Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.02.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 53/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 143
Weder dem Wahlverteidiger in eben dieser Eigenschaft noch dem - weiteren - Pflichtverteidiger steht ein eigenes Beschwerderecht gegen die Ablehnung der Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung zu. Das gilt auch, wenn der weitere Pflichtverteidiger gegen die Ablehnung der Zurücknahme der Bestellung des ersten Pflichtverteidigers vorgehen will.
2 Ws 53/06 OLG Hamm 2 Ws 54/06 OLG Hamm

Beschluss

Strafsache

gegen B.D.

wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges, Zuhälterei, Körperverletzung, Steuerhinterziehung u.a., (hier: Ablehnung der Aufhebung der Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers)

Auf die Beschwerden

1. des Rechtsanwalts G. in vom 16. Januar 2006 und

2. des Rechtsanwalts L. in vom 18. Januar 2006

gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 12. Januar 2006, durch den die Zurücknahme der Bestellung des Rechtsanwalts H. zum Pflichtverteidiger abgelehnt worden ist, hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 02. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden werden auf Kosten der Beschwerdeführer als unzulässig verworfen.

Gründe:

Auf der Grundlage der umfangreichen Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 15. November 2005 findet seit dem 9. Januar 2006 die Hauptverhandlung gegen B.D. und N.D. vor dem Landgericht Bochum statt. Wegen des Umfangs des Verfahrens, der Haftsituation und der zu erwartenden Dauer der Hauptverhandlung hat der Vorsitzende der zuständigen 12. großen Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Bochum am 24. November 2005 Rechtsanwalt H. aus Bochum zum Pflichtverteidiger des Angeklagten B.D., der zu diesem Zeitpunkt bereits durch Rechtsanwalt G. aus als Wahlverteidiger verteidigt wurde, bestellt, jedoch ohne zuvor den Angeklagten zur Person des zu bestellenden Pflichtverteidigers gehört zu haben.

Auf Vorschlag und auf Wunsch des Angeklagten ist sodann am 6. Dezember 2005 Rechtsanwalt L. aus Krefeld als weiterer Pflichtverteidiger bestellt worden.

Die gegen die Bestellung des Rechtsanwalts H. gerichtete Beschwerde des Angeklagten vom 28. November 2005, die für diesen durch Rechtsanwalt G. eingelegt und später noch ergänzend begründet sowie auch von Rechtsanwalt L. für den Angeklagten nach seiner Beiordnung ergänzend begründet worden ist, ist durch ausführlichen Senatsbeschluss vom 5. Januar 2006 (2 Ws 315/05), auf den Bezug genommen wird, verworfen worden.

Mit Schriftsatz des Pflichtverteidigers L. vom 9. Januar 2006 hat der Angeklagte beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger zurückzunehmen und ihm die Möglichkeit einzuräumen, an dessen Stelle einen zweiten Pflichtverteidiger "seines Vertrauens" zu benennen.

Diesen Antrag auf Zurücknahme der Bestellung von Rechtsanwalt H. hat der Vorsitzende der Strafkammer durch Beschluss vom 12. Januar 2006, der am selben Tag, dem dritten Tag der Hauptverhandlung, verkündet worden ist, zurückgewiesen. Zur Begründung hat er zum einen auf den Senatsbeschluss vom 5. Januar 2006 Bezug genommen und zum anderen dargelegt, dass ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt H. weder hinreichend vorgetragen noch ersichtlich ist, zumal der Angeklagte offenbar von vornherein die Anbahnung eines eventuellen Vertrauensverhältnisses erst gar nicht ermöglichen will.

Hiergegen richtet sich die am 18. Januar 2006 beim Landgericht Bochum eingegangene Beschwerde des Rechtsanwalts G. vom 16. Januar 2006 sowie die am 19. Januar 2006 eingegangene und an diesem Tage als Anlage zum Protokoll genommene Beschwerde des Rechtsanwalts L. vom 18. Januar 2006.

Diesen Beschwerden hat der Vorsitzende der Strafkammer durch Beschluss vom 24. Januar 2006, der im Hauptverhandlungstermin an diesem Tage verkündet worden und als Anlage zum Protokoll genommen worden ist, nicht abgeholfen.

Eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung wäre dem Grunde nach zwar statthaft (vgl. den o.g. Senatsbeschluss vom 5. Januar 2006 m.w.N.), gleichwohl sind die Beschwerden der Rechtsanwälte G. und L. jedoch unzulässig.

Beide Beschwerdeführer haben ihre Beschwerden nämlich offensichtlich im eigenen Namen eingelegt.

Zwar ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Einlegung eines Rechtsmittels nicht im eigenen Namen des Verteidigers erfolgt, sofern nicht gegenteilige Anhaltspunkte bestehen (vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2004 in 2 Ws 302/04).

Aus den Gesamtumständen folgt indes, dass die Beschwerden hier nicht im Namen des Angeklagten eingelegt worden sind.

Dies ergibt sich insbesondere aus folgenden Erwägungen:

Die frühere Beschwerdeeinlegung vom 28. November 2005 durch Rechtsanwalt G. gegen die Bestellung des Rechtsanwalts H. erfolgte ausdrücklich namens und im Auftrag des Angeklagten B.D..

Auch in dem von Rechtsanwalt G. formulierten Antrag vom 11. Januar 2006, mit welchem die Mitglieder der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden sind, ist klargestellt, dass die Ablehnung durch den Angeklagten B. erfolgt.

Demgegenüber formuliert Rechtsanwalt G. in seinem Beschwerdeschriftsatz vom 16. Januar 2006 wie folgt: "lege ich ... Beschwerde ein.".

Gleiches gilt für die Formulierungen des Rechtsanwalts L..

Während er mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2005 gegenüber dem Senat namens und in Vollmacht seines Mandanten zur Frage der Entpflichtung des Rechtsanwalts H. Stellung nimmt und auch im Schriftsatz vom 9. Januar 2006 namens und in Vollmacht des Angeklagten die Abbestellung des Rechtsanwalts H. als Pflichtverteidiger beantragt hat, formuliert er in seinem Beschwerdeschriftsatz vom 18. Januar 2006 ausdrücklich: "lege ich ... Beschwerde ein.".

Ferner ist nach dem Gesamtzusammenhang des Vorbringens der beiden Verteidiger und aufgrund ihres bisher gezeigten Prozessverhaltens der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, auch ein eigenes Interesse daran haben zu können, dass der zur Verfahrenssicherung bestellte Rechtsanwalt H., mit dem sie offenbar jede Zusammenarbeit ablehnen, wieder abberufen wird.

Weder dem Wahlverteidiger in eben dieser Eigenschaft (vgl. OLG Koblenz, StV 1981, 530; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 143 Rdnr. 7), noch dem - weiteren - Pflichtverteidiger steht aber ein eigenes Beschwerderecht gegen die Ablehnung der Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung zu.

Allerdings ist letzterer Fall bislang nur in jener Konstellation entschieden worden, dass sich der Pflichtverteidiger gegen die Ablehnung der Zurücknahme seiner eigenen Bestellung wendet (vgl. OLG Bamberg, MDR 1990, 460; OLG Hamburg, NJW 1998, 621 m.w.N.). Da das Institut der Pflichtverteidigung jedoch dem Zweck dient, im öffentlichen Interesse das justizförmige Verfahren zu sichern (vgl. OLG Bamberg a.a.O.), gilt nichts anderes, wenn der weitere Pflichtverteidiger gegen die Ablehnung der Zurücknahme der Bestellung des ersten Pflichtverteidigers vorgehen will. Die Sachlage ist insoweit mit der im o.g. Senatsbeschluss vom 25. November 2004 entschiedenen Fallgestaltung vergleichbar, als der Pflichtverteidiger im eigenen Namen gegen seine eigene Entpflichtung eine - unzulässige - Beschwerde erhebt.

Demgemäß waren die Beschwerden der Rechtsanwälte G. und L. entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft - als unzulässig zu verwerfen, wobei die Kosten der erfolglosen Rechtsmittel gemäß § 473 Abs. 1 StPO den Beschwerdeführern aufzuerlegen waren.

Auch dem handschriftlichen Schreiben des Angeklagten selbst vom 16. Januar 2006 kann auch unter Beachtung entsprechender Anwendung des § 300 StPO nicht die Einlegung einer Beschwerde gegen den Beschluss des Strafkammervorsitzenden vom 12. Januar 2006 entnommen werden, zumal er in erster Linie sein besonderes Vertrauensverhältnis zu seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt G. hervorhebt, darüber hinaus auf seine Freiheit zur Verteidigerwahl, die ihm aber ohnehin nicht abgeschnitten werden soll, hinweist und schließlich die Erwartung zum Ausdruck bringt, dass ihm eine faire Gerichtsverhandlung zuteil wird, was sich allerdings von selbst versteht.

Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass die Beschwerden der Verteidiger vom 16. bzw. 18. Januar 2006 nicht im eigenen, sondern im Namen des Mandanten erhoben worden sein sollen, und auch das Schreiben des Angeklagten selbst vom 16. Januar 2006 als Beschwerde gegen den Beschluss vom 12. Januar 2006 anzusehen wäre, wäre diesem Rechtsmittel der Erfolg zu versagen.

Insoweit gelten die Gründe des Senatsbeschlusses vom 5. Januar 2006 im Wesentlichen fort. Ebenso kann auf die in jeder Hinsicht zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses vom 12. Januar 2006 Bezug genommen werden.

Es ist zum einen nichts dafür vorgetragen worden, dass Rechtsanwalt H. eine in seiner Person liegende grobe Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre, die zu seiner Entpflichtung führen müsste (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 143 Rdnr. 3).

Der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, müsste ernsthaft gefährdet sein. Allein Differenzen über den Inhalt und den Umfang der Verteidigung reichen dabei grundsätzlich nicht aus, einen Wechsel des Pflichtverteidigers bzw. seine Abberufung vorzunehmen. Dies folgt aus der rechtlichen Selbstständigkeit des Verteidigers. Er ist Verteidiger, nicht Vertreter des Beschuldigten (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2006 in 2 Ws 296/05).

Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass Rechtsanwalt H. die Verteidigung unsachgemäß und nicht entsprechend dem Akteninhalt und dem weiteren Verfahrensverlauf durchgeführt hat oder durchzuführen beabsichtigt.

Zutreffend ist im angefochtenen Beschluss auch bereits darauf hingewiesen worden, dass nicht hinreichend dargelegt worden ist, das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt H. sei grundlegend gestört. Die Abberufung eines Pflichtverteidigers kann nicht schon dann in Betracht kommen, wenn der Angeklagte dies wünscht. Anderenfalls hätte er es in der Hand, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis zu seinem (Pflicht-)Verteidiger einen Verteidigerwechsel herbeizuführen, möglicherweise sogar um verfahrensfremde Zwecke zu verfolgen (vgl. den o.g. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2006; ferner Senatsbeschluss vom 26. Januar 2006 in 2 Ws 30/06).

Nichts anderes kann aber, worauf in dem angefochtenen Beschluss bereits hingewiesen worden ist, dann gelten, wenn es der Angeklagte, möglicherweise auch mit Unterstützung seiner "Verteidiger des Vertrauens", zu verhindern sucht, dass durch eine entsprechende Verweigerungshaltung sich überhaupt ein Vertrauensverhältnis entwickeln kann.

Aus dem Recht eines Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, folgt nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers oder des "Pflichtverteidigers des Vertrauens" eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 in 1 StR 409/05). Angesichts der Haftsituation des Angeklagten ist dabei u. a. auch das Gebot der Verfahrensbeschleunigung - bei Berücksichtigung der berechtigten Inter der Prozessbeteiligten - zu beachten.

Im Übrigen haben sich die vom Senat im Beschluss vom 5. Januar 2006 geäußerten Bedenken gegen die jederzeitige Erreichbarkeit des Wahlverteidigers und seine Möglichkeit, die Hauptverhandlungstermine wahrzunehmen, bereits am ersten Hauptverhandlungstag bewahrheitet, da er verhindert war, an diesem Terminstag zu verteidigen.

Auch die vom Senat bereits geäußerte Vermutung, die Hauptverhandlung werde nicht nach den zunächst bis zum 3. März 2006 vorgesehenen 11 Hauptverhandlungstagen beendet werden können, hat sich insofern bereits bestätigt, als bis Ende März 2006 sieben weitere Hauptverhandlungstage anberaumt werden mussten.

Soweit es der Vorsitzende der Strafkammer in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 24. Januar 2006 abgelehnt hat, bei Entpflichtung des Rechtsanwalts H. an d Stelle Rechtsanwalt M. aus M., der sich zwischenzeitlich für den Angeklagten "bestellt" und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt hatte, beizuordnen, ist dem dem Senat vorgelegten Sonderheft Pflichtverteidigerbestellung ein nach diesem Zeitpunkt eingelegtes Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht zu entnehmen.

Ebenso wenig bedarf es im vorliegenden Beschwerdeverfahren einer Entscheidung darüber, ob Rechtsanwalt M. seine Beiordnung auch als dritter Pflichtverteidiger erstrebt. Darüber zu befinden ist zunächst allein Sache des Strafkammervorsitzenden.

Ende der Entscheidung

Zurück