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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 304/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 454
Der Verurteilte ist in der Regel bei den nach §§ 454 i.V.m. § 463 Abs. 3 StPO zu treffenden Entscheidungen persönlich durch die Strafvollstreckungskammer zu hören. Die Strafvollstreckungskammer muss daher sorgfältig prüfen, ob der Verurteilte ggf. tatsächlich nicht bereit ist, an der mündlichen Anhörung teilzunehmen.
2 Ws 304/05 2 Ws 305/05

Strafsache

gegen K.I.

wegen Vergewaltigung u.a., (hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Anordnung von Führungsaufsicht und Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 12. Oktober 2005 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen vom 29. September 2005 sowie auf den Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 12. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Hagen vom 29. September 2005 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer, die auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat, zurückverwiesen.

Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Strafvollstreckungskammer hat durch den angefochtenen Beschluss festgestellt, dass nach inzwischen vollständiger Vollstreckung der gegen den Verurteilten vom Landgericht Krefeld am 5. Dezember 1986 u.a. wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung verhängten Freiheitsstrafe in Höhe von fünf Jahren Führungsaufsicht gemäß § 68 f StGB für die Dauer von vier Jahren eintritt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten, die er näher begründet hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.

II.

Die gem. §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 3 StPO i.V.m. § 68 f StGB statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und hat entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag wie folgt begründet:

"1.

Die Strafvollstreckungskammer hat den Grundsatz der mündlichen Anhörung nicht ausreichend gewahrt. Der Verurteilte ist in der Regel bei den nach §§ 454 i.V.m. § 463 Abs. 3 StPO zu treffenden Entscheidungen persönlich durch die Strafvollstreckungskammer zu hören, von der persönlichen Anhörung kann ausnahmsweise vertretbar nur dann abgesehen werden, wenn der persönliche Eindruck angesichts der Bedeutung der Sache und der Schwierigkeit der konkret zu treffenden Entscheidung nicht von entscheidender Bedeutung ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19.06.2001 - 1 Ws 107/01 -). Eine lediglich schriftliche Anhörung genügt nicht und von einer mündlichen Anhörung darf nur im Falle eines von Amts wegen zu prüfenden unzweifelhaft feststehenden Verzichts abgesehen werden (zu vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 68 f Rdnr. 9 m.w.N.). Für den Fall einer Entscheidung der Strafvollstreckungskammer gem. § 57 StGB im Verfahren nach § 454 Abs. 1 S. 3 StPO hat der Senat in der Vergangenheit entschieden, dass eine Nachholung der mündlichen Anhörung selbst dann geboten ist, wenn der Verurteilte zunächst wirksam auf die mündliche Anhörung verzichtet hat und sich aus seiner Beschwerde ableiten lässt, dass er neben der Auseinandersetzung mit der Sachentscheidung auch vorträgt, dass er nunmehr bereit ist, sich anhören zu lassen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 16.12.1999 - 2 Ws 52/99 -).

Die Strafvollstreckungskammer hat verabsäumt mit der gebotenen Intensität nachzuprüfen, ob der Verurteilte tatsächlich nicht bereit ist, an der mündlichen Anhörung teilzunehmen. Der Verurteilte hat allein für die Frage der Anordnung der Führungsaufsicht einen Verteidiger beauftragt und über diese Verteidiger ein handschriftliches vierseitiges Schreiben vorgelegt, das eine Stellungnahme zu dem Antrag der Staatsanwaltschaft Krefeld und der eingeholten Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Schwerte beinhaltet. Der Akte kann nicht entnommen werden, dass sich der Verurteilte tatsächlich geweigert hat, an dem Anhörungstermin teilzunehmen. Die Justizvollzugsanstalt Schwerte hat um 06.43 Uhr oder 07.42 Uhr ein vorgefertigtes Schreiben mit der Absenderangabe des Verurteilten übersandt, das nicht mit dessen Unterschrift versehen ist, sondern den handschriftlichen Zusatz enthält, nach Belehrung bzw. trotz derselben wurde die Unterschrift verweigert, unleserliche Unterschrift JVHS 29.9.05. Dieses Schreiben stammt erkennbar nicht von dem Verurteilten und ist von Dritten unter seinem Namen vorgefertigt worden. Bei dieser Sachlage hätte die Strafvollstreckungskammer unter Berücksichtigung der Verteidigerbestellung und des erkennbaren Interesses des Verurteilten an der zu treffenden Entscheidung zumindest bei der Justizvollzugsanstalt Schwerte nachfragen müssen, ob und warum der Verurteilte nicht zum Anhörungstermin erscheint. Insoweit trägt der Verurteilte mit seiner Beschwerdebegründung nunmehr vor, dass er nach vorheriger Auseinandersetzung mit den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Schwerte, die ihm ein selbständiges Erscheinen zum Anhörungstermin verwehrt haben sollen, zumindest ab 08.00 Uhr bereit war, sich nach Hagen fahren zu lassen und der Transport daran gescheitert sein soll, dass kein Fahrzeug zur Verfügung gestanden habe. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

Die unterbliebene mündliche Anhörung durch den erkennenden Richter gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO kann von dem Beschwerdegericht nicht nachgeholt oder ersetzt werden und zwingt daher zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 309 Rdnr. 8 m.w.N.).

In der Sache ist darauf hinzuweisen, dass der Verurteilte entgegen den Feststellungen des Beschlusses nicht seit dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung im November 1996 sich der Strafvollstreckung entzogen hat, sondern der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung erst mit seit dem 04.02.2000 rechtskräftigen Beschluss des Landgerichts Hagen vom 23.11.1999 (Bl. 302 d.A.) erfolgt ist und der Vollstreckungshaftbefehl vom 20.07.2000 (Bl. 319 d.A.) datiert."

Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat bei und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung. Ein Grund, von der gesetzlich vorgeschriebenen mündlichen Anhörung abzusehen, liegt nicht vor. Damit war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer, die auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat, zurückzuverweisen.

III.

Die von dem Verurteilten beantragte Beiordnung eines Pflichtverteidigers war indes als unbegründet abzulehnen.

Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 28. November 2005 ebenfalls zutreffend dargelegt hat, ist Voraussetzung für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren, dass in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zum einen ist die Sach- und Rechtslage nicht schwierig i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO einzuordnen und zum anderen dokumentiert der Verurteilte durch seine Stellungnahmen und Rechtsmittel, dass er in der Lage ist, seine Rechte selbst wahrzunehmen.

Bei der Entscheidung über die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers handelt es sich nicht um eine Entscheidung des Senats, sondern um eine solche des Vorsitzenden gemäß § 141 Abs. 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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