeinsam mit der Betreuerin - besucht hat.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat durch den angefochtenen Beschluss die Entpflichtung von Rechtsanwalt A. abgelehnt. Dagegen richtet sich das Rechtsmittel der Beschuldigten, dem der Vorsitzende nicht abgeholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel der Beschuldigten ist zulässig (vgl. OLG Düsseldorf StV 1999, 586; OLG Frankfurt StV 1997, 575; 2001., 610). Es hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Vorsitzende der Strafkammer hat den Entpflichtungsantrag der Beschuldigten zu Recht zurückgewiesen.

Das OLG Hamm, insbesondere auch der erkennende Senat, haben in der Vergangenheit schon häufiger zu der Frage der Entpflichtung des Pflichtverteidigers Stellung genommen (vgl. u.a. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 13. Oktober 2000 in 2 Ws 267/00; vom 13. März 2000 in 2 Ws 69/00, vom 21. Juni 1999 in 2 Ws 187/99; Beschluss des 1. Strafsenats vom 24. November 2005 in 1 Ws 484/05 und Beschluss des (früheren) 5. Strafsenats vom 5. Juni 2001 in 5 Ws 236/01, alle www.burhoff.de). Die nach dieser ständigen Rechtsprechung des OLG Hamm, die der der übrigen Oberlandesgerichte entspricht (vgl. dAzu die Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003, Rn. 1249 ff.), erforderlichen Voraussetzungen für die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers unter Beiordnung einer neuen Pflichtverteidigerin liegen nicht vor. Neben der gesetzlich in § 143 StPO geregelten Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung im Falle der Meldung eines Wahlverteidigers ist eine Entpflichtung eines Pflichtverteidigers nach ständiger Rechtsprechung nämlich nur dann zulässig, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 143 Rdnr. 3; vgl. auch BVerfG NJW 2001, 3695). Dabei gilt auch insoweit, dass dem Beschuldigten grundsätzlich der Rechtsanwalts seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist (BVerfG, a.a.O.). Allerdings ist im Entpflichtungsverfahren der Maßstab für die zur Begründung des Entpflichtungsantrags vorgetragenen Gründe enger als bei der Auswahl des Pflichtverteidigers (BVerfG, a.a.O.), wenn der Beschuldigte zur Auswahl seines Pflichtverteidigers gehört worden ist. Dann kann nämlich davon ausgegangen werden, dass ihm der Anwalt seines Vertrauens beigeordnet worden ist. Deshalb kommt es auf den bloßen Entpflichtungswunsch des Beschuldigten in der Regel nicht an. Dieser hat vielmehr substantiiert und konkret darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ein wichtiger Grund für die Entpflichtung tatsächlich vorliegt. Vorgetragen werden müssen konkrete Gründe von Gewicht, die auch vom Standpunkt eines verständigen Beschuldigten aus die Möglichkeit der Erschütterung des zunächst bestehenden Vertrauensverhältnisses nachvollziehbar erscheinen lassen (OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2005, 1 Ws 484/05 unter Hinweis auf OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207 mit weiteren Nachweisen).

Diesen Anforderungen wird das Entpflichtungsbegehren der Beschuldigten nicht gerecht.

In dem Zusammenhang ist zunächst anzumerken, dass weder ein Beschuldigter noch ein Rechtsanwalt die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger dadurch erreichen können, dass zunächst durch die Übernahme des Wahlmandats die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers gem. § 143 StPO bewirkt wird, um sodann unter Niederlegung des Wahlmandats den Antrag zu stellen, selbst zum Pflichtverteidiger bestellt zu werden (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O., § 143 Rn. 2 mit weiteren Nachweisen). Der Senat kann sich vorliegend des Eindrucks nicht erwehren, dass die Beschuldigte und die neue Wahlverteidigerin dieses anstreben. Denn die neue Wahlverteidigerin hat bereits bei der Meldung zur Akte unter Berufung auf das angezeigte Wahlmandat den Antrag auf Entpflichtung von Rechtsanwalt A. und den Antrag auf ihre Beiordnung gestellt. Das dürfte dafür zu sprechen, dass die Übernahme des Wahlmandats nur dem Zweck dient, den bisherigen Pflichtverteidiger zu verdrängen.

Letztlich kann die Frage aber dahinstehen, da die Beschuldigte ausreichende Gründe für eine Entpflichtung von Rechtsanwalt A. nicht dargetan hat. Der aufgrund ihres Vortrags einzig in Betracht kommende Entpflichtungsgrund des gestörten Vertrauensverhältnisses ist nur dann anzunehmen, wenn konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ergibt, aufgrund dessen zu besorgen ist, dass die Pflichtverteidigung nicht (mehr) sachgerecht durchgeführt werden kann (vgl. auch noch BGH StV 1997, 565; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.). Letztlich hat die Beschuldigte vorliegend nur pauschale Vorwürfe dahin erhoben, Rechtsanwalt A. habe sich nicht um sie gekümmert und ihre Interessen nicht so wahrgenommen, wie sie sich das offenbar vorgestellt hat, so dass sie "sich förmlich im Stich gelassen" fühlt. Darin ist schon nicht erkennbar, inwieweit Rechtsanwalt A. die Verteidigung falsch oder gegen die ausdrücklichen Wünsche geführt haben soll. Im Übrigen hat Rechtsanwalt A., der, was nach der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O.) von Bedeutung ist, auf Wunsch der Beschuldigten zu deren Pflichtverteidiger bestellt worden ist, die Beschuldigte auch in der Unterbringung besucht und zudem in seiner Eigenschaft als Pflichtverteidiger sogar auch an dem Termin zur Verkündung des Unterbringungsbefehls teilgenommen. Damit ist der Pflichtverteidiger in einem für die Durchführung einer pflicht- und sachgemäßen Verteidigung - angepasst an den jeweiligen Verfahrensstand erforderlichen Umfang - tätig geworden. Auch die übrigen Vorwürfe - mangelnde Information, Gespräche mit den behandelnden Ärzten - sind nicht nur nicht konkret, sondern auch in der Sache nicht geeignet, die Störung des Vertrauensverhältnisses zu begründen. Ohne Gespräche mit den behandelnden Ärzten ist eine sachgerechte Verteidigung der Beschuldigten überhaupt nicht möglich. Alles in allem scheint letztlich die Beschuldigte offenbar der von dritter Seite hervorgerufenen, aber nicht näher begründeten Erwartung zu sein, ihre nunmehrige Wahlverteidigerin sei für ihre Verteidigung besser geeignet und ist deshalb, ohne dies konkret darlegen zu können, mit ihrem Pflichtverteidiger "nicht zufrieden". Das rechtfertigt aber weder die Annahme einer Pflichtverletzung durch den bisherigen Pflichtverteidiger noch ein zu diesem gestörtes Vertrauensverhältnis, da diese Erwartung aus der Sicht eines vernünftigen und verständigen Angeklagten (vgl. OLG Hamm MDR 1967, 856) kein wichtiger Grund ist, die Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers aufzuheben und stattdessen die derzeitige Wahlverteidigerin als Pflichtverteidigerin zu bestellen. Unter diesen Umständen ist das übereinstimmende Begehren von Wahlverteidigerin und Beschuldigter, das auf die bloße Behauptung eines gestörten Vertrauensverhältnisses gestützt ist, ohne ein solches indes nachvollziehbar zu belegen, zu Recht zurückgewiesen worden.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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