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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.10.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 314/08
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 f
Zum Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung lange Zeit nach Ablauf der Bewährungszeit.
Beschluss

Strafvollstreckungssache

gegen pp.

wegen Diebstahls u.a., (hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 29. Juli 2008 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 08. Juli 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 10. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer ist durch - sogleich rechtskräftiges - Urteil des Amtsgerichts Husum vom 08. September 2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 08. Juli 2008 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum die Bewährung widerrufen.

Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Verurteilten.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, kann in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.

Die für die Entscheidung zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum hat die Strafaussetzung zur Bewährung zu Recht widerrufen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 08. Oktober 2008 u.a. Folgendes ausgeführt:

"Gegen den Widerruf spricht auch nicht, dass zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung die Bewährungszeit bereits abgelaufen war. Zulässig ist der Widerruf - wenn auch nicht zeitlich unbegrenzt - grundsätzlich auch nach dem Ablauf der Bewährungszeit. Eine bestimmte Frist, innerhalb derer die Widerrufsentscheidung ergehen muss und nach deren Ablauf der Widerruf unzulässig wäre, gibt es nicht. Insbesondere gilt die Frist des § 56 g Abs. 2 S. 2 StGB insoweit nicht (zu vgl. Senatsbeschluss vom 07.05.1998, NStZ 1998, 478 f). Auch wenn umstritten ist, welcher Zeitablauf zwischen Bewährungsende und Widerruf noch hinnehmbar ist, besteht aber Einigkeit darüber, dass im Einzelfall maßgeblich ist, ob der Verurteilte noch mit einer gerichtlichen Reaktion auf ein bestimmtes Bewährungsversagen rechnen musste oder angesichts des Verfahrens und des Zeitablaufs darauf vertrauen durfte, dass dieses nicht mehr zum Anlass eines Aussetzungswiderrufs genommen werde (st. Rspr. zu vgl. Senatsbeschluss vom 22.01.2007, 2 Ws 7/07 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist die Bewährungszeit seit dem 07.09.2006 abgelaufen. Die Bewährungszeit hat sich nicht dadurch verlängert, dass sich der Verurteilte zwischenzeitlich in Strafhaft befunden hat (zu vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 56 a Rdnr. 2). Der Verurteilte hat während der Bewährungszeit neue Straftaten begangen, die Eingang in das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 31.08.2007 - 40 Ds 7 Js 233/06 (531/06) - gefunden haben (Bl. 21 ff VH), womit er die der Strafaussetzung zugrundeliegende Erwartung zweifellos nicht erfüllt hat. Die der Anklage vom 23.08.2007 zugrunde liegenden weiteren Straftaten (7 Js 89/07 StA Essen) datierten dagegen vom 13.12.2006 bis zum 01 .06.2007 (Bl. 31 ff VH) - mithin nach Ablauf der Bewährungszeit. Sie sind somit nicht als Anlasstaten gem. § 56 f StGB zu berücksichtigen (Fischer, a.a.O., § 56 f Rdnr. 3 m.w.N.).

Auch wenn im vorliegenden Fall zwischen Ablauf der Bewährungszeit und Entscheidung über den Widerruf fast zwei Jahre, zwischen der Rechtskraft der neuen Verurteilung und dem Widerruf zehn Monate liegen, ist die Entscheidung nicht ungebührlich hinausgezögert worden. Dass zunächst das AG Essen und sodann die Strafvollstreckungskammer den Ausgang der verschiedenen Strafverfahren gegen den Verurteilten abgewartet haben, ist nicht zu beanstanden. Der Verurteilte ist auch mit Vfg. vom 18.10.2007 (Bl. 60 Bew.H.) über die Übernahme der Bewährungsaufsicht durch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum benachrichtigt und mit Schreiben der Strafvollstreckungskammer vom 07.01.2008 (Bl. 66 Bew.H., Leseabschrift Bl. 67 f Bew.H.) angehört worden. Nach diesen Mitteilungen konnte der Verurteilte nicht mehr davon ausgehen, dass die Strafe erlassen werden würde. Vielmehr musste er wegen seines bewährungsbrüchigen Verhaltens mit einem Widerruf der Strafaussetzung oder einer Verlängerung der Bewährungszeit rechnen.

Auch der Umstand, dass die Anlasstaten, die zu einem Widerruf der Strafaussetzung berechtigen - nämlich allein die Taten aus dem Urteil des AG Essen vom 31.08.2007 - 40 Ds 7 Js 233/06 (531/06) - zu einer erneuten bewährungsfähigen Strafe geführt haben, rechtfertigt keine andere Sichtweise. Der Verurteilte ist insoweit zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden (Bl. 21 ff VH). Nach allgemeiner Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur ist es zwar in der Regel geboten, dass das über einen Bewährungswiderruf entscheidende Gericht sich der sachnäheren Prognose des eine neue Tat aburteilenden Richters anschließt. Dieser hat in der Hauptverhandlung einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten gewinnen können, dem in der Regel bei der Frage, ob eine Strafaussetzung zu widerrufen ist, (mit-) entscheidende Bedeutung zukommt (zu vgl. Senatsbeschluss vom 07.10.2002 - 2 Ws 385/02 - m.w.N.).

Dies ist indes dann nicht der Fall, wenn die Prognose auf einer nicht nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit den Gründen, die zur Strafaussetzung zur Bewährung geführt haben, beruht (Senatsbeschluss a.a.O.; Fischer, a.a.O., § 56 f Rdnr. 8 b). Die Erwägungen, die das AG Essen im Rahmen der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung zu einer positiven Legal- und Sozialprognose herangezogen hat, vermögen auch bei großzügigster Betrachtung eine Strafaussetzung nicht zu rechtfertigen. Sie nennen keine wirklich greifbaren neuen Erkenntnisse, sondern beruhen ausschließlich auf Erklärungen des Verurteilten, nämlich der bloßen Beteuerung künftigen Wohlverhaltens und der Äußerung der Absicht einer zügigen Schadenswiedergutmachung. Es hätte durchaus nahe gelegen, diese Beteuerungen und Absichtserklärungen des Verurteilten kritisch zu würdigen, da er zum einen wiederholt wegen Betrugstaten strafrechtlich in Erscheinung getreten war und zum anderen die Schadenswiedergutmachung in zurückliegenden - wie dem vorliegenden - Verfahren noch nicht ernsthaft betrieben hatte. Bloßen Lippenkenntnissen kommt jedoch weder bei der Strafzumessung noch im Rahmen der Aussetzungsfrage irgendein Gewicht zu.

Darüber hinaus sind auch die Art und Schwere der in der Bewährungszeit begangenen Taten sowie ihre Häufigkeit von Bedeutung. Je schwerer und je häufiger der Proband in der Bewährungszeit versagt hat, desto weniger kann sich ein Vertrauen auf den Bestand der Strafaussetzung bilden (zu vgl. OLG Hamm, NStZ 1984, 362 f; LK-Gribbohm, StGB, 11. Aufl., § 56 f Rdnr. 47). Im vorliegenden Fall ist der Verurteilte während der Bewährungszeit immer wieder - vor allem auch wegen einschlägiger Delikte - straffällig geworden. Eine Abwägung zwischen dem Zeitablauf einerseits und dem Gewicht der neuen Straftaten und der für sie verhängten Strafe andererseits ergibt im vorliegenden Fall, dass der Verurteilte nicht ernsthaft darauf vertrauen durfte, dass kein Widerruf mehr erfolgen würde. Er musste sich nach der Sachlage vielmehr sagen, dass sich lediglich die justizförmige Abwicklung des zu erwartenden Widerrufsverfahrens verzögert hatte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum in den Gründen des angefochtenen Beschlusses auf die Bewährungsauflage aus dem nur zum Teil in das Urteil des AG Husum vom 08.09.2003 einbezogenen Urteils des AG Husum vom 09.01.2003 Bezug genommen hat, da sich aus dem Tenor des angefochtenen Beschlusses eindeutig die zutreffende Verurteilung ergibt, deren Strafaussetzung widerrufen worden ist. Zum anderen ist der Widerruf nicht wegen mangelnden Nachkommens der Zahlungsverpflichtung erfolgt, so dass die Bezugnahme auf diese Bewährungsauflage ins Leere geht."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Der Ablauf der Bewährungszeit stand dem Widerruf nicht entgegen. Aus Gründen des Vertrauensschutzes wird in der Rechtsprechung ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung dann für unzulässig erachtet, wenn seit Rechtskraft der neuen Verurteilung ein erheblicher Zeitablauf (1-2 Jahre) eingetreten ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 254; OLG Köln StV 2001, 412 f.). Ähnliches gilt, wenn die Bewährungszeit seit langem abgelaufen ist (OLG Oldenburg Beschluss vom 02. April 2002 - 1 Ws 120/01, StV 2003, 346). Hier erfolgte der Widerruf ein Jahr und neun Monate nach dem Ende der Bewährungszeit und zehn Monate nach der Rechtskraft der neuen Verurteilung. Ob dies grundsätzlich noch ein im Hinblick auf den Vertrauensschutzgrundsatz hinnehmbarer Zeitraum ist, kann hier dahinstehen. Auf den bloßen langen Zeitablauf seit dem Ende der Bewährungszeit bzw. seit Rechtskraft der neuen Verurteilung kann bezüglich des Vertrauensschutzgrundsatzes nämlich nur dann abgestellt werden, wenn in dieser Zeit oder gar noch vor den genannten Ereignissen keine Umstände eingetreten sind, die dem Verurteilten verdeutlichten, dass er durchaus noch mit Konsequenzen im vorliegenden Fall rechnen musste und so sein etwaiges Vertrauen nicht schutzwürdig erscheinen lassen. Ein schutzwürdiges Vertrauen hätte hier erst entstehen können, wenn das Gericht längere Zeit nach Ablauf der Bewährungszeit untätig geblieben wäre und der Verurteilte deshalb davon ausgehen konnte, an seine neuen, in der Bewährungszeit begangenen Straftaten würden keine Konsequenzen mehr geknüpft. Die Vertrauensbildung ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein sich entwickelnder Prozess, in dessen Verlauf der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten in der Justiz berücksichtigen muss (vgl. KG Berlin NJW 2003, 2468, 2469). Es muss sich insoweit auch deshalb um einen nicht unerheblichen Zeitraum handeln, weil der Verurteilte seinerzeit gemäß § 268 a StPO darüber belehrt worden ist, dass ein Bewährungsverstoß "regelmäßig zum Widerruf der Strafaussetzung" führt. Der Verurteilte kann daher regelmäßig nicht darauf vertrauen, dass seine neue Straftat für ihn ohne Konsequenzen im laufenden Bewährungsverfahren bleibt. Dass ein solcher Vertrauenstatbestand wegen Zeitablaufs vorliegend nicht geschaffen worden ist, hat die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend in ihrer Stellungnahme dargelegt.

Auch der Umstand, dass das Amtsgericht Essen gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung verhängt hat, steht dem Widerruf der Strafaussetzung vorliegend nicht entgegen.

Zwar ist es nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung in der Regel geboten, sich wegen der besseren Erkenntnismöglichkeiten des letzten Tatgerichts dessen sach- und zeitnäherer Prognose anzuschließen (vgl. BVerfG NStZ 1995, 357; OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 28. Februar 2008 - 2 Ws 43/08 - m.w.N.). Dies kann jedoch nur dann der Fall sein, wenn die Prognose auf einer nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit den Gründen, die zur erneuten Strafaussetzung zur Bewährung geführt haben, beruht (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).

Dies ist vorliegend nicht der Fall, wie die Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls zutreffend ausgeführt hat. Der Senat verweist insoweit auch auf seinen Beschluss vom 23. Juni 2008 in 2 Ws 172/08.

III.

Nach alledem war die sofortige Beschwerde mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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